BVerfGE 15, 298 - Einfuhrbewilligungen
 


BVerfGE 15, 298 (298):

Beschluß
des Zweiten Senats vom 6. März 1963 gemäß § 91 a Absatz 2 Satz 2 BVerfGG
-- 2 BvR 129/63 --
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde 1. des Verwaltungsgerichtsdirektors ..., 2. des Verwaltungsgerichtsrats ..., 3. des Verwaltungsgerichtsrats ..., gegen den Beschluß des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 21. August 1962 in dem Verfahren des Verwaltungsgerichts Frankfurt/Main, Firma Gerhard H... ./. Bundesrepublik Deutschland -- V. G. III/1-39/60.
 
Entscheidungsformel:
Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen.
 
Gründe:
I.
1. Beim Verwaltungsgericht Frankfurt/Main sind über 600 Verfahren anhängig, an denen die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch die Außenhandelsstelle für Erzeugnisse der Ernährung und Landwirtschaft, Sitz Frankfurt/Main, als Beklagte beteiligt ist. Die meisten dieser Prozesse betreffen Gebühren, die die Außenhandelsstelle aus Anlaß von Einfuhrbewilligungen von den Importeuren erhebt; die Kläger begehren Aufhebung der Gebührenbescheide und Rückzahlung der gezahlten Gebühren. In einigen der Verfahren geht der Streit um die Rechtmäßigkeit der Entscheidungen der Außenhandelsstelle über Anträge auf Einfuhrbewilligungen.


BVerfGE 15, 298 (299):

Diese Verfahren gehören nach dem Geschäftsverteilungsplan des Verwaltungsgerichts seit dem 1. Januar 1961 zur Zuständigkeit der III. und der VI. Kammer. Während die Praxis der bis dahin zuständigen Kammer des Gerichts dahin ging, eine Sachentscheidung nur in einzelnen Prozessen zu fällen, um in ihnen als "Musterprozessen" im Rechtsmittelverfahren die streitigen grundsätzlichen Rechtsfragen klären zu lassen, die große Masse der Verfahren dagegen entweder ruhen zu lassen, auszusetzen oder tatsächlich nicht weiter zu betreiben, gingen 1961 -- unter dem Eindruck zahlreicher neu anhängig werdender Verfahren -- die III. Kammer und, ihr folgend, die VI. Kammer dazu über, in einer größeren Zahl dieser Verfahren Verhandlungstermin anzuberaumen und die entscheidungsreifen Sachen zu entscheiden.
Die Außenhandelsstelle versuchte, der neuen Praxis des Gerichts in allen Fällen entgegenzutreten, indem sie beantragte, den Verhandlungstermin aufzuheben und das Verfahren auszusetzen oder das Ruhen des Verfahrens anzuordnen. Das Verwaltungsgericht lehnte diese Anträge ab. Nachdem in einem Verfahren der Hessische Verwaltungsgerichtshof auf Beschwerde den Beschluß des Verwaltungsgerichts aufgehoben und das Verfahren ausgesetzt hatte, entschied das Verwaltungsgericht in anderen Verfahren über die prozessualen Anträge entweder so spät, daß die Entscheidung in der Hauptsache erging, bevor die von der Außenhandelsstelle dagegen eingelegte Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt worden war, oder erst in den Gründen der Entscheidung zur Hauptsache. Die Außenhandelsstelle lehnte daraufhin bei nächster Gelegenheit in einem der Gebührenprozesse den Vorsitzenden und einen Beisitzer der III. Kammer des Verwaltungsgerichts wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Das Verwaltungsgericht wies das Ablehnungsgesuch als unbegründet zurück; auf Beschwerde hob der Verwaltungsgerichtshof diesen Beschluß auf und erklärte die Ablehnung der Richter für begründet (Beschluß vom 18. Dezember 1961 in Sachen Firma P... ./. Bundesrepublik Deutschland, Aktenzeichen III/2-1065/61). Die Außenhandelsstelle lehnte

BVerfGE 15, 298 (300):

daraufhin unter Berufung auf die Gründe des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofs in Sachen Firma P..../. Bundesrepublik Deutschland alle Richter der III. und VI. Kammer des Verwaltungsgerichts in mehr als 600 Verfahren wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Auf Beschwerde gegen die ablehnende Entscheidung des Verwaltungsgerichts hat der Verwaltungsgerichtshof bisher in über 200 Verfahren diesen Gesuchen der Außenhandelsstelle entsprochen.
2. Die ordentlichen Mitglieder der III. und VI. Kammer des Verwaltungsgerichts Frankfurt/Main haben in allen Fällen, in denen bisher der Verwaltungsgerichtshof ihre Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit für begründet erklärt hat, gegen die sie betreffenden Entscheidungen Verfassungsbeschwerde eingelegt. Die im gegenwärtigen verfassungsgerichtlichen Verfahren entschiedene Verfassungsbeschwerde betrifft den Beschluß des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 21. August 1962, durch den die Ablehnung der drei Mitglieder der III. Kammer im verwaltungsgerichtlichen Verfahren der Firma H... ./. Bundesrepublik Deutschland (III/1-39/60) für begründet erklärt worden ist.
Die Beschwerdeführer machen geltend:
Die Begründung des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofs stehe im Widerspruch zur einhelligen Rechtsauffassung in Literatur und Gerichtspraxis; der Beschluß sei rechtlich unhaltbar und willkürlich. Er wiederhole stereotyp, ohne auf die Besonderheiten des Einzelfalles einzugehen, die Begründung, die in allen bisher gefaßten mehr als 200 Beschlüssen dieser Art fast im Wortlaut unverändert dieselbe sei. In Wahrheit werde nicht der einzelne mit der Sache befaßte Richter, sondern die zuständige Kammer als befangen abgelehnt. Der Sinn dieser Beschlüsse gehe erkennbar dahin, die für die Gebührenprozesse zuständigen Kammern des Verwaltungsgerichts Frankfurt/Main auszuschalten, eine Änderung der Geschäftsordnung beim Verwaltungsgericht durchzusetzen und zu erzwingen, daß das Verwaltungsgericht sich die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofs über die prozes

BVerfGE 15, 298 (301):

suale Behandlung der mehr als 600 in erster Instanz noch nicht entschiedenen Verfahren zu eigen mache. Dadurch verstoße der Verwaltungsgerichtshof gegen die Verfassungsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG und entziehe die Parteien ihrem gesetzlichen Richter. Zugleich verletze diese Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs die Beschwerdeführer in ihrer richterlichen Unabhängigkeit und in ihrem durch Art. 33 Abs. 5 GG geschützten grundrechtsähnlichen richterlichen Status.
Die hessische Landesregierung ist der Auffassung, daß die Beschwerdeführer im gegenwärtigen Verfahren weder eine Verletzung des Rechts der Parteien auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) noch die Verletzung ihres rechtlichen Status und ihrer richterlichen Unabhängigkeit rügen können.
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig.
1. Eine Verletzung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, der den Parteien eines gerichtlichen Verfahrens den Anspruch auf den gesetzlichen Richter garantiert, kann im Verfassungsbeschwerdeverfahren nur die Prozeßpartei rügen. Die Verfassungsbeschwerde ist ein Rechtsbehelf zur Verteidigung eigener subjektiver Rechte. Durch Entziehung des gesetzlichen Richters könnten nur die Prozeßbeteiligten in ihren Rechten verletzt sein. Den betroffenen Richtern ist durch Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht das subjektive Recht auf Entscheidung eines nach der Geschäftsverteilung zu ihrer Zuständigkeit gehörenden bestimmten Prozesses verfassungsrechtlich garantiert. Sie sind zwar verpflichtet, im Rahmen ihrer richterlichen Zuständigkeit alle verfassungsrechtlichen Normen, auch die Vorschrift des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG zu beachten, sie können aber diese Beachtung durch andere Organe oder Behörden nicht im Wege der Einlegung einer Verfassungsbeschwerde durchsetzen.
2. Das Bundesverfassungsgericht hat anerkannt, daß aus Art. 33 Abs. 5 GG, der zunächst nur eine institutionelle Garantie des

BVerfGE 15, 298 (302):

Berufsbeamtentums enthält, sich auch grundrechtsähnliche Individualrechte der Beamten gegenüber dem Staat ergeben können, die der Beamte mit der Verfassungsbeschwerde verfolgen kann, sofern er geltend macht, die angegriffene Maßnahme lasse sich nicht auf eine Regelung stützen, die mit Art. 33 Abs. 5 GG vereinbar ist (BVerfGE 8, 1 [17 f.]). Es hat weiter die institutionelle Garantie des Art. 33 Abs. 5 GG dahin interpretiert, daß sie auch die hergebrachte Stellung besonderer Gruppen von Angehörigen des öffentlichen Dienstes, wie z.B. der Richter, umfaßt. Die persönliche Rechtsstellung der Richter ist also unter Berücksichtigung und gegebenenfalls unter Beachtung der hergebrachten Grundsätze des richterlichen Amtsrechts zu regeln, soweit dieses die persönliche Rechtsstellung des Richters mitgestaltet (BVerfGE 12, 81 [87, 99]). Daraus folgt, daß ein Richter Verfassungsbeschwerde nur gegen solche Maßnahmen der öffentlichen Gewalt einlegen kann, die seine persönliche Rechtsstellung gegenüber dem Staat berühren. Nur in diesem Umfang kann es grundrechtsähnliche Individualrechte des Richters geben. Die Beschwerdeführer machen aber nicht geltend, daß sie durch eine Maßnahme des Staates als ihres Dienstherrn in ihrer persönlichen Rechtsstellung verletzt seien; sie verfolgen nicht als Individuen, die außerhalb des Staatsapparates stehen, subjektive Rechte gegen den Staat. Sie machen vielmehr als eine durch die Gerichtsorganisation geschaffene Einheit eine Behinderung ihrer organschaftlichen Funktionen als Glied der rechtsprechenden Gewalt -- III. Kammer des Verwaltungsgerichts Frankfurt -- durch die im Rechtsmittelwege ergangenen Entscheidungen des ihnen übergeordneten Gerichts geltend. Die Verfassungsbeschwerde ist aber kein Mittel zur Austragung von Meinungsverschiedenheiten zwischen Staatsorganen, sondern sie ist nur dem Einzelnen zur Verfolgung seiner Rechte gegen den Staat gegeben.
Die Verfassungsbeschwerde war deshalb gemäß § 91 a Abs. 2 Satz 2 BVerfGG als unzulässig zu verwerfen.