BVerfGE 54, 341 - Wirtschaftsasyl


BVerfGE 54, 341 (341):

Einem Asylbewerber, der in der Vergangenheit bereits politisch verfolgt worden ist, kann bei Änderung der politischen Verhältnisse im Heimatstaat der Schutz des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG nur dann versagt werden, wenn bei Rückkehr in diesen Staat eine Wiederholung von Verfolgungsmaßnahmen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist.
 
Beschluß
des Ersten Senats vom 2. Juli 1980
- 1 BvR 147, 181, 182/80 -
in den Verfahren über die Verfassungsbeschwerden 1. des Herrn Mirza Mahmood A... gegen a) den Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. Januar 1980 - BVerwG 1 B 1077.79 -, b) den Beschluß des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 20. Juli 1979 - 428 XII

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78 -, c) das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 27. April 1978 - AN 0366-X/76 -, d) den Bescheid des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 21. Juli 1975 in der Fassung des Widerspruchsbescheids dieses Bundesamts vom 9. August 1976 - Pak-X-248 - 1 BvR 147/80 -, 2. des Herrn Mohammad I... gegen a) den Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. Januar 1980 - BVerwG 1 B 1083.79 -, b) den Beschluß des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 18. Juli 1979 - 175 XII 78 -, c) das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 30. März 1978 - AN 3269 - 11/76 -, d) den Bescheid des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 4. Dezember 1975 in der Fassung des Widerspruchsbescheids dieses Bundesamts vom 26. März 1976 - Pak-X-1535 - 1 BvR 181/80 -, 3. des Herrn Javed I... gegen a) den Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. Januar 1980 - BVerwG 1 B 1082.79 -, b) den Beschluß des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 10. Juli 1979 - 209 XII 78 -, c) das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 30. März 1978 - AN 3768 - 11/76 -, d) den Bescheid des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 11. Mai 1976 in der Fassung des Widerspruchsbescheids dieses Bundesamts vom 27. August 1976 - Pak-X-1795 - 1 BvR 182/80 - Bevollmächtigte zu 1-3: Rechtsanwälte Hans Hoffmann und Bernd Hintze, Dehnhardtstraße 19, Frankfurt am Main -.
Entscheidungsformel:
Die Beschlüsse des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 20. Juli 1979 - 428 XII 78 -, vom 18. Juli 1979 - 175 XII 78 - und vom 10. Juli 1979 - 209 XII 78 - verletzen die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Artikel 16 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes. Sie werden aufgehoben.
Die Beschlüsse des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. Januar 1980 - BVerwG 1 B 1083.79 - und vom 4. Januar 1980 - BVerwG 1 B 1077.79 und BVerwG 1 B 1082.79 - werden damit gegenstandslos.
Die Sachen werden an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
Der Freistaat Bayern hat den Beschwerdeführern die notwendigen Auslagen zu erstatten.
 


BVerfGE 54, 341 (343):

Gründe:
 
A.
Die Verfassungsbeschwerden betreffen die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Bundesrepublik Deutschland Ausländern Asyl zu gewähren hat. Die Beschwerdeführer berufen sich darauf, ihnen drohe in ihrer Heimat Pakistan Verfolgung wegen ihrer Zugehörigkeit zur Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft.
I.
Das Ausländergesetz vom 28. April 1965 (BGBl. I S. 353), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes zur Beschleunigung des Asylverfahrens vom 25. Juli 1978 (BGBl. I S. 1108), - im folgenden: AuslG - sieht ebenso wie zuvor die Verordnung über die Anerkennung und die Verteilung von ausländischen Flüchtlingen (Asylverordnung) vom 6. Januar 1953 (BGBl. I S. 3) ein besonderes Verwaltungsverfahren für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge und politisch Verfolgter vor. Über die materiellen Voraussetzungen der Anerkennung bestimmt das Gesetz:
    § 28 AuslG Personenkreis
    Als Asylberechtigte werden auf Antrag anerkannt:
    1. Flüchtlinge im Sinne von Artikel 1 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge,
    2. sonstige Ausländer, die politisch Verfolgte nach Artikel 16 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes sind,
    sofern sie nicht bereits in einem anderen Land Anerkennung nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge oder anderweitig Schutz vor Verfolgung gefunden haben.
Während des Anerkennungsverfahrens vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (im folgenden: Bundesamt) und des anschließenden Verwaltungsstreitverfahrens erhalten Asylbewerber grundsätzlich eine Aufenthaltserlaubnis

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oder eine Duldung und außerdem eine "Bescheinigung über die Beantragung von Asyl" (vgl. §§ 31, 40 AuslG; Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Ausführung des Ausländergesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. Mai 1977 [GMBl. S. 202], zuletzt geändert durch die Allgemeine Verwaltungsvorschrift vom 7. Juli 1978 [GMBl. S. 368], - AuslVwV - Nr. 1 a zu § 17, Nr. 5 zu § 38, Nrn. 5, 7, 8 zu § 40).
Anerkannte Asylberechtigte werden nach einem vom Bundesrat festgelegten Schlüssel auf die Länder verteilt (§ 42 Abs. 1 AuslG). Sie haben einen Rechtsanspruch auf eine - grundsätzlich unbefristete - Aufenthaltserlaubnis (§ 43 AuslG; AuslVwV Nr. 1 zu § 43) und erhalten einen Reiseausweis nach Art. 28 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (BGBl. 1953 II S. 560) - Genfer Konvention - im folgenden: GK - oder einen Fremdenpaß nach § 4 AuslG (S 44 AuslG; AuslVwV Nrn. 1, 11, 14 zu § 44). Außerdem steht ihnen eine von der Arbeitsmarktlage unabhängige und unbefristete Arbeitserlaubnis zu (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 der Verordnung über die Arbeitserlaubnis für nichtdeutsche Arbeitnehmer [Arbeitserlaubnisverordnung] vom 2. März 1971 [BGBl. I S. 152], zuletzt geändert durch die Fünfte Verordnung zur Änderung der Arbeitserlaubnisverordnung vom 30. Mai 1980 [BGBl. I S. 638]). Asylberechtigte und anerkannte ausländische Flüchtlinge können, wenn sie sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung ausgewiesen werden (§ 11 Abs. 2 AuslG). Sie dürfen nur dann in einen Staat, in dem ihr Leben oder ihre Freiheit aus Verfolgungsgründen bedroht ist, abgeschoben werden, wenn sie aus schwerwiegenden Gründen eine Gefahr für die Sicherheit darstellen oder wegen eines besonders schweren Verbrechens verurteilt sind (§ 14 Abs. 1 AuslG). Asylsuchende aus Ostblockstaaten sollen selbst dann nicht in ihre Heimat abgeschoben werden, wenn ihr Asylbegehren rechtskräftig abgewiesen ist (Beschluß der Innenministerkonferenz vom 26. August 1966; vgl. BTDrucks. 8/4278, S. 7).


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II.
Die drei Beschwerdeführer sind pakistanische Staatsangehörige und Mitglieder der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya. Diese ist aus dem sunnitischen Islam hervorgegangen. Sie wurde gegen Ende des 19. Jahrhunderts von Mirsa Ghulam Ahmad gestiftet, der sich zum Propheten nach Mohammed erklärte. Da die Ahmadis nicht an die absolute und uneingeschränkte Finalität des Prophetentums in der Person Mohammeds glauben, sondern diesen nur für den letzten "gesetzgebenden Propheten" halten, wird die Ahmadiyya von den meisten Sunniten und Schiiten nicht als islamisch anerkannt. Im Jahre 1974 waren ihre Angehörigen pogromartigen Ausschreitungen durch "rechtgläubige Moslems" ausgesetzt.
Die Anerkennung der Beschwerdeführer als Asylberechtigte wurde abgelehnt; ihre Rechtsmittel blieben erfolglos. Dabei beurteilten das Bundesamt und die Gerichte eine mögliche politische Verfolgung der Beschwerdeführer nach der Sach- und Rechtslage jeweils im Zeitpunkt ihrer Entscheidung.
1. Die Verfassungsbeschwerde 1 BvR 147/80
a) Der 1950 geborene Beschwerdeführer zu 1) reiste im Januar 1975 mit einem gültigen pakistanischen Reisepaß in das Bundesgebiet ein. Er erhielt eine Aufenthaltserlaubnis und eine Bescheinigung über die Beantragung von Asyl sowie eine Arbeitserlaubnis. Er war zunächst als Spüler und Hausdiener in einem Hotel tätig und ist jetzt als Kaffeekoch und Konditor in einem Café angestellt. Im Juni 1978 wurde ihm ein für fünf Jahre gültiger neuer pakistanischer Reisepaß ausgestellt.
b) Zu seinem Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter vom Februar 1975 gab er an, er sei Student und sei als Angehöriger der Ahmadiyya von mohammedanischen Studenten verfolgt worden. Man habe ihn aus der Universität hinausgeprügelt und durch ernsthafte Drohungen sowie durch Stockschläge, die zu einer Wirbelsäulenverletzung geführt hätten, am Weiterstudium gehindert. Seine Bücher, Zeugnisse und Papiere seien

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verbrannt worden; er habe sich in seinem Heimatort nicht mehr ohne Lebensgefahr aufhalten können. Nach einem Krankenhausaufenthalt von etwa einem Monat habe er bis zu seiner Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland bei einem Freund gelebt. Sein Vater sei wegen seiner Glaubenszugehörigkeit wochenlang inhaftiert gewesen. Bei einer Rückkehr nach Pakistan befürchte er, als Ahmadi keine Arbeit zu bekommen und wieder tätlichen Angriffen ausgeliefert zu sein.
Das Bundesamt lehnte den Anerkennungsantrag ab, weil Auskünften der deutschen Botschaft in Islamabad und des Auswärtigen Amts zufolge zumindest seit Anfang 1975 keine Ausschreitungen gegen Angehörige der Ahmadiyya mehr stattgefunden hätten und es keine Anhaltspunkte für einen generellen sozialen oder wirtschaftlichen Boykott gegen sie gebe.
c) Mit der Klage machte der Beschwerdeführer unter ausführlicher Darstellung der Entstehung und Entwicklung der Ahmadiyya und der derzeitigen sozialen und wirtschaftlichen Situation ihrer Mitglieder in Pakistan geltend, diese würden nach wie vor mit Billigung der pakistanischen Regierung wegen ihrer Religion von orthodoxen Mohammedanern verfolgt. Die Klage hatte keinen Erfolg. Der Verwaltungsgerichtshof wies die Berufung einstimmig als unbegründet zurück. Er nahm Bezug auf sein Grundsatzurteil vom 15. März 1979 - 158 XII 78 -, das auf der Auswertung zahlreicher Unterlagen - darunter eines Gutachtens des Deutschen Orient-Instituts vom 5. Juni 1978 und dem Ergebnis der Anhörung von zwei Sachverständigen beruht. Das Urteil führt aus:
Der Glaubensunterschied zwischen den "rechtgläubigen" Moslems und den Angehörigen der Ahmadiyya habe 1953 und im Sommer 1974 einen Pogrom gegen die Ahmadis ausgelöst, bei dem 42 Menschen umgekommen sein sollen. Am 7. September 1974 habe das Zentralparlament die Artikel 106 und 260 der Verfassung Pakistans dahin geändert, daß die Ahmadis im verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Sinn nicht mehr als Moslems gelten. Sie seien damit zu einer religiösen Minderheit

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wie die Christen, Hindus und Sikhs geworden. Am 18. Januar 1975 sei eine Erläuterung zur Sektion 295 A des Pakistanischen Strafgesetzbuchs zur parlamentarischen Beratung gelangt, wonach ein "Moslem", der nicht an die Finalität des Propheten Mohammed glaube, nicht danach handele oder seine falsche Auffassung propagiere, mit Gefängnis bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe oder mit beidem bestraft werden könne. Das Gericht habe nicht feststellen können, ob ein solcher Straftatbestand Gesetz geworden sei. jedenfalls sei bisher anscheinend niemand danach bestraft worden. Der verfassungskräftige Ausschluß der Ahmadis aus dem Islam sei für die Entwicklung und den Bestand ihrer Glaubensgemeinschaft in Pakistan von sehr nachteiliger Wirkung gewesen und sei es heute noch. Für sie gelte seither das für Minderheiten maßgebende Wahlrecht. Sie seien weitgehend aus Schlüsselpositionen im Staatsdienst entfernt worden; der Eintritt in den öffentlichen Dienst und Beförderungen seien ihnen jedenfalls in Einzelfällen verweigert worden. Es seien Schwierigkeiten entstanden wegen der Bezeichnung als Ahmadi-Moslem, wegen der Beerdigung von Ahmadis auf Friedhöfen der Moslems und beim Bau und Gebrauch ihrer Moscheen. Gelegentlich scheine ein Ahmadi auch seines Glaubens wegen nicht zum Studium zugelassen worden zu sein. Gleichwohl würden die Ahmadis durch den pakistanischen Staat über diese oder ähnliche Behinderungen und Diskriminierungen als religiöse Minderheit hinaus als Glaubensgemeinschaft und in der Regel auch als einzelnes Gemeinschaftsmitglied nicht verfolgt. Sie könnten entsprechend der in Artikel 20 der Verfassung garantierten Bekenntnisfreiheit ihrem Glauben anhängen und diesen auch anderen predigen. Leben, Freiheit und Eigentum der Ahmadis würden, von Einzelfällen abgesehen, vom Staat nicht angetastet. Die Regierung habe im Oktober 1978 ausdrücklich versichert, daß sie die Rechte der Minderheiten in Pakistan achten werde; allerdings scheine der Staat für den Schutz der Moslems vor der Missionierung durch die Ahmadiyya Verständnis zu haben. Seit dem 5. Juli 1978

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gehörten die Führer der einflußreichen islamischen Parteien der Militärregierung an. Auch habe Präsident Zia-ul-Haq Anfang 1979 die Einführung islamischer Grundsätze im öffentlichen Leben Pakistans angekündigt. So sei am 10. Dezember 1979 teilweise das Strafrecht des Islam in Pakistan übernommen worden; auch eine unterschiedliche steuerrechtliche Behandlung von Moslems und Nichtmoslems werde erwogen oder sei verwirklicht. Es sei jedoch nicht ersichtlich, daß Pakistan etwa die nach Meinung islamischer Gelehrter im Koran vorgesehene Todesstrafe für Abtrünnige zum Gesetz erhebe oder sonst Maßnahmen ergangen wären oder unmittelbar bevorstünden, nach denen die Ahmadis in ihrer Gesamtheit oder einzelne Gläubige für Leben, Freiheit, körperliche Unversehrtheit oder Eigentum fürchten müßten. Auch nach der Anhörung der Sachverständigen seien die zahlreichen Auskünfte des Auswärtigen Amts nicht in Zweifel zu ziehen, daß derzeit eine über die Minoritätenentscheidung hinausgehende asylrechtlich beachtliche Diskriminierung der Anhänger dieser Glaubensgemeinschaft von Staats wegen im allgemeinen nicht gegeben sei. Die Sachverständigen befürchteten allerdings eine künftige staatliche Verfolgung der Ahmadis mit Rücksicht auf die sich abzeichnende Entwicklung Pakistans über eine islamische Gesellschaftsordnung zu einer islamisch verfaßten Republik. Die Forderungen geistlicher und politischer Führer des Islam in Pakistan seien aber bis jetzt vom Staat nicht übernommen worden. Es sei bei der sich abzeichnenden Entwicklung Pakistans zu einem islamischen System möglich, daß der Staat den Forderungen der geistlichen und politischen Gegner der Ahmadiyya zunehmend Rechnung tragen und so für die Mitglieder dieser Glaubensgemeinschaftein asylrechtlich erheblicher Verfolgungstatbestand entstehen könne. Das wäre etwa der Fall, wenn ein Ahmadi seines Glaubens wegen mit Freiheitsstrafe bestraft, wenn seine wirtschaftliche Existenz vernichtet oder wenn er vertrieben würde. Es sei auch nicht auszuschließen, daß sich aufgrund der sunnitischen Agitation gegen die Ahmadis entsprechende Ver

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hältnisse wie bei den Pogromen von 1953 und 1974 wiederholen könnten, die der Staat nicht hindern wolle oder könne. Eine derartige Lage sei jedoch derzeit in Pakistan nicht gegeben, wie das Auswärtige Amt überzeugend dargelegt habe und die vom Gericht gehörten Sachverständigen letztlich nicht bestritten hätten. Zwar sei auf eine Reihe von Übergriffen hingewiesen worden, die sich nach dem Pogrom des Jahres 1974 gegen die Ahmadis ereignet haben sollten. Es handele sich jedoch insoweit nur um Einzelfälle, die nicht den Schluß zuließen, derzeit bestünde für einen Ahmadi in Pakistan im Hinblick auf die Agitation islamischer und politischer Führer begründeter Anlaß für eine Furcht vor politischer Verfolgung. Allerdings bedürfe es einer Prüfung jedes einzelnen Falles. Es sei möglich, daß einzelne Ahmadis ihres Glaubens wegen durch staatliche Maßnahmen oder infolge von Übergriffen Dritter, denen der Staat nicht habe entgegentreten können oder wollen, im asylrechtlichen Sinn politisch verfolgt, insbesondere ihrer wirtschaftlichen Existenz beraubt worden seien.
Beim Beschwerdeführer liege aber keiner dieser Ausnahmefälle vor. Für ihn bestehe derzeit in Pakistan keine Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit. Auch wenn er 1974 sein Studium habe abbrechen müssen, so sei er noch jung genug, jetzt seine Ausbildung in Pakistan fortzusetzen oder sich dort eine andere Existenz zu schaffen. Die Rückkehr nach Pakistan sei ihm auch zumutbar.
Das Bundesverwaltungsgericht wies die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision zurück, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung habe und auch sonst keine Gründe vorlägen, die eine Zulassung der Revision rechtfertigten.
2. Die Verfassungsbeschwerde 1 BvR 181/80
a) Der 1955 geborene Beschwerdeführer zu 2) verließ im April 1975 seine Heimat und gelangte im Oktober 1975 nach Aufenthalten in Afghanistan und der Türkei ins Bundesgebiet. Er erhielt zunächst eine Aufenthaltserlaubnis bis April 1976

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und eine Bescheinigung über die Beantragung von Asyl. Außerdem besitzt er jetzt eine Bescheinigung über die Aussetzung der Abschiebung (Duldung) und eine Arbeitserlaubnis. Während er zunächst zwei Jahre als Hausdiener in einem Hotel arbeitete, ist er seit Mai 1978 als Hilfswerker in einem Chemiebetrieb beschäftigt.
b) Seinen Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter vom Oktober 1975 begründete er damit, daß über die Mitglieder der Ahmadiyya ein totaler sozialer Boykott verhängt sei. Ahmadis könnten keine Lebensmittel kaufen, sie erhielten weder Medizin noch ärztliche Betreuung und dürften kein eigenes Geschäft führen. Er sei an seinem Wohnort von der andersgläubigen Bevölkerung beschimpft, tätlich angegriffen und mißhandelt worden und habe nicht mit dem Schutz der Polizei rechnen können. Schon im Frühjahr 1974 sei er wegen seiner Zugehörigkeit zur Ahmadiyya als Seemann entlassen worden; anschließend habe er keine geregelte Arbeit mehr finden können.
Das Bundesamt versagte ihm die begehrte Anerkennung, weil sich aus seinem Vorbringen keine konkreten Tatsachen dafür ergäben, daß er während der Unruhen im Jahre 1974 gezielten Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt gewesen sei und weil seine Behauptungen über den Verlust des Arbeitsplatzes und über Beschimpfungen und Mißhandlungen in örtlicher und zeitlicher Hinsicht nicht substantiiert seien. Der Hinweis auf die schwierige Lage der Ahmadis rechtfertige die Asylgewährung nicht, weil diese Benachteiligungen alle Ahmadis träfen und es an einem schwerwiegenden Einzeleingriff gegenüber dem Beschwerdeführer fehle.
c) Die Klage blieb erfolglos. Der Verwaltungsgerichtshof wies die Berufung im wesentlichen mit der gleichen Begründung wie im Falle des Beschwerdeführers zu 1) einstimmig als unbegründet zurück. Im übrigen führte er aus, selbst wenn Ahmadis heute noch in Pakistan wirtschaftliche Schwierigkeiten hätten und insbesondere keine gehobenen Positionen im Staatsdienst bekleiden könnten, so rechtfertige dies nicht die

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Anerkennung des Beschwerdeführers als politisch Verfolgter. Es bestehe kein hinreichender Grund für die Annahme, daß der Beschwerdeführer derzeit wegen seines Glaubens nicht in der Lage wäre, in Pakistan eine seiner früheren Tätigkeit vergleichbare, zumutbare Beschäftigung mit ausreichendem Verdienst zu finden.
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision wurde vom Bundesverwaltungsgericht zurückgewiesen.
3. Die Verfassungsbeschwerde 1 BvR 182/80
a) Der 1949 geborene Beschwerdeführer zu 3) kam im Juni 1975 mit einem gültigen pakistanischen Reisepaß in das Bundesgebiet und erhielt eine Aufenthaltserlaubnis sowie eine Bescheinigung über die Beantragung von Asyl. Er ist seit September 1975 mit einer entsprechenden Arbeitserlaubnis als Arbeiter beschäftigt, seit Mitte 1976 ununterbrochen bei demselben Unternehmen. Sein Reisepaß wurde im Februar 1978 bis Mal 1983 verlängert.
b) Zu seinem Asylantrag vom Juli 1975 gab er an, sein Haus und sein Elektrogeschäft seien niedergebrannt worden. Er sei unter dem Druck von Mißhandlungen zunächst geflohen und nicht mehr in seine Heimatstadt zurückgekehrt, weil ihm ein befreundeter Radiohändler berichtet habe, die Bevölkerung habe angedroht, ihn bei einer Rückkehr umzubringen. Später erklärte er ergänzend, er habe mit seiner Familie während der Unruhen im Mal 1974 das Haus durch die Hintertür verlassen, als es Demonstranten mit Steinen beworfen und geschrieen hätten, man müsse ihn und seine Familie umbringen. Inzwischen seien seine Eltern an ihren früheren Wohnort zurückgekehrt.
Das Bundesamt begründete die Ablehnung des Asylantrags im wesentlichen ebenso wie im Falle des Beschwerdeführers zu 1).
c) Die Klage des Beschwerdeführers hatte keinen Erfolg. Der Verwaltungsgerichtshof wies die Berufung einstimmig zurück, wobei sich die Entscheidungsgründe weitgehend mit den Aus

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führungen in den Berufungsurteilen decken, die im Falle der Beschwerdeführer zu 1) und 2) ergangen sind. Im übrigen ging das Gericht von der Richtigkeit der Darlegungen des Beschwerdeführers aus und äußerte die Überzeugung, der erst 30 Jahre alte Beschwerdeführer werde sich in Pakistan eine ausreichende und zumutbare wirtschaftliche Existenz schaffen können. Auch in seinem Fall blieb die Nichtzulassungsbeschwerde erfolglos.
III.
Die Beschwerdeführer rügen mit ihren Verfassungsbeschwerden die Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 1 und Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG. Neben der Wiedergabe der Geschichte der Ahmadiyya und der Schilderung der Ausschreitungen gegen deren Mitglieder in Pakistan im Jahre 1974 und danach machen sie geltend:
Pakistan als islamischer Staat habe die Mitglieder der Ahmadiyya durch das für sie geltende Minoritätenstatut zu Bürgern zweiter Klasse gemacht. Sie seien dadurch nicht nur aus der islamischen Religionsgemeinschaft, sondern auch aus dem islamischen Staatsvolk ausgeschlossen worden. Man habe ihnen bestimmte Bürgerrechte genommen; die sunnitische Religionsführung in Pakistan hetze in Moscheen und religiösen Zeitschriften gegen die Ahmadiyya und verlange den Tod ihrer Mitglieder. Auf dem letzten internationalen islamischen Kongreß sei eine entsprechende Entschließung gefaßt und auch die Vertreibung sowie der totale gesellschaftliche und wirtschaftliche Boykott der Ahmadis gefordert worden. Sie seien nunmehr fortdauernden Verunglimpfungen der weitaus überwiegenden sunnitischen Mehrheit der Bevölkerung ausgesetzt. Dadurch werde bei objektiver Bewertung in hohem Maße die Menschenwürde verletzt. überdies sei angesichts der Situation in Pakistan nicht nur die wirtschaftliche Lage der Ahmadis gefährdet, sondern auch ihre Gesundheit. Ausschreitungen hätten sich häufig unter den Augen der untätig bleibenden Polizei vollzogen.
Zu Unrecht habe der Verwaltungsgerichtshof eine Asylge

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währung davon abhängig gemacht, daß ihnen die Neugründung einer Existenz in Pakistan unmöglich oder nicht zumutbar sei. Es könne von ihnen nicht verlangt werden, ihre Religionszugehörigkeit in ihrer Heimat zu verschweigen, um dort leben zu können.
IV.
1. Für die Bundesregierung vertritt der Bundesminister des Innern die Auffassung, die Verfassungsbeschwerden seien unzulässig, soweit mit ihnen nur eine Überprüfung und Korrektur der Tatsachenfeststellungen und -würdigungen durch die Ausschüsse des Bundesamts und die Verwaltungsgerichte angestrebt werde. Im übrigen seien sie jedenfalls nicht begründet. Die Bundesregierung gehe davon aus, daß eine asylerhebliche politische Verfolgung immer dann vorliege, wenn dem Asylsuchenden wegen des geltend gemachten Verfolgungsanlasses bei verständiger Würdigung der gesamten Umstände seines Falles politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohe, so daß ihm nicht zuzumuten sei, im Heimatstaat zu bleiben oder dorthin zurückzukehren. Politisch Verfolgter sei danach, wer für seine Person die durch Tatsachen begründete Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung haben müsse. Dies setze die Gefahr ernsthafter Benachteiligung voraus, wie sie jedenfalls bei Gefahr für Leib und Leben oder bei Beschränkungen der persönlichen Freiheit gegeben sei. Rechtliche oder wirtschaftliche Diskriminierungen der Bevölkerungsgruppe, der die Beschwerdeführer angehörten, genügten dafür nicht, wenn sie kein existenzbedrohendes Ausmaß erreichten. Die angegriffenen Entscheidungen hielten sich offensichtlich in diesem Rahmen. Es fehle an hinreichenden Tatsachen dafür, daß die Beschwerdeführer in Pakistan politische Verfolgung zu befürchten hätten.
2. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich wie folgt geäußert:
Das Recht auf Asyl sei ein Grundrecht ohne immanente

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Schranken, das zudem einen Auftrag an den einfachen Gesetzgeber enthalte, das weitere Schicksal der Asylberechtigten entsprechend der humanitären Zielsetzung des Asylrechts zu regeln. Diesem Auftrag habe der Gesetzgeber mit der Übernahme der Genfer Konvention und der Schaffung der §§ 28 ff. AuslG entsprochen. Den Begriff des politisch Verfolgten lege das Bundesverwaltungsgericht in Anlehnung an den Flüchtlingsbegriff des Art. 1 Abschnitt A Nr. 2 GK dahin aus, daß mit ihm jede Person gemeint sei, die sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung außerhalb des Landes befinde, dessen Staatsangehörigkeit sie besitze, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen könne oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen wolle. Diese Begriffsbestimmung umfasse bei gebotenem sachgerechten Verständnis alle denkbaren Fälle politischer Verfolgung und trage dem Erfordernis weiter Auslegung, das dem Grundrecht auf Asyl nach Entstehungsgeschichte und Zielsetzung innewohne, die gebotene Rechnung. Eine asylerhebliche politische Verfolgung sei danach immer dann zu bejahen, wenn dem Asylsuchenden wegen des geltend gemachten Verfolgungsanlasses bei verständiger Würdigung der gesamten Umstände seines Falles politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohe, so daß es ihm nicht zuzumuten sei, im Heimatstaat zu bleiben oder dorthin zurückzukehren. Das Asylrecht habe nicht zur Aufgabe, vor den allgemeinen Unglücksfolgen zu bewahren, die aus Krieg, Bürgerkrieg, Revolution und aus sonstigen Unruhen hervorgingen. Soweit Schutz und Hilfe vor solchen Unglücksfolgen geboten erschienen, seien sie nicht über das dafür nicht bestimmte Asylrecht, sondern auf anderen Wegen zu gewähren.
Angesichts eines gewissen sachtypischen Beweisnotstandes habe der Asylbewerber asylbegründende Vorgänge außerhalb des Gastlandes in der Regel lediglich glaubhaft zu machen,

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während asylbegründende Vorgänge innerhalb des Gastlandes grundsätzlich des Nachweises bedürften. Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren sei für die Beurteilung der Sachlage nach den allgemeinen Regeln für die Verpflichtungsklagen grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten tatrichterlichen Entscheidung maßgebend.
 
B.
Die zulässigen Verfassungsbeschwerden sind begründet.
I.
Die Beschwerdeführer sehen sich durch die angegriffenen Entscheidungen der Verwaltungsgerichte, mit denen die Ablehnung ihrer Asylanträge durch das Bundesamt bestätigt wurde, in ihren Grundrechten aus Art. 1 und Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG beeinträchtigt.
Grundsätzlich sind die Gestaltung des Verfahrens, die Feststellung und Würdigung des Tatbestandes und Anwendung des Ausländerrechts sowie die Auslegung im einzelnen Fall Angelegenheit der Verwaltungsgerichte und der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entzogen; diesem obliegt lediglich, die Beachtung der grundrechtlichen Normen und Maßstäbe durch die Gerichte sicherzustellen (vgl. BVerfGE 18, 85 [92]). Bei der verfassungsrechtlichen Überprüfung von gerichtlichen Entscheidungen in Asylsachen besteht aber die Besonderheit, daß die Voraussetzungen für die grundrechtliche Gewährleistung des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG sich mit denen decken, die nach § 28 AuslG für die Anerkennung als Asylberechtigte maßgeblich sind.
Die Übereinstimmung von einfachem mit Verfassungsrecht ergibt sich bereits aus der Bezugnahme in § 28 Nr. 2 AuslG auf Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG. Darüber hinaus ist am 5. November 1969 für die Bundesrepublik Deutschland das Protokoll vom 31. Januar 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge in Kraft getreten (BGBl. 1969 II S. 1293; 1970 II S. 194), in dem

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sich die Teilnehmerstaaten verpflichtet haben, die Genfer Konvention ohne Begrenzung auf einen Stichtag anzuwenden. Seitdem gibt es im Ergebnis keinen wesentlichen Unterschied zwischen Flüchtlingen im Sinne von § 28 Nr. 1 AuslG und sonstigen Asylberechtigten nach § 28 Nr. 2 AuslG; allerdings kann das Asylrecht des "politisch Verfolgten" im Sinne des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG auch dann gegeben sein, wenn die Eigenschaft des "politischen Flüchtlings" nach der Genfer Konvention nicht vorliegt (vgl. BVerfGE 9, 174 [181]). Ob ein Ausländer ein subjektives öffentliches Recht auf Asyl hat und nach § 28 AuslG als Asylberechtigter anzuerkennen ist, hängt danach sowohl nach einfachem als auch nach Verfassungsrecht davon ab, wie der Begriff "politisch Verfolgter" zu bestimmen ist und ob die tatsächlichen Voraussetzungen hierfür im Einzelfall erfüllt sind. Im Umfang dieser Übereinstimmung obliegt es deshalb dem Bundesverfassungsgericht, zu prüfen, ob die rechtliche und tatsächliche Wertung der Verwaltungsgerichte Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG gerecht wird. Davon ist das Bundesverfassungsgericht im übrigen bereits bei Verfassungsbeschwerden in Auslieferungsverfahren ausgegangen, in denen sich die Beschwerdeführer auf ihr Grundrecht auf Asyl berufen hatten (vgl. BVerfGE 9, 174 [178, 182 ff.]; 15, 249 [253 f.]; 18, 112 [115]; 38, 398 [401 ff.]; 52, 391 [408]).
II.
Die angegriffenen Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs werden der grundrechtlichen Gewährleistung des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG nicht gerecht.
1. Durch Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG ist das Asylrecht des politisch Verfolgten zum Grundrecht erhoben. Das Grundgesetz hat damit das Asylrecht, über das Völkerrecht und das Recht anderer Staaten hinausgehend, als subjektives öffentliches Recht ausgestaltet, an das Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung gebunden sind.
Der verfassungsrechtliche Asylanspruch ist weder von der

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Herkunft und der politischen Gesinnung des Verfolgten abhängig noch von der politischen Richtung, die in dem Verfolgerstaat herrscht. Ebensowenig ist eine Beschränkung auf bestimmte "asylwürdige" Rechtsgüter gerechtfertigt. Asylrechtlichen Schutz genießt vielmehr jeder, der aus politischen Gründen Verfolgungsmaßnahmen mit Gefahr für Leib und Leben oder Beschränkungen seiner persönlichen Freiheit ausgesetzt wäre (vgl. BVerfGE 9, 174 [180 f.]; 15, 249 [251]) oder - allgemein gesagt - politische Repressalien zu erwarten hätte (vgl. BVerfGE 52, 391 [398]). Voraussetzungen und Umfang des politischen Asyls sind wesentlich bestimmt von der Unverletzlichkeit der Menschenwürde, die als oberstes Verfassungsprinzip nach der geschichtlichen Entwicklung des Asylrechts die Verankerung eines weitreichenden Asylanspruchs im Grundgesetz entscheidend beeinflußt hat. Zu dem asylrechtlich geschützten Bereich der persönlichen Freiheit gehören grundsätzlich auch die Rechte auf freie Religionsausübung und ungehinderte berufliche und wirtschaftliche Betätigung, die bei den Beschwerdeführern ihren Angaben zufolge über die Unversehrtheit von Leib und Leben hinaus gefährdet sind. Soweit nicht eine unmittelbare Gefahr für Leib, Leben oder persönliche Freiheit besteht, können Beeinträchtigungen der bezeichneten Rechtsgüter allerdings ein Asylrecht nur dann begründen, wenn sie nach ihrer Intensität und Schwere die Menschenwürde verletzen und über das hinausgehen, was die Bewohner des Heimatstaats aufgrund des dort herrschenden Systems allgemein hinzunehmen haben. Das Asylrecht wegen politischer Verfolgung soll jedenfalls nicht allgemein jedem, der in seiner Heimat benachteiligt wird und etwa in materieller Not leben muß, die Möglichkeit eröffnen, seine Heimat zu verlassen, um in der Bundesrepublik Deutschland seine Lebenssituation zu verbessern.
2. a) Auch religiös motivierte Verfolgung kann politische Verfolgung sein. Wie die Geschichte lehrt und die Erwähnung der Religion in Art. 1 Abschnitt A Nr. 2 GK zeigt, gehören

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religiöse Beweggründe und Ziele seit jeher zu den häufigsten und wichtigsten Ursachen für die Unterdrückung und Verfolgung Andersdenkender. Daher können religiös bedingte Diskriminierungen und Beeinträchtigungen, wie sie die Beschwerdeführer geltend machen, sich als "politische" Verfolgung im Sinne des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG darstellen.
b) Wenn der Staat Einzelne oder Gruppen zu Verfolgungsmaßnahmen anregt oder derartige Handlungen unterstützt, billigt oder tatenlos hinnimmt und damit dem Betroffenen den erforderlichen Schutz versagt, weil er hierzu nicht willens oder nicht in der Lage ist, können auch "private" Handlungen als "politische" Verfolgung im Sinne des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG anzusehen sein. Insbesondere die faktische Einheit von Staat und Staatspartei oder von Staat und Staatsreligion kann es rechtfertigen, dem Staat Verfolgungsmaßnahmen von Angehörigen der Staatspartei oder der Staatsreligion gegenüber Personen zuzurechnen, die einer anderen politischen Überzeugung zuneigen oder anderen Glaubens sind. Bei den Ausschreitungen orthodoxer Moslems gegen Ahmadis während des Pogroms in Pakistan im Jahre 1974 war nach den Feststellungen der Verwaltungsgerichte eine derartige Substitutenstellung des pakistanischen Staats gegeben. Für die Asylgesuche der Beschwerdeführer ist daher nicht ausschlaggebend, daß die dort geschilderten Ereignisse nicht unmittelbar auf Anordnungen staatlicher Stellen beruhten, sondern von andersgläubigen Mitbürgern ausgelöst wurden.
c) Politische Verfolgung kann sich, worauf schon die Aufzählung der Fluchtgründe in Art. 1 Abschnitt A Nr. 2 GK hinweist, gegen Gruppen von Menschen richten, die durch gemeinsame Merkmale wie etwa Rasse, Religion oder politische Überzeugung verbunden sind. Handelt es sich dabei um Maßnahmen, die als asylrechtlich relevante politische Verfolgung anzusehen sind (vgl. B II 1 und 2 a und b = S. 356 ff.), so ist in aller Regel davon auszugehen, daß sich diese Verfolgung gegen jeden An

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gehörigen der verfolgten Gruppe richtet. Politische Verfolgung verliert ihre asylrechtliche Bedeutung nicht dadurch, daß von ihr nicht nur einzelne Personen, sondern mehrere Angehörige einer Gruppe betroffen werden.
3. a) Gerade bei kollektiven Verfolgungsmaßnahmen ist jedoch problematisch, mit welcher Wahrscheinlichkeit sich eine Verfolgung des Einzelnen abzeichnen muß, damit sie gemäß Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG als asylbegründend anerkannt werden kann. Während Art. 1 Abschnitt A Nr. 2 GK eine "begründete Furcht vor Verfolgung" voraussetzt und damit zu allererst auf das subjektive Moment der Verfolgungsangst abstellt, für die allerdings gute Gründe ("good reasons") gegeben sein müssen, geht Art. 16 Abs. 2 Satz 2. GG von einer objektiven Beurteilung der Verfolgungsgefahr aus; der subjektive Bezug beschränkt sich hier darauf, daß die drohende politische Verfolgung für den Einzelnen der Anlaß für die Flucht sein muß. Die Beurteilung, ob sich die Gefährdung des Asylsuchenden objektiv bereits soweit konkretisiert hat, daß die Annahme einer Verfolgung gerechtfertigt ist, kann im Einzelfall äußerst schwierig sein. Auskünfte unterrichteter Stellen und Sachverständigengutachten über die politischen Verhältnisse in dem Verfolgerstaat werden vor allem in den Fällen die notwendigen Sachverhaltsfeststellungen ermöglichen, in denen die Verfolgung einer ganzen Gruppe behauptet wird, ohne daß der einzelne Asylsuchende ihn persönlich berührende Einzelmaßnahmen glaubhaft machen kann. Bei individuell konkretisierten Beeinträchtigungen wird dagegen eher die Vernehmung von Zeugen und des Asylsuchenden selbst in Betracht kommen, um die geltend gemachte Verfolgungsgefahr verläßlich überprüfen zu können. Soweit dabei einzelne Rechtsanwälte Sachverhalte unter Verletzung ihrer Berufspflichten unrichtig darstellen sollten, wird dem, auch im Interesse der Asylbewerber, durch ehrengerichtliche Verfahren zu begegnen sein.
b) Der maßgebliche Zeitpunkt für die Feststellung, ob einem Asylsuchenden politische Verfolgung droht, ist, wie das Bun

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desverwaltungsgericht zutreffend in seiner Stellungnahme ausgeführt hat, den allgemeinen Regeln für verwaltungsgerichtliche Verpflichtungsklagen entsprechend der Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Tatsachenentscheidung. Es steht in Einklang mit der Verfassung, daß dieser Rechtlage zufolge ein ursprünglich bestehender Anspruch auf Asyl bei einer Änderung der politischen Verhältnisse im Verfolgerstaat noch während des behördlichen und des gerichtlichen Verfahrens entfallen kann; denn Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG setzt eine gegenwärtige Verfolgungsbetroffenheit voraus. Dementsprechend sieht § 37 Abs. 1 Satz 1 AuslG die Möglichkeit des Widerrufs der Anerkennung als Asylberechtigter vor, wenn die Voraussetzungen für die Anerkennung nicht mehr vorliegen. Dazu bedarf es der Feststellung, ob die ursprünglich das Asylrecht rechtfertigenden Tatsachen nachträglich weggefallen sind.
Soll asylrechtlicher Schutz aber allein wegen zwischenzeitlicher Änderungen in der politischen Lage im Verfolgerstaat versagt werden, darf nicht unberücksichtigt und dahingestellt bleiben, ob in der Vergangenheit liegende Ereignisse den Tatbestand der politischen Verfolgung erfüllten. Art und Ausmaß der behaupteten Verfolgungsmaßnahmen sind, auch wenn diese der Vergangenheit angehören, vor allein für die Frage von Bedeutung, ob dem Asylsuchenden eine Rückkehr in seine Heimat zugemutet werden kann. Die Zumutbarkeit einer Rückkehr wird, wenn sich Verfolgungsmaßnahmen bereits früher in der Person des Asylsuchenden verwirklicht haben, nicht zuletzt davon bestimmt, ob eine Wiederholungsgefahr besteht. Mit der Gewährleistung des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG ist es nicht zu vereinbaren, einen Menschen, der schon einmal von Verfolgungsmaßnahmen betroffen war, wiederum der Zugriffsmöglichkeit des Verfolgerstaats auszusetzen, es sei denn, er kann vor erneuter Verfolgung hinreichend sicher sein. Es widerspräche dem humanitären Charakter des Asyls, einem Asylsuchenden, der das Schicksal der Verfolgung bereits einmal erlitten hat, das Risiko einer Wiederholung aufzubürden. Der allgemeine

BVerfGE 54, 341 (361):

Rechtsgedanke der Zumutbarkeit einer Rückkehr in einen Verfolgerstaat kommt auch in Art. 1 Abschnitt C Nr. 5 Abs. 2 GK zum Ausdruck, der einem früher verfolgten Flüchtling, bei dem die Voraussetzungen für die Anerkennung nachträglich entfallen sind, den Schutz der Genfer Konvention beläßt, wenn er den Schutz seines Heimatstaats aus zwingenden Gründen, die auf den früheren Verfolgungen beruhen, ablehnt.
4. Obwohl sich die Beschwerdeführer nicht nur auf eine kollektive politische Verfolgung der Ahmadis in Pakistan berufen, sondern zur Begründung ihrer Asylgesuche sie persönlich berührende Einzelmaßnahmen vorgetragen haben, enthalten die angegriffenen Entscheidungen keine eindeutige Feststellung darüber, ob die Beschwerdeführer bei ihrer Ausreise aus Pakistan wegen der von ihnen geschilderten Beeinträchtigungen als politisch verfolgt anzusehen waren. So hat das Verwaltungsgericht für den Beschwerdeführer zu 1) angenommen, es könne ihm geglaubt werden, daß Ahmadis bei den Ausschreitungen im Jahre 1974 und möglicherweise noch im Jahre 1975 Schweres hätten erleiden müssen. Zusätzlich hat der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt, der Beschwerdeführer zu 1) habe bei dem Pogrom 1974 sein Studium abgebrochen. Bei den Beschwerdeführern zu 2) und 3) konnte es nach Ansicht des Verwaltungsgerichts offenbleiben, ob sie Pakistan aus begründeter Furcht vor Verfolgung verlassen hätten. Auch hier ist der Verwaltungsgerichtshof von der Richtigkeit der Behauptungen der Beschwerdeführer ausgegangen, hat jedoch nicht entschieden, ob die geltend gemachten Beeinträchtigungen in den Jahren 1974 und 1975 eine politische Verfolgung darstellten.
Diese Verfahrensweise beruht zwar auf der verfassungsrechtlich grundsätzlich nicht zu beanstandenden Rechtsansicht, dem Asylsuchenden müsse noch im Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Tatsachenentscheidung eine politische Verfolgung drohen. Sie läßt aber außer acht, daß einem Asylbewerber, der bereits einmal politisch verfolgt war, die Rückkehr nur zugemutet werden kann, wenn eine Wiederholung der Verfolgungs

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maßnahmen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist. Weder die Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofs in den angegriffenen Entscheidungen und in dem Grundsatzurteil vom 15. März 1979 noch die von ihm verwerteten Beweismittel, insbesondere das Gutachten des Deutschen Orient-Instituts, rechtfertigen die Feststellung, ehemals politisch verfolgten Ahmadis habe im Jahre 1979 die Rückkehr nach Pakistan zugemutet werden können. In dem Urteil vom 15. März 1979 ist einerseits darauf hingewiesen, Ahmadis könnten entsprechend der ihnen verfassungskräftig garantierten Bekenntnisfreiheit ihrem Glauben anhängen und diesen auch anderen predigen; Leben, Freiheit und Eigentum der Ahmadis würden, von Einzelfällen abgesehen, vom Staat nicht angetastet, und die Regierung habe im Oktober 1978 ausdrücklich versichert, sie werde die Rechte der Minderheiten achten. Andererseits hat der Verwaltungsgerichtshof die Befürchtung der von ihm gehörten Sachverständigen wiedergegeben, die Ahmadis könnten künftig bei einer sich abzeichnenden Entwicklung Pakistans über eine islamische Gesellschaftsordnung zu einer islamisch verfaßten Republik staatlich verfolgt werden. Darüber hinaus hat der Verwaltungsgerichtshof die Möglichkeit angedeutet, der pakistanische Staat könne bei der sich abzeichnenden Entwicklung zu einem "islamischen System" den Forderungen der geistlichen und politischen Gegner der Ahmadiyya zunehmend Rechnung tragen und so könne für die Ahmadis ein asylrechtlich erheblicher Verfolgungstatbestand entstehen. Schließlich ist nach seiner Ansicht nicht auszuschließen, daß sich infolge der sunnitischen Agitation gegen die Ahmadiyya den Pogromen von 1953 und 1974 entsprechende Verhältnisse wiederholen könnten, die der Staat nicht hindern wolle oder könne.
Der Verwaltungsgerichtshof wird nunmehr zunächst festzustellen haben, ob die Beschwerdeführer vor ihrer Ausreise aus ihrer Heimat, wie sie geltend machen, politisch verfolgt waren. War dies der Fall, bedarf es der erneuten Prüfung, ob für sie bei einer Rückkehr in dem dann maßgeblichen Zeitpunkt eine

BVerfGE 54, 341 (363):

Wiederholung von Verfolgungsmaßnahmen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist.
Dr. Benda, Dr. Simon, Dr. Hesse, Dr. Katzenstein, Dr. Niemeyer, Dr. Heußner
(Der Richter Dr. Böhmer ist an der Unterschrift verhindert. Dr. Benda)