BVerfGE 55, 134 - Härteklausel


BVerfGE 55, 134 (134):

§ 1568 Abs. 2 BGB ist mit Art. 6 Abs. 1 GG nicht vereinbar, soweit danach eine Ehescheidung nach fünfjährigem Getrenntleben der Ehegatten ausnahmslos auszusprechen ist, ohne daß außergewöhnliche Härten mindestens durch eine Aussetzung des Verfahrens begegnet werden kann (Anschluß an BVerfGE 53, 224).
 
Beschluß
des Ersten Senats vom 21. Oktober 1980
-- 1 BvR 1284/79 --
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde der Frau W... - Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Dr. W. von Metzler, Dr. K. Abendroth, Dr. Th. Kirsten und Dr. K. von Metzler, Arnold-Heise-Straße 9, Hamburg 20 - a) unmittelbar gegen das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgericht in Hamburg vom 6. November 1979 - 2 UF 29/77 -, b) mittelbar gegen § 1568 Abs. 2 BGB.
Entscheidungsformel:
I. § 1568 Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist mit Artikel 6 Absatz 1 des Grundgesetzes nicht vereinbar, soweit danach eine Ehescheidung nach fünfjährigem Getrenntleben der Ehegatten ausnahmslos auszusprechen ist, ohne daß außergewöhnlichen Härten mindestens durch eine Aussetzung des Verfahrens begegnet werden kann.
II. Das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts in

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Hamburg vom 6. November 1979 -- 2 UF 29/77 -- verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 6 Absatz 1 des Grundgesetzes. Das Urteil wird aufgehoben. Die Sache wird an das Hanseatische Oberlandesgericht in Hamburg zurückverwiesen.
III. Die Bundesrepublik Deutschland hat der Beschwerdeführerin die notwendigen Auslagen zu erstatten.
 
Gründe:
 
A.
Gegenstand des Verfahrens ist die Frage, ob es mit Art. 6 Abs. 1 GG vereinbar ist, daß Ehen nach § 1568 Abs. 2 BGB ausnahmslos auf den Antrag eines Ehegatten zu scheiden sind, wenn die Ehegatten länger als fünf Jahre getrennt gelebt haben.
I.
Das Bundesverfassungsgericht hat mit Urteil vom 28. Februar 1980 (BVerfGE 53, 224) über die Vereinbarkeit wesentlicher Vorschriften des durch das Erste Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts (1. EheRG) vom 14. Juni 1976 (BGBl. I S. 1421) geänderten Scheidungsrechts mit dem Grundgesetz entschieden. Der Übergang vom Verschuldens- zum Zerrüttungsprinzip (§ 1565 Abs. 1 BGB) und die unwiderlegbare Vermutung des Scheiterns der Ehe nach dreijährigem Getrenntleben der Ehegatten (§ 1566 Abs. 2 BGB) wurden für mit Art. 6 Abs. 1 GG vereinbar erklärt. Gleichzeitig wurde ausgesprochen, daß der Gesetzgeber verfassungsrechtlich nicht gehindert war, das neue Scheidungsrecht für solche Ehen vorzusehen, die vor dem 1. Juli 1977 geschlossen worden sind. Prüfungsgegenstand war auch die Regelung für schwere Härtefälle:
    § 1568 BGB
    (1) Die Ehe soll nicht geschieden werden, obwohl sie gescheitert ist, wenn und so

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    lange die Aufrechterhaltung der Ehe im Interesse der aus der Ehe hervorgegangenen minderjährigen Kinder aus besonderen Gründen ausnahmsweise notwendig ist oder wenn und solange die Scheidung für den Antragsgegner, der sie ablehnt, auf Grund außergewöhnlicher Umstände eine so schwere Härte darstellen würde, daß die Aufrechterhaltung der Ehe auch unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers ausnahmsweise geboten erscheint.
    (2) Absatz 1 ist nicht anzuwenden, wenn die Ehegatten länger als fünf Jahre getrennt leben.
Die Befristung der immateriellen Härteregelung in § 1568 Abs. 2 BGB auf fünf Jahre wurde von vier Richtern für mit Art. 6 Abs. 1 GG vereinbar gehalten; vier andere Richter beurteilten sie als verfassungswidrig. Danach konnte gemäß § 15 Abs. 2 Satz 4 BVerfGG nicht festgestellt werden, daß § 1568 Abs. 2 BGB gegen das Grundgesetz verstößt. Auch diejenigen Richter, deren Auffassung die Entscheidung trug, hielten es allerdings für denkbar, daß der Ausspruch der Scheidung den nicht scheidungsbereiten Ehegatten selbst nach Ablauf von fünf Jahren zur Unzeit treffen könne, namentlich dann, wenn die die Härte begründenden Umstände erst nach diesem Zeitpunkt einträten. Ob die gesetzliche Regelung in solchen oder ähnlichen Fällen verfassungsrechtlich zu beanstanden sei, wurde offengelassen, da die den Verfassungsbeschwerden zugrundeliegenden Sachverhalte keinen Anlaß zu einer Entscheidung gäben.
II.
1. Die 1929 geborene Beschwerdeführerin und ihr 1933 geborener Ehemann sind seit November 1958 miteinander verheiratet. Aus der Ehe sind drei in den Jahren 1960, 1962 und 1966 geborene Kinder hervorgegangen. Im August 1974 hat der Ehemann die Beschwerdeführerin verlassen und lebt seitdem mit einer anderen Frau in einer eheähnlichen Gemeinschaft.
Nachdem die Scheidungsklage des Ehemannes in erster Instanz nach altem Recht abgewiesen worden war, trat während des Berufungsverfahrens das neue Scheidungsrecht in Kraft. Der Ehemann berief sich nunmehr auf die unwiderlegbare Vermutung des Scheiterns seiner Ehe wegen des dreijährigen Getrenntlebens (§ 1566 Abs. 2 BGB). Die Beschwerdeführerin

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wandte dagegen ein, für sie und die Kinder stelle die Ehescheidung eine so schwere Härte dar, daß die Aufrechterhaltung der Ehe auch unter Berücksichtigung der Belange ihres Mannes geboten sei. Die Kinder litten sehr unter der Trennung ihrer Eltern und lehnten deren Scheidung ab. Sie seien sehr streng religiös erzogen und hätten nach wie vor die Hoffnung, daß ihr Vater eines Tages zu seiner Familie zurückkehre. Sie selbst leide an einer Schilddrüsenerkrankung, die eine ständige ärztliche Behandlung erfordere und bei der jegliche Aufregung vermieden werden müsse. Dadurch, daß ihr Mann sie verlassen habe, sei eine erhebliche Verschlechterung des Krankheitsbildes eingetreten. Sie habe sich auch einer Unterleibsoperation unterziehen müssen.
Während des Berufungsverfahrens wurde eine umfassende gynäkologische Operation wegen eines Befundes durchgeführt, "der ohne Zweifel in den Entbindungen, insbesondere der letzten schwierigen seinen Ursprung" hatte. Postoperativ geriet die Beschwerdeführerin nach dem Gutachten eines Facharztes für Nerven- und Gemütskrankheiten in einen Depressionszustand mit verstärkter innerer Unruhe sowie ausgeprägten Schlafstörungen. Das Gericht holte daraufhin ein psychiatrisch-neurologisches Gutachten darüber ein, ob und inwieweit bei Scheidung der Ehe der Beschwerdeführerin mit nachteiligen Folgen für ihren Gesundheitszustand zu rechnen sei und ob die Scheidung der Ehe für die Beschwerdeführerin wegen ihres Gesundheitszustandes eine so schwere Belastung darstelle, daß die Aufrechterhaltung der Ehe bis zum Ablauf der fünfjährigen Trennungsfrist im August 1979 vom ärztlichen Standpunkt aus geboten erscheine. Der Gutachter bejahte diese Frage. Zusammenfassend stellte er fest, daß die Beschwerdeführerin aus neurosenpsychologischen und psychiatrischen Gesichtspunkten als krank im versicherungsrechtlichen Sinn zu bezeichnen sei. Sie bedürfe einer allgemeinärztlichen und psychiatrischen Führung und Behandlung. Sollte es bei der Scheidung zu einem Zusammenbruch des psychischen Abwehrsystems der Beschwerdeführerin

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kommen, so sei eine weitere Verschlimmerung des psychischen Leidens bis hin zur Gefahr des Selbstmords nicht auszuschließen.
Nach dieser Begutachtung wurde der Beschwerdeführerin im Frühjahr 1979 eine Brust amputiert.
2. Im November 1979 wurde die Ehe nach neuem Scheidungsrecht ohne Schuldausspruch geschieden. Das Oberlandesgericht führte aus:
Die Ehe sei gescheitert. Die Ehegatten lebten im Zeitpunkt der Scheidung mindestens fünf Jahre voneinander getrennt. Nach der häuslichen Trennung habe sich der Ehemann gegenüber der Beschwerdeführerin beharrlich dahingehend geäußert, daß er eine Wiederaufnahme der Gemeinschaft mit ihr ablehne. Auch nach der Abweisung seiner Scheidungsklage habe er sein Scheidungsbegehren vor dem Berufungsgericht weiterverfolgt und bei seiner Vernehmung abermals erklärt, daß er für seine Ehefrau nichts mehr empfinde und nicht mehr zu ihr zurückkehren werde. Die Kinderschutzklausel des § 1568 Abs. 1 BGB greife nicht ein. Abgesehen davon, daß die Ehegatten länger als fünf Jahre getrennt lebten, lägen auch die materiellrechtlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift nicht vor.
Die Beschwerdeführerin könne sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, daß sich das Scheidungsbegehren ihres Mannes als unzulässige Rechtsausübung (§ 242 BGB) darstelle. Der Senat habe Verständnis dafür, daß sie an der Ehe, insbesondere wegen ihres schlechten Gesundheitszustandes, festzuhalten wünsche. Das Gericht dürfe jedoch dem Abweisungsantrag nicht stattgeben, weil die Frist des § 1568 Abs. 2 BGB abgelaufen sei. Nach fünfjährigem Getrenntleben könne allenfalls in besonderen Notlagen, etwa bei akuter Lebensgefahr des scheidungsunwilligen Ehegatten, der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung eine Scheidung vorübergehend verzögern. Eine derartige Ausnahmesituation sei hier jedoch auch unter Berücksichtigung der besonderen Lage der Beschwerdeführerin nicht gegeben.


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III.
Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 GG.
Die Befristung der Härteklausel des § 1568 Abs. 1 BGB sei nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Sie stehe im Widerspruch zum Wesen der Ehe; denn sie bedeute die zivilrechtliche Ehe auf Zeit. Immaterielle Härten könnten im Einzelfall auch dann gegeben sein, wenn die Ehegatten bereits länger als fünf Jahre getrennt gelebt hätten. Sie müßten deshalb auch nach Fristablauf berücksichtigungsfähig bleiben. Der Gutachter habe wenige Monate vor Ablauf der Frist des § 1568 Abs. 2 BGB festgestellt, daß bei Scheidung ihrer Ehe mit nachteiligen Folgen für ihren physischen und psychischen Gesundheitszustand zu rechnen sei und daß deshalb die Aufrechterhaltung der Ehe bis zum Ablauf der Fünfjahresfrist geboten erscheine. Nach den Ausführungen des Sachverständigen beständen keine Zweifel daran, daß dieser die Notwendigkeit des Fortbestandes der Ehe auch für die Zeit nach der fünfjährigen Trennung bejaht haben würde. Dies gelte insbesondere deshalb, weil sie sich einer außerordentlich schweren Brustamputation habe unterziehen müssen. Die vor der Operation diagnostizierte Depression habe sich danach noch verstärkt. Dafür sei Sachverständigenbeweis angeboten, aber vom Oberlandesgericht wegen § 1568 Abs. 2 BGB nicht erhoben worden. Da das Gesetz auch für Altehen gültig sei und jede mildernde Übergangsregelung fehle, müsse als Korrektiv im Einzelfall zumindest die Härteklausel auch über die Frist von fünf Jahren hinaus anwendbar sein.
IV.
1. Der Bundesminister der Justiz, der sich im Namen der Bundesregierung zu der Verfassungsbeschwerde geäußert hat, hält diese für unbegründet.
Das Bundesverfassungsgericht habe entschieden, es könne nicht festgestellt werden, daß § 1568 Abs. 2 BGB gegen das Grundgesetz verstoße. Nach der Rechtsprechung des Bundes

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verfassungsgerichts sei die Auslegung und Anwendung verfassungsrechtlich unbedenklicher Regelungen im Einzelfall in erster Linie Aufgabe der zuständigen Fachgerichte, deren Beurteilung nur begrenzt nachprüfbar sei. Das angefochtene Urteil enthalte keine Auslegungsfehler, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung eines Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, beruhten. Im Zeitpunkt der Entscheidung des Oberlandesgerichts hätten die Eheleute mehr als fünf Jahre getrennt gelebt. Unter diesen Umständen komme es allein darauf an, ob das Oberlandesgericht wegen des konkreten Sachverhalts unmittelbar von Verfassungs wegen vorübergehend die Scheidung nicht hätte aussprechen dürfen. Die Bundesregierung habe in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht zum neuen Scheidungsrecht die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß sich ungeachtet der Regelungen in § 1568 BGB und § 614 ZPO die allgemeine Frage des staatlichen Eingriffs zur Unzeit mit der Folge stellen könne, daß eine erweiterte Befugnis des Richters zur Aussetzung des Ehescheidungsverfahrens gerechtfertigt sein könne. Welche Voraussetzungen dafür gegeben sein müßten, sei in der mündlichen Verhandlung und in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum neuen Scheidungsrecht offengeblieben. Es müsse sich wohl um Fälle handeln, in denen bei Würdigung aller Umstände der Scheidungsausspruch eine Härte darstellen würde, die mit dem rechtsstaatlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht mehr zu vereinbaren wäre, und in denen die Gefahr bestehe, daß der eine Scheidung ablehnende Ehegatte in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verletzt werden könnte. Das Oberlandesgericht habe in seiner Entscheidung geprüft, ob sich nach Ablauf der Fünfjahresfrist das Scheidungsbegehren des Ehemannes als unzulässige Rechtsausübung (§ 242 BGB) darstellen könne und habe dies auch unter Berücksichtigung des schlechten Gesundheitszustandes der Beschwerdeführerin verneint. Diese Beurteilung lasse einen Grundrechtsverstoß nicht erkennen.


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2. Der Ehemann der Beschwerdeführerin ist der Ansicht, § 1568 Abs. 2 BGB verstoße weder gegen Art. 6 Abs. 1 GG noch gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und der Verhältnismäßigkeit. Das gelte auch bei sogenannten Altehen.
 
B.
Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist begründet.
I.
Das Oberlandesgericht hat bei der Beschwerdeführerin die Voraussetzungen des § 1568 Abs. 1 BGB nach dem Ergebnis des Gutachtens als erfüllt angesehen. Wegen der von ihm für verfassungsmäßig gehaltenen Fristenregelung in § 1568 Abs. 2 BGB sah es sich aber nicht in der Lage, den Scheidungsantrag des Ehemannes zurückzuweisen. Daher blieb die Frage unbeantwortet, ob die Ehescheidung im Herbst 1979 für die Beschwerdeführerin insbesondere wegen der zeitlich nach dem Gutachten liegenden Brustoperation weiterhin eine außergewöhnliche Härte darstelle und welche rechtlichen Konsequenzen sich daraus ergäben. Das Gericht hat lediglich erwogen, ob das Scheidungsbegehren des Ehemannes vorübergehend wegen einer besonderen Notlage als unzulässige Rechtsausübung anzusehen sei.
II.
Die Verfassungsbeschwerde macht es notwendig, die im Urteil vom 28. Februar 1980 (BVerfGE 53, 224) offengebliebene Frage zu entscheiden, ob die starre Fristenregelung des § 1568 Abs. 2 BGB im Blick auf bestimmte Ausnahmefälle verfassungsrechtlich zu beanstanden ist. Diese Frage ist zu bejahen. § 1568 Abs. 2 BGB ist mit Art. 6 Abs. 1 GG unvereinbar, soweit danach eine Ehescheidung nach Ablauf von fünf Jahren ausnahmslos auszusprechen ist, ohne daß außergewöhnlichen Härten mindestens durch eine Aussetzung des Verfahrens begegnet werden kann.
1. Der besondere Schutz der staatlichen Ordnung, den Art. 6

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Abs. 1 GG gewährleistet, gilt nicht nur der intakten Ehe. Auch wenn eine Ehe gescheitert ist, kann der Gesetzgeber über die Regelung der Scheidungsfolgen hinaus verpflichtet sein, der in dieser Situation fortwirkenden personalen Verantwortung der Ehegatten durch eine Regelung Rechnung zu tragen, die unzumutbare Härten vermeiden hilft. Wie in dem Urteil vom 28. Februar 1980 ausgeführt ist, ergibt sich aus Art. 6 Abs. 1 GG als Folge einer auf Lebenszeit angelegten Ehe und zum Schutz des nicht scheidungsbereiten Partners die Pflicht, eine Scheidung zur Unzeit zu verhindern und dem nicht scheidungsbereiten Ehegatten eine Umstellung auf die veränderte Lage zu erleichtern (BVerfGE 53, 224 [250 f.]).
2. Dem trägt § 1568 Abs. 1 BGB mit der Regelung Rechnung, daß eine gescheiterte Ehe nicht geschieden werden soll, wenn und solange ihre Aufrechterhaltung im Interesse der Kinder aus besonderen Gründen notwendig ist oder die Scheidung für den Antragsgegner, der sie ablehnt, aufgrund außergewöhnlicher Umstände eine so schwere Härte darstellen würde, daß die Aufrechterhaltung der Ehe auch unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers ausnahmsweise geboten erscheint. Die unbestimmten Rechtsbegriffe der "außergewöhnlichen Umstände" und der "schweren Härte" wurden dabei im Gesetz vorgesehen, weil sich bei der Vielgestaltigkeit des Lebens nicht ausschließen lasse, daß in besonderen Fällen die Scheidung namentlich wegen ihres Zeitpunktes zu außergewöhnlichen Belastungen eines Ehegatten führen oder mit allgemeinen Gerechtigkeitserwartungen in Widerspruch stehen könnte (Regierungsentwurf zum 1. EheRG, BTDrucks. 7/650, S. 115).
Die Erkenntnis, daß eine gesetzliche Beschreibung aller außergewöhnlichen Härtefälle unmöglich ist, läßt sich dabei schwer vereinbaren mit der absoluten Scheidbarkeit jeder Ehe nach Ablauf einer starren Frist, die auch nicht durch prozessuale Lösungen in ihrer Anwendung flexibler gestaltet worden ist (zur immateriellen Härteklausel im Gesetzgebungsverfahren vgl. BVerfGE 53, 224 [235]). Der Gesetzgeber war von Ver

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fassungs wegen allerdings nicht gehalten, von einer Befristung der Härteklausel schlechthin Abstand zu nehmen. Viele Härten werden schon im Lauf der fünfjährigen Trennungszeit an Bedeutung verlieren, und durch die zeitliche Begrenzung der Anwendbarkeit einer Härteklausel wird für den nicht scheidungsbereiten Ehegatten einsichtig, daß er nur einen vorübergehenden Scheidungsaufschub erreichen kann. Regelmäßig wird daher die auf fünf Jahre begrenzte Möglichkeit einer Berücksichtigung von Härten ausreichen, den Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 GG gerecht zu werden. Bestehen jedoch in dem Zeitpunkt, in dem die Härteklausel erschöpft ist, fortwirkende Umstände oder treten kurz vor deren Ablauf neue Umstände ein, die im Rahmen der Härteklausel hätten berücksichtigt werden müssen, und würde die Nichtberücksichtigung dieser Härten zu einer unverhältnismäßigen Belastung des die Scheidung ablehnenden Ehegatten führen, dann gerät die Starrheit der Fristenregelung des § 1568 Abs. 2 BGB in Widerspruch zu Art. 6 Abs. 1 GG. Dieser verlangt in Fällen solcher Art ein Mindestmaß an Elastizität, die es durch eine materielle, zumindest aber durch eine Regelung über die Aussetzung des Verfahrens ermöglicht, insoweit entstehenden unzumutbaren Härten Rechnung zu tragen.
3. Eine solche Möglichkeit eröffnet das Erste Eherechtsreformgesetz nicht. Auch im Wege verfassungskonformer Auslegung, wie sie das Oberlandesgericht unter dem Gesichtspunkt der unzulässigen Rechtsausübung erwogen hat, läßt sich dem Gebot des Art. 6 Abs. 1 GG nicht gerecht werden; ihr würde der klare Wortlaut und der Sinn des § 1568 Abs. 2 BGB entgegenstehen, über die sich der Richter nicht hinwegsetzen darf (vgl. BVerfGE 47, 46 [82]).
Der Gesetzgeber hat daher eine Regelung zu treffen, die es ausschließt, daß nach Ablauf einer fünfjährigen Trennungsfrist ausnahmslos geschieden werden muß. Da die Frist des § 1568 Abs. 2 BGB Teil des materiellen Scheidungsrechts ist, wird vornehmlich an eine Veränderung dieser Vorschrift zu denken sein. Allerdings ist das verfassungsrechtlich nicht zwingend geboten;

BVerfGE 55, 134 (144):

denkbar wäre auch eine über die gegenwärtige Regelung hinausgehende und an Fristen nicht gebundene Möglichkeit der Aussetzung des Verfahrens, die es den Gerichten ermöglicht, eine Scheidung zur Unzeit zu vermeiden.
III.
Die angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts beruht auf der im dargelegten Umfang mit Art. 6 Abs. 1 GG unvereinbaren Regelung des § 1568 Abs. 2 BGB; es läßt sich nicht ausschließen, daß das Gericht zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre, wenn eine gesetzliche Regelung bestanden hätte, nach der Ehescheidungen zur Unzeit vermieden werden können.
Benda Böhmer Simon Faller Hesse Katzenstein Niemeyer Heußner