BVerfGE 50, 166 - Ausweisung I


BVerfGE 50, 166 (166):

Die Ausweisung eines wegen unerlaubten Waffenbesitzes verurteilten Ausländers aus generalpräventiven Gründen ist nicht verfassungswidrig, wenn der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet wurde.
 


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Beschluß
des Ersten Senats vom 17. Januar 1979
-- 1 BvR 241/77 --
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Herrn Hasan L... - Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Dieter König, Peter Hauser, Edith Zuber, Moserstraße 24, Stuttgart O - gegen a) den Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Januar 1977 - BVerwG 1 B 4.77 -, b) das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 11. Oktober 1976 - 1 659/76 -, c) das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 13. Februar 1976 - VRS V 188/75 -, d) den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 24. Juni 1975 - Nr. 11. II - 662 L... -, e) die Ausweisungsverfügung der Stadt Stuttgart - Amt für öffentliche Ordnung - vom 10. April 1974 - 32 - 542 -.
Entscheidungsformel:
Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.
 
Gründe:
 
A.
Gegenstand der Verfassungsbeschwerde ist die Ausweisung eines wegen einer Straftat verurteilten Jugoslawen aus der Bundesrepublik Deutschland. Die Ausweisung hielt die Ausländerbehörde aus generalpräventiven Gründen für geboten.
I.
Die Rechtsstellung der Ausländer in der Bundesrepublik Deutschland ist vor allem im Ausländergesetz vom 28. April 1965 (BGBl. I S. 353), zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes und des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes vom 25. Juli 1975 (BGBl. I S. 1542) - im folgenden: AusIG - geregelt. Über die Ausweisung ist - soweit dies hier von Bedeutung ist - folgendes bestimmt:
    § 10 Ausweisung
    (1) Ein Ausländer kann ausgewiesen werden, wenn
    1. ...


    BVerfGE 50, 166 (168):

    2. er wegen einer Straftat oder wegen einer Tat verurteilt worden ist, die im Geltungsbereich dieses Gesetzes eine Straftat wäre,
    3. - 11. ...
    (2) ...
Durch die Ausweisung erlischt die Aufenthaltserlaubnis des Ausländers (§ 9 Abs. 1 Nr. 4 AusIG). Kommt der Ausländer seiner danach bestehenden Ausreisepflicht nicht nach, kann er abgeschoben werden (§ 13 AusIG).
Zu § 10 AusIG ist in der aufgrund des § 51 AusIG erlassenen Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Ausführung des Ausländergesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. Mai 1977 (GMBI. 1977 S. 202), geändert durch die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Änderung der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Ausführung des Ausländergesetzes vom 7. Juli 1978 (GMBI. 1978 S. 368), - AuslVwV - angeordnet:
    1. Die Gründe für eine Ausweisung sind in § 10 Abs. 1 AusIG abschließend aufgeführt. Liegt einer der dort genannten Tatbestände vor, so hat die Ausländerbehörde nach pflichtmäßigem Ermessen zu entscheiden, ob eine Ausweisung geboten ist. Hierbei ist auch zu prüfen, ob die Ausweisung dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit des Mittels entspricht. Vor der Entscheidung sollen andere Behörden, von denen sachdienliche Stellungnahmen zu erwarten sind, gehört werden.
    1 a. bis 18. ...
    18a. Eine Ausweisung vor Abschluß eines Strafverfahrens kommt dann in Betracht, wenn das öffentliche Interesse die sofortige Vollziehung der Ausweisung fordert und die Durchführung des Strafverfahrens nicht geboten erscheint. Ein solches öffentliches Interesse ist in der Regel zu bejahen, wenn die sofortige Entfernung des Ausländers auch unter dem Gesichtspunkt der Generalprävention als wirksamstes Mittel zur Verhütung weiterer Beeinträchtigungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung angesehen werden muß, so z. B. bei Verstößen gegen strafbewehrte Vorschriften des Waffenrechts.
Nach § 55 Abs. 3 AusIG bleiben abweichende Bestimmungen in völkerrechtlichen Verträgen durch das Ausländergesetz unberührt. Vereinbarungen zwischen der Bundesrepublik Deutsch

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land und Jugoslawien, die einer Ausweisung des Beschwerdeführers hätten entgegenstehen können, bestehen nicht.
II.
1. Der 1947 geborene Beschwerdeführer arbeitet seit 1970 in der Bundesrepublik Deutschland. Seine letzte Aufenthaltserlaubnis war bis zum 10. Februar 1974 befristet. Mit Urteil vom 3. Dezember 1973 wurde der Beschwerdeführer wegen unerlaubten Erwerbs und Besitzes einer Waffe mit Munition zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Die nach Anrechnung der Untersuchungshaft verbleibende Reststrafe wurde zunächst zur Bewährung ausgesetzt und dann erlassen.
Die Ehefrau des Beschwerdeführers und seine beiden Kinder befinden sich in Jugoslawien.
2. Die Stadt Stuttgart wies den Beschwerdeführer mit Verfügung vom 10. April 1974 aus und drohte seine Abschiebung an: Wegen des Waffendelikts stelle der Beschwerdeführer eine Gefahr für die Öffentlichkeit dar, die nur durch seine Ausweisung beseitigt werden könne. Das öffentliche Interesse an der Ausweisung überwiege das des Beschwerdeführers an seinem weiteren Verbleib in der Bundesrepublik.
Der Beschwerdeführer hat gegen die Ausweisungsverfügung erfolglos Widerspruch erhoben. Die Widerspruchsbehörde hielt die Ausweisung des Beschwerdeführers als Mittel der polizeilichen Gefahrenabwehr aus generalpräventiven Gründen für geboten.
3. Klage und Berufung hatten keinen Erfolg. Der Verwaltungsgerichtshof führte aus:
Die Ausweisung des Beschwerdeführers sei als Mittel der polizeilichen Gefahrenabwehr aus generalpräventiven Gründen erforderlich. Bei der Fallgruppe des unerlaubten Waffenbesitzes sei es rechtmäßig, allein auf den Zweck der Abschreckung anderer Ausländer abzustellen.
Dem Beschwerdeführer könne auch nicht darin gefolgt werden, daß seine Ausweisung gegen seine Menschenwürde (Art. 1

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Abs. 1 GG) verstoße, weil er zu einem Objekt staatlichen Handelns gemacht werde. Er übersehe dabei, daß die Ausweisung eine für ihn voraussehbare und vermeidbare Folge seines strafbaren Verhaltens sei. Ein Ausländer in der Bundesrepublik Deutschland gehe das Risiko ein, bei Vorliegen eines Ausweisungsgrundes seine wirtschaftliche Existenz zu verlieren.
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei gewahrt. Private Belange des Beschwerdeführers stünden wegen des überwiegenden öffentlichen Interesses der Ausweisung nicht entgegen. Die Ausweisung treffe den Beschwerdeführer auch nicht unzumutbar hart; denn er habe sich bei Erlaß der Ausweisungsverfügung erst etwa dreieinhalb Jahre in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten und könne zu seiner Ehefrau und seinen Kindern nach Jugoslawien zurückkehren.
4. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hat das Bundesverwaltungsgericht zurückgewiesen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung habe. Der Beschwerdeführer hält sich weiterhin im Bundesgebiet auf. Sein Aufenthalt wird bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde geduldet.
III.
1. Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seines Grundrechts aus Art. 1 Abs. 1 GG. Er macht geltend:
Es verletze seine Menschenwürde, daß zur Begründung seiner Ausweisung nur auf generalpräventive Gesichtspunkte abgestellt worden sei. In einem liberalen Rechtsstaat sei dies mit der Würde des Menschen nicht vereinbar, weil der Einzelne zum bloßen Objekt staatlichen Handelns gemacht werde, und zwar aus Gründen, die nicht in seiner Person lägen und von ihm nicht beeinflußbar seien. Die Staatsräson werde auf diese Weise zum alles rechtfertigenden Prinzip erhoben. An dem einzelnen Ausländer werde stellvertretend eine Maßnahme vollzogen, die eigentlich nicht ihn, sondern die anderen Ausländer im Bun

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desgebiet treffen solle. So werde er als Disziplinierungsmittel für andere eingesetzt und mißbraucht.
2. Für die Bundesregierung hat sich der Bundesminister des Innern geäußert. Er hat sich dabei im wesentlichen auf die Beantwortung der vom Bundesverfassungsgericht gestellten folgenden Fragen beschränkt:
Werden in der Bundesrepublik Deutschland lebende Ausländer in bestimmten Deliktsgruppen häufiger straffällig und bestraft als im Inland lebende deutsche Staatsangehörige?
Gibt es belegbare Erfahrungen dafür, daß in der Bundesrepublik Deutschland lebende Ausländer durch Ausweisungen anderer Ausländer im Falle bestimmter Straftaten vor der Begehung solcher oder anderer Straftaten abgeschreckt werden?
Er führt dazu aus: Aus der Polizeilichen Kriminalstatistik für das Jahr 1976 (Bulletin 1977, S. 533 ff.) ergebe sich, daß der Anteil der Nichtdeutschen an der Wohnbevölkerung 6,4 %, bei den Tatverdächtigen aber 12,0 % betragen habe. Nichtdeutsche seien vor allem bei den schwereren Gewaltdelikten weit überproportional vertreten gewesen, so bei Vergewaltigung mit 26,4 % und bei Mord und Totschlag mit 22,5 %. Diese Überrepräsentation der Ausländer sei allerdings statistisch überzeichnet; denn Angehörige der Stationierungsstreitkräfte, Touristen und sich illegal im Bundesgebiet aufhaltende Ausländer würden als Tatverdächtige erfaßt, nicht aber bei der Wohnbevölkerung mitgezählt. Außerdem sei bei den Ausländern strukturell ein starkes Übergewicht der besonders kriminalitätsbelasteten Gruppen von Männern unter 40 Jahren zu verzeichnen. Schließlich sei es durchaus möglich, daß sich bei einer erheblichen Steigerung der Aufklärungsquote ein besseres Verhältnis zugunsten der Ausländer ergebe. Berücksichtige man diese Verzerrungsfaktoren, so gebe die statistische Überrepräsentation der ausländischen Tatverdächtigen zumindest aber den Trend bei der Gewaltkriminalität richtig wieder.
Dem Jahresbericht 1976 des Bundeskriminalamtes über Waf

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fen- und Sprengstoffkriminalität lasse sich ergänzend entnehmen, daß Ausländer als illegale Hersteller von Waffen, Munition, Sprengstoff und Zündmitteln zu etwa 35 % und als illegale Händler und Schmuggler von Waffen und Munition zu etwa 31 % als Täter ermittelt worden seien.
Empirische Erhebungen über generalpräventive Wirkungen von Ausweisungen dürften auf kaum überwindbare methodische Schwierigkeiten stoßen. Die Annahme einer generalpräventiven Wirkung von Ausweisungen beruhe auf der Lebenserfahrung, vor allem den Erkenntnissen der Kriminalistik. Im Bereich des Waffenrechts seien generalpräventive Maßnahmen unentbehrlich. Ausländer, zumal aus Staaten mit wesentlich niedrigerem Zivilisations- und Lebensstandard fürchteten die Ausweisung mehr als eine Bestrafung.
Generalprävention bei Ausweisungen verstoße nicht gegen Verfassungsrecht, insbesondere nicht gegen Art. 1 Abs. 1 GG; denn es bleibe dabei, daß der Ausländer wegen einer von ihm begangenen Straftat ausgewiesen werde. Auch Art. 2 Abs. 1 GG werde nicht verletzt. § 10 Abs. 1 Nr. 2 AusIG räume den Ausländerbehörden keinen unzulässigen Ermessensspielraum ein, und bei der Anwendung dieser Bestimmung sei immer der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten.
3. Die Stellungnahmen, die von den Ländern Baden-Württemberg, Hamburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen und dem Saarland abgegeben wurden, decken sich im wesentlichen mit den Ausführungen des Bundesministers des Innern.
4. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich wie folgt geäußert:
Die Ausweisung diene als ordnungsrechtliche Maßnahme nicht dazu, ein bestimmtes menschliches Verhalten zu ahnden, sondern einer künftigen Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder einer Beeinträchtigung sonstiger erheblicher Belange der Bundesrepublik vorzubeugen. Daher dürfe sie nicht als Instrument zusätzlicher Bestrafung angesehen werden. Liege der gesetzliche Ausweisungstatbestand vor, so habe die Ausländerbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berück

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sichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu entscheiden, ob eine Ausweisung geboten sei, und zwar unter Abwägung der für und gegen diese Maßnahme sprechenden Gesichtspunkte. Hiernach dürfe durch die Ausweisung Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vorgebeugt werden, die bei einem weiteren Aufenthalt des Ausländers im Geltungsbereich des Ausländergesetzes drohten; eine konkrete Gefahr durch den ausgewiesenen Ausländer im Sinne der Generalklausel des Polizei- und Ordnungsrechts sei nicht erforderlich.
Die vom Bundesverwaltungsgericht grundsätzlich anerkannte Befugnis der Ausländerbehörden, bei der Ausweisung auch generalpräventive Gesichtspunkte zu berücksichtigen, unterliege gewissen Einschränkungen. Entsprechend dem ordnungsrechtlichen Charakter der Ausweisungsverfügung kämen nämlich nur solche Fallgruppen in Betracht, in denen die Ausweisung nach der Lebenserfahrung dazu führen könne, daß sich andere Ausländer zur Vermeidung der ihnen drohenden Ausweisung während ihres Aufenthalts im Geltungsbereich des Ausländergesetzes ordnungsgemäß verhielten. Hierzu gehöre u. a. der unerlaubte Waffenbesitz.
 
B.
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig, aber unbegründet.
I.
Der Gesetzgeber ist grundsätzlich zu Regelungen über die Ausweisung von Ausländern befugt. Dabei hat er das Rechtsstaatsprinzip zu beachten. Dieses verlangt zunächst, daß die Voraussetzungen für die Ausweisung eines Ausländers hinreichend bestimmt geregelt sind (vgl. BVerfGE 35, 382 [400]). Diesem Erfordernis wird § 10 Abs. 1 Nr. 2 AusIG gerecht. Aus dieser Bestimmung ergibt sich für den Ausländer, daß er mit seiner Ausweisung rechnen muß, wenn er wegen einer Straftat oder wegen einer Tat verurteilt worden ist, die im Geltungsbereich des Ausländergesetzes eine Straftat wäre. Mit der An

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drohung der Ausweisung als Folge der Straffälligkeit geht der Gesetzgeber erkennbar von der Erwartung aus, diese Bestimmung werde bereits generalpräventive Wirkungen entfalten und Ausländer von der Begehung von Straftaten abhalten. Allerdings wird bei Vorliegen des Tatbestands des § 10 Abs. 1 Nr. 2 AusIG die Ausweisung nicht zwingend vorgeschrieben, sondern ist in das Ermessen der Behörde gestellt. Damit verbleibt genügend Raum dafür, bei der Anwendung im Einzelfall dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung zu tragen, in dem sich das Rechtsstaatsprinzip besonders ausprägt (BVerfGE 35, 382 [400 f.]; 38, 52 [58]). Auf die Berücksichtigung dieses Verfassungsgebots bei der Entscheidung der Ausländerbehörde über die Ausweisung eines Ausländers, die diese nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen hat, wird auch in der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Ausführung des Ausländergesetzes Nr. 1 zu § 10 ausdrücklich hingewiesen.
II.
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen Gerichtsentscheidungen, die auf der Anwendung des § 10 Abs. 1 Nr. 2 AusIG beruhen und sich auf den Grundrechtsbereich auswirken. Das Bundesverfassungsgericht hat die Auslegung und Anwendung der Bestimmungen des Ausländerrechts durch die Verwaltungsgerichte als solche nicht nachzuprüfen; ihm obliegt es lediglich, die Beachtung der grundrechtlichen Normen und Maßstäbe durch die Fachgerichte sicherzustellen (BVerfGE 42, 143 [148] m.w.N.).
Es ist daher auf die Prüfung beschränkt, ob die Ausweisung des Beschwerdeführers, die auf einer Bestrafung wegen unerlaubten Erwerbs und Besitzes einer Waffe mit Munition beruht, ohne Verstoß gegen die Verfassung erfolgen konnte.
Die Verwaltungsgerichte sind bei der Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Ermessensentscheidung der Behörde (§ 114

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VwGO) ohne Verfassungsverstoß zu dem Ergebnis gekommen, daß der Beschwerdeführer ausgewiesen werden durfte.
1. Die Würde des Menschen ist der oberste Wert im grundrechtlichen Wertsystem und gehört zu den tragenden Konstitutionsprinzipien (BVerfGE 6, 32 [36, 41]; 45, 187 [227] m.w.N.). Alle staatliche Gewalt hat sie zu achten und zu schützen (Art. 1 Abs. 1 GG). Dem Menschen kommt in der Gemeinschaft ein sozialer Wert- und Achtungsanspruch zu; deshalb widerspricht es der menschlichen Würde, den Menschen zum bloßen Objekt des Staates zu machen (BVerfGE 27, 1 [6]; 28, 386 [391]; vgl. auch BVerfGE 5, 85 [204] und 7, 198 [205]) oder ihn einer Behandlung auszusetzen, die seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt (BVerfGE 30, 1 [26]). Nach dem Menschenbild des Grundgesetzes ist das Individuum indessen auch gemeinschaftsbezogen und gemeinschaftsgebunden (BVerfGE 4, 7 [15]; 33, 303 [334] m.w.N.), wobei allerdings die Eigenständigkeit der Person gewahrt bleiben muß (BVerfGE 4, 7 [16]). Für den vorliegenden Fall ergibt sich zusätzlich aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip, daß die Ausländerbehörden bei der Anwendung der Ausweisungsvorschriften des § 10 Abs. 1 AusIG den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten haben (BVerfGE 35, 382 [401]; 38, 52 [58]).
2. Prüft man nach diesen Maßstäben die von den Verwaltungsgerichten bestätigte Ermessensentscheidung der Verwaltungsbehörde, so verstößt die Berücksichtigung generalpräventiver Gründe bei der Ausweisung des Beschwerdeführers weder gegen Art. 1 Abs. 1 GG noch gegen Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip.
Der Beschwerdeführer fühlt sich deshalb in seiner Menschenwürde verletzt, weil an ihm stellvertretend eine Maßnahme vollzogen werde, die nicht eigentlich ihn, sondern die Ausländer in der Bundesrepublik Deutschland generell treffen solle, so daß er als Disziplinierungsmittel für andere eingesetzt und mißbraucht werde. Diese Argumentation, die auch im Schrift

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tum teilweise gegen die Berücksichtigung generalpräventiver Gesichtspunkte bei Entscheidungen der Ausländerbehörden nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 AusIG vorgebracht wird (Franz, DVBI. 1973, S. 662 [672]; Huber, NJW 1976, S. 1008 [1010]; Kanein, Ausländergesetz, 2. Aufl., 1974, Erl. 1 zu § 10; Pagenkopf, DVBI. 1975, S. 764 [765 ff.]; Schnapp, DVBI. 1974, S. 88 [89]), läßt wesentliche Gesichtspunkte außer Betracht: § 10 Abs. 1 Nr. 2 AusIG bedeutet einen Appell an alle Ausländer, im Geltungsbereich des Gesetzes keine Straftaten zu begehen. Ein Ausländer, der sich trotz der Ausweisungsandrohung in § 10 Abs. 1 Nr. 2 AusIG von der Begehung einer Straftat nicht abhalten läßt, setzt selbst die Voraussetzung für eine Ausweisungsverfügung. Er gibt durch sein Verhalten anderen Ausländern in der Bundesrepublik ein schlechtes Beispiel und dadurch die Veranlassung für eine generalpräventive Maßnahme. Wenn als Folge seines Tuns die im Gesetz angedrohte Ausweisung angeordnet wird, um andere Ausländer von der Begehung von Straftaten abzuhalten, so wird er damit nicht unter Verletzung seines verfassungsrechtlich geschützten Wert- und Achtungsanspruchs zum Objekt staatlichen Handelns herabgewürdigt. Allerdings darf ein generalpräventives Motiv niemals zu einer Reaktion führen, die den rechtsstaatlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zwischen Mittel und Zweck verletzt. Die Beachtung dieses Verfassungsgrundsatzes erfordert eine Gesamtwürdigung und Abwägung aller Umstände des Einzelfalles. Das ist jedoch im vorliegenden Fall geschehen. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Ausweisung des Beschwerdeführers unter Berücksichtigung des Tatgeschehens und der persönlichen Verhältnisse des Betroffenen eingehend geprüft. Er hat das Interesse des Beschwerdeführers an seinem weiteren Verbleiben in der Bundesrepublik gegen das öffentliche Interesse an seiner Ausweisung hinreichend abgewogen. Wenn er wegen des erst relativ kurzen Aufenthaltes des Beschwerdeführers in der Bundesrepublik im Zeitpunkt seiner Ausweisung und bei den gegebenen familiären Verhältnissen zu dem Ergebnis gekommen

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ist, daß die Ausweisung ermessensfehlerfrei verfügt worden sei, so ist dies von Verfassungs wegen unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit nicht zu beanstanden.
Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 26. Februar 1975 (- Rechtssache 67/74 - NJW 1975, S. 1096), wonach eine Ausweisung zum Zwecke der Abschreckung anderer Ausländer unzulässig sei, betrifft einen anderen Sachverhalt. Es hat ausschließlich die Auslegung des nur für Angehörige von Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft geltenden Art 3 Abs. 1 und 2 der Richtlinie Nr. 64/221 EWG des Rats der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vom 25. Februar 1964 (AB 850/64) zum Gegenstand. Der Beschwerdeführer ist nicht Angehöriger eines EG-Mitgliedstaates.
Dr. Benda, Dr. Simon, Dr. Haager, Dr. Böhmer, Dr. Faller, Dr. Katzenstein, Dr. Niemeyer