BVerfGE 38, 23 - Herausgeber der Deutschen National-Zeitung
 


BVerfGE 38, 23 (23):

Beschluß
des Zweiten Senats vom 2. Juli 1974
- 2 BvA 1/69 -
in dem Verfahren wegen Verwirkung von Grundrechten gemäß Art. 18 GG gegen 1. den Journalisten Dr. Gerhard F ..., 2. die Druckschriften und Zeitungsverlag GmbH, M ..., Antragsteller: die Bundesregierung, vertreten durch den Bundesminister des Innern, Bonn 7, Rheindorfer Str. 198
Entscheidungsformel:
Die Anträge werden zurückgewiesen.
 
Gründe
I.
Die Bundesregierung hat am 20. März 1969 beim Bundesverfassungsgericht beantragt,
    1. das Grundrecht der freien Meinungsäußerung, insbesondere die Pressefreiheit, beider Antragsgegner auf eine vom Bundesverfassungsgericht festzusetzende Zeit für verwirkt zu erklären,
    2. dem Antragsgegner Dr. F... auf die Dauer der Verwirkung des Grundrechts das Wahlrecht, die Wählbarkeit und die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter abzuerkennen, und
    3. die Druckschriften- und Zeitungsverlag GmbH aufzulösen.
Die Anträge wurden vor allem damit begründet, die durch die Druckschriften- und Zeitungsverlag GmbH verlegte, von Dr. F... als deren alleinigem Gesellschafter und Chefredakteur herausgegebene Deutsche National-Zeitung (früher Deutsche National- Zeitung und Soldaten-Zeitung) habe seit langem durch nationalistische, antisemitische und rassistische Veröffentlichungen im In- und Ausland erhebliches Aufsehen erregt. Die Antragsgegner hätten durch Mißachtung des Gedankens der Völkerverständigung, durch den Versuch der Wiederbelebung des Anti

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semitismus sowie durch Diffamierung und Bekämpfung der Staatsform der Bundesrepublik Deutschland die Meinungsäußerungs- und Pressefreiheit zum Kampf gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung mißbraucht. Zum Beleg dafür war der Antragsschrift eine Zusammenstellung von Zitaten aus Meldungen, Kommentaren und Aufsätzen der DNZ-SZ und DNZ aus den Jahren 1964 bis 1969 beigefügt.
Die Antragsgegner haben die Berechtigung der Anträge in Stellungnahmen vom 30. Dezember 1969, 14. Januar 1970 und 15. September 1970, die der Bundesregierung jeweils zur Äußerung zugestellt worden sind, in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht im einzelnen bestritten und dazu zahlreiche weitere Veröffentlichungen aus der Zeit vor und nach der Antragstellung vorgelegt.
Die Bundesregierung hat, obwohl ihr vor dieser Entscheidung noch einmal dazu Gelegenheit geboten war, weder auf die umfangreichen tatsächlichen und rechtlichen Ausführungen in den Verteidigungsschriften erwidert noch - wie vom Gericht angeregt - zur Frage der gegenwärtigen Gefährlichkeit der Antragsgegner im Sinne des Art. 18 GG Stellung genommen. Sie hat auch keine neuen Tatsachen mehr vorgetragen.
II.
Die Anträge sind nicht hinreichend begründet.
Art. 18 GG dient der Abwehr von Gefahren, die der freiheitlich- demokratischen Grundordnung durch individuelle Betätigung drohen können (BVerfGE 25, 44 (60), 88 [100]). Er richtet sich gegen den Einzelnen, der kraft seiner Fähigkeiten und der ihm zur Verfügung stehenden Mittel eine um der Erhaltung der Verfassung willen zu bekämpfende Gefahr schafft (BVerfGE 25, 44 [60]). Für Art. 18 GG ist die Gefährlichkeit des Antragsgegners im Blick auf die Zukunft entscheidend (BVerfGE 11, 282 f.). Besteht sie während des Verwirkungsverfahrens, so ist in aller Regel anzunehmen, daß von dem Antragsgegner auch in Zukunft eine Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung

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ausgehen wird. Eine Gefährlichkeit in diesem Sinne darzutun, ist zunächst Sache des Antragstellers. Er hat sie nicht dargetan; offensichtlich ist sie hier nicht.
Seit der Antragstellung hat sich immer deutlicher abgezeichnet, daß die in der Zeitung der Antragsgegner vertretenen und propagierten Auffassungen - soweit sie für ein Verfahren nach Art. 18 GG relevant sein könnten - keine als ernsthafte Gefahr für den Bestand der freiheitlich-demokratischen Grundordnung in Betracht kommende, politisch bedeutsame Resonanz mehr finden. Die Bundesregierung hat seit 1970 auf die in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht eingehenden Ausführungen der Antragsgegner nicht erwidert. Sie hat ferner darauf verzichtet, neue Tatsachen vorzutragen, aus denen geschlossen werden könnte, daß die nach Ansicht der Bundesregierung im Zeitpunkt der Antragstellung von der Antragsgegnern ausgehende Gefahr für die freiheitlich- demokratische Grundordnung gegenwärtig noch fortbesteht. Deshalb waren die Anträge gemäß § 37 BVerfGG zurückzuweisen.
Sollte sich an dieser Sachlage etwas ändern und den Antragsgegnern wiederum ein Mißbrauch der Grundrechte zum Kampf gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung vorgeworfen werden, so kann in einem neuen Verfahren nach Art. 18 GG auch auf die Vorgänge zurückgegriffen werden, die dem gegenwärtigen Verfahren zugrunde liegen (BVerfGE 11, 282 [283]).
Diese Entscheidung ist einstimmig ergangen.
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