BVerfGE 24, 155 - Gemeinsame Amtsgerichte
 


BVerfGE 24, 155 (155):

Beschluß
des Zweiten Senats vom 1. Oktober 1968
- 2 BvL 6, 7, 8, 9/67 -
in den verbundenen Verfahren wegen verfassungsrechtlicher Prüfung 1. des § 58 Absatz 1 Satz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes in der Fassung des Art. 11 Nr. 1 des Gesetzes zur Änderung der Strafprozeß

BVerfGE 24, 155 (156):

ordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 19. Dezember 1964 (BGBl. I. S. 1067) - Aussetzungs- und Vorlagebeschluß des Amtsgerichts Bad Harzburg vom 16. Juni 1967 - 1 Go Ms 10/67 (28/67) - 2 BvL 6/67 - Aussetzungs- und Vorlagebeschluß des Amtsgerichts Königslutter vom 30. Juni 1967 - He 2 Ms 17/66 - 2 BvL 9/67 - 2. des § 33 Absatz 4 Satz 2 des Jugendgerichtsgesetzes v. 4. August 1953 (BGBl. I S. 751) - Aussetzungs- und Vorlagebeschluß des Amtsgerichts Bad Harzburg vom 16. Juni 1967 - 1 Go Ls 14/67 (31/67) - 2 BvL 7/67 -
Entscheidungsformel:
§ 58 Absatz 1 Satz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes in der Fassung des Artikels 11 Nr. 1 des Gesetzes zur Änderung der Strafprozeßordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 19. Dezember 1964 (Bundesgesetzbl. I S. 1067) und § 33 Absatz 4 Satz 2 des Jugendgerichtsgesetzes vom 4. August 1953 (Bundesgesetzbl. I S. 751) sind mit dem Grundgesetz vereinbar.
 
Gründe:
 
A. - I.
1. § 58 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) in der Fassung des Art. 11 Nr. 1 des Gesetzes zur Änderung der Strafprozeßordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 19. Dezember 1964 (BGBl. I S. 1067 - StPÄG -) lautet:
    (1) Die Landesregierungen werden ermächtigt, durch Rechtsverordnung einem Amtsgericht für die Bezirke mehrerer Amtsgerichte die Strafsachen ganz oder teilweise sowie Entscheidungen bestimmter Art in Strafsachen zuzuweisen, sofern die Zusammenfassung für eine sachdienliche Förderung oder schnellere Erledigung der Verfahren zweckmäßig ist. Die Landesregierungen können die Ermächtigung auf die Landesjustizverwaltungen übertragen.
    (2) Wird ein gemeinsames Schöffengericht für die Bezirke mehrerer Amtsgerichte eingerichtet, so bestimmt der Landgerichtspräsident die erforderliche Zahl von Haupt- und Hilfsschöffen und die Verteilung der Zahl der Hauptschöffen auf die einzelnen Amtsgerichtsbezirke.


    BVerfGE 24, 155 (157):

    (3) Die übrigen Vorschriften dieses Titels sind entsprechend anzuwenden.
In ähnlicher Weise bestimmt § 33 Abs. 4 des Jugendgerichtsgesetzes vom 4. August 1953 (BGBl. I S. 751 - JGG -):
    Die Landesjustizverwaltung kann einen Amtsrichter zum Jugendrichter für den Bezirk mehrerer Amtsgerichte bestellen (Bezirksjugendrichter). Sie kann auch bei einem Amtsgericht ein gemeinsames Jugendschöffengericht für den Bezirk mehrerer Amtsgerichte einrichten.
§ 33 Abs. 4 JGG wird ergänzt durch § 1 des Gesetzes über Rechtsverordnungen im Bereich der Gerichtsbarkeit vom 1. Juli 1960 (BGBl. I S. 481). Diese Vorschrift bestimmt:
    Soweit das Gerichtsverfassungsgesetz und Bundesgesetze auf den Gebieten der bürgerlichen Rechtspflege einschließlich der Arbeitsgerichtsbarkeit, der Strafrechtspflege und des Bußgeldverfahrens Ermächtigungen der obersten Landesbehörden zum Erlaß von Rechtsverordnungen vorsehen, sind die Landesregierungen zum Erlaß dieser Rechtsverordnungen ermächtigt. Die Landesregierungen können die Ermächtigungen auf oberste Landesbehörden übertragen.
2. Die Niedersächsische Landesregierung hat durch § 1 der Verordnung zur Übertragung von Verordnungsermächtigungen im Bereich der Gerichtsbarkeit vom 27. Juli 1960 (Nieders. GVBl. S. 217) die nach dem Bundesgesetz über Rechtsverordnungen im Bereich der Gerichtsbarkeit vom 1. Juli 1960 ihr erteilten Ermächtigungen zum Erlaß von Rechtsverordnungen allgemein auf die "zuständigen obersten Landesbehörden" übertragen. Außerdem hat die Landesregierung durch § 1 der Verordnung zur Übertragung der Verordnungsermächtigung nach § 58 Abs. 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 6. März 1967 (Nieders. GVBl. S. 56) speziell die in § 58 Abs. 1 Satz 1 GVG enthaltene Ermächtigung der Landesregierung zum Erlaß von Rechtsverordnungen auf den Minister der Justiz übertragen.
3. Auf Grund dieser Ermächtigungen hat der Niedersächsische Minister der Justiz am 9. März 1967 (Nieders. GVBl. S. 89) die Verordnung über die Einrichtung gemeinsamer Schöffengerichte und Jugendschöffengerichte (im folgenden: VO vom 9. März 1967)

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erlassen. Durch § 1 dieser Verordnung, die nach ihrem § 5 am 1. Juli 1967 in Kraft getreten ist, werden in Niedersachsen mehrere "gemeinsame Schöffengerichte und Jugendschöffengerichte eingerichtet", u.a. nach § 1 I b) beim Amtsgericht Goslar für die Amtsgerichtsbezirke Goslar und Bad Harzburg, nach § 1 I c) beim Amtsgericht Helmstedt für die Amtsgerichtsbezirke Helmstedt, Königslutter am Elm und Schöningen.
Durch § 3 der VO vom 9. März 1967 werden die für die Geschäftsjahre 1967/68 gewählten Hauptschöffen und Jugendhauptschöffen der von der Änderung betroffenen Gerichte dem gemeinsamen Schöffengericht zugewiesen.
II.
In den Ausgangsverfahren hat die Staatsanwaltschaft noch vor Inkrafttreten der Verordnung vom 9. März 1967 Anklage beim Schöffengericht Bad Harzburg, beim Jugendschöffengericht Bad Harzburg und beim Schöffengericht Königslutter erhoben. Es handelt sich um folgende Strafsachen:
1. Schöffengericht Bad Harzburg:
a) In dem Verfahren 1 Go Ms 10/67 (28/67) - 2 BvL 6/67 - erhob die Staatsanwaltschaft am 12. Mai 1967 beim Schöffengericht Bad Harzburg Anklage gegen Horst H. ... wegen fahrlässiger Tötung. Durch Beschluß vom 25. Mai 1967 ließ der Amtsrichter die Anklage zu und eröffnete das Hauptverfahren. Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 1. Juni 1967 ließ der Angeklagte vortragen, er werde seinem gesetzlichen Richter entzogen, wenn die Sache an das Schöffengericht Goslar abgegeben werde.
b) In dem Verfahren 1 Go Ls 14/67 (31/67) - 2 BvL 7/67 - erhob die Staatsanwaltschaft am 23. Mai 1967 beim Jugendschöffengericht Bad Harzburg Anklage gegen Oktavio Z.... wegen Unzucht mit einem Kinde. Der Amtsrichter ließ die Anklage durch Beschluß vom 25. Mai 1967 zu und eröffnete das Hauptverfahren. Mit Schriftsatz vom 1. Juni 1967 ließ der Angeklagte durch seinen Verteidiger vortragen, gesetzlicher Richter

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sei das Jugendschöffengericht Bad Harzburg; die Verordnung vom 9. März 1967 sei unwirksam.
c) Durch Beschluß vom 16. Juni 1967 hat der Amtsrichter in Bad Harzburg diese Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob § 58 Abs. 1 Satz 1 GVG und § 33 Abs. 4 Satz 2 JGG mit Art. 80 Abs. 1 GG vereinbar sind. Er begründet die Vorlagen wie folgt:
Die Hauptverhandlung habe wegen der Belastung des Schöffengerichts und des Jugendschöffengerichts nicht mehr vor dem 1. Juli 1967 stattfinden können. An einer Terminierung auf einen späteren Zeitpunkt vor dem Schöffengericht Bad Harzburg sehe er sich durch die Verordnung vom 9. März 1967 gehindert. Denn bei Gültigkeit der Verordnung vom 9. März 1967 müsse die Sache an das gemeinsame Schöffengericht Goslar abgegeben werden. Er halte aber diese Verordnung für unwirksam, weil § 58 Abs. 1 GVG und § 33 Abs. 4 JGG, die zum Erlaß der Verordnung vom 9. März 1967 ermächtigt hätten, mit Art. 80 Abs. 1 GG unvereinbar seien.
In § 58 Abs. 1 GVG seien zwar Inhalt und Ausmaß der erteilten Ermächtigung hinreichend genau bestimmt. Der Zweck sei jedoch lediglich mit den Worten "sachdienliche Förderung oder schnellere Erledigung" umrissen. Das sei zu einer hinreichenden Bestimmung des Zwecks der erteilten Ermächtigung nicht ausreichend, da die Fälle, in denen von der Ermächtigung Gebrauch gemacht werden dürfe, von Fällen, in denen dies unzulässig sei, nicht abzugrenzen seien. Bei der Zweckbestimmung handele es sich um leere Worte. Gerade weil der gesetzliche Richter in Frage stehe, könne eine unzureichende Zweckbestimmung der Ermächtigung nicht hingenommen werden.
In § 33 Abs. 4 JGG seien weder Inhalt noch Zweck, noch Ausmaß der erteilten Ermächtigung bestimmt.
2. Schöffengericht Königslutter:
a) In dem Verfahren He 2 Ls 3/67 - 2 BvL 8/67 - erhob die Staatsanwaltschaft am 31. Mai 1967 bei dem Schöffengericht

BVerfGE 24, 155 (160):

Königslutter Anklage gegen Gerhard K.... wegen Diebstahls im Rückfall in drei Fällen. Die Anklage ist noch nicht zugelassen und das Hauptverfahren noch nicht eröffnet.
b) In dem Verfahren He 2 Ms 17/66 - 2 BvL 9/67 - erhob die Staatsanwaltschaft am 19. Oktober 1966 bei dem Schöffengericht Königslutter Anklage gegen Günther E. ... wegen fahrlässiger Tötung. Durch Beschluß vom 7. November 1966 wurde die Anklage zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Es wurden dann auswärtige Zeugen vernommen.
c) Durch Beschluß vom 30. Juni 1967 hat der Amtsrichter in Königslutter diese Verfahren gemäß Art. 100 GG ausgesetzt. Er hält § 58 Abs. 1 GVG für unvereinbar mit Art. 80 Abs. 1 GG und begründet die Vorlagen wie folgt:
Im Fall E. ... sei Termin zur Hauptverhandlung vor dem Schöffengericht Königslutter zu bestimmen, im Fall K. ... das Hauptverfahren zu eröffnen und ebenfalls Termin zu bestimmen. Hieran sehe er sich jedoch durch die am 1. Juli 1967 in Kraft tretende Verordnung vom 9. März 1967 gehindert, bei deren Gültigkeit die Verfahren an das neu eingerichtete gemeinsame Schöffengericht Helmstedt abzugeben seien. Die Verordnung vom 9. März 1967 sei unwirksam, weil ihre Ermächtigungsgrundlage, § 58 GVG, mit Art. 80 GG unvereinbar sei. Die Ermächtigung in § 58 GVG sei unbegrenzt. Unter einer "sachdienlichen Förderung" müsse man einen besseren sachlichen Ablauf der Verfahren verstehen; ein solcher sei von einer Zusammenfassung der Sachen bei gemeinsamen Schöffengerichten nicht zu erwarten, weil es für diese keine besonderen verfahrensfördernden Bestimmungen gebe. Eine "schnellere Erledigung" sei nicht mit der Errichtung gemeinsamer Schöffengerichte, sondern durch eine Vermehrung des Personals zu erreichen. Die Richter bei den gemeinsamen Schöffengerichten seien ohnehin ausgelastet.
Die Bildung gemeinsamer Schöffengerichte, zu der § 58 GVG ermächtige, sei mit dem Prinzip des demokratischen Bundesstaats unvereinbar. Dieses gebiete eine volksnahe, dezentralisierte Gerichtsorganisation. Eine solche sei dann garantiert, wenn die

BVerfGE 24, 155 (161):

Schöffen in möglichst kleinen Bezirken tätig würden, wo sie Land und Leute kennten. Die längeren Wegstrecken, die Angeklagte, Zeugen, Schöffen und Verteidiger nun zum Bezirksschöffengericht zurücklegen müßten, seien mit den Grundsätzen der Sozialstaatlichkeit unvereinbar.
Die Schöffen seien auf zwei Jahre für ein bestimmtes Schöffengericht gewählt und auf ein Jahr durch Auslosung für einzelne Sitzungstage bestimmt. Die in § 3 der Verordnung vom 9. März 1967 verfügte Zuweisung der gewählten Schöffen an die neu eingerichteten gemeinsamen Schöffengerichte habe keine gesetzliche Grundlage und verstoße gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.
III.
1. Der Bundesminister der Justiz, der sich für die Bundesregierung geäußert hat, führt aus:
a) Die Zulässigkeit der Vorlagen sei zweifelhaft, weil die vorlegenden Richter sich nicht mit dem Gesetz über die Zuständigkeit der Gerichte bei Änderungen der Gerichtseinteilung vom 6. Dezember 1933 (RGBl. I S. 1037, BGBl. III 300-4) auseinandergesetzt hätten. Zwar müsse die Errichtung gemeinsamer Schöffengerichte durch die Verordnung vom 9. März 1967 nicht zwingend als Aufhebung bestehender Gerichte im Sinne von Art. 1 § 2 dieses Gesetzes angesehen werden, da die Amtsgerichte - wenn auch ohne Schöffengericht - fortbestünden. Auch Art. 1 § 1 des Gesetzes vom 6. Dezember 1933 könne nicht unmittelbar angewendet werden; diese Vorschrift regele den Fall, daß die örtlichen Bezirksgrenzen eines fortbestehenden Gerichts geändert würden, und bestimme, daß die Zuständigkeit des Gerichts für die anhängigen Sachen unberührt bleibe. Es könne aber nicht ausgeschlossen werden, daß die vorlegenden Richter diese Vorschrift, wenn sie sie gesehen hätten, aus Erwägungen verfassungskonformer Auslegung im Hinblick auf die Garantie des gesetzlichen Richters entsprechend angewendet und ihre fortdauernde

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Zuständigkeit bejaht hätten. Die Vorlagen hätten sich dann erübrigt.
b) § 58 Abs. 1 GVG und § 33 Abs. 4 JGG seien mit dem Grundgesetz vereinbar.
Inhaltlich sei die Ermächtigung in § 58 Abs. 1 GVG schon durch den Wortlaut bestimmt. Auch der Zweck werde ausdrücklich genannt. Der Begriff "schnellere Erledigung" sei eindeutig. "Sachdienliche Förderung" bedeute eine der Qualität nach bessere Arbeit. Nicht jeder Richter könne Experte in allen Rechtssachen sein. Die Konzentration bewirke, daß der Richter sich nicht für vereinzelt auftretende Fälle in eine Spezialmaterie einarbeiten müsse. Die Konzentration diene somit nicht nur einer Rationalisierung, sondern ebenso einem besseren Rechtsschutz für den Staatsbürger. Das Ausmaß der Ermächtigung ergebe sich aus der gleichen Formel, die den Zweck bestimme. Jedenfalls könne das Ausmaß, wenn man in dieser Umschreibung nur eine ausdrückliche Festlegung des Zwecks sehen wolle, aus der Formel mit hinreichender Deutlichkeit erschlossen werden.
Auch in § 33 Abs. 4 JGG werde der Inhalt der Ermächtigung durch den Wortlaut bestimmt. Der Zweck der Ermächtigung bestimme sich - abgesehen davon, daß der das Jugendgerichtsgesetz beherrschende Erziehungsgedanke dem Gesichtspunkt der richterlichen Sachkunde einen besonderen Gehalt verleihe - gemäß § 2 JGG nach § 58 GVG in der jeweils geltenden Fassung. Die Ermächtigung gebe vor allem die Möglichkeit, Jugendgerichtsbezirke zu schaffen, in denen erzieherisch befähigte Richter möglichst günstig eingesetzt werden und Erfahrungen sammeln könnten. Das Ausmaß der Ermächtigung ergebe sich - über die schon für § 58 GVG geltenden Erwägungen hinaus - ebenfalls mit aus dem Erziehungsgedanken: Nur soweit die erzieherischen Einflußmöglichkeiten durch Zusammenfassung von Jugendgerichten verbessert werden könnten oder zumindest bei Abwägung der verschiedenen Gesichtspunkte insgesamt nicht verschlechtert würden, solle es erlaubt sein, von der Ermächtigung Gebrauch zu machen.


BVerfGE 24, 155 (163):

2. Der Niedersächsische Ministerpräsident führt aus:
Der niedersächsische Verordnunggeber sei von der Gültigkeit der bundesrechtlichen Konzentrationsermächtigungen in § 58 Abs. 1 GVG und § 33 Abs. 4 JGG ausgegangen.
§ 3 der VO vom 9. März 1967 sei durch Art. 3 des Gesetzes vom 6. Dezember 1933 gedeckt. Diese Vorschrift enthalte keine Ermächtigung zur Schaffung von Rechtsnormen. Sie ermächtige vielmehr zu Maßnahmen justizverwaltungsmäßigen Charakters. § 3 der VO vom 9. März 1967 sei eine Sammelanordnung, die eine Reihe von Einzelverfügungen habe ersparen und die Kontinuität des gesetzlichen Richters sinnfälliger habe zum Ausdruck bringen sollen, als es durch einen unveröffentlichten Erlaß habe geschehen können. Wolle man § 3 der VO vom 9. März 1967 dennoch die Qualität einer materiellen Rechtsnorm beilegen, so habe sich die Ermächtigung hierzu bereits aus § 58 GVG ergeben. § 3 der VO vom 9. März 1967 habe lediglich zum Ziel und Inhalt gehabt, die Neuwahl der Hauptschöffen für die neu errichteten gemeinsamen Schöffengerichte zu erübrigen, indem für den Rest der Schöffenwahlperiode die Liste der Hauptschöffen bei den aufnehmenden Gerichten um die Liste der Schöffen der aufgenommenen Gerichte erweitert worden sei. Das weitere Verfahren nach § 58 Abs. 2, 3 GVG sei unberührt geblieben.
IV.
Die Vorlagen sind zu gemeinsamer Entscheidung verbunden worden.
 
B.
Die Vorlagen sind zulässig.
1. Die vorlegenden Richter sehen sich in den Ausgangsverfahren vor die Alternative gestellt, entweder ohne Rücksicht auf die Errichtung gemeinsamer Schöffengerichte in Goslar und Helmstedt Termin zur Hauptverhandlung vor ihrem Schöffengericht zu bestimmen oder sich weiterer richterlicher Tätigkeit in den ihnen noch vorliegenden Schöffengerichtssachen zu enthalten und

BVerfGE 24, 155 (164):

die Akten an die neu errichteten gemeinsamen Schöffengerichte abzugeben.
In dem Ausgangsverfahren zu 2 BvL 8/67 (He 2 Ls 3/67 Schöffengericht Königslutter) ist über die Zulassung der Anklage und Eröffnung des Hauptverfahrens noch nicht entschieden. Nach § 207 Abs. 1 StPO muß der Eröffnungsbeschluß "das Gericht bezeichnen, vor dem die Hauptverhandlung stattfinden soll". Diese Bestimmung konnte der Amtsrichter am 30. Juni 1967 ebenfalls schon nicht mehr treffen, ohne sich darüber schlüssig zu werden, ob die Verordnung vom 9. März 1967 gilt.
2. a) Die vorlegenden Richter gehen davon aus, daß die Verordnung vom 9. März 1967 sie daran hindere, die bei Inkrafttreten der Verordnung noch anhängigen Sachen zu Ende zu führen. Das ist vertretbar. Eine zwingende Veranlassung zur Auseinandersetzung mit den Bestimmungen des Gesetzes über die Zuständigkeit der Gerichte bei Änderungen der Gerichtseinteilung vom 6. Dezember 1933 (RGBl. I S. 1037) bestand nicht, weil daraus eine fortdauernde Zuständigkeit der aufgehobenen Schöffengerichte für die noch anhängigen Sachen nicht hergeleitet werden kann. Eine entsprechende Anwendung des Art. 1 § 1 des Gesetzes ist hier nicht möglich, weil die Verordnung vom 9. März 1967 in Bad Harzburg und Königslutter keine funktionsfähigen Schöffengerichte bestehen läßt. Art. 1 § 2 bestimmt, daß an die Stelle eines aufgehobenen Gerichts dasjenige tritt, dem sein Bezirk zugelegt worden ist. Eine entsprechende Anwendung dieser Vorschrift auf die Bildung gemeinsamer Schöffengerichte ist möglich. Sie führt zu der Rechtsfolge, von der die vorlegenden Richter ausgehen.
b) Einer Entscheidung über die Geltung des § 3 der VO vom 9. März 1967, durch den die Schöffen den neu gebildeten gemeinsamen Schöffengerichten zugewiesen werden, bedarf es in diesem Zusammenhang nicht. Denn seine Unwirksamkeit hätte lediglich zur Folge, daß die neu errichteten gemeinsamen Schöffengerichte noch nicht ordnungsgemäß besetzt sind. Sie würde aber nicht bewirken, daß die durch § 1 der VO vom 9. März 1967 aufgeho

BVerfGE 24, 155 (165):

benen alten Schöffengerichte ihre Tätigkeit über den 1. Juli 1967 hinaus fortsetzen können.
c) Die von den Amtsrichtern in der gegebenen Prozeßlage zu treffende Entscheidung über Fortführung oder Abgabe der Verfahren ist als Entscheidung im Sinne von Art. 100 Abs. 1 GG i.V.m. § 80 BVerfGG anzusehen (BVerfGE 7, 183 [186] und BVerfGE 4, 45 [48]; 4, 352 [355]; 16, 27 [28 f., 32]; vgl. auch BVerfGE 11, 330 [336]; 21, 148 [149]).
Die Vorlagen konnten von den Amtsrichtern ohne Mitwirkung der Schöffen beschlossen werden. Da die zu treffende Entscheidung über Eröffnung des Hauptverfahrens und Terminsbestimmung oder Abgabe an die neu errichteten gemeinsamen Schöffengerichte außerhalb der Hauptverhandlung ergeht, hat gemäß § 30 Abs. 2 GVG der Amtsrichter allein zu entscheiden.
d) § 58 Abs. 1 Satz 1 GVG ist nachkonstitutionelles Recht, weil der Bundesgesetzgeber bereits mit dem Rechtsvereinheitlichungsgesetz vom 12. September 1950 (BGBl. I S. 455) das Gerichtsverfassungsgesetz in seinem ganzen Umfang neu beschlossen hat (BVerfGE 8, 210 [213 f.]; 10, 185 [191 f.]; 18, 302 [303 f.]). Die Neufassung auf Grund Art. 11 Nr. 1 StPÄG hat insbesondere den Zweck der Ermächtigung beschrieben. § 33 Abs. 4 Satz 2 JGG ist als Bestandteil des Jugendgerichtsgesetzes vom 4. August 1953 (BGBl. I S. 751) ebenfalls nachkonstitutionelles Recht.
 
C.
§ 58 Abs. 1 Satz 1 GVG und § 33 Abs. 4 Satz 2 JGG sind mit dem Grundgesetz vereinbar.
I.
1. § 58 Abs. 1 Satz 1 GVG und § 33 Abs. 4 Satz 2 JGG ermächtigen die Landesregierungen, für die sachliche Zuständigkeit der Amtsgerichte in Strafsachen (§ 24 GVG) durch Zusammenfassung mehrerer bestehender Bezirke neue, sog. gemeinsame Amtsgerichtsbezirke und Schöffengerichtsbezirke zu bilden und ein für diese örtlich zuständiges Gericht neu zu bestimmen. Un

BVerfGE 24, 155 (166):

mittelbare Folge einer solchen Maßnahme ist die Aufhebung der alten Bezirke. Durch die nach § 58 Abs. 1 Satz 1 GVG und § 33 Abs. 4 Satz 2 JGG zulässigen Organisationsakte können also - gegenständlich beschränkt auf die Strafsachen - bestehende Gerichtsbezirke geändert und bestehende Gerichte teilweise aufgehoben werden. Es ändert an dem Charakter des Aktes nichts, daß ihre sonstige Zuständigkeit unangetastet bleibt. § 1 der VO vom 9. März 1967 nimmt solche Maßnahmen vor.
2. Das Grundgesetz geht in Art. 97 Abs. 2 Satz 3 davon aus, daß die Einrichtung der Gerichte und ihre Bezirke verändert werden dürfen. Bereits durch Beschluß vom 10. Juni 1953 (BVerfGE 2, 307 [316 ff.]) ist entschieden worden, daß für die Änderung von Gerichtsbezirken ein Vorbehalt des Gesetzes besteht, der sich aus dem Herkommen, aus der Eigenart einer solchen Maßnahme und aus allgemeinen, aus dem Grundgesetz abzuleitenden rechtsstaatlichen Erwägungen ergibt. Der Gesetzgeber darf deshalb die ihm als Akt der Rechtsetzung grundsätzlich vorbehaltene Befugnis zur Errichtung der Gerichte und Bestimmung ihrer Bezirke nur innerhalb der vom Grundgesetz, insbesondere in Art. 80 GG, für die Übertragung rechtsetzender Gewalt bestimmten Grenzen der Exekutive übertragen (BVerfGE 2, 307 [326]).
II.
Die Gesetzgebungsbefugnis des Bundes für die in § 58 GVG und § 33 Abs. 4 JGG enthaltenen Regelungen beruht auf der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes für das Gebiet "Gerichtsverfassung" (Art. 74 Nr. 1 GG). Nach § 58 GVG und § 33 Abs. 4 JGG können in Abweichung von der allgemeinen umfassenden Zuständigkeit der Amtsgerichte für die Strafrechtspflege gemeinsame Amtsgerichte oder gemeinsame Schöffen- und Jugendschöffengerichte für mehrere Bezirke als Gerichte besonderen Typs errichtet werden.
Der Bund ist auf Grund seiner Kompetenz zur Regelung der Materie "Gerichtsverfassung" auch befugt, die Landesregierungen durch Bundesgesetz zur Errichtung gemeinsamer Amtsgerichte

BVerfGE 24, 155 (167):

im Einzelfall zu ermächtigen, wie dies durch § 58 Abs. 1 GVG und § 33 Abs. 4 JGG i.V.m. § 1 des Gesetzes über Rechtsverordnungen im Bereich der Gerichtsbarkeit vom 1. Juli 1960 geschehen ist. Zwar ist gemäß Art. 30, 92 GG die Organisation der Gerichte Aufgabe der Länder und speziell die Errichtung der Gerichte in den Ländern sowie die Veränderung ihrer Bezirke wegen des Gesetzesvorbehalts (BVerfGE 2, 307 [316 ff.]) Sache der Landesgesetzgeber. Der Bund kann deshalb nicht selbst Sitz und Bezirk der Gerichte in den Ländern konkret bestimmen. Daraus ist aber nicht der Schluß zu ziehen, daß eine Ermächtigung, wie sie nach dem Beschluß vom 10. Juni 1953 (BVerfGE 2, 307 [326]) im Rahmen von Art. 80 Abs. 1 GG zulässig ist, nur von dem Landesgesetzgeber erteilt werden darf. Auf Grund von Art. 74 Nr. 1 GG kann der Bundesgesetzgeber hier nähere Bestimmungen erlassen, soweit eine einheitliche bundesgesetzliche Regelung erforderlich ist. Das gilt insbesondere für die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen der Bundesgesetzgeber Änderungen in der Gerichtsverfassung der hier in Frage stehenden Art der Exekutive im Rahmen von Art. 80 Abs. 1 GG überträgt oder ob er solche Maßnahmen dem Landesgesetzgeber vorbehält, wie z.B. in §§ 7, 28 SGG, § 3 VwGO, § 3 FGO geschehen. Im Rahmen der ihr nach Art. 80 Abs. 1 GG erteilten Ermächtigung handelt die Landesregierung an Stelle des Landesgesetzgebers (BVerfGE 18, 407 [417, 418]).
III.
§ 58 Abs. 1 Satz 1 GVG und § 33 Abs. 4 Satz 2 JGG genügen den Anforderungen, die Art. 80 Abs. 1 GG stellt.
1. § 58 Abs.1 Satz 1 GVG bezeichnet als Adressaten der Ermächtigung - wie in Art. 80 Abs. 1 Satz 1 GG vorgesehen - die Landesregierungen. Die erteilte Ermächtigung ist nach Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend (BVerfGE 8, 274 [312]) bestimmt.
a) Die Möglichkeit, einem Amtsgericht für die Bezirke mehrerer Amtsgerichte die Strafsachen ganz oder teilweise sowie Ent

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scheidungen bestimmter Art in Strafsachen zuzuweisen, bildet den Inhalt der Ermächtigung. Der Inhalt der Ermächtigung ist damit ausreichend bestimmt.
b) Auch das Ausmaß der Ermächtigung ist bestimmt. Ihre sachlichen Grenzen sind durch den Begriff "Strafsachen", der seinerseits durch die Beschreibung der amtsgerichtlichen Zuständigkeit für Strafsachen in § 24 GVG festgelegt ist, gezogen und insoweit genau bestimmt: die Ermächtigung bezieht sich nur auf die, aber auch auf alle amtsgerichtlichen Strafsachen.
Räumlich darf sich die Zusammenfassung auf den Bezirk mehrer Amtsgerichte eines Landes erstrecken. Das genügt dem Art. 80 GG.
c) Als Zweck der Ermächtigung bestimmt § 58 Abs. 1 Satz 1 GVG, daß "die Zusammenfassung für eine sachdienliche Förderung oder schnellere Erledigung der Verfahren zweckmäßig" sein muß. Die Zusammenfassung muß also auf eine Förderung oder schnellere Erledigung der Verfahren hinzielen. Sie darf nicht etwa in der Absicht vorgenommen werden, im Einzelfall bestimmte Richter aus der Strafrechtspflege zu verdrängen. Ziel der Zusammenfassung muß vielmehr, wie vom Bundesminister der Justiz zu Recht hervorgehoben, eine Verbesserung der amtsgerichtlichen Strafrechtspflege sein. Die Erfahrung lehrt, daß Richter, die ihre gesamte Arbeitskraft einem besonderen Sachgebiet zuwenden und dort spezielle Erfahrungen sammeln können, auf Grund ihrer besonderen Sachkunde rationeller und schneller arbeiten und die Materie tiefer durchdringen. Darauf kann eine moderne Rechtspflege nicht verzichten. In den nur mit einem oder zwei Amtsrichtern besetzten kleinen Amtsgerichten besteht nicht die Möglichkeit, Spezialdezernate zu bilden. Dem soll durch eine Zusammenfassung der Strafsachen aus mehreren Bezirken abgeholfen werden. "Programm" (BVerfGE 8, 274 [307]) der Ermächtigung ist also die Bildung optimal ausgelasteter Sachdezernate auf dem Gebiet der amtsgerichtlichen Strafrechtspflege. Dieses Programm ist mit der Formulierung "sachdienliche Förderung oder schnellere Erledigung" hinreichend verdeutlicht.


BVerfGE 24, 155 (169):

2. Im Text von § 33 Abs. 4 Satz 2 JGG ist als Adressat noch die Landesjustizverwaltung benannt. Nach § 1 des Gesetzes über Rechtsverordnungen im Bereich der Gerichtsbarkeit vom 1. Juli 1960 ist jedoch die Ermächtigung jetzt den Landesregierungen erteilt, die sie auf oberste Landesbehörden übertragen können. Mit dieser Ergänzung genügt § 33 Abs. 4 Satz 2 JGG insoweit den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 1 GG. Auch Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung sind hinreichend bestimmt.
Nach § 2 JGG gelten die allgemeinen Vorschriften, soweit im Jugendgerichtsgesetz nichts anderes bestimmt ist. § 33 Abs. 4 Satz 2 JGG will für die Bildung gemeinsamer Jugendschöffengerichte keine andere Regelung treffen, als sie § 58 GVG für die Bildung gemeinsamer Erwachsenenschöffengerichte vorsieht. Die Vorschrift stellt lediglich klar, daß nach den Voraussetzungen für die Errichtung gemeinsamer Erwachsenenschöffengerichte auch Jugendschöffengerichte gebildet werden können. Bei Bestimmung von Inhalt, Zweck und Ausmaß der in § 33 Abs. 4 Satz 2 JGG enthaltenen Ermächtigung ist deshalb § 58 GVG ergänzend heranzuziehen (vgl. BVerfGE 8, 274 [307]; 20, 283 [293]).
Nach § 33 Abs. 4 Satz 2 JGG können also die Jugendschöffengerichtssachen "ganz oder teilweise oder Entscheidungen bestimmter Art in Jugendschöffengerichtssachen" bei einem gemeinsamen Jugendschöffengericht zusammengefaßt werden. Die Zusammenfassung muß zu einer "sachdienlichen Förderung oder schnelleren Erledigung der Verfahren" führen, also auf die Schaffung optimal ausgelasteter Jugendschöffengerichtsdezernate hinzielen, in denen Jugendrichter besondere Erfahrungen auf dem Gebiet des Jugendstrafrechts sammeln und der Rechtspflege dienstbar machen können.
IV.
Unzutreffend ist die Auffassung des Amtsrichters in Königslutter, eine Zusammenfassung mehrerer Gerichtsbezirke in der Weise, wie sie § 58 Abs. 1 GVG und § 33 Abs. 4 JGG vorsehen, verstoße gegen die Grundsätze der Bundesstaatlichkeit und der

BVerfGE 24, 155 (170):

Sozialstaatlichkeit. Die föderative Gliederung des Bundes steht der Bildung größerer Gerichtsbezirke in den Ländern nicht entgegen. Wenn sich dabei für manche Verfahrensbeteiligte der Weg zum Gerichtsort verlängert, so ist dies angesichts der Entwicklung des modernen Verkehrswesens auch unter sozialen Gesichtspunkten grundsätzlich unbedenklich. Im Einzelfall hat der Verordnunggeber die Vorteile der Zusammenfassung gegen Nachteile, die sich aus besonderen örtlichen Verkehrsverhältnissen ergeben können, nach pflichtgemäßem Ermessen abzuwägen.
 
D.
Diese Entscheidung ist einstimmig ergangen.
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