BVerfGE 95, 143 - Eingliederungsprinzip |
Die Regelung des § 1317 RVO, nach der Berechtigte mit gewöhnlichem Aufenthalt in der Deutschen Demokratischen Republik und später im Beitrittsgebiet keine Rentenleistungen westdeutscher Versicherungsträger erhielten (Eingliederungsprinzip), war mit dem Grundgesetz auch insoweit vereinbar, als sie Ausländer betraf (Weiterführung von BVerfGE 28, 104 und BVerfGE 71, 66). |
Beschluß |
des Ersten Senats vom 12. November 1996 |
-- 1 BvL 4/88 -- |
in dem Verfahren zur verfassungsrechtlichen Prüfung des § 1317 der Reichsversicherungsordnung ... |
Entscheidungsformel |
§ 1317 der Reichsversicherungsordnung in der Fassung des Artikels 2 Nummer 32 des Gesetzes über die Anpassung der Renten der gesetzlichen Rentenversicherung im Jahr 1982 vom 1. Dezember 1981 (Bundesgesetzblatt I Seite 1205) war mit dem Grundgesetz vereinbar. |
Gründe: |
A. |
Gegenstand des Verfahrens ist die Frage, ob es verfassungsrechtlich geboten ist, einem ausländischen Rentenberechtigten, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt vor dem 19. Mai 1990 in der Deutschen Demokratischen Republik genommen und bis zum 31. Dezember 1991 in diesem Gebiet beibehalten hat, ein Altersruhegeld nach westdeutschem Rentenrecht zu gewähren, soweit es auf Versicherungsjahre entfällt, die im alten Bundesgebiet unter der Geltung der Reichsversicherungsordnung zurückgelegt wurden.
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I. |
1. Die Gewährung von Renten der westdeutschen Arbeiterrentenversicherung an Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt in der Deutschen Demokratischen Republik war - für Deutsche und Ausländer gleichermaßen - durch § 1317 der Reichsversicherungsordnung (im folgenden: RVO) in der Fassung des Art. 2 Nr. 32 des Gesetzes über die Anpassung der Renten der gesetzlichen Rentenversicherung im Jahr 1982 vom 1. Dezember 1981 (BGBl. I S. 1205; im folgenden: RAG 1982) geregelt. Die bis zum 31. Dezember 1991 geltende Vorschrift hatte folgenden Wortlaut:
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Ein Berechtigter, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes in dem Gebiet hat, in dem ein deutscher Träger der gesetzlichen Rentenversicherung seinen Sitz hat, erhält keine Leistungen der Rentenversicherung der Arbeiter."
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In der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung war hierzu ausgeführt (BTDrucks 9/458 S. 39):
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"Der unterschiedlichen Entwicklung nach dem zweiten Weltkrieg in der Bundesrepublik Deutschland einerseits und in der Deutschen Demokratischen Republik andererseits und den bestehenden Grundsätzen des interlokalen Rechts entsprechend sollen nach dieser Regelung Leistungen in das Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik nicht erbracht werden.
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Diese Vorschrift schließt an die Regelung des § 17 Abs. 1 Buchstabe a des Fremdrentengesetzes an, wonach an einen außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes befindlichen deutschen Träger der Rentenversicherung entrichtete Beiträge generell und ohne besondere Voraussetzungen so behandelt werden, als ob diese Beiträge an die Rentenversicherung in der Bundesrepublik Deutschland entrichtet worden wären. Hieraus ergibt sich zugleich, daß die Rentenversicherung in der Bundesrepublik Deutschland nicht noch zusätzlich Leistungen in das Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik erbringen kann.
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Nach der Rentenverordnung der Deutschen Demokratischen Republik vom 23. November 1979 werden bei der Rentenleistung auch die Beschäftigungszeiten in der Bundesrepublik Deutschland berücksichtigt. Damit könnte es somit auch zu einer nicht vertretbaren Doppelversorgung kommen, wobei es nicht darauf ankommt, ob im Einzelfall in der Deutschen Demokratischen Republik eine Rente gezahlt wird (BVerfGE 28, 104 [116])."
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§ 1317 RVO in der zur Prüfung gestellten Fassung hielt den schon vor dem Inkrafttreten des RAG 1982 geltenden Rechtszustand für Rentenberechtigte, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Deutschen Demokratischen Republik genommen hatten, aufrecht. Es bestand danach ein Verbot, Rentenleistungen für die Zeit des gewöhnlichen Aufenthalts in den dort bezeichneten Gebieten zu erbringen. Im Ergebnis führte die Vorschrift zu einem Verlust der auf diese Zeit entfallenden Rentenansprüche. Erst wenn der Rentenberechtigte seinen gewöhnlichen Aufenthalt in die (alte) Bundesrepublik zu rückverlegte, erhielt er Rentenleistungen. Das Leistungserbringungsverbot beruhte auf dem sogenannten Eingliederungsprinzip, das die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik auf dem Gebiet der Rentenversicherung bestimmte und den Rentenberechtigten durch Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt dem einen oder anderen Rentenversicherungsträger zuwies. Danach wurden die Beiträge zur deutschen Rentenversicherung in beiden Teilen Deutschlands berücksichtigt. |
Für die Angestelltenversicherung fand sich eine gleichlautende Regelung in § 96 des Angestelltenversicherungsgesetzes, für die knappschaftliche Rentenversicherung in § 107 des Reichsknappschaftsgesetzes, jeweils in der Fassung des RAG 1982.
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2. Durch Art. 23 § 3 Abs. 1 des in seinen wesentlichen Teilen am 30. Juni 1990 in Kraft getretenen Gesetzes zu dem Vertrag vom 18. Mai 1990 über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik vom 25. Juni 1990 (BGBl. II S. 518; im folgenden: Staatsvertrag) wurde die Möglichkeit der Gewährung von sogenannten Westrenten in das Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik für solche Berechtigte eröffnet, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt dort nach dem 18. Mai 1990 genommen hatten. Damit wurde das Eingliederungsprinzip für den genannten Personenkreis aufgegeben. Für Versicherte und Rentenberechtigte hingegen, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Deutschen Demokratischen Republik vor dem 19. Mai 1990 genommen und in diesem Gebiet bis zum 31. Dezember 1991 beibehalten sowie Beitragszeiten im Bundesgebiet vor dem 19. Mai 1990 zurückgelegt hatten, verblieb es nach Art. 23 § 3 Abs. 2 des Staatsvertrags bei der in § 1317 RVO getroffenen Regelung.
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3. a) Nach dem Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik zur Bundesrepublik Deutschland am 3. Oktober 1990 galt im Beitrittsgebiet das Rentenversicherungsrecht der Deutschen Demokratischen Republik fort. Nach Anlage I zu dem Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands (Einigungs vertrag - im folgenden: EV) vom 31. August 1990 (BGBl. II S. 889), Kapitel VIII Sachgebiet H Abschnitt I Nr. 1 und Nr. 47, war westdeutsches Rentenrecht von der in Art. 8 EV angeordneten Überleitung von Bundesrecht ausgenommen. Nach der Verordnung der Deutschen Demokratischen Republik über die Gewährung und Berechnung von Renten der Sozialpflichtversicherung - Rentenverordnung - vom 23. November 1979 (GBl. I S. 401) wurden Zeiten der Beschäftigung in der Bundesrepublik Deutschland unter bestimmten Voraussetzungen bei der Rentenberechnung in vollem Umfang berücksichtigt (§ 2 Abs. 2 Buchstabe n) und hatten so Einfluß auf die Rentenhöhe (vgl. § 5 Abs. 2 Buchstabe b). |
b) Rentenrechtlich wurde danach zunächst an der Teilung in zwei Gebiete mit unterschiedlichen Rechtsordnungen auch noch nach der Einigung beider deutscher Staaten bis zum 31. Dezember 1991 festgehalten.
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4. Mit Wirkung zum 1. Januar 1992 wurden die Vorschriften des die Rentenversicherung der Arbeiter regelnden Vierten Buches der RVO (§§ 1226 bis 1500) aufgehoben und nach Maßgabe des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung (Rentenreformgesetz 1992 - RRG 1992) vom 18. Dezember 1989 (BGBl. I S. 2261) durch das Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) ersetzt, das von Anfang an auch im Beitrittsgebiet galt. Für § 1317 RVO enthält es deshalb keine Nachfolgevorschrift. Soweit nach dem Recht der Deutschen Demokratischen Republik (vgl. unter I 3 a) bereits Rentenansprüche erworben worden waren, wurden diese durch das Gesetz zur Herstellung der Rechtseinheit in der gesetzlichen Renten- und Unfallversicherung (Renten-Überleitungsgesetz - RÜG) vom 25. Juli 1991 (BGBl. I S. 1606) in das SGB VI überführt. Die pauschalierte Umwertung solcher Bestandsrenten erfolgte jedoch auf der Grundlage von niedrigeren Entgeltpunkten (Ost). Die spätere Überprüfung und etwaige Neufeststellung von Bestandsrenten wurden und werden regelmäßig nur in Anwendung des Rentenrechts der Deutschen Demokratischen Republik vorgenommen. Dies hatte und hat zur Folge, daß in den alten Bundesländern zurückgelegte Beitragszeiten auch nach der Überführung der Bestandsrenten in das neue Recht am 1. Januar 1992 für sogenannte Bestandsrentner (Ost) zu einer im Verhältnis zu sogenannten Bestandsrentnern (West) niedriger bemessenen Leistung führten und führen, bis sich die Einkommensverhältnisse angeglichen haben. Bis dahin bleiben sie unter dem wirtschaftlichen Wert, den sie im Rahmen eines nach den Vorschriften der RVO begründeten und später so überführten Anspruchs gehabt hätten. |
II. |
1. Der 1920 geborene Kläger des Ausgangsverfahrens, ein niederländischer Staatsangehöriger, war zunächst 16 Monate in den Niederlanden und sodann von 1958 bis 1968 in der Bundesrepublik Deutschland versicherungspflichtig beschäftigt. 1969 siedelte er in die Deutsche Demokratische Republik über und war dort von 1969 bis 1985 (Vollendung seines 65. Lebensjahres) sozialpflichtversichert tätig. Er lebte bis zum 31. Dezember 1991 ununterbrochen im Beitrittsgebiet.
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In der Deutschen Demokratischen Republik erhielt der Kläger des Ausgangsverfahrens eine Altersrente. Bei der Feststellung der Altersrente blieben die in der Bundesrepublik zurückgelegten Versicherungszeiten unberücksichtigt. Der Kläger hatte - nach Auskunft der Landesversicherungsanstalt Mecklenburg-Vorpommern - Unterlagen über die Beschäftigungszeiten vor 1969 nicht beigebracht. Ab 1. Juli 1990 wurde die Altersrente in DM ausgezahlt. Später wurde sie nach Maßgabe des Rentenrechts der Deutschen Demokratischen Republik unter zusätzlicher Berücksichtigung der Bundesgebiets-Beitragszeiten berichtigt und neu festgestellt.
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2. a) Mit Bescheid vom 19. Februar 1987 lehnte die Landesversicherungsanstalt Westfalen die vom Beschwerdeführer beantragte Gewährung eines Altersruhegeldes für die in der Bundesrepublik zurückgelegten Versicherungszeiten ab. Zwar bestehe dem Grunde nach ein Anspruch auf Gewährung von Altersruhegeld, jedoch könne eine Zahlung mit Rücksicht auf § 1317 RVO nicht erfolgen, weil der Kläger seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Deutschen Demokratischen Republik habe. Gegen diesen Bescheid richtet sich die Klage.
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ob § 1317 RVO insoweit mit dem Grundgesetz vereinbar ist, als ein in der DDR wohnender Versicherter niederländischer Staatsangehörigkeit ein ihm an sich zustehendes Altersruhegeld aus der deutschen Rentenversicherung der Arbeiter nicht erhält.
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Die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 1317 RVO in der Fassung des RAG 1982 sei für die zu treffende Entscheidung erheblich. Im Falle der Ungültigkeit der Norm habe die Klage Erfolg, weil andere Ausschlußgründe für den Anspruch auf Gewährung von Altersruhegeld nicht ersichtlich seien. Auch für die Rentenbezugszeit ab 1. Januar 1992 hänge der Ausgang des Rechtsstreits von der Gültigkeit des § 1317 RVO ab. Wegen ihres eindeutigen Wortlauts und des klaren gesetzgeberischen Willens könne die zur Prüfung gestellte Norm nicht verfassungskonform ausgelegt werden.
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Nach Auffassung des Sozialgerichts verstößt § 1317 RVO in der Fassung des RAG 1982 gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
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Die Vorschrift benachteilige die in der Deutschen Demokratischen Republik wohnhaften Ausländer in doppelter Weise gegenüber anderen Versicherten, die unter den gleichen gesetzlichen Voraussetzungen Rentenansprüche gegen einen bundesdeutschen Rentenversicherungsträger erworben hätten. Sie seien schlechtergestellt als ausländische Versicherte, die gewöhnlich im Ausland lebten und denen ein Anspruch auf Auszahlung der bundesdeutschen Rente zustehe. Auch im Vergleich mit Ausländern, die im Geltungsbereich der RVO lebten, also im Gebiet der bisherigen Bundesrepublik, seien sie benachteiligt, da die hier lebenden Ausländer ihre Rentenansprüche ohne Einschränkungen verwirklichen könnten. An dieser Ungleichbehandlung habe weder der Staatsvertrag noch der EV noch das RÜG etwas geändert.
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Die dargestellte unterschiedliche Behandlung sei sachlich nicht gerechtfertigt. Die in den Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts vom 18. März 1970 (BVerfGE 28, 104) und vom 22. Oktober 1985 (BVerfGE 71, 66) zur Rechtfertigung des Ausschlusses von Rentenzahlungen an Deutsche in der Deutschen Demokratischen Republik angeführten Gründe ließen sich nicht auf ein Zahlungs verbot an ausländische Rentenberechtigte übertragen, da ihre Lage nicht mit derjenigen jener Deutschen vergleichbar sei. Die ungleiche Behandlung Deutscher in der Deutschen Demokratischen Republik mit Deutschen in der Bundesrepublik und im Ausland liege in den besonderen sozialversicherungsrechtlichen Verhältnissen begründet, die sich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs für die deutsche Bevölkerung in den Gebieten des ehemaligen Deutschen Reiches außerhalb des bisherigen Bundesgebietes ergeben hätten. Vor diesem entstehungsgeschichtlichen Hintergrund sei das Zahlungsverbot des § 1317 RVO zu sehen. Dem Kläger als niederländischem Staatsangehörigen könne es nicht zugemutet werden, Folgelasten eines Krieges mitzutragen, mit dem das Deutsche Reich seine Nachbarvölker überzogen habe. |
Auch widerspreche die Aufbürdung einer Kriegsfolgelast, die in der Person des Klägers zu einem totalen Leistungsverlust führe, gänzlich dem Versicherungsprinzip des Rentenrechts. Der Gesetzgeber könne dem Versicherten den diesem persönlich zustehenden Anspruch nicht ohne sachlichen Grund vorenthalten. Insoweit habe der Staat durch die zwangsweise Heranziehung aller einer versicherungspflichtigen Tätigkeit nachgehenden Beschäftigten soziale Verantwortung übernommen, aus der sich eine grundsätzliche Pflicht zur Rentengewährung ableiten lasse. Auch beim Verlassen des Geltungsbereichs der RVO könnten ausländischen Rentenberechtigten die Rentenleistungen nicht ohne jegliche Beitragserstattung gänzlich versagt werden, wenn hierfür kein sachlicher Grund vorliege.
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Die gesetzliche Regelung könne weiterhin nicht mit dem Argument gerechtfertigt werden, im Rentenversicherungssystem der Deutschen Demokratischen Republik fänden auch die im Bundesgebiet zurückgelegten Zeiten bei der Rentenfeststellung Berücksichtigung und erhöhten die Rente entsprechend. Die Anrechnung der Versicherungszeiten sei dort nach Art und Umfang begrenzt gewesen und stelle selbst bei vollständiger Anrechnung aller im Bundesgebiet zurückgelegten Beitragszeiten kein Äquivalent für den Verlust der Westrente dar.
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Soweit die Versagung von Rentenleistungen an Deutsche in der Deutschen Demokratischen Republik damit gerechtfertigt werde, daß Deutsche vom dortigen Rentenversicherungssystem erfaßt und voll in dieses System eingegliedert worden seien, geschehe das vor einem gänzlich anderen, mit der Lage ausländischer Versicherter in der Deutschen Demokratischen Republik nicht vergleichbaren Hintergrund. Auch wenn die Deutsche Demokratische Republik seinerzeit für die Bundesrepublik Deutschland nicht als Ausland zu qualifizieren gewesen sei und dementsprechend weder zum Geltungsbereich der RVO noch zum Ausland gehört habe, sei sie jedenfalls für Ausländer ein ausländischer Staat gewesen. Ausländer seien nicht in vergleichbarer Weise in das Rentenversicherungssystem der Deutschen Demokratischen Republik eingegliedert gewesen wie rentenberechtigte Deutsche. |
Den Ausschluß von Rentenleistungen könne es ferner nicht rechtfertigen, daß in der Deutschen Demokratischen Republik zurückgelegte Beitragszeiten nach Maßgabe des Fremdrentenrechts bei einer Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland vor dem 19. Mai 1990 zu berücksichtigen gewesen seien und deshalb nicht noch zusätzlich Leistungen in die Deutsche Demokratische Republik erbracht werden könnten. Er lasse sich auch nicht damit begründen, daß die Deutsche Demokratische Republik ihrerseits Rentenleistungen in die Bundesrepublik nicht erbracht habe. Die Leistungsgewährung würde sonst in unzulässiger Weise von einem entsprechenden Leistungstransfer der Gegenseite abhängig gemacht.
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Schließlich könne den in der Deutschen Demokratischen Republik wohnhaften ausländischen Rentenberechtigten eine auf Beitragszeiten in der Bundesrepublik beruhende Westrente nicht gänzlich mit der Begründung vorenthalten werden, die zur Prüfung gestellte Norm diene der Vermeidung einer Doppelversorgung. Eine Doppelversorgung sei, insbesondere nach dem Einigungsvertrag, nicht zu befürchten.
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III. |
Zu der Vorlage haben das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung namens der Bundesregierung, der für die Arbeiterrentenversicherung zuständige 5. Senat des Bundessozialgerichts, die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte und der Verband Deutscher Rentenversicherungsträger Stellung genommen. |
Die Stellungnahmen stimmen überwiegend darin überein, daß die Vorlage für die Rentenbezugszeit ab 1. Januar 1992 unzulässig sei. Lediglich die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte ist der Auffassung, die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 1317 RVO habe über den 31. Dezember 1991 hinaus rechtliche Bedeutung.
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In der Sache wird folgendes vorgetragen:
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1. Das Bundesministerium hält die zur Prüfung gestellte Norm für verfassungsgemäß.
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Die Gründe, die den Ausschluß von Rentenzahlungen westdeutscher Rentenversicherungsträger an deutsche Berechtigte mit gewöhnlichem Aufenthalt in der Deutschen Demokratischen Republik trügen, rechtfertigten auch den Ausschluß von Rentenzahlungen an dort lebende Ausländer. Die Entscheidung für das Eingliederungsprinzip als Leitgrundsatz des interlokalen Sozialrechts und gegen das Leistungsexportprinzip, welches bei Staaten des Auslands gelte, sei gerechtfertigt, weil Deutsche in der Deutschen Demokratischen Republik rentenversicherungsrechtlich anders behandelt würden als Deutsche im Ausland. Der Gesetzgeber habe auf Grund der in der Deutschen Demokratischen Republik geltenden Vorschriften davon ausgehen können, daß auch Ausländer dort grundsätzlich anders und - durch Berücksichtigung der in der Bundesrepublik zurückgelegten Beitragszeiten - in der Regel besser gesichert seien als Ausländer im Ausland.
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Eine Bevorzugung von Ausländern gegenüber Deutschen beim Rentenexport in die Deutsche Demokratische Republik verstieße gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Allein der Gedanke der Kriegsfolgelast könne es nicht rechtfertigen, sogenannte Bundesgebiets-Beitragszeiten bei deutschen Staatsangehörigen schlechter zu bewerten als bei Ausländern. Das liefe auch der besonderen Verantwortung und Fürsorgepflicht der Bundesrepublik Deutschland für deutsche Staatsangehörige zuwider.
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Zudem hätte jedenfalls für die Zeit vor dem Inkrafttreten des EV eine ungerechtfertigte Doppelversorgung bei Rentenzahlungen an Ausländer in die Deutsche Demokratische Republik ohne Anwen dung des § 1317 RVO nicht verhindert werden können, weil die in der Bundesrepublik zurückgelegten Beitragszeiten grundsätzlich auch im dortigen Rentenrecht berücksichtigt worden seien. |
2. Der 5. Senat des Bundessozialgerichts hat mitgeteilt, er neige im Ergebnis zu der Auffassung, § 1317 RVO in der Fassung des RAG 1982 stehe mit dem Grundgesetz in Einklang. Bei einer zulässigen Beseitigung von Kriegsfolgelasten dürfe es nicht darauf ankommen, ob die von einer entsprechenden Regelung Betroffenen selbst für die Kriegsfolgelasten verantwortlich gemacht werden könnten. Der Kläger des Ausgangsverfahrens sei durch seine Tätigkeit in der Bundesrepublik Deutschland in das von den Kriegsfolgelasten betroffene bundesdeutsche Sozialversicherungssystem eingegliedert worden. Er habe daher als Versicherter, unabhängig von seiner Staatsangehörigkeit, die sich aus der Beseitigung der Kriegsfolgelasten ergebenden Konsequenzen mitzutragen. Im übrigen verneint der Senat eine Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG aus den gleichen Gründen wie das Bundesministerium.
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Auch Art. 14 GG sei nicht verletzt. Die in § 1317 RVO enthaltene Regelung habe bereits vor der Einführung der zur Prüfung gestellten Norm und somit schon in einem Zeitraum bestanden, in dem der Kläger in der Bundesrepublik gearbeitet und seine Anwartschaft erworben habe. Wer unter diesen Umständen in die Solidargemeinschaft der Sozialversicherung eintrete, trage von Anfang an das Risiko, daß eine Rentenzahlung in die Deutsche Demokratische Republik nicht erfolge.
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3. Auch die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte hält die zur Prüfung gestellte Vorschrift für verfassungsgemäß; sie verstoße nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
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Der Ausschluß des Leistungsexports sei die Kehrseite der wechselseitigen Berücksichtigung von Versicherungszeiten in beiden deutschen Staaten. Dabei sei es nicht von ausschlaggebender Bedeutung, daß es sich bei dem Versicherten um einen niederländischen Staatsangehörigen handele. Die Erwägungen für die Verfassungsmäßigkeit des beanstandeten Leistungsausschlusses träfen für Deutsche und Ausländer gleichermaßen zu. Die Heranziehung des Eingliederungsgrundsatzes, der hinter der Norm stehe, habe primär Kriegsfolgelasten erträglich machen und nicht etwa den Betroffenen neue Lasten aufbürden sollen. Zu dieser Zielsetzung habe die stillschweigend praktizierte wechselseitige Anerkennung von Versicherungszeiten gehört, von der auch in der Deutschen Demokratischen Republik wohnhafte Ausländer einen Nutzen gehabt hätten. |
4. Der Verband Deutscher Rentenversicherungsträger hat sich lediglich zu den Rentenüberleitungsvorschriften des SGB VI geäußert und festgestellt, daß die auf ihnen beruhende Überführung der Bestandsrenten (Ost) eine - zeitlich bis zur Angleichung der Lebensverhältnisse befristete - Schlechterbehandlung der Bestandsrentner (Ost) im Vergleich zu Bestandsrentnern (West) zur Folge habe.
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B. |
Die Vorlage ist zulässig. Das Sozialgericht nimmt in der Begründung seines Beschlusses allerdings an, der Ausgang des Rechtsstreits hänge auch für Rentenbezugszeiten ab 1. Januar 1992 von der Gültigkeit der zur Prüfung gestellten Norm ab. § 1317 RVO in der Fassung des RAG 1982 ist jedoch insoweit nicht entscheidungserheblich, weil die Vorschrift mit Wirkung zum 1. Januar 1992 außer Kraft getreten und auf Rentenbezugszeiten ab 1. Januar 1992 nicht mehr anzuwenden ist. Für die Entscheidung des Rechtsstreits sind seit dem 1. Januar 1992 ausschließlich die Vorschriften des SGB VI erheblich. Diese hat das Sozialgericht nicht zur verfassungsgerichtlichen Prüfung gestellt.
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C. |
Die zur Prüfung gestellte Norm des § 1317 RVO in der Fassung des RAG 1982 ist mit dem Grundgesetz vereinbar.
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I. |
Sie verstößt nicht gegen das Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG.
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1. Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Damit ist dem Gesetzgeber allerdings nicht jede Differenzierung verwehrt. Er verletzt das Grundrecht vielmehr nur, wenn er eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu an deren Normadressaten anders behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (vgl. BVerfGE 87, 1 [36]; 92, 53 [68 f.]; stRspr). Entsprechendes gilt für eine Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem (vgl. BVerfGE 72, 141 [150]). Geht es um die Ungleichbehandlung oder Gleichbehandlung von Personengruppen, unterliegt die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers regelmäßig einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse und wird nicht nur durch das Willkürverbot begrenzt (vgl. BVerfGE 88, 87 [96 f.]; stRspr). |
Der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers ist allerdings weiter bemessen, wenn Regelungen zur Beseitigung der beim Zusammenbruch des Deutschen Reiches vorhandenen Verbindlichkeiten der öffentlichen Hand und zur Beseitigung sonstiger Kriegsfolgelasten getroffen sind (vgl. BVerfGE 15, 167 [201]; 29, 413 [430]; 53, 164 [178]; 71, 66 [76]). Dies gilt insbesondere für sozialrechtliche Normen, deren Ursprung mit dem Zusammenbruch des Deutschen Reiches im Zusammenhang steht. Denn dabei stand die Bundesrepublik vor sozialen Aufgaben, die nach Art und Ausmaß ohne Parallele waren (vgl. BVerfGE 41, 126 [175]; 53, 164 [178]).
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2. Durch die zur Prüfung gestellte Vorschrift des § 1317 RVO wurden ausländische Rentenberechtigte, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Deutschen Demokratischen Republik vor dem 19. Mai 1990 genommen und in diesem Gebiet bis zum 31. Dezember 1991 beibehalten haben, gegenüber anderen Personengruppen schlechtergestellt, weil sie Rentenleistungen von seiten westdeutscher Rentenversicherungsträger in dieser Zeit nicht erhalten konnten und eine Rentenzahlung für diesen Zeitraum bei einer Rückkehr aus dem Beitrittsgebiet in die alten Bundesländer nach dem 31. Dezember 1991 nicht nachgeholt werden kann. Andererseits wurden sie mit deutschen aus der Arbeiterrentenversicherung Berechtigten gleichbehandelt. Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen nach beiden Richtungen hin nicht.
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a) Das Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG ist nicht dadurch verletzt, daß an Personen in der Lage des Klägers des Ausgangsverfahrens keine Rentenleistungen von seiten westdeutscher Renten versicherungsträger erbracht wurden, wohl aber an deutsche und ausländische Rentenberechtigte mit gewöhnlichem Aufenthalt im Geltungsbereich der RVO. |
aa) Die Ungleichbehandlung war bis zum Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik zur Bundesrepublik Deutschland am 3. Oktober 1990 unter Berücksichtigung der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit durch das Ziel des Ausschlusses einer Doppelversorgung gerechtfertigt (vgl. BVerfGE 28, 104 [114 ff.]; 71, 66 [77 ff.]). Dieses Ziel stand im Zusammenhang mit dem Eingliederungsprinzip, das einerseits zur Berücksichtigung in der Deutschen Demokratischen Republik zurückgelegter Versicherungszeiten nach dem westdeutschen Fremdrentenrecht führte, andererseits aber die Beschränkung des Geltungsbereichs rentenversicherungsrechtlicher Vorschriften der RVO auf den Bereich der Bundesrepublik bewirkte (vgl. die Begründung des Regierungsentwurfs zum RAG 1982, BTDrucks 9/458 S. 39).
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Wäre einem Berechtigten mit gewöhnlichem Aufenthalt in der Deutschen Demokratischen Republik auch von den Sozialversicherungsträgern der Bundesrepublik eine Rente gezahlt worden, so hätte er zwei Renten beanspruchen können, da die in der Bundesrepublik zurückgelegten Beitragszeiten nach dem Rentenrecht der Deutschen Demokratischen Republik bei der Berechnung der Rente mit zu berücksichtigen waren (vgl. A I 3 a). Es entsprach auch der Verwaltungspraxis des dortigen Rentenversicherungsträgers, diese Zeiten, wenn sie angegeben und belegt wurden, in die Rentenberechnung mit einzubeziehen. Daß der Kläger des Ausgangsverfahrens während seines Aufenthalts in der Deutschen Demokratischen Republik aus den Bundesgebiets-Beitragszeiten tatsächlich keine Rente bezog, weil er Unterlagen über die Beschäftigungszeit vor 1969 nicht beigebracht hatte, ist für die verfassungsrechtliche Beurteilung des § 1317 RVO ohne Bedeutung.
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Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts kommt es aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht darauf an, ob die in der Deutschen Demokratischen Republik erreichbare Rente ein Äquivalent für den Wegfall der bundesdeutschen Rente darstellte (vgl. BVerfGE 28, 104 [115]; 71, 66 [78]). Maßgebend ist vielmehr das Rentenniveau, das zum durchschnittlichen Volkseinkommen in Bezug gesetzt wird (vgl. BVerfGE 51, 1 [28]). Wie ein Vergleich der jeweiligen Durchschnittseinkommen mit den jeweiligen Durchschnittsrenten in der Zeit ab dem Jahr 1986, in dem der Kläger des Ausgangsverfahrens seinen Rentenantrag stellte, zeigt, machte der durchschnittliche Rentenzahlbetrag in der Bundesrepublik wie in der Deutschen Demokratischen Republik ungefähr dreißig vom Hundert des durchschnittlichen Einkommens aus. Diese Einschätzung beruht auf den Angaben des Statistischen Bundesamtes über die durchschnittlichen Rentenzahlbeträge und die durchschnittlichen Arbeitseinkommen in der Bundesrepublik und in der Deutschen Demokratischen Republik im maßgeblichen Zeitraum. Damit war der Altersrentner in der Deutschen Demokratischen Republik in ähnlicher Weise gesichert wie der Rentner in der Bundesrepublik, weil die Rente ihm in bezug auf den Lebensstandard in der Deutschen Demokratischen Republik ein vergleichbares Niveau gewährte. |
bb) Für die Zeit nach dem 3. Oktober 1990 ist die Benachteiligung der hier in Frage stehenden und durch den Kläger des Ausgangsverfahrens repräsentierten Personengruppe gegenüber Rentenberechtigten mit gewöhnlichem Aufenthalt im Geltungsbereich der RVO wegen der Schwierigkeiten bei der Vereinheitlichung des Rentenrechts gerechtfertigt.
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Mit der Herstellung der staatlichen Einheit in Deutschland waren die Gründe entfallen, die das Eingliederungsprinzip bis zu diesem Zeitpunkt getragen und gerechtfertigt hatten. Gleichwohl ist es im Hinblick auf das verfassungsrechtliche Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG nicht zu beanstanden, daß der Gesetzgeber die Regelung des § 1317 RVO noch für einen bestimmten Zeitraum aufrechterhielt. Mit der Herbeiführung der Rechtseinheit in der gesetzlichen Rentenversicherung durch Zusammenführung unterschiedlicher Rentenversicherungssysteme stand der Gesetzgeber nach dem Einigungsvertrag vor einer umfassenden und schwierigen Aufgabe. Die Neuordnung des Rentenrechts mit dem Ziel der Überführung der in der Deutschen Demokratischen Republik erworbenen Ansprüche und Anwartschaften in die gesamtdeutsche Rentenversicherung konnte nur schrittweise, in manchen Bereichen zügiger, in anderen weniger schnell, erfolgen. In den Zusammenhang der Harmonisierung der Rentensysteme im wiedervereinigten Deutschland gehörte auch die Lösung der durch die Vorschrift des § 1317 RVO aufgeworfenen Problematik. Der Gesetzgeber brauchte sie nicht isoliert von der ihm gestellten Gesamtaufgabe zu bewältigen. Zwar stand ihm für eine mit Art. 3 Abs. 1 GG im Einklang stehende Neuregelung kein unbefristeter Zeitraum zur Verfügung. Die ihm dafür unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten einzuräumende Frist war aber jedenfalls am 31. Dezember 1991 mit der an diesem Tag wirksam werdenden Aufhebung des § 1317 RVO noch nicht überschritten. Nur darüber ist aber zu entscheiden, weil § 1317 RVO zum 1. Januar 1992 außer Kraft getreten und damit auf Rentenbezugszeiten ab 1. Januar 1992 nicht mehr anzuwenden ist. |
b) Art. 3 Abs. 1 GG ist aber auch nicht deshalb verletzt, weil der von § 1317 RVO erfaßte Personenkreis im Vergleich mit deutschen und ausländischen Rentenberechtigten benachteiligt wurde, die sich gewöhnlich im Ausland aufhielten und Rentenleistungen - bei Ausländern allerdings nur eingeschränkt (§ 1323 RVO in der Fassung des RAG 1982) - erhielten.
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Nach dem Rentenrecht der Deutschen Demokratischen Republik wurden auch Zeiten der Beschäftigung von Ausländern, die diese außerhalb der Deutschen Demokratischen Republik zurückgelegt hatten, bei der Rentenberechnung berücksichtigt. Waren danach individuelle Rentenanwartschaften ausländischer Rentenberechtigter gegenüber Versicherungsträgern der Bundesrepublik in der Deutschen Demokratischen Republik in gleicher Weise wie solche deutscher Rentenberechtigter durch Ansprüche gegen den Rentenversicherungsträger der Deutschen Demokratischen Republik ersetzt, so konnte der Gesetzgeber auch für Ausländer davon ausgehen, daß diese dort grundsätzlich anders und in der Regel besser gesichert waren als Ausländer im Ausland (vgl. BVerfGE 28, 104 [116]; 71, 66 [79]). Für die Differenzierung besteht damit ein einleuchtender Grund.
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c) Es verletzt weiter auch nicht das verfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgebot, wenn Personen in der Lage des Klägers des Ausgangsverfahrens gegenüber solchen Rentenberechtigten schlechter gestellt wurden, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Deutschen Demokratischen Republik erst nach dem 18. Mai 1990 genommen hatten. Durch Art. 23 § 3 Abs. 1 des Staatsvertrags wurde ihnen - abweichend von § 1317 RVO - der Bezug einer Westrente auch insoweit ermöglicht, als dieser auf Bundesgebiets- Beitragszeiten vor dem 18. Mai 1990 entfiel (vgl. Art. 23 § 3 Abs. 2). Die unterschiedliche Regelung ist aber hinreichend gerechtfertigt. Sie stellte einen ersten Schritt zur Rentenangleichung und Vereinheitlichung der Rentenversicherungsvorschriften in beiden deutschen Staaten dar. Mit der Umsetzung der Vereinbarungen im Staatsvertrag verfolgte der Gesetzgeber das Ziel, eine Sozialunion zu schaffen. Im Rahmen dieser Sozialunion sollte zwar die Übersiedlung von West nach Ost und umgekehrt uneingeschränkt möglich sein. Andererseits sollten aber weder in die Bundesrepublik übergesiedelte Ostrentner nach dem Fremdrentenrecht automatisch eine Westrente bekommen noch Westrentner, die sich in der Deutschen Demokratischen Republik ansiedelten, voll in deren Rentenversicherungssystem - auch unter Berücksichtigung der Bundesgebiets-Beitragszeiten - eingegliedert werden (vgl. dazu die Begründung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU/CSU und FDP, BTDrucks 11/7171 S. 39 ff.). Wenn der Gesetzgeber das Eingliederungsprinzip daher zunächst nur für alle neuen Fälle des Umzugs aus einem Teil Deutschlands in den anderen aufgab, so war dies gerechtfertigt. Altfälle wie den Fall des Klägers durfte der Gesetzgeber wegen der Schwierigkeiten bei der Herstellung der Rechtseinheit im Rentenversicherungsrecht unter Verweisung auf eine später erfolgende allgemeine Angleichung der Rentenberechnung zurückstellen (vgl. C I 2 a bb). |
d) Schließlich liegt auch kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG darin, daß der Gesetzgeber ausländische Rentenberechtigte mit rentenberechtigten Deutschen gleichbehandelte, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Deutschen Demokratischen Republik ebenfalls vor dem 19. Mai 1990 genommen und in diesem Gebiet bis zum 31. Dezember 1991 beibehalten haben, und in beiden Fällen die Gewährung von Rentenleistungen ausschloß. Dem Gesetzgeber mag es freigestanden haben, bei der Gewährung von Rentenleistungen in die Deutsche Demokratische Republik deutsche und ausländische Rentenberechtigte ungleich zu behandeln und Ausländer zu bevorzugen; verfassungsrechtlich verpflichtet war er zu einer solchen differenzierenden Regelung nicht. Für die Gleichbehandlung bestand ein hinreichender sachlicher Grund. Sie findet im Eingliederungsprinzip, das § 1317 RVO zugrunde lag, eine ausreichende Stütze. Auf die Frage der Kriegsverursachung kommt es - entgegen der Auffassung des Sozialgerichts - nicht an. Für das Eingliederungsprinzip hat sich der Gesetzgeber losgelöst von Wertungen im Zusammenhang mit der Kriegsschuldfrage entschieden; die zur Umsetzung erlassenen gesetzlichen Vorschriften waren sachbedingte Regelungen im Gefolge der staatsrechtlichen Veränderungen nach 1945. Ausländische Rentenberechtigte wurden durch ihre versicherungspflichtige Beschäftigung in der Bundesrepublik Deutschland wie deutsche Rentenberechtigte in das bundesdeutsche Sozialversicherungssystem eingegliedert. Sie hatten daher - wie auch das Bundessozialgericht der Sache nach in seiner Stellungnahme hervorgehoben hat - als Versicherte unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit die sich aus der Teilung Deutschlands ergebenden Konsequenzen mitzutragen. |
II. |
Die zur Prüfung gestellte Vorschrift verletzt auch nicht das Eigentumsgrundrecht des Art. 14 GG.
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1. Anwartschaften auf Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung genießen den Schutz der Eigentumsgarantie (vgl. BVerfGE 53, 257 [289 f.]; 58, 81 [109]; 69, 272 [298]; 75, 78 [96 ff.]). Der Kläger des Ausgangsverfahrens hatte bereits in den Niederlanden Versicherungszeiten im Umfang von 16 Monaten zurückgelegt, die nach Art. 13 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande über Sozialversicherung vom 29. März 1951 (BGBl. II S. 222) bei der Ermittlung der deutschen Rentenanwartschaft zu berücksichtigen und den in der Bundesrepublik zurückgelegten versicherungspflichtigen Beschäftigungszeiten hinzuzurechnen waren. Er hätte - bei Ablauf der entsprechenden Wartezeit und Eintritt des Versicherungsfalls - auf Grund der Bestimmungen der RVO in der seinerzeit geltenden Fassung des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Rentenversicherung der Arbeiter (Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz - ArVNG) vom 23. Februar 1957 (BGBl. I S. 45) Rentenleistungen beanspruchen können. |
2. Es kann im vorliegenden Fall offen bleiben, wieweit der verfassungsrechtliche Eigentumsschutz einer solchen Rechtsposition reicht. Denn jedenfalls verletzt § 1317 RVO das Grundrecht des Art. 14 GG nicht.
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a) Die Vorschrift hat insoweit keinen Rechtsentzug bewirkt, als die in der Bundesrepublik zurückgelegten Beitragszeiten nach dem Recht der Deutschen Demokratischen Republik bei der Rentenberechnung berücksichtigt wurden. Das unterscheidet die zur Prüfung gestellte Norm von gesetzlichen Regelungen, die ersatzlos eine eigentumsgeschützte Rechtsposition entziehen. Durch das Leistungserbringungsverbot des § 1317 RVO wäre die rentenrechtliche Position modifiziert, aber nicht völlig entzogen worden (vgl. BVerfGE 22, 241 [253]; 75, 78 [97]; 76, 256 [354]). Die Verfassungsmäßigkeit des § 1317 RVO ist somit nach den Grundsätzen zu beurteilen, nach denen der Gesetzgeber in zulässiger Weise Inhalt und Schranken des Eigentums nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG bestimmen darf (vgl. BVerfGE 83, 201 [212]).
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Die konkrete Reichweite des Schutzes durch die Eigentumsgarantie ergibt sich erst aus der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums, die nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG Sache des Gesetzgebers ist (vgl. BVerfGE 53, 257 [292]; 74, 203 [214]; 90, 226 [236]; 91, 294 [308]). Der Gesetzgeber darf derartige Bestimmungen treffen, jedoch mit ihnen eigentumsrechtlich geschützte Positionen nicht beliebig umgestalten. Vielmehr sind Regelungen, die zu Eingriffen in solche Positionen führen, nur zulässig, wenn sie durch Gründe des öffentlichen Interesses unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt sind (vgl. BVerfGE 31, 275 [290]; 58, 81 [121]).
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b) Bis zur Herstellung der deutschen Einheit war die zur Prüfung gestellte Vorschrift Folge des Eingliederungsprinzips, das die rentenversicherungsrechtlichen Beziehungen zwischen der Bundesre publik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik bis zu deren Beitritt am 3. Oktober 1990 bestimmte. Es diente dazu, die Funktions- und Leistungsfähigkeit des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung in der Bundesrepublik Deutschland im Interesse aller zu erhalten und den veränderten Bedingungen der Nachkriegszeit anzupassen. § 1317 RVO schloß an die Regelungen des Fremdrentenrechts an, wonach in der Deutschen Demokratischen Republik entrichtete Beiträge generell und ohne besondere Voraussetzungen so behandelt wurden, als ob sie an die Rentenversicherung in der Bundesrepublik Deutschland entrichtet worden wären. Es entspricht dem öffentlichen Interesse und ist nicht unverhältnismäßig, wenn § 1317 RVO sicherstellte, daß die Rentenversicherung in der Bundesrepublik Deutschland dann nicht noch zusätzlich Leistungen in die Deutsche Demokratische Republik erbringen mußte (vgl. die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks 9/458 S. 39). |
Für die Zeit nach dem 3. Oktober 1990 bis zum Inkrafttreten des SGB VI am 1. Januar 1992 verstößt die Beibehaltung der zur Prüfung gestellten Vorschrift ebenfalls nicht gegen Art. 14 GG. Sie ist auch insoweit nicht unverhältnismäßig. Die Erwägung, daß die Rechtseinheit in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht sofort, sondern wegen der Schwierigkeit der zu bewältigenden Gesamtaufgabe nur schrittweise herbeigeführt werden konnte, gilt auch hier (vgl. die Ausführungen zu Art. 3 Abs. 1 GG unter C I 2 a bb).
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Seidl, Grimm, Kühling, Jaeger, Haas, Hömig, Steiner |