BVerfGE 99, 300 - Beamtenkinder


BVerfGE 99, 300 (300):

1. Der Dienstherr ist aufgrund des Alimentationsprinzips (Art. 33 Abs. 5 GG) verpflichtet, dem Beamten amtsangemessenen Unterhalt zu leisten. Dies umfaßt auch die Pflicht, die dem Beamten durch seine Familie entstehenden Unterhaltspflichten realitätsgerecht zu berücksichtigen. Damit trägt der Dienstherr nicht zuletzt der Aufgabe des Berufsbeamtentums Rechnung, im politischen Kräftespiel eine stabile, gesetzestreue Verwaltung zu gewährleisten (Bestätigung von BVerfGE 44, 249; 81, 363).
2. Die Besoldung verheirateter Beamter mit mehr als zwei unterhaltsberechtigten Kindern hat in den Jahren 1988 bis 1996 diesen Anforderungen nicht entsprochen. Eine allgemeine rückwirkende Behebung des Verfassungsverstoßes ist jedoch mit Blick auf die Besonderheiten des Beamtenverhältnisses nicht geboten (wie BVerfGE 81, 363).
 
Beschluß
des Zweiten Senats vom 24. November 1998
-- 2 BvL 26/91, 5, 6, 7, 8, 9, 10/96, 3, 4, 5, 6/97 --
in den Verfahren zur verfassungsrechtlichen Prüfung der 1. a) Artikel 1 § 1 in Verbindung mit Anlage 2 sowie Artikel 6 § 5 Satz 1 des Gesetzes über die Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern 1987 (Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetz 1987) vom 6. August 1987 (BGBl I S. 2062) in Verbindung mit Artikel 14 § 3 des Gesetzes zur Reform des öffentlichen Dienstrechts (Reformgesetz) vom 24. Februar 1997 (BGBl I S. 322), b) Artikel 1 § 1 in Verbindung mit Anlage 2 sowie Artikel 10 § 4 Absatz 1 des Gesetzes über die Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern 1988 (Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetz 1988) vom 20. Dezember 1988 (BGBl I S. 2363) in Verbindung mit Artikel 14 § 3 des Gesetzes zur Reform des öffentlichen Dienstrechts (Reformgesetz) vom 24. Februar 1997 (BGBl I S. 322), c) Artikel 1 § 1 in Verbindung mit Anlage 2 Artikel 10 § 4 Absatz 1 des Gesetzes über die Anpassung von Dienst- und sowie Versorgungsbe

BVerfGE 99, 300 (301):

zügen in Bund und Ländern 1988 (Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetz 1988) vom 20. Dezember 1988 (BGBl I S. 2363) in der ab dem 1. Januar 1990 geltenden Fassung, d) Artikel 1 § 1 in Verbindung mit Anlage 2 sowie Artikel 10 § 5 Absatz 1 des Gesetzes über die Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern 1991 (Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetz 1991) vom 21. Februar 1992 (BGBl I S. 266), e) Artikel 1 in Verbindung mit Anlage 2 sowie Artikel 12 Absatz 1 des Gesetzes über die Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern 1992 (Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetz 1992) vom 23. März 1993 (BGBl I S. 342), f) Artikel 1 in Verbindung mit Anlage 2 sowie Artikel 5 § 3 Absatz 1 des Gesetzes über die Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern 1993 (Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetz 1993) vom 20. Dezember 1993 (BGBl I S. 2139), g) Artikel 1 in Verbindung mit Anlage 2 sowie Artikel 9 § 3 Absatz 1 des Gesetzes über die Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern 1994 (Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetz 1994) vom 24. August 1994 (BGBl I S. 2229) und h) Artikel 1 in Verbindung mit Anlage 2 sowie Artikel 15 Absatz 1 des Gesetzes über die Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern 1995 (Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetz 1995) vom 18. Dezember 1995 (BGBl I S. 1942), soweit sie die Ortszuschläge der Stufe 5 und höher von Beamten und Richtern der Besoldungsgruppe B 2 BBesO in den Jahren 1988 und 1989; der Besoldungsgruppen A 4 bis A 13 (ohne A 5 und A 10), B 2 sowie R 1 BBesO im Jahr 1990; der Besoldungsgruppen A 4 bis A 13 (ohne A 10) sowie R 1 BBesO im Jahr 1991; der Besoldungsgruppen A 4 bis A 14 (ohne A 10) sowie R 1 BBesO im Jahr 1992; der Besoldungsgruppen A 4 bis A 14 (ohne A 10) sowie R 1 BBesO im Jahr 1993; der Besoldungsgruppen A 4 bis A 15 (ohne A 10) sowie R 1 BBesO im Jahr 1994; der Besoldungsgruppen A 4 bis A 15 (ohne A 10) sowie R 1 und R 2 BBesO im Jahr 1995; der Besoldungsgruppen A 4 bis A 13 (ohne A 10) sowie R 2 BBesO im Jahr 1996 betreffen ...

BVerfGE 99, 300 (302):

... .
Entscheidungsformel:
1. a) Artikel 1 § 1 in Verbindung mit Anlage 2 sowie Artikel 6 § 5 Satz 1 des Gesetzes über die Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern 1987 (Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetz 1987) vom 6. August 1987 (Bundesgesetzbl. I S. 2062) in Verbindung mit Artikel 14 § 3 des Gesetzes zur Reform des öffentlichen Dienstrechts (Reformgesetz) vom 24. Februar 1997 (Bundesgesetzbl. I S. 322),
b) Artikel 1 § 1 in Verbindung mit Anlage 2 sowie Artikel 10 § 4 Absatz 1 des Gesetzes über die Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern 1988 (Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetz 1988) vom 20. Dezember 1988 (Bundesgesetzbl. I S. 2363) in Verbindung mit Arti-kel 14 § 3 des Gesetzes zur Reform des öffentlichen Dienstrechts (Reformgesetz) vom 24. Februar 1997 (Bundesgesetzbl. I S. 322),
c) Artikel 1 § 1 in Verbindung mit Anlage 2 sowie Artikel 10 § 4 Absatz 1 des Gesetzes über die Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern 1988 (Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetz 1988) vom 20. Dezember 1988 (Bundesgesetzbl. I S. 2363) in der ab dem 1. Januar 1990 geltenden Fassung,
d) Artikel 1 § 1 in Verbindung mit Anlage 2 sowie Artikel 10 § 5 Absatz 1 des Gesetzes über die Anpassung von Dienst- und Ver

BVerfGE 99, 300 (303):

sorgungsbezügen in Bund und Ländern 1991 (Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetz 1991) vom 21. Februar 1992 (Bundesgesetzbl. I S. 266),
e) Artikel 1 in Verbindung mit Anlage 2 sowie Artikel 12 Absatz 1 des Gesetzes über die Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern 1992 (Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetz 1992) vom 23. März 1993 (Bundesgesetzbl. I S. 342),
f) Artikel 1 in Verbindung mit Anlage 2 sowie Artikel 5 § 3 Absatz 1 des Gesetzes über die Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern 1993 (Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetz 1993) vom 20. Dezember 1993 (Bundesgesetzbl. I S. 2139),
g) Artikel 1 in Verbindung mit Anlage 2 sowie Artikel 9 § 3 Absatz 1 des Gesetzes über die Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern 1994 (Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetz 1994) vom 24. August 1994 (Bundesgesetzbl. I S. 2229) und
h) Artikel 1 in Verbindung mit Anlage 2 sowie Artikel 15 Absatz 1 des Gesetzes über die Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern 1995 (Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetz 1995) vom 18. Dezember 1995 (Bundesgesetzbl. I S. 1942)
waren mit Artikel 33 Absatz 5 des Grundgesetzes nicht vereinbar, soweit der Gesetzgeber es unterlassen hat,
- in den Jahren 1988 und 1989 bei Beamten der Besoldungsgruppe B 2 der Bundesbesoldungsordnung;
- im Jahr 1990 bei Beamten und Richtern der Besoldungsgruppen A 4 bis A 13 (ohne A 5 und A 10), B 2 sowie R 1 der Bundesbesoldungsordnung;
- im Jahr 1991 bei Beamten und Richtern der Besoldungsgruppen A 4 bis A 13 (ohne A 10) sowie R 1 der Bundesbesoldungsordnung;
- im Jahr 1992 bei Beamten und Richtern der Besoldungsgruppen A 4 bis A 14 (ohne A 10) sowie R 1 der Bundesbesoldungsordnung;
- im Jahr 1993 bei Beamten und Richtern der Besoldungsgruppen A 4 bis A 14 (ohne A 10) sowie R 1 der Bundesbesoldungsordnung;


BVerfGE 99, 300 (304):

- im Jahr 1994 bei Beamten und Richtern der Besoldungsgruppen A 4 bis A 15 (ohne A 10) sowie R 1 der Bundesbesoldungsordnung;
- im Jahr 1995 bei Beamten und Richtern der Besoldungsgruppen A 4 bis A 15 (ohne A 10) sowie R 1 und R 2 der Bundesbesoldungsordnung;
- im Jahr 1996 bei Beamten und Richtern der Besoldungsgruppen A 4 bis A 13 (ohne A 10) sowie R 2 der Bundesbesoldungsordnung mit jeweils mehr als zwei unterhaltsberechtigten Kindern kinderbezogene Gehaltsbestandteile in einer dem Grundsatz der amtsangemessenen Alimentation entsprechenden Höhe festzusetzen.
2. Der Gesetzgeber hat die als verfassungswidrig beanstandete Rechtslage bis zum 31. Dezember 1999 mit der Verfassung in Übereinstimmung zu bringen.
Kommt der Gesetzgeber dem nicht nach, so gilt mit Wirkung vom 1. Januar 2000: Besoldungsempfänger haben für das dritte und jedes weitere unterhaltsberechtigte Kind Anspruch auf familienbezogene Gehaltsbestandteile in Höhe von 115 v.H. des durchschnittlichen sozialhilferechtlichen Gesamtbedarfs eines Kindes, der sich nach Maßgabe der Gründe zu C. III. 3. errechnet.
3. Die weitergehende Vorlage des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main im Verfahren 2 BvL 10/96 ist unzulässig.
 
Gründe:
 
A.
Gegenstand der Vorlagen ist die Vereinbarkeit der im Rubrum näher bezeichneten Vorschriften der Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetze 1987, 1988, 1991, 1992, 1993, 1994 und 1995 mit dem Grundgesetz, soweit sie die Alimentation von Beamten und Richtern mit mehr als zwei Kindern im Zeitraum von 1988 bis 1996 regeln.
Im Verfahren 2 BvL 10/96 ist zudem die Frage zur Prüfung vorgelegt, ob § 2 Abs. 1 des Bundesbesoldungsgesetzes (BBesG) insofern mit dem Grundgesetz vereinbar ist, als diese Vorschrift einer unmittelbar abschließenden Entscheidung der Gerichte über eine amtsan

BVerfGE 99, 300 (305):

gemessene Alimentation von Besoldungsempfängern mit mehr als zwei Kindern entgegensteht.
I.
Durch die Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetze 1987, 1988, 1991, 1992, 1993, 1994 und 1995 paßte der Gesetzgeber die Besoldungs- und Versorgungsbezüge der Beamten, Richter, Soldaten und Versorgungsempfänger der Entwicklung der allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse an. Die Erhöhungen traten im Vergleich zu den Tarifabschlüssen für den Arbeitnehmerbereich des öffentlichen Dienstes teilweise mit zeitlichen Verzögerungen in Kraft. Dadurch sollte ein spürbarer besonderer Beitrag zum Ausgleich der Kostenbelastungen geleistet werden, die nach der Einigung Deutschlands durch den wirtschaftlichen Aufbau in den neuen Bundesländern entstanden waren (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung zum BBVAnpG 93, BTDrucks 12/5472, S. 21). Zudem sollte durch das zeitliche Hinausschieben der linearen Erhöhungen ein besonderer Beitrag zur Haushaltsentlastung erbracht werden (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung zum BBVAnpG 94, BTDrucks 12/7706, S. 23). Der Ortszuschlag ab dem dritten Kind wurde über die allgemeinen Anpassungen hinaus nicht erhöht, obgleich das nach den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 30. März 1977 (BVerfGE 44, 249) und vom 22. März 1990 (BVerfGE 81, 363) geboten war. Dort hatte das Bundesverfassungsgericht festgestellt, daß die kinderbezogenen Gehaltsbestandteile vom dritten Kind an hinter den verfassungsrechtlichen Erfordernissen zurückgeblieben waren (vgl. BVerfGE 44, 249 [279]; 81, 363 [379]). Die Bundesregierung begründete ihre Entscheidung, die verfassungsgerichtlichen Vorgaben nicht umzusetzen, mit dem Zusammenhang von kinderbezogenen Besoldungsbestandteilen und der Neuordnung des Familienleistungsausgleichs, dessen endgültige Ausgestaltung erst feststehen müsse (vgl. Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zum BBVAnpG 95; BTDrucks 13/2210, S. 22).
Erst mit dem Gesetz zur Reform des öffentlichen Dienstrechts (Reformgesetz) vom 24. Februar 1997 (BGBl I S. 322) zog der Bun

BVerfGE 99, 300 (306):

desgesetzgeber für den Zeitraum vom 1. Januar 1977 bis 31. Dezember 1989 Folgerungen aus dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 22. März 1990. Kläger und Widerspruchsführer, die ihren Anspruch innerhalb des genannten Zeitraums geltend gemacht haben, ohne daß über diesen schon abschließend entschieden worden ist, erhalten für das dritte und jedes weitere im Ortszuschlag zu berücksichtigende Kind einen monatlichen Erhöhungsbetrag von 50,-- DM (Art. 14 § 3 Reformgesetz).
II.
1. Die Kläger der Ausgangsverfahren sind Beamte und Richter mit Dienstbezügen der Besoldungsgruppen A 4 bis A 15 (ohne A 10), B 2 sowie R 1 und R 2 BBesO. Sie sind verheiratet und haben mehr als zwei Kinder, für die sie Kindergeld und kinderbezogene Ortszuschläge erhalten haben. Die ihnen gewährte Besoldung halten sie im Hinblick auf die Kinderzahl für verfassungswidrig. Demgemäß beantragten sie bei ihrem jeweiligen Dienstherrn eine Erhöhung ihrer Bezüge. Nachdem die Anträge im Verwaltungsverfahren keinen Erfolg hatten, erhoben die Kläger der Ausgangsverfahren Klage zu den vorlegenden Verwaltungsgerichten.
Die Ausgangsverfahren betreffen die Besoldung in näher bestimmten Abschnitten des Zeitraums vom 1. Januar 1988 bis 31. Dezember 1996.
2. Die vorlegenden Gerichte haben die bei ihnen anhängigen Klageverfahren gemäß Art. 100 Abs. 1 GG ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung der Frage der Vereinbarkeit der im Rubrum näher bezeichneten Bestimmungen der Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetze mit dem Grundgesetz vorgelegt. Sie sind der Auffassung, die Begründetheit der Klagen hänge von der Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmungen ab. Erwiesen sie sich als mit dem Grundgesetz vereinbar, so müßten die Klagen abgewiesen werden. Im Falle ihrer Verfassungswidrigkeit seien die Verfahren nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bis zu einer Regelung durch den Gesetzgeber weiter auszusetzen. Auch dies sei im Sinne der Entscheidungserheblichkeit

BVerfGE 99, 300 (307):

gemäß Art. 100 Abs. 1 GG eine andere Entscheidung als im Falle der Gültigkeit der gesetzlichen Bestimmungen.
Die vorlegenden Gerichte halten die genannten Bestimmungen der Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetze für verfassungswidrig, soweit die kinderbezogenen Gehaltsbestandteile für verheiratete Besoldungsempfänger mit mehr als zwei Kindern festgesetzt sind. Hierzu nehmen sie im wesentlichen auf die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 30. März 1977 (BVerfGE 44, 249) und vom 22. März 1990 (BVerfGE 81, 363) Bezug. Ein Vergleich der Differenzbeträge zwischen den Nettobezügen verheirateter Beamter derselben Besoldungsgruppe mit zwei und mit drei (und mehr) Kindern zeige, daß den Klägern der Ausgangsverfahren ein angemessener Unterhalt ihrer Kinder nicht möglich gewesen sei, ohne weiter auf die familienneutralen Bestandteile des Gehalts zurückzugreifen.
Im Verfahren 2 BvL 26/91 ist das vorlegende Gericht der Auffassung, daß der Kläger des Ausgangsverfahrens zwar zum Kreis der Anspruchsberechtigten des Art. 14 § 3 Reformgesetz gehöre, wonach für die Jahre 1988 und 1989 für das dritte und jedes weitere im Ortszuschlag zu berücksichtigende Kind ein monatlicher Erhöhungsbetrag von 50,-- DM zu gewähren ist. Gleichwohl bleibe es bei einer deutlichen und damit verfassungswidrigen Unterschreitung der maßgeblichen Bedarfssätze.
3. Im Verfahren 2 BvL 10/96 hat das Verwaltungsgericht ferner die Frage zur Prüfung vorgelegt, ob die Vorschrift des § 2 Abs. 1 BBesG, wonach die Besoldung der Beamten durch Gesetz geregelt wird, verfassungswidrig sei. Dadurch sei es gehindert, von sich aus eine amtsangemessene Alimentation zuzusprechen. Dies widerspreche den Anforderungen aus der Rechtsschutzgarantie, dem Rechtsstaatsprinzip, dem Sozialstaatsprinzip, dem wechselseitig berechtigenden und verpflichtenden Dienst- und Treueverhältnis (Art. 33 Abs. 4 GG) und Art. 6 Abs. 1 GG. Dabei sei zu berücksichtigen, daß entgegen der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts hergebrachte Grundsätze des Berufsbeamtentums die Regelung des § 2 Abs. 1 BBesG nicht erforderten. Erforderlich sei effektiver Rechtsschutz gemäß Art. 19 Abs. 4 GG. Die Streitfrage einer ange

BVerfGE 99, 300 (308):

messenen Alimentation kinderreicher Beamter zeige jedoch, daß die bisherige Form des Rechtsschutzes gänzlich ineffektiv sei. Der Gesetzgeber habe trotz der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 30. März 1977 und vom 22. März 1990 die den Gegenstand der Vorlageverfahren bildende Frage nicht befriedigend beantwortet. Es sei daher geboten, den Verwaltungsgerichten zu erlauben, selbst eine höhere Besoldung zuzusprechen. Jedenfalls sei das Bundesverfassungsgericht gemäß § 35 BVerfGG aufgerufen, dem Unterlassen des Gesetzgebers im Wege der Vollstreckung zu begegnen.
III.
Zu den Vorlagebeschlüssen haben die Bundesregierung durch das Bundesministerium des Innern und der 2. Revisionssenat des Bundesverwaltungsgerichts Stellung genommen. Zudem haben sich im Verfahren 2 BvL 10/96 die Deutsche Post AG als Beklagte des Ausgangsverfahrens und in den Verfahren 2 BvL 26/91 sowie 5/96, 7/96, 8/96 und 9/96 die Kläger der Ausgangsverfahren geäußert.
1. Das Bundesministerium des Innern ist der Auffassung, daß das Besoldungsrecht in dem die Vorlageverfahren betreffenden Zeitraum verfassungskonform gewesen sei. Es gebe keinen hergebrachten Grundsatz des Berufsbeamtentums, nach dem die Kinderzuschläge von der Anzahl der Kinder abhängig zu machen seien. Eine punktuelle Korrektur des Ortszuschlagsrechts sei verfassungsrechtlich nicht geboten. Der Gesetzgeber habe die Entwicklung eines strukturellen Gesamtkonzepts zur Änderung des Besoldungssystems beabsichtigt, dessen vorläufiges Ergebnis das Reformgesetz vom 24. Februar 1997 bilde. Das Reformgesetz beziehe in das Gesamtkonzept einer stärker leistungsorientierten Besoldung auch eine weitere Verbesserung für Beamte und Richter mit mehr als zwei Kindern ein. Hierzu seien bereits vorher Vorarbeiten geleistet worden. Unmittelbar nach dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 22. März 1990 habe die Bundesregierung die sogenannte Besoldungskommission beauftragt, Überlegungen zur Umsetzung der Entscheidung anzustellen. Die erarbeiteten Vorschläge seien aber mit erheblichen Mehrkosten verbunden gewesen.


BVerfGE 99, 300 (309):

Bei der Beurteilung der Verfassungsgemäßheit der Alimentation von Beamten mit mehr als zwei Kindern seien auch die geplanten und inzwischen in Kraft getretenen Änderungen des Kindergeld- und Einkommensteuerrechts zu berücksichtigen. Durch die Weiterentwicklung des Familienlastenausgleichs zu einem Familienleistungsausgleich seien für die weitaus überwiegende Zahl der Familien mit Kindern ab dem Jahre 1996 erhebliche finanzielle Verbesserungen eingetreten. Hinzu kämen allgemeine Verbesserungen durch lineare Erhöhungen sowohl des familienbezogenen Bestandteils als auch der familienneutralen Bestandteile der Bezüge.
Eine Änderung des Ortszuschlagsrechts für den in den Vorlagebeschlüssen maßgeblichen Zeitraum sei von Verfassungs wegen nicht geboten gewesen. Zwar habe das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 22. März 1990 (für die Besoldungsgruppe A 11 BBesO) eine kinderbezogene Unteralimentation verheirateter Beamter mit drei oder mehr Kindern festgestellt. Zwischenzeitlich hätten sich die wirtschaftlichen und finanziellen Rahmenbedingungen sowie die Haushaltslage aber entscheidend verändert. Mit der Herstellung der Deutschen Einheit bereits kurz nach der Bekanntgabe der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 22. März 1990 sei dieser Beschluß in einen grundlegend veränderten Kontext gestellt worden. Der Staat habe insoweit eine historische Ausnahmesituation zu bewältigen. Zu einer weiteren erheblichen Veränderung der Rahmenbedingungen habe der Vertrag von Maastricht geführt. Die Sanierung der Staatsfinanzen sei auch zu einer gemeinschaftsrechtlichen Aufgabe geworden. Diese habe die finanziellen Handlungsspielräume für den Gesetzgeber weiter eingeschränkt.
Zu berücksichtigen sei ferner die Entscheidung des Gesetzgebers für das neue Besoldungssystem im Reformgesetz. Höhere als nunmehr vorgesehene familienbezogene Gehaltsbestandteile würden das ausgewogene Ämtersystem aus der Balance bringen sowie in der Öffentlichkeit als sachlich nicht zu begründendes Beamtenprivileg wahrgenommen.
Bei der Prüfung, ob die gebotene Alimentation der Kläger der Ausgangsverfahren gewährleistet sei, müsse auf das Gehalt als Gan

BVerfGE 99, 300 (310):

zes abgestellt werden. Das schließe die jährliche Sonderzuwendung und das Urlaubsgeld ein. Diese Leistungen seien aber nicht allgemein nach Art. 33 Abs. 5 GG geboten. Dem Alimentationsgrundsatz könne nicht entnommen werden, daß ein Beamter mit drei oder mehr Kindern im Vergleich zu einem Beamten mit zwei Kindern im absoluten Betrag eine dem Kinderbedarf entsprechende erhöhte Besoldung erhalten müsse. Allein entscheidend sei, daß auch der kinderreiche Beamte das alimentationsrelevante "Minimum an Lebenskomfort" befriedigen könne.
Zu bedenken sei auch, daß die Eingangsbesoldung durch das Haushaltsbegleitgesetz 1984 vom 22. Dezember 1983 (BGBl I S. 1532) für vier Jahre abgesenkt worden sei. Das Bundesverfassungsgericht habe diese Regelung nicht beanstandet, weil die untere Grenze amtsangemessener Alimentation nicht unterschritten worden sei (vgl. Beschluß [Vorprüfungsausschuß] vom 15. Januar 1985 - 2 BvR 1148/84 -). Der Beschluß zeige deutlich, daß dem Gesetzgeber eine Regelungsbandbreite zur Verfügung stehe.
Der Beamte habe auch auf die Belastbarkeit des Dienstherrn und dessen Gemeinwohlverantwortung Rücksicht zu nehmen. Dies gelte insbesondere im Hinblick auf die erforderliche Sanierung der Staatsfinanzen, die eine Aufgabe von überragender Bedeutung darstelle. Der vom Bundesverfassungsgericht erkannte Zusammenhang von Art. 33 Abs. 5 GG mit Art. 6 GG und dem Sozialstaatsprinzip könne nicht so verstanden werden, daß der Gesetzgeber diese Wertentscheidungen bei der Beamtenbesoldung losgelöst von anderen Belangen der staatlichen Gemeinschaft aufgreifen müsse.
Es treffe auch nicht zu, daß die Kläger der Ausgangsverfahren sich nicht einmal das "Minimum an Lebenskomfort" leisten könnten, das nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts über die bloße Unterhaltsgewährung hinaus zur Alimentation gehöre. Zudem habe der Gesetzgeber seinen Gestaltungsspielraum nicht "eindeutig evidentermaßen" überschritten (vgl. BVerfGE 44, 249 [267]).
2. Der 2. Revisionssenat des Bundesverwaltungsgerichts ist der Auffassung, daß es nach den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums grundsätzlich ausgeschlossen sei, durch gerichtliche Entscheidung Besoldungsleistungen zuzusprechen, die gesetz

BVerfGE 99, 300 (311):

lich nicht vorgesehen seien. Auch im Falle einer Verfassungswidrigkeit des geltenden Besoldungsrechts werde dem Beamten grundsätzlich zugemutet, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und eine danach etwa gebotene Neuregelung seines Besoldungsanspruchs durch den Gesetzgeber abzuwarten. Das gelte auch, nachdem durch den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 22. März 1990 (BVerfGE 81, 363) bestimmte Besoldungsregelungen für Beamte mit drei und mehr Kindern für verfassungswidrig erklärt worden seien, zumal dieser Beschluß nicht den nunmehr streitigen Zeitraum betreffe.
In materieller Hinsicht sei davon auszugehen, daß die in den Vorlagebeschlüssen genannten Vorschriften über die Besoldungshöhe Art. 33 Abs. 5 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 GG sowie das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) verletzten, wenn sie Beträge vorsähen, die den durch das Alimentationsprinzip verfassungsrechtlich garantierten Anspruch auf Gewährung eines amtsangemessenen ausreichenden Unterhalts für Beamte mit mehr als zwei unterhaltsberechtigten Kindern eindeutig nicht erfüllten.
3. Nach Ansicht der Deutschen Post AG ist schon zu fragen, weshalb der Gesetzgeber den Beamten im Unterschied zu den übrigen Bundesbürgern "doppelt Kindergeld" gewähre.
Bei der Ermittlung der "Angemessenheit" im Sinne des Alimentationsprinzips seien die wirtschaftlichen Gegebenheiten der Gegenwart heranzuziehen. Danach seien Beamte in weiten Teilen gleich oder besser gestellt als von der Ausbildung her vergleichbare Arbeitnehmer. Von der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung seien die Beamten in weiten Teilen unberührt. Bei einer wirtschaftlichen Verschlechterung der Situation der Gesamtbevölkerung und einer demgegenüber stabilen Situation der Beamtenschaft sei nunmehr eine "Überalimentation" auch von Beamten mit bis zu zwei Kindern festzustellen. Auf jeden Fall sei aber der Beamtenhaushalt mit drei und vier Kindern ausreichend alimentiert. Zudem bestehe keine Verpflichtung des Gesetzgebers, auch die Angehörigen des Beamten amtsangemessen zu alimentieren.
Zur Frage der Vereinbarkeit des § 2 Abs. 1 BBesG mit dem Grundgesetz weist die Deutsche Post AG darauf hin, daß nach der

BVerfGE 99, 300 (312):

Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts Gehalt und Versorgung nur nach Maßgabe eines verfassungsgemäßen Gesetzes gewährt werden dürften. Zudem habe der Gesetzgeber die Rechtslage für kinderreiche Familien mehrfach verbessert; es fehle also nicht an einem effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG).
4. Nach Auffassung des Klägers des Ausgangsverfahrens im Verfahren 2 BvL 26/91 war seine Alimentation für die Jahre 1988 und 1989 auch unter Berücksichtigung des Erhöhungsbetrags von 50,-- DM nach Art. 14 § 3 Reformgesetz nicht amtsangemessen.
5. Soweit in den Ausgangsverfahren 2 BvL 5/96, 7/96 und 8/96 die Klagen auch eine rückwirkende Erhöhung der Bezüge zum Gegenstand hatten, wurden sie abgetrennt und wegen nicht zeitnaher Geltendmachung der Ansprüche abgewiesen. Die Kläger in diesen Verfahren haben sich im wesentlichen mit der Frage der "zeitnahen Geltendmachung" auseinandergesetzt.
6. Der Kläger des Ausgangsverfahrens im Verfahren 2 BvL 9/96 hat sich zur Rechtslage nach Inkrafttreten des Reformgesetzes geäußert.
 
B.
Die - zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen - Vorlagen sind zulässig, soweit sie die im Rubrum näher bezeichneten Bestimmungen der Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetze betreffen (1). Die Vorlage 2 BvL 10/96 ist unzulässig, soweit sie die Vorschrift des § 2 Abs. 1 BBesG betrifft (2).
1. Die Vorlagebeschlüsse lassen mit hinreichender Deutlichkeit erkennen, daß die vorlegenden Gerichte im Falle der Gültigkeit der zur Prüfung gestellten Vorschriften zu einem anderen Ergebnis kämen als im Falle ihrer Ungültigkeit. Dieses ist auch hinreichend begründet (vgl. BVerfGE 7, 171 [173]; 37, 328 [333 f.]; 65, 308 [316]). Die Beschlüsse setzen sich eingehend mit der einfachrechtlichen Rechtslage auseinander und legen dar, mit welchem verfassungsrechtlichen Maßstab die im Rubrum näher bezeichneten Bestimmungen der Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetze nach Ansicht der vorlegenden Gerichte nicht vereinbar sind.


BVerfGE 99, 300 (313):

Das gilt auch für das Verfahren 2 BvL 10/96. Dort hat das vorlegende Gericht die Auffassung vertreten, daß den erstmals im Dezember 1994 und Januar 1995 rückwirkend für vergangene Haushaltsjahre erhobenen Besoldungsansprüchen eine mangelnde zeitnahe Geltendmachung (vgl. BVerfGE 81, 363 [385]) nicht entgegengehalten werden könne. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 22. März 1990 hätten die Kläger der Ausgangsverfahren davon ausgehen dürfen, daß der Gesetzgeber seiner verfassungsrechtlichen Pflicht zur Herstellung einer verfassungsmäßigen Besoldungsrechtslage ab dem Jahre 1990 nachkommen werde. Diese Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts ist nicht offensichtlich unhaltbar und daher für das Bundesverfassungsgericht bindend (vgl. nur BVerfGE 93, 386 [395]; stRspr).
2. Das vorlegende Gericht hat seine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Regelung des § 2 Abs. 1 BBesG nicht hinreichend begründet. Dabei kann dahinstehen, ob der Gesetzesvorbehalt für die Besoldung in § 2 Abs. 1 BBesG ein hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums ist. Selbst wenn dies zutreffen sollte, wäre der Gesetzgeber jedenfalls nicht gehindert, auf der Grundlage des Art. 74a Abs. 1 GG einen solchen Gesetzesvorbehalt einfachgesetzlich zu regeln. Dies ist mit § 2 Abs. 1 BBesG geschehen. Eine Verfassungswidrigkeit dieser Bestimmung zeigt das vorlegende Gericht nicht auf. Soweit das Gericht beanstandet, daß der Gesetzgeber die Frage amtsangemessener Alimentation von Beamten mit mehr als zwei Kindern trotz der beiden grundlegenden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts "nicht befriedigend gelöst" habe, ist es gerade der Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht vorbehalten, ob der Gesetzgeber gegebenenfalls Gründe hatte, die kinderbezogenen Gehaltsbestandteile von Bezügeempfängern mit mehr als zwei Kindern nicht zu erhöhen, und ob diese Gründe verfassungsrechtlich tragfähig sind. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hat der Gesetzgeber zu beachten; er darf eine mit der Verfassung unvereinbare Rechtslage nicht fortbestehen lassen. Sollte der Gesetzgeber die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht umsetzen, so ist es grundsätzlich nicht Aufgabe der Fachgerichte, für eine solche Umsetzung zu sorgen. Eine Vollstrec

BVerfGE 99, 300 (314):

kung seiner Entscheidungen im Sinne des § 35 BVerfGG ist dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten.
Soweit das vorlegende Gericht eine Unvereinbarkeit des § 2 Abs. 1 BBesG mit weiteren Verfassungsbestimmungen annimmt, bezeichnet es lediglich Artikel des Grundgesetzes, zeigt aber nicht auf, inwiefern diese verletzt sein könnten. Dies wird den Darlegungsanforderungen im Rahmen des Art. 100 Abs. 1 GG nicht gerecht (vgl. BVerfGE 86, 52 [57]; 88, 198 [201]; 89, 329 [337]).
 
C.
Die im Rubrum näher bezeichneten Vorschriften der Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetze in Verbindung mit der jeweiligen Anlage 2, die Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetze 1987 und 1988 auch in Verbindung mit Art. 14 § 3 des Reformgesetzes vom 24. Februar 1997, waren mit Art. 33 Abs. 5 GG nicht vereinbar, soweit der Gesetzgeber es unterlassen hat, die kinderbezogenen Gehaltsbestandteile bei verheirateten Beamten und Richtern der im Entscheidungsausspruch im einzelnen bezeichneten Besoldungsgruppen mit mehr als zwei Kindern in einer dem Grundsatz der amtsangemessenen Alimentation entsprechenden Höhe festzusetzen.
I.
Die verfassungsrechtlichen Maßstäbe zur amtsangemessenen Alimentation von Beamten mit mehr als zwei unterhaltsberechtigten Kindern hat das Bundesverfassungsgericht in seinen Beschlüssen vom 30. März 1977 (BVerfGE 44, 249) und vom 22. März 1990 (BVerfGE 81, 363) entwickelt. Hieran wird festgehalten.
1. a) Das Alimentationsprinzip gehört zu den hergebrachten und vom Gesetzgeber zu beachtenden Grundsätzen des Berufsbeamtentums im Sinne des Art. 33 Abs. 5 GG (vgl. nur BVerfGE 81, 363 [375]; stRspr). Es gibt dem einzelnen Beamten ein grundrechtsähnliches Individualrecht gegenüber dem Staat (vgl. BVerfGE 8, 1 [17]). Der Dienstherr ist danach verpflichtet, dem Beamten amtsangemessenen Unterhalt zu leisten. Dies umfaßt auch die Pflicht, die dem Beamten durch seine Familie entstehenden Unterhaltspflichten rea

BVerfGE 99, 300 (315):

litätsgerecht zu berücksichtigen. Damit trägt der Dienstherr nicht zuletzt der Aufgabe des Berufsbeamtentums Rechnung, im politischen Kräftespiel eine stabile, gesetzestreue Verwaltung zu sichern (vgl. BVerfGE 11, 203 [216 f.]; 39, 196 [201]; 44, 249 [265]).
b) Im Rahmen seiner Verpflichtung zur amtsangemessenen Alimentation hat der Gesetzgeber die Attraktivität des Beamtenverhältnisses für qualifizierte Kräfte und das Ansehen des Amtes in der Gesellschaft zu festigen, Ausbildungsstand, Beanspruchung und Verantwortung des Amtsinhabers zu berücksichtigen und dafür Sorge zu tragen, daß jeder Beamte außer den Grundbedürfnissen ein "Minimum an Lebenskomfort" befriedigen (vgl. BVerfGE 44, 249 [265 f.]; 76, 256 [324]; 81, 363 [376]) und seine Unterhaltspflichten gegenüber seiner Familie erfüllen kann. Aus der Sicherungsfunktion, welche die Alimentation für das Berufsbeamtentum hat, folgt daher, daß der Beamte nicht vor die Wahl gestellt werden darf, entweder ein "Minimum an Lebenskomfort" zu befriedigen oder, unter Verzicht darauf, eine Familie zu haben und diese entsprechend den damit übernommenen Verpflichtungen angemessen zu unterhalten. Bei der Beurteilung und Regelung dessen, was eine amtsangemessene Besoldung ausmacht, kann die Zahl der Kinder eines Beamten deshalb nicht ohne Bedeutung sein. Art. 33 Abs. 5 GG beläßt dem Gesetzgeber insoweit allerdings einen Gestaltungsspielraum (vgl. BVerfGE 44, 249 [267]; 81, 363 [376 f.]).
c) Ob die Dienstbezüge des Beamten amtsangemessen sind, beurteilt sich nach dem Nettoeinkommen. Daher steht es dem Gesetzgeber frei, das von der Verfassung vorgegebene Ziel durch eine entsprechende Bemessung der Bruttobezüge zu erreichen, die Beamten an einem allgemein gewährten Kindergeld teilhaben zu lassen, steuerrechtlich die durch den Kindesunterhalt verminderte Leistungsfähigkeit auszugleichen oder diese Möglichkeiten miteinander zu verbinden (vgl. BVerfGE 81, 363 [375 f.]).
2. Das Bundesverfassungsgericht ist in seinen Entscheidungen vom 30. März 1977 und vom 22. März 1990 davon ausgegangen, daß die Einkommensverhältnisse der Beamtenfamilie mit einem oder zwei Kindern in allen Stufen der Besoldungsordnung zum damaligen Zeitpunkt im wesentlichen amtsangemessen waren, der bei

BVerfGE 99, 300 (316):

größerer Kinderzahl entstehende Mehrbedarf hingegen durch zusätzliche Leistungen gedeckt werden muß (vgl. BVerfGE 81, 363 [377 f.]).
Der Gesetzgeber überschreitet seinen Gestaltungsspielraum, wenn er dem Beamten zumutet, für den Unterhalt seines dritten und weiterer Kinder auf die familienneutralen Bestandteile seines Gehalts zurückzugreifen, um den Bedarf seiner Kinder zu decken. Die damit verbundene, mit wachsender Kinderzahl fortschreitende Auszehrung der familienneutralen Gehaltsbestandteile ist nicht hinnehmbar, weil so der Beamte mit mehreren Kindern den ihm zukommenden Lebenszuschnitt nicht oder nur zu Lasten seiner Familie erreichen kann (vgl. BVerfGE 81, 363 [378]).
3. Bei der Bemessung des zusätzlichen Bedarfs, der für das dritte und die weiteren Kinder des Beamten entsteht und vom Dienstherrn über die Alimentation der Zwei-Kinder-Familie hinaus zu decken ist, kann der Gesetzgeber von denjenigen Regelsätzen für den Kindesunterhalt ausgehen, die die Rechtsordnung zur Verfügung stellt. Allerdings sind diese Sätze auf die Befriedigung unterschiedlicher Bedürfnisse hin ausgerichtet. Ihre ungleiche Aussagekraft für die Höhe des dem Beamten von seinem Dienstherrn geschuldeten amtsangemessenen Unterhalts hat der Gesetzgeber in Rechnung zu stellen. So sind etwa Bedarfssätze, die an dem äußersten Mindestbedarf eines Kindes ausgerichtet sind, also insbesondere die Sozialhilfesätze, staatliche Hilfen zur Erhaltung eines Mindestmaßes sozialer Sicherung. Die Alimentation des Beamten und seiner Familie ist demgegenüber etwas qualitativ anderes. Diesen Unterschied muß die Bemessung der kinderbezogenen Bestandteile des Beamtengehalts deutlich werden lassen (BVerfGE 81, 363 [378]).
II.
Die hiergegen erhobenen Einwände greifen nicht durch. Die Gewährung kinderbezogener Gehaltsbestandteile ist weder ein "Beamtenprivileg" noch handelt es sich dabei um "doppeltes Kindergeld" (1). Die wirtschaftlichen Verhältnisse im Zeitraum 1988 bis 1996 lassen nicht den Schluß zu, es sei eine Verschlechterung der

BVerfGE 99, 300 (317):

allgemeinen Lebensverhältnisse eingetreten, die auf das dem Beamten zu gewährleistende "Minimum an Lebenskomfort" durchgegriffen hätte (2). Der als Vergleichsmaßstab herangezogene verheiratete Beamte mit zwei Kindern war auch im hier zur Überprüfung stehenden Zeitraum nicht überalimentiert (3). Aus der vom Bundesverfassungsgericht nicht beanstandeten Absenkung der Eingangsbesoldung durch das Haushaltsbegleitgesetz 1984 ergeben sich für die vorliegenden Verfahren keine Konsequenzen (4). Schließlich rechtfertigen die aufgrund der Deutschen Einheit und der europäischen Währungsunion veränderten Rahmenbedingungen keine "Sonderbelastung" der Beamten mit mehr als zwei Kindern (5).
1. Es wird den durch Art. 33 Abs. 5 GG gewährleisteten Besonderheiten des Beamtenverhältnisses nicht gerecht, in der Zuwendung kinderbezogener Gehaltsbestandteile ein "Beamtenprivileg" oder ein "doppeltes Kindergeld" zu sehen. Das Beamtenverhältnis ist kein Dienstvertrag im herkömmlichen Sinne, insbesondere ist es kein entgeltliches Arbeitsverhältnis, aufgrund dessen eine nach Inhalt, Zeit und Umfang begrenzte Arbeitsleistung geschuldet wird und als Entgelt dafür ein Anspruch auf Entlohnung erwächst. Das Beamtenverhältnis begründet vielmehr für den Beamten und den Dienstherrn je selbständige Pflichten. Diese folgen unmittelbar aus dem Gesetz, sie werden nicht vertraglich vereinbart. Der Beamte hat die Pflicht, dem Dienstherrn seine Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen. Der Dienstherr ist verpflichtet, dem Beamten den amtsangemessenen Unterhalt für sich und seine Familie zu gewähren (vgl. BVerfGE 11, 203 [216 f.]; 39, 196 [201]; 44, 249 [265]). Die Berücksichtigung der Kinderzahl bei der Besoldung ist daher kein "Beamtenprivileg", sondern Inhalt der geschuldeten Alimentation.
2. Eine Neubestimmung des "Minimums an Lebenskomfort" ist nicht geboten.
a) In den Jahren 1978 bis 1996 sind die Einkommen in der Bundesrepublik Deutschland regelmäßig stärker gestiegen als die Preise. Dies ergibt sich zunächst aus den Erhebungen des Statistischen Bundesamtes im Rahmen der Einkommens- und Verbrauchsstichproben 1978, 1983, 1988 und 1993 zu dem Bruttoeinkommen aus

BVerfGE 99, 300 (318):

unselbständiger Arbeit und zum Haushaltsnettoeinkommen (vgl. Statistisches Bundesamt, Wirtschaftsrechnungen, Fachserie 15, jeweils Heft 4 - Einnahmen und Ausgaben privater Haushalte -). Ein Vergleich mit dem Preisindex für die Lebenshaltung (vgl. Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 1997, S. 650) zeigt, daß sich Einkommensentwicklung und Preisentwicklung in den Erhebungsjahren bis zum Jahre 1988 im wesentlichen die Waage hielten, während im Jahre 1993 die Einkommenssteigerung größer war als die Preissteigerung.
Bestätigt wird dies durch die Einkommens- und Preisentwicklung von 1978 bis 1996. Die entsprechenden Nachweisungen des Haushaltsnettoeinkommens durch das Statistische Bundesamt in den laufenden Wirtschaftsrechnungen lassen eine im wesentlichen stärkere Steigerung des Einkommens als der Preise erkennen (vgl. Statistische Jahrbücher 1978, S. 436 f.; 1983, S. 448 f.; 1988, S. 460 f.; 1991, S. 534 f.; 1996, S. 546 f.; 1997, S. 566 f.).
b) Auch ein Blick auf das Volkseinkommen je Einwohner (vgl. Statistische Jahrbücher 1993, S. 694; 1996, S. 655; 1997, S. 680), der die Veränderungen am Arbeitsmarkt einbezieht, weist nicht auf eine allgemeine Verschlechterung der wirtschaftlichen Bedingungen hin. Es fällt auf, daß das Volkseinkommen je Einwohner trotz zunehmender Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik Deutschland stetig angestiegen ist. Dies gilt sowohl für das frühere Bundesgebiet als auch für das wiedervereinigte Deutschland. Eine Ausnahme bildet insoweit nur das Jahr 1993, in dem eine gewisse Stagnation festzustellen ist. Der leichte Rückgang des Volkseinkommens je Einwohner (im früheren Bundesgebiet) ist jedoch bereits im Jahre 1994 durch eine erhebliche Steigerung mehr als nur aufgefangen worden.
Das Volkseinkommen je Einwohner ist regelmäßig auch stärker angestiegen als die Preise. Von einer "Aufzehrung" durch die Preissteigerung kann daher nicht die Rede sein. Insoweit bilden lediglich die Jahre 1993 und 1994 eine Ausnahme. Eine nachhaltige Verschlechterung der gegebenen wirtschaftlichen Gesamtsituation läßt sich hieraus jedoch nicht ableiten. Schon im Jahre 1995 ist das Volkseinkommen je Einwohner wieder stärker gestiegen als die Preise.


BVerfGE 99, 300 (319):

Folgerichtig hat auch der Gesetzgeber nicht auf eine vermeintliche Verschlechterung der wirtschaftlichen Gesamtsituation reagiert. Vielmehr wurden nach den Begründungen zu den Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetzen auch in den Jahren 1993 und 1994 die Besoldungs- und Versorgungsbezüge erhöht, um diese an die Entwicklung der allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse anzupassen (vgl. die jeweilige Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zum BBVAnpG 93 [BTDrucks 12/5472, S. 21] und zum BBVAnpG 94 [BTDrucks 12/7706, S. 23]). Mithin läßt sich die statistisch ermittelte Steigerung der Einkommen nicht auf die Erhöhung der Beamtenbesoldung zurückführen.
c) Abgerundet wird dieses Bild durch die Ausgaben und Aufwendungen privater Haushalte für den Privaten Verbrauch. Diese sind in den Einkommens- und Verbrauchsstichproben 1978, 1983, 1988 und 1993 des Statistischen Bundesamtes nachgewiesen (vgl. Statistisches Bundesamt, Wirtschaftsrechnungen, Fachserie 15, jeweils Heft 4 - Einnahmen und Ausgaben privater Haushalte - und Heft 5 - Aufwendungen privater Haushalte für den Privaten Verbrauch -). Den dortigen Nachweisungen können die vom Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 30. März 1977 genannten Beispiele zur Erläuterung dessen, was im Hinblick auf den allgemeinen Lebensstandard und die allgemeinen Verbrauchs- und Lebensgewohnheiten zum "Minimum an Lebenskomfort" gehört (vgl. BVerfGE 44, 249 [265 f.]), entnommen werden. Dabei zeigt sich, daß der prozentuale Anteil der Ausgaben für den jeweiligen Gegenstand, gemessen an den Gesamtausgaben und -aufwendungen, im wesentlichen auf gleichem Niveau geblieben ist.
d) Schließlich ändert auch die Lage am Arbeitsmarkt nichts an dem oben gewonnenen Befund. Zwar sind Beamte - soweit sie auf Lebenszeit ernannt sind - weitgehend vor Entlassung geschützt. Rückschlüsse auf das "Minimum an Lebenskomfort" sind jedoch schon deshalb nicht möglich, weil sich dieses nach den Bedürfnissen bestimmt, die der arbeitende Mensch befriedigen können soll (vgl. BVerfGE 44, 249 [265]).
3. Ist das "Minimum an Lebenskomfort" nach alledem nicht deshalb neu zu bestimmen, weil sich die allgemeinen Verhältnisse ver

BVerfGE 99, 300 (320):

schlechtert hätten, so kann im zu beurteilenden Zeitraum auch nicht von einer "Überalimentation" der bislang als Maßstab dienenden vierköpfigen Beamtenfamilie ausgegangen werden. Auch die Besoldung dieser Beamtengruppe wurde lediglich entsprechend den allgemeinen finanziellen und wirtschaftlichen Verhältnissen erhöht (vgl. die jeweilige Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zum BBVAnpG 93 [BTDrucks 12/5472, S. 21] und zum BBVAnpG 94 [BTDrucks 12/7706, S. 23]).
4. Aus der vom Bundesverfassungsgericht (Vorprüfungsausschuß) im Beschluß vom 15. Januar 1985 - 2 BvR 1148/84 - (NVwZ 1985, S. 333) nicht beanstandeten Absenkung der Eingangsbesoldung durch das Haushaltsbegleitgesetz 1984 vom 22. Dezember 1983 (BGBl I S. 1532) ergibt sich nichts anderes. Das Bundesverfassungsgericht hat dort lediglich seine ständige Rechtsprechung wiederholt, nach der dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum zukommt (vgl. nur BVerfGE 13, 356 [362]; 56, 87 [95]; 64, 367 [378 f.]). Mit der hier in Rede stehenden Frage der amtsangemessenen Alimentation kinderreicher Beamter hatte sich das Bundesverfassungsgericht in dem genannten Beschluß nicht zu befassen.
5. Die amtsangemessene Alimentation ist schließlich auch nicht wegen der Auswirkungen der Deutschen Einheit sowie des Vertrags von Maastricht auf die öffentlichen Haushalte neu zu bestimmen. Dabei wird die vom Staat zu bewältigende historische Ausnahmesituation nicht verkannt. Gemeinwohlbelange dieser Art darf der Gesetzgeber bei der Regelung der Besoldung im Rahmen seines ihm in diesem Bereich grundsätzlich zustehenden weiten Gestaltungsspielraums berücksichtigen. Allerdings hat er zu beachten, daß die vom Dienstherrn nach Maßgabe der Verfassung geschuldete Alimentation nicht eine dem Umfang nach beliebig variable Größe ist (vgl. BVerfGE 44, 249 [264]).
Nur kinderreichen Beamten einen "Sonderbeitrag" abzuverlangen, ist von Verfassungs wegen nicht zulässig. Eine amtsangemessene Alimentation läßt sich auch ohne Erhöhung der Gesamtausgaben für die Besoldung der Beamten erreichen.


BVerfGE 99, 300 (321):

III.
1. Der Gesetzgeber hat seinen ihm im Besoldungs- und Versorgungsrecht grundsätzlich zustehenden weiten Gestaltungsspielraum überschritten, wenn er es dem Beamten zumutet, für den Unterhalt seines dritten und jedes weiteren Kindes auf die familienneutralen Bestandteile des Gehalts zurückzugreifen, soweit es sich um die Deckung des Bedarfs handelt, wie er in den von der Rechtsordnung vorgesehenen Regelsätzen für den Kindesunterhalt als angemessen erachtet wird. Die mit wachsender Kinderzahl verbundene fortschreitende Auszehrung der familienneutralen Gehaltsbestandteile ist nicht hinnehmbar, weil so der Beamte mit mehreren Kindern den ihm zukommenden Lebenszuschnitt nicht oder nur zu Lasten seiner Familie erreichen kann (vgl. BVerfGE 81, 363 [378]).
2. Die hierzu notwendigen Berechnungen beruhen auf den - vom Bundesministerium des Innern ermittelten - jeweiligen Nettoeinkommen (vgl. BVerfGE 81, 363 [376]). Es ist dabei von den jährlichen Bezügen ausgegangen. Dazu gehören das Grundgehalt (in der Endstufe), der Ortszuschlag, die Stellenzulage nach Nr. 27 der Vorbemerkungen zu den Bundesbesoldungsordnungen A und B, die jährliche Sonderzuwendung und das Urlaubsgeld sowie etwaige Einmalzahlungen. Die Nettobezüge ergeben sich nach Abzug der Lohnsteuer (nach Maßgabe der besonderen Lohnsteuertabellen), der Kirchensteuer (Kirchensteuersatz: 8 v.H.) und des Solidaritätszuschlags (soweit dieser im maßgeblichen Jahr erhoben wurde) und unter Hinzurechnung des Kindergeldes.
3. Ob der Gesetzgeber mit den zur Prüfung vorgelegten Besoldungsvorschriften eine ausreichende Alimentation von Beamten mit mehr als zwei Kindern sichergestellt hat, beurteilt sich auf der Basis des sozialhilferechtlichen Gesamtbedarfs. Hierzu hat das Bundesverfassungsgericht bereits ausgeführt, daß die Alimentation des Beamten demgegenüber etwas qualitativ anderes ist (vgl. BVerfGE 44, 249 [264 f.]). Dieser Unterschied muß bei der Bemessung der kinderbezogenen Bestandteile des Beamtengehalts sichtbar werden. Ein um 15 v.H. über dem sozialhilferechtlichen Gesamtbedarf liegender Betrag ("15 v.H.-Betrag") läßt den verfassungsgebotenen Unterschied zwischen der der Sozialhilfe obliegenden Befrie

BVerfGE 99, 300 (322):

digung eines äußersten Mindestbedarfs und dem dem Beamten (und seiner Familie) geschuldeten Unterhalt derzeit hinreichend deutlich werden (vgl. BVerfGE 81, 363 [382 f.]). Diese Berechnungsmethode führt nicht zu einer absoluten Bestimmung dessen, was die dem Beamten zu gewährende Alimentation ausmacht. Weisen die dem Beamten für sein drittes und jedes weitere Kind gewährten Zuschläge nicht einmal einen Abstand von 15 v.H. zum sozialhilferechtlichen Gesamtbedarf auf, so hat der Gesetzgeber den ihm zustehenden Gestaltungsspielraum überschritten.
Vorliegend errechnet sich der sozialhilferechtliche Gesamtbedarf zunächst durch Bildung eines Durchschnitts-Regelsatzes nach § 22 Bundessozialhilfegesetz für das bisherige Bundesgebiet (vgl. hierzu den Bericht der Besoldungskommission Bund/
Länder über besoldungsrechtliche Folgerungen aus der am 1. Januar 1983 in Kraft getretenen einkommensabhängigen Kürzung des Kindergeldes vom 30. Januar 1984, [BLK-Bericht 1984] S. 9 sowie BVerfGE 82, 60 [94]; 91, 93 [112]). Hinzuzurechnen ist ein durchschnittlicher Zuschlag von 20 v.H. zur Abgeltung einmaliger Leistungen zum Lebensunterhalt (vgl. NDV 1995, S. 1 [S. 10, C. IV. b]; BVerwG, Urteil vom 20. Juni 1996 - BVerwG 2 C 7.95 -; BLK-Bericht 1984, S. 9), ferner die Kosten der Unterkunft ausgehend von einem Wohnbedarf von 11 m2 pro Kind (vgl. BVerfG, Beschluß vom 10. November 1998 - 2 BvL 42/93 -, Umdruck S. 26 f., 31; Unterrichtung durch die Bundesregierung, Bericht über die Höhe des Existenzminimums von Kindern und Familien im Jahr 1996, BTDrucks 13/381, S. 4). Zugrundegelegt ist insoweit die vom Statistischen Bundesamt in der sogenannten 1 %-Gebäude- und Wohnungsstichprobe 1993 ermittelte Durchschnittsmiete in den alten Bundesländern von 9,53 DM je m2 (vgl. Statistisches Bundesamt, Bautätigkeit und Wohnungen, 1 %-Gebäude- und Wohnungsstichprobe 1993, Fachserie 5, Heft 3, S. 35). Diese Durchschnittsmiete wurde anhand des Mietenindexes des Statistischen Bundesamtes (abgedruckt im Wohngeld- und Mietenbericht 1997; BTDrucks 13/10384, S. 21) zurückgerechnet und fortgeschrieben. Schließlich sind die Energiekosten für ein Kind mit 20 v.H. der Kaltmiete berücksichtigt (vgl. hierzu BTDrucks 13/381, S. 4).
4. Dem "15 v.H.-Betrag", der den verfassungsgebotenen Unter

BVerfGE 99, 300 (323):

schied zwischen der Alimentation und der Deckung eines äußersten Mindestbedarfs derzeit deutlich werden läßt, wird der durchschnittliche Nettomehrbetrag gegenübergestellt, den der Beamte für sein drittes und jedes weitere Kind erhält. Dies entspricht der Vorgabe an den Gesetzgeber, nach der das Nettoeinkommen ausreichend sein muß, um den Beamten einschließlich seiner Familie amtsangemessen zu alimentieren. Die Heranziehung des durchschnittlichen Nettomehrbetrages trägt ferner dem Umstand Rechnung, daß wegen der bis zum Jahre 1995 geltenden einkommensabhängigen Kindergeldminderung ab dem zweiten Kind zum Teil - statt des zu erwartenden gleichmäßigen Verlaufs - Sprünge bei der Ermittlung des Nettomehrbetrages von Kind zu Kind auftraten. Dieser durch den Wegfall der einkommensabhängigen Kindergeldminderung entstehende höhere Mehrbetrag kann allerdings nicht als Nettomehrbetrag für das Kind angesehen werden, das zum Wegfall der Kindergeldminderung geführt hat. Insofern ist er auf das dritte, vierte, fünfte (usw.) Kind zu verteilen.
IV.
Diesen Maßstäben wurden die im Rubrum näher bezeichneten Regelungen nicht gerecht. Dies zeigen die folgenden Vergleichsberechnungen pro Monat.
[Tabelle in der DFR-Edition nicht wiedergegeben.]


BVerfGE 99, 300 (329):

Diese Vergleichsberechnungen zeigen, daß die Besoldung verheirateter Beamter mit mehr als zwei unterhaltsberechtigten Kindern in den die Vorlageverfahren betreffenden Besoldungsgruppen in bezug auf das dritte und jedes weitere Kind den verfassungsgebotenen Mindestabstand von 15 v.H. zur Sozialhilfe nicht eingehalten hat. Es wurde nicht einmal der sozialhilferechtliche Gesamtbedarf für ein Kind durch die bei steigender Kinderzahl gewährten Nettomehrbeträge ausgeglichen. Dies gilt in den Jahren 1988 und 1989 für die hier allein zu überprüfende Besoldungsgruppe B 2 auch unter Hinzurechnung von 50,-- DM je Kind im Monat (Art. 14 § 3 Reformgesetz).
Nach alledem hat der Gesetzgeber den ihm zustehenden Gestaltungsspielraum überschritten. Er ist mit den zur Prüfung vorgelegten Regelungen deutlich unterhalb der Grenze geblieben, welche die den Beamten der jeweiligen Besoldungsgruppen mit mehr als zwei Kindern geschuldete Alimentation nicht unterschreiten darf.
Bestätigt wird dieses Ergebnis durch den "Bericht der Besoldungskommission Bund/Länder über besoldungsrechtliche Folgerungen für eine verfassungskonforme kinderbezogene Besoldung aus dem Beschluß des BVerfG vom 22. März 1990 (2 BvL 1/86)" aus dem Jahre 1992 (BLK-Bericht 1992). Dort wird eine erhebliche Unteralimentierung über den gesamten Zeitraum 1. Februar 1981 bis 31. Dezember 1989 und ab 1. Januar 1990 festgestellt (vgl. S. 24 des Berichts). Auch in der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetz 1995 (BTDrucks 13/2210, S. 22) wird ausgeführt, daß

BVerfGE 99, 300 (330):

"die im Hinblick auf den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 22. März 1990 - 2 BvL 1/86 - zur amtsangemessenen Alimentation von Beamten mit drei und mehr Kindern gebotene Erhöhung des Ortszuschlags ab dem dritten Kind (...) noch nicht umgesetzt werden" konnte.
V.
Angesichts des festgestellten Verstoßes gegen Art. 33 Abs. 5 GG kommt es nicht mehr darauf an, ob der Gesetzgeber auch gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen hat. Diese Frage kann, wie in den Entscheidungen vom 30. März 1977 und vom 22. März 1990, offen bleiben.
 
D.
Die im Rubrum näher bezeichneten Vorschriften über den Zeitpunkt des Inkrafttretens der jeweiligen Art. I § 1 und Art. I der BBVAnpG halten der verfassungsrechtlichen Überprüfung ebenfalls nicht stand. Auch sie verstoßen gegen Art. 33 Abs. 5 GG.
I.
In seinem Beschluß vom 22. März 1990 (vgl. BVerfGE 81, 363 [383 ff.]) hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, der Gesetzgeber sei - nachdem die Entscheidung vom 30. März 1977 (BVerfGE 44, 249) im Juli desselben Jahres bekannt geworden war - verpflichtet gewesen, die in jener Entscheidung als seit dem 1. Januar 1975 verfassungswidrig beanstandete Rechtslage mit Wirkung vom 1. Januar 1977 mit der Verfassung in Übereinstimmung zu bringen. Allerdings sei eine allgemeine rückwirkende Behebung dieses Verfassungsverstoßes nicht (mehr) geboten gewesen. Die rückwirkende Korrektur habe sich auf solche Beamte beschränken können, die ihren Anspruch auf amtsangemessene Alimentation zeitnah, also während des laufenden Haushaltsjahres, gerichtlich oder durch Widerspruch geltend gemacht hätten (vgl. BVerfGE 81, 363 [385]). Das Bundesverfassungsgericht hat dies aus den Besonderheiten des Beamtenverhältnisses gefolgert (vgl. BVerfGE 81, 363 [384 ff.]). Hieran wird festgehalten.


BVerfGE 99, 300 (331):

II.
Für die hier zu entscheidenden Verfahren folgt daraus:
1. Soweit Besoldungsansprüche der Jahre 1988 und 1989 in Rede stehen (Verfahren 2 BvL 26/91), war der Gesetzgeber aufgrund des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 22. März 1990 (BVerfGE 81, 363) gegenüber solchen Beamten, die ihre Ansprüche zeitnah geltend gemacht hatten, verpflichtet, eine der Verfassung entsprechende Besoldungsrechtslage herzustellen. Dieser Verpflichtung ist er nicht nachgekommen. Der mittlerweile in Art. 14 § 3 Abs. 1 des am 1. Juli 1997 in Kraft getretenen Reformgesetzes vorgesehene Erhöhungsbetrag von 50,-- DM je Kind und Monat ist hierzu nicht geeignet.
2. Für Besoldungsansprüche ab 1990 gilt: Der Gesetzgeber war - nachdem die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 22. März 1990 im Juli 1990 bekannt geworden war - verpflichtet, die in dieser Entscheidung als verfassungswidrig beanstandete Rechtslage mit Wirkung zum 1. Januar 1990 mit der Verfassung in Übereinstimmung zu bringen. Dies ist nicht geschehen.
3. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, die in dieser Entscheidung als verfassungswidrig beanstandete Rechtslage mit der Verfassung in Übereinstimmung zu bringen. Eine allgemeine rückwirkende Behebung des Verfassungsverstoßes ist mit Blick auf die bereits im Beschluß vom 22. März 1990 näher erläuterten Besonderheiten des Beamtenverhältnisses nicht geboten. Eine rückwirkende Behebung ist jedoch - jeweils soweit der Anspruch auf amtsangemessene Alimentation zeitnah gerichtlich geltend gemacht worden ist - sowohl hinsichtlich der Kläger der Ausgangsverfahren als auch solcher Kläger, über deren Anspruch noch nicht abschließend entschieden worden ist, erforderlich. Eine später eintretende Rechtshängigkeit ist unschädlich, wenn die Klage wegen der für ein erforderliches Vorverfahren benötigten Zeit nicht rechtzeitig erhoben werden konnte.
 
E.
Die Entscheidungsformel zu 2. beruht auf § 35 BVerfGG. Die Maßnahme ist geboten, weil der Gesetzgeber trotz der ihm in den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 30. März 1977

BVerfGE 99, 300 (332):

und vom 22. März 1990 gegebenen Handlungsaufträge die kinderbezogenen Gehaltsbestandteile von Beamten mit mehr als zwei unterhaltsberechtigten Kindern bis zum Jahre 1996 (und möglicherweise auch danach) nicht in einer mit dem Grundsatz der Alimentation vereinbaren Höhe festgesetzt hat. Erfüllt der Gesetzgeber seine durch diese Entscheidung erneut festgestellte Verpflichtung nicht bis zum 31. Dezember 1999, so sind die Dienstherren verpflichtet, für das dritte und jedes weitere unterhaltsberechtigte Kind familienbezogene Gehaltsbestandteile in Höhe von 115 v.H. des durchschnittlichen sozialhilferechtlichen Gesamtbedarfs eines Kindes zu gewähren (vgl. oben C. III. 3.). Die Fachgerichte sind befugt, familienbezogene Gehaltsbestandteile nach diesem Maßstab zuzusprechen.
Limbach, Kirchhof, Winter, Sommer, Jentsch, Hassemer, Broß, Osterloh