BVerfGE 112, 118 - Vermittlungsausschuss


BVerfGE 112, 118 (118):

Die Mitglieder des Bundestages im Vermittlungsausschuss müssen die politischen Stärkeverhältnisse im Plenum des Bundestages nach dem Grundsatz der Spiegelbildlichkeit repräsentieren. Funktion und Aufgaben des Vermittlungsausschusses fordern keine zwingende Ausrichtung der Besetzung des Ausschusses am Mehrheitsprinzip in einem Umfang, dass der Grundsatz der Spiegelbildlichkeit im Zweifel zu weichen hätte.
 
Urteil
des Zweiten Senats vom 8. Dezember 2004 aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 5. Mai 2004
-- 2 BvE 3/02 --
in dem Organstreitverfahren über den Antrag festzustellen, dass der Deutsche Bundestag Rechte der Antragstellerin aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit Art. 40 Abs. 1 Satz 2, Art. 21 Abs. 1, Art. 20 Abs. 2 und Art. 77 Abs. 2 GG verletzt hat, indem sein Beschluss vom 30. Oktober 2002 (Plenarprotokoll 15/5, Stenografischer Bericht, S. 177 B) vorsieht, für die Zusammensetzung der Bundestagsbank im Vermittlungsausschuss das Verfahren St. Lagumit der Maßgabe anzuwenden, dass die zu verteilende Anzahl der Sitze um einen reduziert wird und der unberücksichtigte Platz der stärksten Fraktion zugewiesen wird, Antragstellerin: CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, vertreten durch ihre Vorsitzende Dr. Angela Merkel, Platz der Republik 1, 11011 Berlin, -- Bevollmächtigter: Prof. Dr. Michael Brenner, Universität Jena, Juristische Fakultät, 07740 Jena -- Antragsgegner: Deutscher Bundestag, vertreten durch den Präsidenten Wolfgang Thierse, Platz der Republik 1, 11011 Berlin, -- Bevollmächtigter: Prof. Dr. Joachim Wieland, LL.M., Gregor-Mendel-Straße 13, 53115 Bonn.
Entscheidungsformel:
Der Antragsgegner ist verpflichtet, über die Grundsätze, nach denen die Mitglieder des Deutschen Bundestages in den Vermittlungsausschuss entsandt werden, nach Maßgabe der Gründe dieser Entscheidung erneut zu beschließen.
 
Gründe:
Das Organstreitverfahren betrifft den Beschluss des Deutschen Bundestages vom 30. Oktober 2002, der das Verfahren für die Berechnung der Sitzanteile der Fraktionen bei der Besetzung der Ausschüsse und anderer Gremien festlegt.
 


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A. -- I.
1. Der Deutsche Bundestag fasst zu Beginn jeder Wahlperiode einen Beschluss über das Zählverfahren, nach dem die Sitzanteile der Fraktionen berechnet werden, um die Sitze im Ältestenrat sowie in den Bundestagsausschüssen zuzuteilen, und nach dem das Zugriffsrecht auf die Ausschussvorsitze geregelt wird (vgl. § 57 Abs. 1 in Verbindung mit § 12 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages -- GOBT -- in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Juli 1980, BGBl. I S. 1237, zuletzt geändert laut Bekanntmachung vom 12. Februar 1998, BGBl. I S. 428, Beschluss der Fortgeltung im 15. Deutschen Bundestag, Plenarprotokoll 15/1 vom 17. Oktober 2002, S. 8 A, BTDrucks 15/1). Das Zählverfahren wird auch für Wahlen angewendet, die der Deutsche Bundestag zur Besetzung anderer Gremien, wie insbesondere des Gemeinsamen Ausschusses nach Art. 53a Abs. 1 Satz 2 GG und des Ausschusses nach Art. 77 Abs. 2 GG (Vermittlungsausschuss), vornimmt. In der Vergangenheit hat es dabei immer wieder Wechsel der Zählverfahren für die Gremienbesetzung gegeben.
2. Nach der Bundestagswahl vom 22. September 2002 beschloss der Deutsche Bundestag auf seiner konstituierenden Sitzung am 17. Oktober 2002 auf den Antrag aller Fraktionen die Weitergeltung des Geschäftsordnungsrechts (BTDrucks 15/1 und Beschluss vom 17. Oktober 2002, Plenarprotokoll 15/1 S. 8 A). Auf seiner 5. Sitzung am 30. Oktober 2002 beriet der Deutsche Bundestag unter den Tagesordnungszusatzpunkten 1 bis 2 über zwei Anträge zur Bestimmung des Verfahrens für die Berechnung der Sitzanteile der Fraktionen in allen Gremien und Ausschüssen der 15. Wahlperiode.
Der Antrag der Fraktionen von CDU/CSU und FDP (BTDrucks 15/18) sah vor, dass die Sitzanteile der Fraktionen nach dem Verfahren nach St. Laguberechnet werden sollten. Der Antrag der Fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (BTDrucks 15/17) enthielt eine zusätzliche Regelung für den Fall, dass nach der Anwendung des Verfahrens nach St. Lagudie parlamentarische Mehrheit in dem betreffenden Gremium nicht wiedergegeben würde. In diesem Fall sollte eine Verteilung nach dem Verfahren nach d'Hondt errechnet werden. Bei demselben ne

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gativen Ergebnis im Hinblick auf die Spiegelung der parlamentarischen Mehrheit sollte wieder das Verfahren nach St. Laguangewendet werden, ergänzt allerdings um einen Korrekturfaktor, der im Ergebnis der stärksten Fraktion im Bundestag einen weiteren Sitz verschaffen würde.
Hintergrund dieser unterschiedlich weit reichenden Anträge sind die konkreten Sitzanteile, die den Fraktionen nach dem Wahlergebnis der Bundestagswahl vom 22. September 2002 unter Anwendung der bislang geltenden Regelung insbesondere im Vermittlungsausschuss zugestanden hätten.
Auf der Grundlage von § 1 der Gemeinsamen Geschäftsordnung des Bundestages und des Bundesrates für den Ausschuss nach Art. 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) -- GOVermA -- vom 19. April 1951 (BGBl. II S. 103, zuletzt geändert durch Beschluss des Bundestages vom 22. Oktober 2002, BRDrucks 792/02, Plenarprotokoll 15/1 S. 7 A -- 8 A, 26 A -- D/Anlage und Beschluss des Bundesrates vom 8. November 2002, BRDrucks 792/02 -- Beschluss, Plenarprotokoll 782, Sten. Bericht, S. 496 D), wonach die Bundestags- und die Bundesratsbank im Vermittlungsausschuss jeweils 16 Sitze umfasst, führte die Anwendung jedes der drei üblichen Zählverfahren -- Hare/Niemeyer, d'Hondt und St. Lagu(zur Funktionsweise der Verfahren siehe das Arbeitspapier des Deutschen Bundestages, Referat Datenbanken, Programmentwicklung; Anteile, Zugriffe und Reihenfolgen -- AZUR -- vom 15. April 1998, ZI 5--1998/002) -- zu einer Verteilung der Sitzanteile von sieben Sitzen für die SPD-Fraktion, sieben Sitzen für die CDU/CSU-Fraktion, einem Sitz für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und einem Sitz für die FDP-Fraktion (7:7:1:1). Diese Verteilung hätte zur Folge gehabt, dass die auf die Fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegründete politische Parlamentsmehrheit auf der Bundestagsbank des Vermittlungsausschusses keine Mehrheit gehabt hätte.
3. Der Bundestag fasste auf seiner Sitzung am 30. Oktober 2002 nach einer kurzen Aussprache, in der jeweils ein Vertreter jeder Fraktion zu Wort kam, mit den Stimmen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN folgenden Beschluss:


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    1) Die Zahl der auf die Fraktionen entfallenden Sitze im Ältestenrat und in den Ausschüssen des Deutschen Bundestages sowie die Regelung der Vorsitze in den Ausschüssen werden nach dem Verfahren der mathematischen Proportion (St. Laguberechnet, soweit nichts Abweichendes beschlossen wird.
    Das Gleiche gilt für die Besetzung von anderen Gremien, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist.
    2) Führt dies nicht zur Wiedergabe der parlamentarischen Mehrheit, errechnet sich die Verteilung nach d'Hondt. Führt auch ein Rückgriff auf dieses Verfahren nicht zur Abbildung der parlamentarischen Mehrheit, ist das Verfahren St. Lagumit der Maßgabe anzuwenden, dass die zu verteilende Anzahl der Sitze um einen reduziert wird und der unberücksichtigte Platz der stärksten Fraktion zugewiesen wird.
4. Auf der 10. Sitzung am 14. November 2002 wählte der Bundestag auf der Grundlage des Beschlusses vom 30. Oktober 2002 seine Vertreter in den Vermittlungsausschuss (Plenarprotokoll 10. Sitzung, Sten. Bericht, S. 574 D -- Beschluss). Dabei hatte die Antragstellerin nur sechs Mitglieder ihres insgesamt sieben Mitglieder umfassenden Wahlvorschlages (BTDrucks 15/52) zur Abstimmung gestellt. Gewählt wurden acht Mitglieder der SPD-Fraktion, sechs Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion und jeweils ein Mitglied der FDP-Fraktion und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Zuvor hatte der Bundestag mit den Stimmen der Fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der CDU/CSU- und der FDP-Fraktion bei Enthaltung der beiden fraktionslosen Bundestagsmitglieder den Antrag der CDU/CSU-Fraktion (BTDrucks 15/47) abgelehnt, ein neues Verfahren für die Berechnung der Sitzanteile der Fraktionen im Vermittlungsausschuss zu bestimmen (Plenarprotokoll 15/10, Sten. Bericht, S. 574 C). Dieser Vorschlag sah vor, jeweils sieben Mitglieder der SPD- und CDU/CSU-Fraktion sowie jeweils ein Mitglied der FDP-Fraktion und Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in den Vermittlungsausschuss zu entsenden.
Der Vermittlungsausschuss trat auf der Grundlage des angegriffenen Beschlusses des Deutschen Bundestages erstmals am 5. Dezember 2002 zusammen.
5. Mit Beschluss vom 3. Dezember 2002 lehnte der Zweite Senat

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des Bundesverfassungsgerichts den Antrag der CDU/CSU-Fraktion auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ab (BVerfGE 106, 253 ff.).
6. Bei der Besetzung der gemeinsamen Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung -- Föderalismuskommission -- wurde der angegriffene Beschluss ein zweites Mal angewendet. Am 6. November 2003 beschloss der Bundestag die Einsetzung der Föderalismuskommission; dabei stellen die SPD-Fraktion acht, die CDU/CSU-Fraktion sechs Mitglieder sowie die FDP-Fraktion und die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN jeweils ein Mitglied (Plenarprotokoll 15/72, Sten. Bericht, Anlage 6, S. 6272 C). Zuvor hatte es der Bundestag mit der Mehrheit seiner Mitglieder abgelehnt, die dem Bundestag in der Kommission zustehenden 16 Sitze im Verhältnis 7:7:1:1 auf die Fraktionen aufzuteilen (BTDrucks 15/1692, Plenarprotokoll 15/72, Sten. Bericht, S. 6187 D).
II.
Die Antragstellerin wendet sich im Wege der Organklage gegen den Beschluss des Deutschen Bundestages vom 30. Oktober 2002. Zur Begründung ihres Antrages trägt sie vor, dass dieser Beschluss sie in ihren verfassungsmäßigen Rechten aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit Art. 40 Abs. 1 Satz 2, Art. 21 Abs. 1, Art. 20 Abs. 2 und Art. 77 Abs. 2 GG verletze.
1. Aus den in Art. 38 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit Art. 40 Abs. 1 Satz 2 GG verbürgten Rechten der Fraktionen im Bundestag folge, dass diese sich in angemessener Weise parlamentarisch betätigen könnten. Das gelte auch für die Verteilung der Sitze auf der Bundestagsbank des Vermittlungsausschusses. Durch die Verringerung ihres Stellenanteils auf der Bundestagsbank würden der Antragstellerin Gestaltungsmöglichkeiten und Abstimmungsoptionen vorenthalten, die im Zusammenspiel mit der Bundesratsbank des Vermittlungsausschusses eine Aussicht auf faktische Verwirklichung hätten. Der Beschluss des Bundestages führe zu einer Verfälschung der Mehrheitsverhältnisse, da es nunmehr zu einer Verteilung der Sitze von acht Sitzen für die SPD-Fraktion, sechs Sitzen für die CDU/CSU-Fraktion, einem Sitz für die Fraktion BÜNDNIS

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90/DIE GRÜNEN und einem Sitz für die FDP-Fraktion (8:6:1:1) komme.
2. Ferner werde durch den Beschluss Art. 20 Abs. 2 GG verletzt, weil der Antragstellerin die Möglichkeit genommen werde, ihre Rechte als parlamentarische Opposition in einer Weise wahrzunehmen, die der Sitzverteilung im Bundestag und dem verfassungsrechtlichen Gebot der spiegelbildlichen Zusammensetzung von Bundestagsausschüssen entspreche. Damit sei zugleich ein Verstoß gegen das Prinzip der Volkssouveränität und die Grundsätze der repräsentativen Demokratie gegeben. Auch entspreche eine nicht proportionale Beteiligung auf der Bundestagsbank des Vermittlungsausschusses nicht dem Wählerwillen.
Der Gesetzgeber verfüge zwar über eine weite Gestaltungsfreiheit bei Fragen der parlamentarischen Selbstorganisation. Diese sei jedoch durch den Grundsatz der Spiegelbildlichkeit, wonach die Ausschüsse des Bundestages entsprechend dem Mehrheitsverhältnis des Plenums zusammengesetzt sein müssten, eingeschränkt. Der Grundsatz der Spiegelbildlichkeit gelte auch für die Besetzung der Bundestagsbank im Vermittlungsausschuss. Der Grundsatz der Spiegelbildlichkeit manifestiere sich maßgeblich in dem konkreten Zählverfahren, nach dem die für eine Partei abgegebenen Stimmen in Sitze umgerechnet werden. Es sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn sich der Bundestag entscheide, von einem üblichen und in der parlamentarischen Praxis bewährten Proportionalsystem abzuweichen und ein anderes zu wählen. Zu diesen Systemen zählten die Verfahren nach d'Hondt, Hare/Niemeyer und St. Lague/Schepers.
Allerdings würden die Grenzen des verfassungsrechtlichen Gestaltungsermessens des Bundestages erreicht, wenn er den Boden der gängigen Zählsysteme verlasse. Der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei zu entnehmen, dass ein Wechsel nur innerhalb der anerkannten und erprobten Zählsysteme stattfinden dürfe. Es gebe keine Pflicht zum Systemwechsel, d.h. eine Pattsituation auf der Bundestagsbank im Vermittlungsausschuss sei nicht unter allen Umständen zu vermeiden. Ein solches Patt sei sogar hinzunehmen, wenn es die proportionalen Kräfteverhältnisse der Fraktionen im Bundestag wiedergebe.


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3. Weitere Grenzen der Gestaltungsfreiheit seien das Gebot der Gleichbehandlung, das die proportionale Umsetzung von Fraktionsstärken in Ausschusssitze des Vermittlungsausschusses fordere, das Verbot der missbräuchlichen Handhabung der Geschäftsordnungsautonomie, das Gebot der fairen und loyalen Anwendung von Bestimmungen der Geschäftsordnung und das Verbot, ein willkürliches Zählsystem festzusetzen. Ein Zählsystem sei willkürlich, wenn es weder in sich logisch noch systemkonform noch aus sich selbst heraus verständlich sei. Diesen letztgenannten Vorwurf müsse sich das mit dem Beschluss des Bundestages vom 30. Oktober 2002 gewählte Verfahren machen lassen. Dagegen hätten sich die vom Antragsgegner in der Vergangenheit gewählten Berechnungsverfahren stets im Rahmen der überkommenen und anerkannten Umrechnungsverfahren bewegt, die nach allgemeiner Auffassung den Grundsatz der Spiegelbildlichkeit wahrten.
4. Die Staatspraxis zeige, dass sich die Besetzung der Bundestagsbank des Vermittlungsausschusses in der Vergangenheit stets an den Stärkeverhältnissen der Fraktionen ausgerichtet habe. Der Wechsel der Berechnungsverfahren habe in der Vergangenheit niemals zu einer Missachtung dieses Stärkeverhältnisses geführt. Die Gewährleistung des Fraktionsproporzes sei auch ein Leitprinzip der Parlamentspraxis in Bund und Ländern und entspreche der Grundidee des grundgesetzlich verfassten parlamentarischen Regierungssystems.
5. Des Weiteren folge aus den strukturellen Besonderheiten der Stellung des Vermittlungsausschusses im Verfassungsgefüge, dass auf der Bundestagsbank dieses Gremiums nicht notwendig die jeweilige im Plenum vertretene Regierungsmehrheit wiedergegeben werden müsse. Es sei die Aufgabe des Vermittlungsausschusses, zwischen Bundestag und Bundesrat konsensfähige Entscheidungsgrundlagen zu erarbeiten. Es handele sich bei dem Gremium insoweit um eine Form des institutionalisierten Ausgleichs divergierender Interessen zwischen den Bundesorganen Bundestag und Bundesrat. Hingegen bestehe die verfassungsrechtliche Legitimation des Vermittlungsausschusses nicht darin, dem Ausgleich zwischen Regierungsmehrheit und Opposition zu dienen. Aus den Vor

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gaben des Grundgesetzes und der Geschäftsordnung des Vermittlungsausschusses folge, dass die dem Ausschuss aufgegebene Aufgabe der Kompromisssuche nicht erfolgreich durchzuführen wäre und dem verfassungsrechtlichen Leitbild widerspräche, wenn sie sich an der Zuordnung zum Regierungs- oder Oppositionslager bewegte.
6. Da sich der Antragsgegner dennoch für einen gesonderten, von den üblichen Systemen abweichenden Verteilungsschlüssel entschieden habe, um die derzeitigen parlamentarischen Mehrheitsverhältnisse wiederzugeben, liege er von dem idealtypischen mathematischen Zustand -- dem Patt zwischen Regierungskoalition und Oppositionsfraktionen -- zu weit entfernt. Die SPD-Fraktion werde in diesem Fall überproportional gegenüber der CDU/CSU-Fraktion berücksichtigt. Darin liege wiederum ein Verstoß gegen den Grundsatz der Spiegelbildlichkeit. Ausnahmefälle, die eine Abweichung von diesem Prinzip rechtfertigten, wie etwa die Sicherung der Funktionsfähigkeit des Gremiums, lägen nicht vor. Die Voraussetzungen der vom Bundesverfassungsgericht ebenfalls anerkannten Ausnahme, dass ein bestimmtes Umrechnungsverfahren die politischen Mehrheiten im Bundestag nicht abbilde, seien gleichfalls nicht gegeben.
7. Der Beschluss des Bundestages habe schließlich unhaltbare Folgen, wenn es innerhalb der Wahlperiode zu einer anderen Regierungskoalition kommen sollte. So würde das 8:6:1:1-Modell bei einer Koalitionsregierung aus CDU/CSU-Fraktion, FDP-Fraktion und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN trotz einer deutlichen parlamentarischen Mehrheit -- wie die SPD-Fraktion -- nur über acht Sitze auf der Bundestagsbank des Vermittlungsausschusses verfügen. Zu derselben Sitzverteilung käme es auch, wenn die SPD-Fraktion eine Minderheitsregierung tragen würde.
III.
Der Antragsgegner hält den Antrag für unbegründet. Der Beschluss des Bundestages sei mit Art. 38 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit Art. 40 Abs. 1 Satz 2, Art. 21 Abs. 1, Art. 20 Abs. 2 und Art. 77 Abs. 2 GG sowie mit dem übrigen Verfassungsrecht vereinbar und verletze oder gefährde keine der Antragstellerin durch das Grundgesetz übertragenen Rechte.


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1. Der Bundestagsbeschluss verstoße weder gegen den Wortlaut von Art. 77 Abs. 2 GG noch gegen den Wortlaut einer anderen Bestimmung des Grundgesetzes. Aus dem Text des Grundgesetzes ergebe sich eindeutig, dass die Zusammensetzung des Vermittlungsausschusses nur soweit vorgegeben werde, als dass Mitglieder von Bundestag und Bundesrat den Ausschuss bilden müssen. Den beiden Verfassungsorganen werde insoweit ein erheblicher Handlungsspielraum eröffnet. Die Zusammensetzung und das Verfahren des Vermittlungsausschusses müssten einvernehmlich von Bundestag und Bundesrat in einer gemeinsamen eigenständigen Rechtsgrundlage festgelegt werden, soweit ein normativer Rahmen die sonst bestehende autonome Entscheidungsbefugnis von Bundestag und Bundesrat in der Besetzung des Ausschusses begrenzen solle. Innerhalb des Rechtsrahmens, der durch die Geschäftsordnung des Vermittlungsausschusses gebildet werde, bestehe Raum für politische Besetzungsentscheidungen der beiden Legislativorgane. Da die Geschäftsordnung des Vermittlungsausschusses lediglich die Zahl der von Bundestag und Bundesrat zu entsendenden Mitglieder festlege und deren Auswechselbarkeit regele, schränke auch die Geschäftsordnung in ihrem Text das politische Ermessen der entsendenden Verfassungsorgane nicht ein. Hinter dem Schweigen stehe offensichtlich das Vertrauen auf demokratisch legitimierte Mehrheitsentscheidungen, die rechtlich nicht vorgeprägt zu werden bräuchten.
2. Die systematische Auslegung, die zugleich Sinn und Zweck der Vorschrift in den Blick zu nehmen habe, müsse sich an dem weiteren Regelungsgehalt von Art. 77 Abs. 2 GG orientieren. In dem systematischen Zusammenhang von Art. 77 Abs. 1 und Art. 78 GG finde die Kreation eines aus Mitgliedern des Bundestages und des Bundesrates für die gemeinsame Beratung von Vorlagen gebildeten Ausschusses ihren Sinn in der Vermittlung zwischen unterschiedlichen Auffassungen der beiden Legislativorgane über den Gesetzesbeschluss. Der Vermittlungsausschuss solle demnach den Weg zu einem erfolgreichen Abschluss eines Gesetzgebungsverfahrens eröffnen, dessen ursprünglicher Fassung und Form des Gesetzesbeschlusses des Bundestages die Mehrheit des Bundesrates ablehnend gegenüberstehe. Der Ausschuss sei ein Konfliktlösungsmechanismus, um ein Scheitern

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von Gesetzesvorhaben soweit wie möglich zu verhindern. Eine Vermittlung zwischen divergierenden Auffassungen in Bundestag und Bundesrat könne nur dann erfolgreich sein, wenn der gefundene Kompromiss bei der Mehrheit in beiden Gesetzgebungsorganen auf Zustimmung stoße. Das mache es notwendig, die Zusammensetzung des Vermittlungsausschusses so zu regeln, dass eine Einigung den Mehrheitswillen in beiden Gesetzgebungsorganen soweit wie möglich widerspiegele. Folglich erfordere die Systematik des Gesetzgebungsverfahrens des Bundes gemäß Art. 77 und 78 GG eine Abbildung der Mehrheitsverhältnisse im Plenum des Bundestages auf der Bundestagsbank im Vermittlungsausschuss.
Die Antragstellerin behaupte zu Unrecht einen engen systematischen Zusammenhang zwischen der parlamentarischen Repräsentation im Plenum sowie in den Ausschüssen des Deutschen Bundestages und der Kompromisssuche im Vermittlungsausschuss. Der Vermittlungsausschuss sei vom Grundgesetz nicht als Ort parlamentarischer Repräsentation als zweites oder gar als Überparlament konzipiert, in dem Mehrheitsentscheidungen des Deutschen Bundestages durch eine andere Mehrheit abgelöst werden, die aus parlamentarischen Oppositionen und dem Zusammenwirken mit ihr politisch nahestehenden Mitgliedern des Bundesrates gebildet werde. Aufgabe des Vermittlungsausschusses sei gerade nicht, das Volk im Sinne des Art. 20 Abs. 2 GG zu repräsentieren, sondern die Vorbereitung und Sicherung des Gelingens parlamentarischer Repräsentation in der späteren Erörterung und Entscheidung über den Einigungsvorschlag des Vermittlungsausschusses durch den Deutschen Bundestag. Da im Vermittlungsausschuss nach einer auch für die Bundestagsmehrheit tragbaren Einigung in einem politischen Konflikt mit dem Bundesrat gesucht werde, sei die Zusammensetzung des Vermittlungsausschusses weder insgesamt noch auch nur auf der Bundestagsbank von Verfassungs wegen als proportionale Abbildung der Zusammensetzung des Bundestages angelegt. Vielmehr müsse die Bundestagsbank Mehrheitsverhältnisse im Parlament unter den von ihm entsandten Mitgliedern widerspiegeln.
In Anbetracht dieses Leitprinzips habe die Bundestagsmehrheit in der Staatspraxis auch mehrfach die Verfahren zur Berechnung

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der Zahl der auf die einzelnen Fraktionen entfallenden Sitze wechseln dürfen. Den Zählsystemen komme insoweit kein eigener Wert zu, weil es nicht um eine möglichst proportionale Abbildung des Bundestagsplenums auf dessen Bank im Vermittlungsausschuss gehe. Vielmehr erfüllten die Zählsysteme nur die dienende Funktion, die Mehrheitsverhältnisse im Plenum des Deutschen Bundestages auf der Bundestagsbank des Vermittlungsausschusses wiederzugeben, um eine Einigung zwischen beiden Legislativorganen zu ermöglichen. Erreiche ein Zählsystem dieses Ziel, genüge es auch den Anforderungen der Verfassung.
3. Die Antragstellerin könne sich zur Begründung des von ihr geltend gemachten Anspruchs weder auf Art. 21 Abs. 1 GG noch auf Art. 20 Abs. 2 GG berufen; Art. 40 Abs. 1 Satz 2 GG sei im vorliegenden Fall nicht einschlägig, weil Art. 77 Abs. 2 Satz 2 GG die Regelung der Zusammensetzung des Vermittlungsausschusses in einer eigenständigen Geschäftsordnung beantworte, die zwar vom Bundestag beschlossen werde, der jedoch der Bundesrat zustimmen müsse. Aus dem verbleibenden Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 77 Abs. 2 GG folge aber im Gegensatz zur Auffassung der Antragstellerin gerade das verfassungsrechtliche Gebot, die Mehrheitsverhältnisse im Deutschen Bundestag auf der Bundestagsbank des Vermittlungsausschusses wiederzugeben. Denn es müsse strukturell gesichert sein, dass eine im Vermittlungsausschuss erzielte Einigung auch für die Mehrheit im Bundestag akzeptabel sei. Erst wenn der Bundestag über einen Einigungsvorschlag des Vermittlungsausschusses erneut Beschluss fasse, könne die Antragstellerin die Rechte der Minderheit in einer parlamentarischen Demokratie geltend machen.
IV.
Nach Auffassung der Bundesregierung ist der Antrag unbegründet. Der Deutsche Bundestag dürfe das Zählverfahren zur Bestimmung der von ihm in den Vermittlungsausschuss zu entsendenden Mitglieder in der gewählten Weise festsetzen.
1. Bei der Bestimmung des Zählverfahrens für die Wahl der Bundestagsbank im Vermittlungsausschuss in der 15. Wahlperiode habe

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sich der Deutsche Bundestag von dem Ziel leiten lassen, neben dem zahlenmäßigen Stärkeverhältnis der Fraktionen besonders auf das im Plenum bestehende Mehrheitsverhältnis abzustellen. Welches Zählsystem bei Gremienwahlen angewendet werden solle, falle grundsätzlich in die autonome Entscheidungsbefugnis des Bundestages. Diese Geschäftsordnungsautonomie habe der Bundestag der Verfassung gemäß gehandhabt.
2. Entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts habe grundsätzlich jeder Ausschuss des Parlaments ein verkleinertes Abbild des Plenums zu sein und in seiner Zusammensetzung die des Plenums widerzuspiegeln. Die Zusammensetzung des Plenums werde durch die gegebenen Mehrheitsverhältnisse entscheidend geprägt. Die Mehrheit sei ein zentrales, konstitutives Strukturmerkmal des Parlaments. Spiegelung der Zusammensetzung des Plenums heiße deshalb gerade auch Spiegelung der Mehrheitsverhältnisse, die im Plenum bestehen. Folglich müssten die wirklichen und relevanten Stärkeverhältnisse im Plenum auch in den Ausschüssen gespiegelt werden. Das in der demokratischen Ordnung relevante Stärkeverhältnis im Plenum des Bundestages drücke sich in Mehrheit und Minderheit, in Regierungsmehrheit und Opposition aus. Dieser Unterschied zwischen Mehrheit und Minderheit bedürfe der Widerspiegelung, auch wenn er im äußersten Fall nur eine Stimme betrage. Es bestehe kein Grund anzunehmen, dass die offenbare Ungenauigkeit der unmodifizierten, herkömmlichen Zählverfahren gerade zu Gunsten der im Verhältnis kleineren Fraktionen wirken sollte. Führe keine der denkbaren Zählweisen zu einer exakten Widerspiegelung der Zahlenverhältnisse im Plenum des Deutschen Bundestages, so sei es angesichts des Grundsatzes der Spiegelbildlichkeit jedenfalls nicht willkürlich, wenn der Deutsche Bundestag dasjenige Zählverfahren wähle, das die demokratisch relevante Struktur des Plenums am ehesten wiedergebe.
Es sei sogar verfassungsrechtlich geboten, die Mehrheit als solche widerzuspiegeln und damit das für die demokratische Willensbildung entscheidende Strukturmerkmal auf der Bundestagsbank des Vermittlungsausschusses abzubilden. Es sei die Aufgabe des Ver

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mittlungsausschusses, primär einen politischen Kompromiss zu finden und diesen Kompromiss in Bundestag und Bundesrat mehrheitsfähig zu machen. Dies könne nur gelingen, wenn schon in seiner Zusammensetzung die Pluralität der Meinungen und ihr parlamentarisches, also ihr entscheidungsrelevantes Kräfteverhältnis zum Ausdruck komme. Dies gelte auch angesichts der Möglichkeit, dass sich die Mehrheiten im Deutschen Bundestag während der Wahlperiode änderten. Schließlich bestehe die Gelegenheit, Mitglieder des Vermittlungsausschusses während der Wahlperiode auszuwechseln.
3. Der Wechsel des Zählsystems sei dadurch motiviert, dass keines der zuvor angewendeten Systeme die politischen Mehrheiten im Bundestag hätte abbilden können. Das Bundesverfassungsgericht habe bereits entschieden, dass ein Wechsel des Zählsystems mit dem Ziel, die Mehrheitsverhältnisse des Plenums in der Bundestagsbank des Vermittlungsausschusses wiederzugeben, verfassungsrechtlich unbedenklich sei. Daraus folge auch, dass die Einführung neuer Komponenten in die bisher angewendeten, klassischen Zählverfahren zulässig sei. Die Anreicherung der schlichten herkömmlichen Zählweisen mit "funktionsadäquaten Zusatzkomponenten" sei ihrerseits ein mathematisches Zählverfahren. Auch habe das Bundesverfassungsgericht die Anreicherung herkömmlicher Zählverfahren durch Sonderzuteilung im Kommunalwahlrecht für zulässig erklärt. Die dieser Rechtsprechung zu Grunde liegenden Erwägungen könnten auf die Besetzung der Bundestagsbank im Vermittlungsausschuss ohne weiteres übertragen werden.
4. Die Effektivität der Parlamentsarbeit beruhe entscheidend darauf, dass sich die Mehrheitsverhältnisse des Plenums in den Ausschüssen widerspiegelten; das gelte auch für den Vermittlungsausschuss. Dem Deutschen Bundestag stehe es frei, sich in Gremien, deren Mitglieder er ganz oder teilweise wähle, nach Maßgabe der Stärkeverhältnisse der Fraktionen vertreten zu lassen. Die in anderen Fällen bestehende Möglichkeit der Vergrößerung des Ausschusses liefe dem Auftrag des Vermittlungsausschusses hingegen zuwider. Ein solcher Schritt gefährde ernsthaft die Arbeitsfähigkeit des Ausschusses und stärke die Tendenz, dass sich eine eigene Kammer entwickele.


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5. Des Weiteren stimme die neu gewählte Zählweise mit der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages überein. § 12 GOBT sehe vor, dass die Zusammensetzung des Ausschusses im Verhältnis der Stärke der einzelnen Fraktionen vorzunehmen sei. Das Stärkeverhältnis der Fraktionen sei entscheidend davon abhängig, welche politischen Kräfte die Mehrheit im Deutschen Bundestag hätten. Der Begriff der Stärke der Fraktion im Sinne von § 12 GOBT werde hiervon geprägt. Die Stärke der Fraktionen werde in der parlamentarischen Demokratie, wie sie das Grundgesetz ausgestalte, wesentlich und im Kern dadurch bestimmt, dass es Mehrheit und Opposition gebe. Hierfür sei die Mehrheitslage auch dann entscheidend, wenn sie zahlenmäßig knapp erscheine.
6. Das gewählte Zählverfahren folge der verfassungsmäßigen Funktion des Vermittlungsausschusses. Seine Aufgabe sei es, in ständiger persönlicher Fühlungnahme seiner Mitglieder Wege zu suchen, die für die beteiligten Organe gangbar seien. Der Vermittlungsausschuss müsse deshalb die Fähigkeit behalten, zu politisch durchsetzbaren Kompromiss- und Konsensmöglichkeiten zu kommen. Solche politischen Wege seien in der parlamentarischen Demokratie in aller Regel nur unter Berücksichtigung der tatsächlichen Mehrheitsverhältnisse zu finden. Auch im Vermittlungsausschuss stünden sich auf der Bundestagsbank Regierungsmehrheit und Opposition gegenüber. Dagegen folge die Besetzung der Bundesratsbank im Vermittlungsausschuss anderen Maßgaben. Dort überwiege die Vertretung der Interessen der Länder als Gliedstaaten der Bundesrepublik Deutschland das Gewicht der politischen Parteien.
7. Auch zeige die Geschäftsordnung des Vermittlungsausschusses, dass es in diesem Gremium auf Mehrheitsentscheidungen ankomme. Dies ergebe sich deutlich aus § 8 GOVermA, wonach dieser seine Beschlüsse mit der Mehrheit der Stimmen seiner anwesenden Mitglieder fasse. Würde die Mehrheit im Plenum des Deutschen Bundestages auf der Bundestagsbank des Vermittlungsausschusses nicht widergespiegelt, könnte der Vermittlungsausschuss seiner Funktion, nach Möglichkeit politisch tragfähige Kompromissentscheidungen herbeizuführen, nur in eingeschränktem Maße nach

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kommen. Mit ihrer strukturellen Mehrheit im Bundesrat und einer Pattsituation im Vermittlungsausschuss könnten die Kräfte der Opposition Termine und Verfahrensabläufe entscheidend beeinflussen und so die Gesetzgebungsarbeit des Bundes beeinträchtigen. Die Umstellung des Zählverfahrens mit dem Ziel der Abbildung des Wählerwillens entspreche im Übrigen auch der Staatspraxis.
8. Schließlich sei durch das Vorgehen des Deutschen Bundestages auch der Grundsatz der Gleichbehandlung der Fraktionen gewahrt. Eine vollständige Gleichheit im Sinne eines exakten Zahlenverhältnisses könne von vornherein nicht angestrebt werden, weil nur ganze Sitze zur Verteilung anstünden. Vielmehr komme es auf eine angemessene Repräsentation an. Da sich eine absolute Gleichbehandlung aller Fraktionen nicht erreichen lasse, müsse bei der Sitzverteilung eine Gleichbehandlung gegeben sein, die zugleich dem parlamentarisch-politischen Kräfteverhältnis entspreche. Dabei müssten neben anderen auch die Interessen der Parlamentsmehrheit und der Parlamentsminderheit gegeneinander abgewogen werden.
V.
1. Den in dem Verfahren gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung lehnte das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 3. Dezember 2002 ab (BVerfGE 106, 253 ff.).
2. Das Bundesverfassungsgericht hat am 5. Mai 2004 eine mündliche Verhandlung durchgeführt, in der die Beteiligten ihre Rechtsstandpunkte erläutert und vertieft haben. Das Gericht hat zudem den Landesminister a.D. Dr. Hans Otto Bräutigam und das ehemalige Mitglied des Deutschen Bundestages Dr. Heribert Blens als sachkundige Auskunftspersonen zur Praxis des Vermittlungsausschusses gehört.
 
B.
Der zulässige Antrag hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg.
Ein Verstoß gegen Verfassungsrecht kann insoweit nicht festgestellt werden, als der Deutsche Bundestag zum Zeitpunkt der Beschlussfassung im Interesse einer funktionierenden Gesetzgebung

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zu einer raschen Besetzung des Vermittlungsausschusses genötigt war und es deshalb schon an zeitlichen Möglichkeiten fehlte, eine ausgewogene Neuregelung möglichst im Konsens aller Fraktionen für eine neu sich ergebende Frage der proportionalen Sitzverteilung zu schaffen. Der Antragsgegner ist allerdings verpflichtet, noch innerhalb der 15. Wahlperiode erneut einen Beschluss nach § 57 Abs. 1 GOBT zu fassen, der darauf abzielt, eine proportionalitätsgerechtere Sitzverteilung auf der Bundestagsbank des Vermittlungsausschusses zu erreichen.
I.
Die Besetzung der Ausschüsse des Bundestages unterliegt dem Grundsatz der Spiegelbildlichkeit. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts muss grundsätzlich jeder Ausschuss ein verkleinertes Abbild des Plenums sein und in seiner Zusammensetzung die Zusammensetzung des Plenums in seiner politischen Gewichtung widerspiegeln (vgl. BVerfGE 80, 188 [222]; 84, 304 [323]). Dieser Grundsatz leitet sich her aus der in Art. 38 Abs. 1 GG festgelegten Freiheit und Gleichheit des Abgeordnetenmandats. Der Abgeordnete ist frei, sich in Fraktionen zu organisieren, weswegen die Fraktionen als politische Kräfte ebenso gleich und entsprechend ihrer Stärke zu behandeln sind wie die Abgeordneten untereinander (vgl. BVerfGE 84, 304 [322 f.]). Der Grundsatz der Spiegelbildlichkeit gilt auch für die Wahl der Mitglieder des Bundestages im Vermittlungsausschuss.
1. Der Abgeordnetenstatus wird durch den Grundsatz demokratischer, formaler Gleichheit bestimmt. Dieser Status lässt Differenzierungen nur zu, wenn dafür besondere Gründe bestehen. Als solcher Differenzierungsgrund ist das Verfassungsgebot der Sicherung der Funktionsfähigkeit des Parlaments anerkannt (vgl. BVerfGE 94, 351 [369]; 96, 264 [278 f.]).
a) Der Bundestag repräsentiert das deutsche Volk, jeder Abgeordnete ist Vertreter des ganzen Volkes und deshalb gleich (Art. 38 Abs. 1 GG). Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG bezeichnet ein grundrechtsgleiches Recht in der gesellschaftlichen Sphäre, bestimmt den status activus des Bürgers in öffentlichen Angelegenheiten des Bundes.

BVerfGE 112, 118 (134):

Dazu gehört die Gleichheit der Wahl. Das Grundgesetz verlangt, dass jeder Bürger frei und im Rechtssinne (vor dem Gesetz) gleich ist. Für das Demokratiegebot bedeutet dies, dass jedem Staatsangehörigen, der auf Grund seines Alters und ohne den Verlust seines aktiven Wahlrechts wahlberechtigt ist, ein gleicher Anteil an der Ausübung der Staatsgewalt zusteht.
b) Auf Bundesebene äußert sich diese unmittelbare Teilhabe an der Staatsgewalt -- abgesehen von Art. 29 GG -- ausschließlich durch die Wahl der Abgeordneten des Deutschen Bundestages. Aus diesem Grund ist es von entscheidender Bedeutung, dass die Wahlgleichheit nicht nach dem Wahlakt sogleich wieder verloren geht. Sie muss auf der zweiten Stufe der Entfaltung demokratischer Willensbildung, d.h. im Status und der Tätigkeit des Abgeordneten fortwirken. Zu dem Status der Abgeordneten gehört deshalb das in Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleistete Recht auf gleiche Teilhabe am Prozess der parlamentarischen Willensbildung (vgl. BVerfGE 43, 142 [149]; 70, 324 [354]; 80, 188 [218]; 96, 264 [278]).
Der zweite Satz des Art. 38 Abs. 1 GG zieht mit dem Repräsentationsprinzip deshalb aus den Wahlrechtsgrundsätzen die Konsequenzen für die Ausübung eines in der Gesellschaft verwurzelten, aber innerhalb der Staatsorganisation wahrgenommenen Amtes, des freien Mandats. Die Vorschrift gewährleistet für jeden der nach Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG gewählten Abgeordneten sowohl die Freiheit in der Ausübung seines Mandats als auch die Gleichheit im Status der Vertreter des ganzen Volkes (vgl. BVerfGE 102, 224 [237 f.]). So setzt sich insbesondere die Gleichheit der Wahl in der gleichen Mitwirkungsbefugnis aller Abgeordneten fort und hält damit auch in den Verzweigungen staatlich-repräsentativer Willensbildungsprozesse die demokratische Quelle offen, die aus der ursprünglichen, im Wahlakt liegenden Willensbetätigung jedes einzelnen Bürgers fließt. Das freie Mandat "schließt die Rückkopplung zwischen Parlamentariern und Wahlvolk nicht aus, sondern ganz bewusst ein" und schafft durch den Zwang zur Rechtfertigung Verantwortlichkeit (vgl. Hofmann/Dreier, in: Schneider/Zeh [Hrsg.], Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, 1989, § 5 Rn. 44).
c) Der fraktionsgebundene Abgeordnete bewegt sich in einem

BVerfGE 112, 118 (135):

Spannungsverhältnis zwischen seinem freien und gleichen Mandat und seiner Einordnung in die Fraktion.
Die politische Einbindung des Abgeordneten in Partei und Fraktion im Bund und in den Ländern ist verfassungsrechtlich erlaubt und gewollt: Das Grundgesetz weist den Parteien eine besondere Rolle im Prozess der politischen Willensbildung zu (Art. 21 Abs. 1 GG), weil ohne die Formung des politischen Prozesses durch geeignete freie Organisationen eine stabile Demokratie in großen Gemeinschaften nicht gelingen kann. Die von Abgeordneten -- in Ausübung des freien Mandats -- gebildeten Fraktionen (vgl. BVerfGE 80, 188 [220]) sind im Zeichen der Entwicklung zur Parteiendemokratie notwendige Einrichtungen des Verfassungslebens und maßgebliche Faktoren der politischen Willensbildung (vgl. BVerfGE 80, 188 [219 f.]). Sie nehmen im parlamentarischen Raum Koordinierungsaufgaben wahr, bündeln die Vielfalt der Meinungen zur politischen Stimme, wählen aus und spitzen Themen als politisch entscheidbar zu. Diese Aufgaben sind angesichts der Vielzahl und Vielschichtigkeit der im Parlament zu behandelnden Regelungsbedürfnisse für die parlamentarische Arbeit unabdingbar. Wenn der einzelne Abgeordnete im Parlament politischen Einfluss von Gewicht ausüben, wenn er gestalten will, bedarf er der abgestimmten Unterstützung anderer Abgeordneter. Das freie Mandat und die Gleichheit der Abgeordneten werden deshalb durch die Anforderungen der in Fraktionen organisierten parlamentarischen Arbeit mit geprägt, ohne jedoch den Grundsatz der Gleichheit und Freiheit des Mandats zu verdrängen.
Im organisatorischen Zusammenschluss -- hier zu Fraktionen -- geht die Freiheit und Gleichheit des Abgeordneten nicht verloren. Sie bleibt innerhalb der Fraktion bei Abstimmungen und bei einzelnen Abweichungen von der Fraktionsdisziplin erhalten und setzt sich zudem im außengerichteten Anspruch der Fraktion auf proportionale Beteiligung an der parlamentarischen Willensbildung fort. § 12 GOBT konkretisiert deshalb das, was aus Art. 38 Abs. 1 GG an Freiheit und Gleichheit des Mandats gefordert ist.
Die Regelung soll sicherstellen, dass der Parlamentsausschuss die Zusammensetzung des Plenums in seiner konkreten, durch die

BVerfGE 112, 118 (136):

Fraktionen geprägten organisatorischen Gestalt verkleinernd abbildet (Grundsatz der Spiegelbildlichkeit). Sie ermöglicht eine gleichheitsgerechte Aufgabenerfüllung durch die Ausschüsse. Wenn der Bundestag seine fachliche Arbeit durch Ausschüsse wahrnimmt, muss demnach der gleiche Anteil jedes Abgeordneten an der Repräsentanz des Volkes auch bei verkleinerten Gremien gewahrt werden, sofern diese wesentliche Teile der dem Bundestag zustehenden Informations-, Kontroll- und Untersuchungsaufgaben wahrnehmen (vgl. BVerfGE 80, 188 [222]).
d) Ohne eine Gliederung des Bundestages in Fraktionen grundsätzlicher politischer Gleichsinnigkeit wäre nicht nur die praktische und transparente Arbeit des Parlaments unmöglich (BVerfGE 2, 143 [160]; 70, 324 [363]; 84, 304 [317 f.]), ausgeschlossen wäre auch eine spiegelbildliche Abbildung der Stärkeverhältnisse des Plenums in verkleinerten, aber für den Bundestag als Ganzes handelnden Gremien. Denn wenn jeder Abgeordnete dauerhaft organisatorisch ungebunden wäre, könnten verkleinernde Stärkeverhältnisse in einer berechenbaren Weise nicht abgebildet werden: Dies setzt genügend große, hinreichend homogene Gruppen von Abgeordneten voraus. Deshalb schreibt § 12 GOBT in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vor, dass Ausschüsse nach dem Stärkeverhältnis der Fraktionen im Plenum besetzt werden, und konkretisiert dadurch das Gleichheitsgebot aus Art. 38 Abs. 1 GG für die freiwillig entstandenen, verfestigten Zusammenschlüsse der Abgeordneten.
e) § 12 und § 57 Abs. 1 Satz 1 GOBT konkretisieren damit zugleich eine von der Verfassung geforderte Abweichung vom Mehrheitsprinzip, das nach Art. 42 Abs. 2 Satz 1 GG für Beschlüsse des Bundestages gilt, aber nach dem zweiten Satz dieser Vorschrift für andere Bestimmungen der Geschäftsordnung des Bundestages offen ist (vgl. BVerfGE 96, 264 [282 f.]). Die Zuweisung von Ausschusssitzen nach dem Stärkeverhältnis der Fraktionen bedarf, da nur ganze Sitze verteilt werden können, des Einsatzes von Zählverfahren, die in eingeschränktem Umfang zu Abweichungen im Zuweisungsergebnis führen können. Das Bundesverfassungsgericht hat die parlamentarische Praxis anerkannt, nach der die Zählver

BVerfGE 112, 118 (137):

fahren bei einem Beschluss nach § 57 Abs. 1 GOBT auch gerade im Hinblick darauf ausgewählt werden dürfen, ob das gewählte Verfahren die die Bundesregierung tragende politische Mehrheit im Bundestag abbildet (vgl. BVerfGE 96, 264 [283]). Wie weit dieses verfassungsrechtlich anerkannte Bedürfnis es rechtfertigt, die herkömmlich anerkannte Systematik der Zählverfahren durch einen Korrekturfaktor der hier angegriffenen Art zu verändern, bedurfte für Ausschüsse des Bundestages bislang schon deshalb keiner Entscheidung, weil es der Bundestag in gewissem Umfang in der Hand hat, Ausschüsse in der Zahl der Mitglieder zu vergrößern oder zu verkleinern und damit Pattsituationen zwischen Regierungsmehrheit und oppositioneller Minderheit bei Anwendung tradierter Zählverfahren zu vermeiden.
Diese parlamentarische Praxis ist im Fall des Vermittlungsausschusses dem Bundestag jedenfalls ohne Mitwirkung des Bundesrates verschlossen. Damit stellt sich hier die Frage deutlicher, wie weit das Bedürfnis nach Abbildung der parlamentarischen Regierungsmehrheit das aus Art. 38 Abs. 1 GG geforderte Repräsentations- und Proportionalitätsprinzip zu beeinflussen vermag. Diese Frage kann nicht deshalb dahinstehen, weil im Mittelpunkt des vorliegenden Organstreits gerade die Besetzung des Vermittlungsausschusses steht. Denn obwohl der Vermittlungsausschuss kein Ausschuss des Bundestages ist, gilt auch für die Besetzung der Bundestagsbank der Grundsatz verhältnismäßiger Berücksichtigung nach der Fraktionsstärke.
2. Der Vermittlungsausschuss ist ein in der Verfassung vorgesehenes ständiges und gemeinsames Unterorgan von Bundestag und Bundesrat. Das Ziel seiner Arbeit ist es, ein konkretes Gesetzgebungsverfahren zu einem positiven Abschluss zu bringen, indem entweder der Einspruch des Bundesrates vermieden oder die zunächst nicht erteilte Zustimmung zu einem Gesetzesbeschluss des Bundestages herbeigeführt wird (vgl. von der Heide, Der Vermittlungsausschuß. Praxis und Bewährung, DÖV 1953, S. 129). Dies soll dadurch erreicht werden, dass auf höherer politischer Ebene und unter übergeordneten Gesichtspunkten ein Interessenausgleich gesucht wird (vgl. Dehm, Stellung, Aufgaben und Bedeutung des

BVerfGE 112, 118 (138):

Vermittlungsausschusses, Bulletin vom 12. Februar 1958, Nr. 29, S. 251 [252]). Der Vermittlungsausschuss ist insoweit die institutionelle Konsequenz der Grundentscheidung des Verfassungsgebers, an der Gesetzgebung im Bund mit dem Bundestag und dem Bundesrat zwei Entscheidungsträger konstitutiv zu beteiligen. Er öffnet das Gesetzgebungsverfahren in einer bestimmten Konstellation für institutionelle Verhandlungslösungen (vgl. auch Herdegen, VVDStRL 62, 2003, S. 7 [20]).
Der Grundgedanke des Vermittlungsausschusses lässt sich nur so deuten, dass beide an der Gesetzgebung beteiligten Verfassungsorgane des Bundes im Vermittlungsausschuss repräsentiert werden. Während der Bundesrat sich dazu entschieden hat, die ihm in diesem Ausschuss zustehenden 16 Sitze unabhängig vom unterschiedlichen Stimmgewicht der Länder (Art. 51 Abs. 2 GG) mit je einem Vertreter jedes Landes zu besetzen, bleibt der Bundestag an das Repräsentationsprinzip gebunden: Im Vermittlungsausschuss verhandeln nicht die Mehrheit des Bundestages mit einer politischen Mehrheit der Länder, sondern der Bundestag mit dem Bundesrat. Die Bundestagsbank ist deshalb nicht etwa ein verkleinertes Abbild der die Regierung tragenden Parlamentsmehrheit oder gar Repräsentant der Regierung, sondern ein verkleinertes Abbild des ganzen Bundestages in seinem durch die Fraktionen geprägten und auf die Volkswahl zurückgehenden politischen Stärkeverhältnis.
Als gemeinsamer Ausschuss zweier Verfassungsorgane ist der Vermittlungsausschuss zwar nicht ohne weiteres mit einem Ausschuss des Bundestages vergleichbar; seine Bedeutung im Gesetzgebungsverfahren steht aber der Aufgabenwahrnehmung durch Ausschüsse des Bundestages nicht nach. Die gestaltende Vorbereitung eines Gesetzesbeschlusses betrifft die zentrale Aufgabe des Deutschen Bundestages. Der Vermittlungsausschuss hat im Gesetzgebungsverfahren eine herausgehobene und in gewissem Umfang verselbständigte Stellung (vgl. Hasselsweiler, Der Vermittlungsausschuß, 1981, S. 44, 71 und 105 ff.; Schenke, Die verfassungsrechtlichen Grenzen der Tätigkeit des Vermittlungsausschusses, 1984, S. 36 f.; Ossenbühl, Verfahren der Gesetzgebung, in: Isensee/Kirchhof [Hrsg.], HStR, 1996, Bd.III, § 63 Rn. 53; Masing, in: v. Man

BVerfGE 112, 118 (139):

goldt/Klein/Starck, Das Bonner Grundgesetz -- Kommentar, 4.Aufl., 2000, Art. 77 Rn. 65; Niemann, Die bundesstaatliche Bedeutung des Bundesrates unter besonderer Berücksichtigung der Funktion des Vermittlungsausschusses, 1978, S. 150 ff. und Trossmann, Bundestag und Vermittlungsausschuß, JZ 1983, S. 6 [7 f.] m.w.N.).
Die herausgehobene Stellung des Vermittlungsausschusses folgt daraus, dass er die Autonomie von Bundestag und Bundesrat zur konkreten Gestaltung des Gesetzgebungsverfahrens in mehrfacher Hinsicht begrenzt. Der Bundestag kann einen Vorschlag des Vermittlungsausschusses nicht ändern. Er ist gemäß Art. 77 Abs. 2 Satz 5 GG vielmehr gehalten, über einen Vorschlag des Vermittlungsausschusses zur Änderung oder zur -- ebenfalls eine Änderung darstellenden -- Aufhebung (vgl. § 10 Abs. 1 Satz 1 GOVermA) oder Ergänzung des Gesetzesbeschlusses erneut Beschluss zu fassen. Insoweit geht die Wirkung eines Einigungsvorschlags weit über diejenige einer Gesetzesinitiative eines der in Art. 76 Abs. 1 GG genannten Verfassungsorgane hinaus, die das Grundgesetz nicht an ein derart striktes Bescheidungsrecht (des Bundestages) bindet (vgl. Dästner, Die Geschäftsordnung des Vermittlungsausschusses, 1995, S. 26 f.). Anders als bei einer Beschlussempfehlung eines Bundestagsausschusses, die der Bundestag jederzeit zu ändern vermag, fehlt ihm dieses Recht in Bezug auf einen Einigungsvorschlag des Vermittlungsausschusses. Der Bundestag kann eine solche Empfehlung nur annehmen oder ablehnen. Diese Wirkungen werden noch gesteigert durch die Vorgabe in § 10 Abs. 1 Satz 1 GOVermA, wonach der Einigungsvorschlag auf Änderung oder Aufhebung des vom Bundestag beschlossenen Gesetzes "alsbald" auf die Tagesordnung des Bundestages zu setzen ist und nur über den Einigungsvorschlag abgestimmt wird, ohne dass andere Anträge zur Sache zulässig sind (§ 10 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 GOVermA). Hinzu kommt, dass der Vermittlungsausschuss festlegen kann, ob und inwieweit bei mehreren Änderungen des Gesetzesbeschlusses der Bundestag darüber einzeln oder gemeinsam abzustimmen hat (§ 10 Abs. 3 Satz 1 GOVermA).
Darüber hinaus kann der Bundesrat einen Einspruch gegen einen nicht zustimmungsbedürftigen Gesetzesbeschluss erst dann einle

BVerfGE 112, 118 (140):

gen, wenn er zuvor den Vermittlungsausschuss angerufen hat und auch das Vermittlungsverfahren -- wegen eines inakzeptablen oder mangels Zustandekommens eines Einigungsvorschlages (§ 12 GOVermA) -- beendet wurde, Art. 77 Abs. 3 Satz 1 GG. Ein Einspruch des Bundesrates setzt also die vorherige Durchführung eines Vermittlungsverfahrens voraus.
Aus alledem folgt, dass die Mitglieder des Bundestages im Vermittlungssausschuss die politischen Stärkeverhältnisse im Plenum des Bundestages nach dem Grundsatz der Spiegelbildlichkeit repräsentieren müssen. Andernfalls würde der Bundestag als Ganzes in die Sachzwänge konsensual vorgeprägter Verfahrensentscheidungen gezwungen, auf die er nicht einen Art. 38 Abs. 1 GG entsprechenden gleichheitsgerechten Einfluss gehabt hätte, ohne dass dies durch besondere sachliche Gründe gerechtfertigt wäre.
II.
Der demnach auch für die Besetzung der Bundestagsbank im Vermittlungsausschuss geltende Grundsatz der Spiegelbildlichkeit gilt nicht uneingeschränkt. Er muss im Konfliktfall mit dem Prinzip stabiler parlamentarischer Mehrheitsbildung in Einklang gebracht werden. Der gleichheitsgerechte Status von Abgeordneten und Fraktionen lässt bei Vorliegen besonderer Gründe Differenzierungen zu. Die für die Teilnahme am Prozess der parlamentarischen Willensbildung geltenden Gleichheitsanforderungen werden durch das Verfassungsgebot der Sicherung der Funktionsfähigkeit des Parlaments (vgl. BVerfGE 94, 351 [369]; 96, 264 [278 f.]) und durch den demokratischen Grundsatz der Mehrheitsentscheidung (Art. 42 Abs. 2 Satz 1 GG) begrenzt. Kollidieren der Grundsatz der Spiegelbildlichkeit und der Grundsatz, dass bei Sachentscheidungen die die Regierung tragende parlamentarische Mehrheit sich auch in verkleinerten Abbildungen des Bundestages muss durchsetzen können, so sind beide Grundsätze zu einem schonenden Ausgleich zu bringen.
1. Das Mehrheitsprinzip gehört zu den tragenden Grundsätzen der freiheitlichen Demokratie (vgl. BVerfGE 1, 299 [315]; 5, 85 [231 f.]; 29, 154 [165]). Zwar ist "Die Mehrheit" weder im Grundgesetz noch in der Geschäftsordnung des Bundestages mit besonderen Rechten

BVerfGE 112, 118 (141):

ausgestattet, sie bildet eine sich von Fall zu Fall jeweils erst konstituierende "politische", keine rechtliche Kategorie. Verfassungsrechtlich anerkannt ist aber das in Art. 42 Abs. 2 Satz 1 GG verankerte Mehrheitsprinzip (vgl. BVerfGE 106, 253 [273]). Nach dieser Vorschrift sind Beschlüsse des Bundestages mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen zu fassen; Ausnahmen sind -- sofern nicht durch die Verfassung selbst vorgesehen -- bei Wahlen durch die Geschäftsordnung zulässig. Das Prinzip der proportionalen Repräsentation endet als Gleichheitsanspruch und Minderheitenschutz gleichsam dort, wo Entscheidungen in der Sache getroffen werden. Nur auf diesem Weg kann sich die Mehrheit der Repräsentanten durchsetzen, damit die demokratische Willensbildung als Mehrheitswille in Erscheinung treten kann. Das Grundgesetz regelt nicht nur das Prinzip der Mehrheitsentscheidung, es will auch eine stabile parlamentarische Mehrheit im Einklang mit den die Regierung bildenden politischen Kräften gewährleisten. Nach den Erfahrungen mit den Präsidialkabinetten der Weimarer Republik, die seit der Regierung Brüning ohne regelmäßige parlamentarische Mehrheit regierten (vgl. Heinrich August Winkler, Der lange Weg nach Westen, Erster Band, 2000, S. 489 ff.), wollte das Grundgesetz eine solche lähmende Dissonanz zwischen Parlament und Regierung möglichst vermieden wissen. Davon zeugt vor allem die Beschränkung des Bundestages auf ein konstruktives Misstrauensvotum (Art. 67 Abs. 1 GG), aber auch die Ausgestaltung der Vertrauensfrage (Art. 68 GG).
Verkleinerte Abbildungen des Bundestages müssen deshalb zwar personell dem Grundsatz der Spiegelbildlichkeit gehorchen, Abweichungen sind aber in begrenztem Umfang gerechtfertigt, wenn im verkleinerten Gremium nur dadurch Sachentscheidungen ermöglicht werden, die eine realistische Aussicht haben, mit dem Willen einer im Plenum bestehenden politischen "Regierungsmehrheit" übereinzustimmen. Dies gilt ungeachtet der Frage, ob das Mehrheitsprinzip die gleiche prägende Kraft wie das Repräsentationsprinzip besitzt, in dem sich die Legitimation öffentlicher Herrschaft rückbindet.
2. Funktion und Aufgaben des Vermittlungsausschusses fordern keine zwingende Ausrichtung der Besetzung des Ausschusses am

BVerfGE 112, 118 (142):

Mehrheitsprinzip in einem Umfang, dass der Grundsatz der Spiegelbildlichkeit im Zweifel zu weichen hätte. Die Einrichtung des Vermittlungsausschusses zielt auf die Aushandlung von Kompromissen zwischen den gesetzgebenden Körperschaften; dies gelingt, wenn die für ein konkretes Gesetzgebungsvorhaben maßgeblichen politischen Meinungen zum Ausgleich gebracht werden können. Dabei schließt die normative Ausgestaltung des Vermittlungsverfahrens nicht aus, dass die politische Opposition auf Bundesebene in dem Ausschuss in bestimmten Fällen über eine Mehrheit verfügt. Das ergibt sich aus einem Vergleich der Struktur von Bundesrats- und Bundestagsbank sowie den Regelungen über das Abstimmungsverfahren im Ausschuss.
a) Die Zusammensetzung des Bundesrates wird von den Grundsätzen der Staatengleichheit ebenso geprägt wie von der Stimmgewichtung nach der Bevölkerungsstärke der Länder. Denn zum einen ist jedes Land der Bundesrepublik Deutschland über seine jeweiligen Mitglieder im Bundesrat vertreten und hat prinzipiell die gleichen Rechte und Pflichten (vgl. BVerfGE 106, 310 [330]), zum anderen berücksichtigt das Grundgesetz die unterschiedliche Größe der Länder, indem es ihre Stimmenzahl nach ihrer jeweiligen Einwohnerzahl gewichtet (Art. 51 Abs. 2 GG).
Der Bundesrat verzichtet darauf, in seinen abgeleiteten Gremien eine Stimmgewichtung vorzunehmen, er optiert hier für den Grundsatz der Staatengleichheit. Die Länder sind in den ständigen Ausschüssen und den Sonderausschüssen -- wie auf der Bundesratsbank des Vermittlungsausschusses -- jeweils durch ein Mitglied vertreten (§ 11 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Bundesrates -- GOBR). Nach § 42 Abs. 2 GOBR hat jedes Land in den Ausschüssen eine Stimme, und Beschlüsse werden mit der einfachen Mehrheit gefasst. Von dieser Regelung ausgenommen ist lediglich die Europakammer des Bundesrates, deren Beschlüsse gemäß Art. 52 Abs. 3a GG als Beschlüsse des Bundesrates gelten (§ 45h Abs. 1 Satz 1 GOBR). Diese gegenüber Art. 51 Abs. 2 und 3 GG veränderte Regelung der Besetzung und des Stimmrechts wirkt sich auf den Inhalt der Ausschussempfehlungen aus, weil die mit Mehrheit beschlossenen Empfehlungen der Ausschüsse den Mehrheitsverhältnissen im Plenum wi

BVerfGE 112, 118 (143):

dersprechen können. Obwohl auch die Ausschüsse des Bundesrates die Funktion haben, das Plenum durch Vorbereitung der Tagesordnungspunkte zu entlasten, unterlässt es das Binnenrecht des Bundesrates, die Willensäußerungen der Ausschüsse und des Plenums zu synchronisieren. Die Ausschussempfehlungen werden in der Praxis denn auch weniger als Vorentscheidung des jeweiligen Landes, sondern regelmäßig als beratende und kontrollierende Tätigkeit der Ministerialverwaltung angesehen. In vielen Fällen wird die einheitliche Linie des Landes erst zu einem späteren Zeitpunkt im Kabinett festgelegt (vgl. Reuter, Praxishandbuch Bundesrat, 1991, Art. 52 GG Rn. 46).
Daraus folgt, dass eine Projektion der jeweiligen politischen Bundesratsmehrheit in abgeleiteten Gremien jedenfalls nicht zwingend notwendig ist. Es wäre sogar denkbar, dass die politische Bundesratsmehrheit auf der Bundesratsbank im Vermittlungsausschuss in die Minderheit gerät, wenn sich die Mehrheit im Bundesratsplenum auf die bevölkerungsstärksten und damit stimmgewichtigen Länder und deren Bundesratsmitglieder stützt, die Mehrzahl der Länder jedoch von der politischen Bundesratsminderheit regiert wird.
Ein solches Stärkeverhältnis auf der Bundesratsbank wäre mit der Stellung und der Aufgabe des Vermittlungsausschusses vereinbar. Der verfassungsrechtliche Auftrag des Vermittlungsausschusses liegt darin, zwischen dem Bundestag und dem Bundesrat einen substantiellen Ausgleich widerstreitender Positionen im Gesetzgebungsverfahren herbeizuführen. Die Entstehungsgeschichte des Vermittlungsausschusses zeigt, dass dieser vermittelnde Prozess in möglichst geringem Maße formalisiert werden und dass es insbesondere auf die personelle Vertretung der im Gesetzgebungsverfahren beteiligten Standpunkte ankommen sollte.
Wie die Darstellung der Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat, werden die besonderen Funktionsbedingungen des Vermittlungsausschusses durch die Personalisierung des Gremiums unterstrichen. Diese äußert sich in der Weisungsfreiheit der in den Vermittlungsausschuss entsandten Mitglieder gemäß Art. 77 Abs. 2 Satz 3 GG (vgl. BVerfGE 8, 104 [120 f.]), in der noch verhältnismäßig überschaubaren Gremiengröße, der grundsätzlich

BVerfGE 112, 118 (144):

nicht öffentlichen Beratung (§ 6 GOVermA), der Wahl oder Entsendung fester Mitglieder und Stellvertreter, der Zulassung von Vertretern zu Sitzungen nur bei "Notwendigkeit" (§ 3 GOVermA) und dem erschwerten Wechsel der Mitglieder und Stellvertreter (§ 4 GOVermA).
Die Arbeit des Vermittlungsausschusses ist nicht notwendig darauf angelegt, in jedem Fall zu einer Entscheidung in der Sache zu gelangen. Das Vermittlungsverfahren kann auch ohne Einigungsvorschlag enden, wenn ein Mitglied einen entsprechenden Antrag stellt und sich auf der dritten Sitzung des Ausschusses keine Mehrheit für einen Einigungsvorschlag findet (§ 12 Abs. 1 und 2 GOVermA). In diesem Fall liegt die Verantwortung für den Fortgang des Verfahrens wieder bei Bundestag und Bundesrat.
Diese Regelung betont, dass der Vermittlungsausschuss nicht als ein Gremium ausgestaltet ist, das konstitutive Beschlüsse fassen soll, in denen sich eine bestimmte politische Mehrheit wiederfindet. Das Grundgesetz spricht deshalb in Art. 77 Abs. 2 Satz 1 davon, dass ein Ausschuss "für die gemeinsame Beratung von Vorlagen" gebildet wird. Art. 77 GG bringt zum Ausdruck, dass alle Möglichkeiten einer Verständigung erschöpft werden sollen, bevor das Gesetzgebungsverfahren seinen Fortgang nimmt (vgl. Empfehlungen des Juristischen Ausschusses der Ministerpräsidenten, Büro der Ministerpräsidenten des amerikanischen, britischen und französischen Besatzungsgebietes, 1949, Anlage 4, S. 39).
b) Für eine nur eingeschränkte Prägekraft des Mehrheitsprinzips jedenfalls im Vermittlungsausschuss sprechen ferner die verfahrensrechtlichen Regelungen in der Geschäftsordnung des Vermittlungsausschusses über die Abstimmung und zum Entscheidungsquorum. Die kategorische Bevorzugung des Mehrheitsprinzips ist auch nicht geboten, um sogenannte "unechte Vermittlungsergebnisse" zu vermeiden.
Die Geschäftsordnung des Vermittlungsausschusses weicht in einem wichtigen Aspekt von dem US-amerikanischen Vorbild der conference committees ab: im Vermittlungsausschuss wird nicht nach Bänken im Sinne einer itio in partes, sondern im Plenum abgestimmt (siehe aber § 7 Abs. 3 GOVermA). Der Ausschuss fasst seine

BVerfGE 112, 118 (145):

Beschlüsse mit der Mehrheit der Stimmen seiner anwesenden Mitglieder (§ 8 GOVermA). Die Ausgestaltung des Verfahrensrechts unterstreicht das Ziel, im Vermittlungsausschuss die politischen Mehrheitsverhältnisse des Bundestages und des Bundesrates zusammenzuführen. Ein neues politisches Kräfteverhältnis soll Kompromissvorschläge ermöglichen. Dabei soll der Vermittlungsausschuss alle Verständigungsmöglichkeiten ausschöpfen. Dieser Ansatz schließt von seiner Konstruktion her auch die Möglichkeit ein, dass es in Einzelfällen zu einem politischen Patt im Ausschuss kommt (vgl. Dietlein, ZRP 1987, S. 277 ff.).
Im Blick auf die besondere Stellung und Zusammensetzung des Vermittlungsausschusses folgt demnach nicht, dass ein schonender Ausgleich zwischen dem Grundsatz der Spiegelbildlichkeit und dem Mehrheitsprinzip entbehrlich wäre. Vielmehr war der Antragsgegner verpflichtet, seinen Beschluss nach § 57 Abs. 1 GOBT so zu fassen, dass auch bei einer Abbildung der Kanzlermehrheit (vgl. Art. 121 GG) die von § 12 GOBT geforderte Besetzung nach dem Stärkeverhältnis der Fraktionen so weit wie möglich gewahrt wird.
III.
Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen ist der angegriffene Beschluss noch gerecht geworden.
1. Der Beschluss weicht allerdings im Hinblick auf die beiden stärksten Fraktionen im Bundestag nicht unerheblich von Grundsätzen der Spiegelbildlichkeit ab.
Die nach dem Ergebnis der Wahlen zum Deutschen Bundestag vom 22. September 2002 stärkste Fraktion (SPD) verfügt über einen Stimmenanteil von 41,63%. Die zweitstärkste Fraktion (CDU/CSU) hat einen Gesamtstimmenanteil von 41,13%. Diese Stimmenanteile führen im Bundestagsplenum unter Berücksichtigung der Überhangmandate zu 251 Sitzen für die SPD-Fraktion und 248 Sitzen für die CDU/CSU-Fraktion. Die Anwendung des im angegriffenen Bundestagsbeschluss um einen Korrekturfaktor modifizierten Verfahrens nach St. Laguergibt eine Verteilung von acht Sitzen an die SPD-Fraktion und sechs Sitzen an die CDU/CSU-Fraktion.


BVerfGE 112, 118 (146):

Damit kommt auf 41 Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion ein Sitz im Vermittlungsausschuss, während bei der SPD-Fraktion auf 31 Mitglieder ein Sitz entfällt. Bei der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN repräsentiert das Mitglied im Vermittlungsausschuss demgegenüber sogar 55 Abgeordnete des Bundestages. Bei der Sitzverteilung auf der Grundlage des Verfahrens nach St. Laguhingegen würde sich die erforderliche Mitgliederzahl für einen Sitz im Vermittlungsausschuss auf 37 Mitglieder für die SPD-Fraktion und 35 Mitglieder für die CDU/CSU-Fraktion annähern.
Die Anwendung des in dem Beschluss des Bundestages vorgesehenen Verfahrens führt folglich dazu, dass hinter jedem Sitz auf der Bundestagsbank des Vermittlungsausschusses eine signifikant voneinander abweichende Zahl von Mandaten steht. Dies hat zur Folge, dass bei der Umrechnung von Mitgliederzahlen der Fraktionen in Vorschlagsrechte für die Besetzung der Bundestagsbank eine erhebliche Erfolgswertungleichheit besteht. Bei einer an den prozentualen Anteilen orientierten Betrachtung zeigt sich, dass die SPD-Fraktion mit ihren 41,63% am Gesamtstimmenanteil auf der Bundestagsbank des Vermittlungsausschusses 50% der Sitze besetzt, während die CDU/CSU-Fraktion mit 41,13% Gesamtstimmenanteil über einen Sitzanteil von 37,5% verfügt.
Die gegenwärtige Sitzverteilung auf der Grundlage des nach § 57 Abs. 1 Satz 1 GOBT gefassten Beschlusses gibt daher nicht mehr in einem noch akzeptablen Umfang die tatsächlichen politischen Kräfteverhältnisse im Plenum des Bundestages wieder. Damit widerspricht sie dem Grundsatz, dass die im Wahlergebnis verkörperte Willensbetätigung des Souveräns möglichst präzise im Parlament und seinen abgeleiteten Gremien abgebildet werden muss. Die vom Antragsgegner gewählte Lösung, den im Zählverfahren unberücksichtigt gelassenen Sitz auf der Bundestagsbank des Vermittlungsausschusses der stärksten Fraktion zuzuweisen, ist mit dem insoweit in § 12 GOBT verkörperten parlamentarischen Binnenrecht grundsätzlich unvereinbar. Das von der Antragstellerin angegriffene Verteilungsergebnis lässt sich mit keiner der üblichen Berechnungsmethoden rechtfertigen; der "Korrekturfaktor" steht dem Wortlaut und dem Sinn des § 12 Satz 1 GOBT entgegen. Die insofern unzu

BVerfGE 112, 118 (147):

reichende Proportionalität drückt sich in der Abweichung zwischen der Anzahl der Sitze einer Fraktion auf der Bundestagsbank des Vermittlungsausschusses und deren Gesamtstimmenanteil aus.
2. Eine Abweichung vom Grundsatz der Spiegelbildlichkeit kann dem Grunde nach jedoch durch das Mehrheitsprinzip nach den oben dargelegten Maßstäben gerechtfertigt sein. Da die zur Verfügung stehenden herkömmlichen Zählverfahren keinen Weg erlaubten, beiden Grundsätzen Rechnung zu tragen, war der Antragsgegner berechtigt, vorläufig einen Korrekturfaktor der umstrittenen Art als System der Proportionalitätsfestlegung im Sinne des § 57 Abs. 1 GOBT mit Mehrheitsbeschluss durchzusetzen. Denn die schwierige Suche im Konsens aller Fraktionen und Überlegungen, wie ein neues System auch diese ungewöhnliche Konstellation schonend ausgleicht, erfordert ausreichend Zeit, die im Interesse der Funktionsfähigkeit parlamentarischer Gesetzgebung zum Zeitpunkt des angegriffenen Beschlusses nicht erübrigt werden konnte, ohne das Verfahren der Bundesgesetzgebung zu verzögern.
In einem neu zusammengetretenen Parlament, das sich durch knappe Mehrheitsverhältnisse auszeichnet, kann es zudem sinnvoll sein, zunächst für einen begrenzten Zeitraum Erfahrungen im Wettbewerb zwischen sogenannter Regierungsmehrheit und oppositioneller Minderheit zu sammeln, bevor systematische Entscheidungen getroffen werden. In dieser besonderen Situation kann deshalb in dem gewählten Vorgehen noch keine Überschreitung der parlamentarischen Autonomie festgestellt werden.
3. Der Antragsgegner ist allerdings verpflichtet, unverzüglich und unter Ausschöpfung der in Geschäftsordnungsangelegenheiten üblichen Kooperation zwischen allen Fraktionen des Bundestages einen entsprechenden Beschluss nach § 57 Abs. 1 GOBT neu vorzubereiten und zeitnah zu fassen. Das Grundgesetz geht in Art. 42 Abs. 2 Satz 2 GG davon aus, dass Abweichungen vom Mehrheitsprinzip für Wahlen durch die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages erfolgen. Der Anforderung, die Abweichung vom Mehrheitsprinzip im Rahmen des Geschäftsordnungsrechts transparent, berechenbar und abstrakt-generell auszugestalten, entsprechen sowohl § 12 und § 57 Abs. 1 GOBT als auch die üblicherweise angewandten

BVerfGE 112, 118 (148):

konkretisierenden Zählverfahren, auf die in Beschlüssen nach § 57 Abs. 1 GOBT Bezug genommen wird. Eine nicht unerhebliche und möglicherweise gerechtfertigte Abweichung von diesem System kann zu einem Änderungsbedarf der Geschäftsordnung in den dafür vorgesehenen Verfahren führen. Der Antragsgegner wird demnach zu entscheiden haben, ob er einen durch das bestehende Geschäftsordnungsrecht gedeckten neuen Beschluss nach § 57 Abs. 1 GOBT fasst oder die Geschäftsordnung unter Beachtung der einschlägigen verfassungsrechtlichen Grundsätze ändert. Eine solche Neuentscheidung im Rahmen parlamentarischer Autonomie und aus Anlass des vorliegenden Organstreitverfahrens ist nicht deshalb entbehrlich, weil es ersichtlich keinen anderen Ausgleich zwischen den betroffenen Verfassungsprinzipien gäbe. Das Bundesverfassungsgericht könnte das Fehlen alternativer Gestaltungsmöglichkeiten allenfalls dann feststellen, wenn die Alternativlosigkeit offensichtlich wäre. Dies ist hier nicht der Fall. In Betracht kommt vor allem, dass die Regeln der §§ 12, 57 GOBT modifiziert, insbesondere um generelle Vorkehrungen für Fälle wie den vorliegenden und ähnliche Konstellationen ergänzt werden. Auch kann die Möglichkeit einer Regelung in der Gemeinsamen Geschäftsordnung des Bundestages und des Bundesrates für den Vermittlungsausschuss gemäß Art. 77 Abs. 2 Satz 2 GG nicht von vorneherein verworfen werden.
Hassemer Jentsch Broß Osterloh Di Fabio Mellinghoff Lübbe-Wolff Gerhardt
 
Abweichende Meinung der Richterin Osterloh und des Richters Gerhardt zum Urteil des Zweiten Senats vom 8. Dezember 2004 -- 2 BvE 3/02 --
Wir stimmen mit der Senatsmehrheit darin überein, dass der Antragsgegner verpflichtet ist, erneut über die Grundsätze zu beschließen, nach denen die Mitglieder des Deutschen Bundestages in den Vermittlungsausschuss entsandt werden. Nach Ansicht der Senats

BVerfGE 112, 118 (149):

mehrheit folgt diese Verpflichtung daraus, dass der Beschluss vom 30. Oktober 2002 inhaltlich dem Grundsatz der Proportionalität nicht ausreichend entspricht. Deshalb müsse der erneute Beschluss des Bundestages darauf abzielen, eine "proportionalitätsgerechtere" Sitzverteilung zu schaffen (unter B. vor I.). Dem können wir uns nicht anschließen. Die Senatsmehrheit verkürzt die Reichweite der autonomen Entscheidungsbefugnis des Bundestages in Angelegenheiten der Geschäftsordnung und unterwirft sie einer zu weit gehenden Inhaltskontrolle durch das Bundesverfassungsgericht. Der verfassungsrechtliche Mangel des angegriffenen Bundestagsbeschlusses liegt nicht im Entscheidungsergebnis -- dieses kann verfassungskonform sein --, sondern in dem ihm zu Grunde liegenden Vorgang der Willensbildung, nämlich darin, dass der Antragsgegner einseitig auf das Mehrheitsprinzip abgestellt, andere Gestaltungen nicht erörtert und damit bei seinen Verhandlungen erkennbar nicht im gebotenen Umfang nach einem schonenden Ausgleich zwischen dem Grundsatz der Spiegelbildlichkeit und dem Mehrheitsprinzip gesucht hat.
1. Der Bundestag hat -- insoweit folgen wir der Senatsmehrheit -- bei der Regelung der Entsendung seiner Mitglieder in den Vermittlungsausschuss in erster Linie den Grundsatz der Spiegelbildlichkeit, demzufolge Ausschüsse verkleinerte Abbildungen der politischen Stärkeverhältnisse im Plenum sein müssen, aber auch das Mehrheitsprinzip als ein wesentliches Element der freiheitlichen Demokratie mit Blick auf eine wirkungsvolle Tätigkeit des Vermittlungsausschusses zu berücksichtigen und für den Fall eines Widerstreits dieser Grundsätze einen angemessenen Ausgleich zu suchen. Allerdings handelt es sich um eine Angelegenheit, die der Geschäftsordnungsautonomie des Bundestages unterfällt und deshalb der Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht nur eingeschränkt zugänglich ist.
Die Geschäftsordnungsautonomie (Art. 40 Abs. 1 Satz 2 GG) bildet zusammen mit weiteren Rechten des Bundestages den Kern der Parlamentsautonomie. Zu den Regelungsgegenständen des Selbstorganisationsrechts des Bundestages zählen die Abläufe des Gesetzgebungsverfahrens, soweit es nicht in der Verfassung selbst geregelt

BVerfGE 112, 118 (150):

ist, sowie die Funktion, Zusammensetzung und Arbeitsweise der Ausschüsse, die Wahrnehmung von Initiativ-, Informations- und Kontrollrechten, die Bildung und die Rechte von Fraktionen und die Ausübung des parlamentarischen Rederechts (vgl. BVerfGE 80, 188 [219]; 102, 224 [236]). Es ist deshalb auch Sache des Bundestages, näher zu bestimmen, auf welche Weise seine Mitglieder an der parlamentarischen Willensbildung mitwirken und welche Befugnisse die Fraktionen bei der Ausgestaltung des parlamentarischen Verfahrens haben. Art. 40 Abs. 1 Satz 2 GG knüpft zwar an die historische Entwicklung des Parlamentsrechts an (vgl. BVerfGE 44, 308 [314]). Das Recht der Parlamentsautonomie muss aber im Hinblick auf die jeweils zu bewältigende Situation konkretisiert werden, um eine Anpassung an veränderte Arbeitsbedingungen zu ermöglichen. So kann die Parlamentsautonomie eine gegenüber früheren Verfassungsepochen gewandelte Aktualität durch den Umstand gewinnen, dass nicht mehr wie in der klassischen Lehre Parlament und Regierung einander gegenüber stehen, sondern Regierung und die sie unterstützende Parlamentsmehrheit gegenüber der Opposition politisch eine Einheit bilden. Auch auf die zunehmende Komplexität der Regelungsbedürfnisse muss das Parlament im Rahmen des Selbstorganisationsrechts reagieren. Das moderne Parlament muss daher Strategien des arbeitsteiligen Zusammenwirkens und der Koordination der politischen Willensbildung entwickeln, will es seine Arbeitsfähigkeit nicht einbüßen (BVerfGE 102, 224 [236]).
Die verfassungsgerichtliche Prüfung von Bestimmungen der Geschäftsordnung hat davon auszugehen, dass das Parlament bei der Entscheidung darüber, welcher Regeln es zu seiner Selbstorganisation und zur Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Geschäftsgangs bedarf, einen -- allgemein weiten -- Gestaltungsspielraum hat (vgl. BVerfGE 80, 188 [220]; 84, 304 [322]). Dieser ist allerdings nicht unbeschränkt und findet insbesondere in Art. 38 Abs. 1 GG eine Schranke (vgl. BVerfGE 102, 224 [237]). Was aus den Grenzen und Bindungen dieser Regelungsmacht des Parlaments im Einzelnen folgt, muss nach dem jeweiligen Gegenstand bestimmt werden.
Regelungen der Geschäftsordnung wirken sich, da die Rechte der Abgeordneten einander zugeordnet sind und aufeinander abge

BVerfGE 112, 118 (151):

stimmt werden müssen, notwendig immer auch als Beschränkungen der Rechte der einzelnen Abgeordneten aus. Dabei darf -- gerade um der Repräsentationsfähigkeit und der Funktionstüchtigkeit des Parlaments willen -- das Recht des einzelnen Abgeordneten, an der Willensbildung und Entscheidungsfindung des Bundestages mitzuwirken, nicht in Frage gestellt werden (vgl. BVerfGE 84, 304 [321 f.]). Auch bedürfen Differenzierungen zwischen Abgeordneten stets eines besonderen rechtfertigenden Grundes (vgl. BVerfGE 96, 264 [278]).
In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist anerkannt, dass es dem Bundestag in sachlich begründeten Fällen verfassungsrechtlich unbenommen ist, für Ausschüsse oder ähnliche Gremien eine Mitgliederzahl vorzusehen, die bei Anwendung der üblichen Regeln für die Sitzverteilung eine Berücksichtigung aller parlamentarischen Gruppierungen nicht ermöglicht (vgl. BVerfGE 70, 324 [364]). Dem Bundestag steht ein Gestaltungsspielraum bei der Abwägung zwischen den Bedürfnissen der Arbeitsfähigkeit etwa eines Untersuchungsausschusses und seiner möglichst repräsentativen Zusammensetzung zu (vgl. BVerfGE 96, 264 [281]). Ferner ist anerkannt, dass der Bundestag ebenso wie bei der Besetzung von Ausschüssen auch bei der Wahl seiner Vertreter im Vermittlungsausschuss den Grundsatz der Spiegelbildlichkeit von Parlament und Ausschüssen zu beachten hat, die Entscheidung für das bei Gremienwahlen anzuwendende Zählsystem vorbehaltlich einer missbräuchlichen Handhabung der Geschäftsordnungsautonomie aber in die autonome Entscheidungsbefugnis des Bundestages fällt (vgl. BVerfGE 96, 264 [283]).
Auch wenn dies in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bislang noch nicht auszusprechen war, so setzt doch die Anerkennung eines verfassungsgerichtlich nur beschränkt überprüfbaren weit reichenden Gestaltungsspielraums des Bundestages in eigenen Angelegenheiten jedenfalls voraus, dass der Bundestag angesichts der Einwirkung von Geschäftsordnungsentscheidungen auf die Rechte der Abgeordneten bei der Wahrnehmung seiner Geschäftsordnungsautonomie alle Möglichkeiten umfassend würdigt, die für den verfassungsrechtlich gebotenen schonenden Ausgleich

BVerfGE 112, 118 (152):

der kollidierenden Grundsätze in der konkreten Situation ernsthaft in Betracht zu ziehen sind. Der Bundestag ist kraft der ihm zustehenden Gestaltungsfreiheit bei einem unvermeidbaren Konflikt zwischen dem Grundsatz der Spiegelbildlichkeit und dem Mehrheitsprinzip zwar letztlich nicht gehindert, sich unter Zurücksetzung anderer Lösungen für eine vorrangig am Mehrheitsprinzip orientierte Regelung zu entscheiden; dem hat jedoch eine problemadäquate Abwägung zugrunde zu liegen. Ob der Bundestag eine solche Abwägung vorgenommen hat, unterliegt verfassungsgerichtlicher Prüfung. Geht der Entscheidung des Bundestages ein Verfahren voraus, das auf eine ausgewogene Regelung im Konsens möglichst aller Fraktionen angelegt ist, deutet dies in der Regel darauf hin, dass den verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprochen worden ist.
2. Der Beschluss vom 30. Oktober 2002 genügt nicht den Anforderungen an die Willensbildung des Bundestages im Rahmen seiner Geschäftsordnungsautonomie.
Von der Verfahrensgestaltung kann hier nicht auf eine genügende Berücksichtigung der kollidierenden Grundsätze geschlossen werden. Soweit eine innerparlamentarische Verständigung angestrebt worden ist, fehlt es jedenfalls an aussagekräftigen Belegen. Auch sind keine Ansätze dafür erkennbar, die unterschiedlichen Auffassungen in Bezug auf die Auslegung der Geschäftsordnung (§§ 12, 57 GOBT) durch generelle Überlegungen zu überbrücken, geschweige denn mit Zweidrittelmehrheit der anwesenden Mitglieder des Bundestages außer Streit zu stellen (vgl. § 126 GOBT).
Die Verhandlungen zu Beginn der 15. Wahlperiode lassen nicht erkennen, dass in der Sache Alternativen zu der angegriffenen Lösung erwogen und hinreichend gewürdigt worden sind. Den zugänglichen parlamentarischen Dokumenten und dem Vorbringen des Antragsgegners in diesem Verfahren lässt sich insbesondere nicht entnehmen, dass er den Grundsatz der Spiegelbildlichkeit im gebotenen Umfang in seine Erwägungen aufgenommen und mit Blick auf die Gegebenheiten des Vermittlungsausschusses gewürdigt hat. Die Erwägungen, die dem Beschluss vom 30. Oktober 2002 zugrunde liegen, stellen vielmehr einseitig auf das Mehrheitsprinzip ab. Sie beziehen sich zudem zu undifferenziert auf die Ent

BVerfGE 112, 118 (153):

scheidung des Bundesverfassungsgerichts BVerfGE 96, 264 [283], wo die erstmals in der 15. Wahlperiode entstandene Konstellation, dass die die Regierung tragende Mehrheit bei der Besetzung der Bundestagsbank im Vermittlungsausschuss mit keinem der herkömmlichen Zählverfahren abgebildet werden kann, nicht behandelt worden ist.
Mit der Senatsmehrheit sind wir der Ansicht, dass die Verpflichtung des Antragsgegners zu erneuter Beschlussfassung nicht etwa deshalb entfällt, weil im Ergebnis offensichtlich kein anderer Weg als der gewählte bestünde, den Grundsatz der Spiegelbildlichkeit und das Mehrheitsprinzip unter den gegebenen Mehrheitsverhältnissen zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen. Während aber nach Ansicht der Senatsmehrheit der Inhalt des angegriffenen Beschlusses mangels ausreichender Proportionalität der Sitzverteilung mit der Verfassung unvereinbar ist und folglich auch nicht Gegenstand eines geänderten Geschäftsordnungsrechts sein kann, hat unseres Erachtens die gebotene Respektierung der Geschäftsordnungsautonomie des Deutschen Bundestages gemäß Art. 40 Abs. 1 Satz 2 GG eine andere Konsequenz: Kommt der Bundestag auf der Grundlage der erforderlichen Abwägung zu der Einschätzung, dass an der Regelung im angegriffenen Beschluss festzuhalten ist, so ist er daran von Verfassungs wegen nicht gehindert.
Osterloh Gerhardt
 
Abweichende Meinung der Richterin Lübbe-Wolff zum Urteil des Zweiten Senats vom 8. Dezember 2004 -- 2 BvE 3/02 --
Der Fall wirft zwei Fragen auf: Darf der Bundestag für die Besetzung der Bundestagsbank im Vermittlungsausschuss ein Berechnungsverfahren wählen, welches die Abbildung der die Regierung tragenden Parlamentsmehrheit sicherstellt? Wenn ja: Muss er dazu, um nicht Rechte der Antragstellerin zu verletzen, ein anderes als das am 30. Oktober 2002 beschlossene Verfahren wählen? Auf die

BVerfGE 112, 118 (154):

erste Frage (I.) finde ich in der Entscheidungsbegründung keine klare Antwort. Die Antwort auf die zweite halte ich für falsch (II.).
I. Unumstrittener Maßstab für die Beurteilung des Falles ist der Grundsatz der Spiegelbildlichkeit von Parlament und Ausschüssen, der auch für die Besetzung der Bundestagsbank im Vermittlungsausschuss gilt (vgl. BVerfGE 96, 264 [282]). Dem entspricht das Gebot, die Ausschüsse nach dem Stärkeverhältnis der Fraktionen zu besetzen (§ 12 Satz 1 GOBT). Genau spiegelbildlich wäre die vollkommen proportionale Besetzung, bei der jede Fraktion genau den Sitzanteil erhält, den sie auch im Bundestag hat, bei der also die Anzahl ihrer Sitze und die Gesamtzahl der Sitze in beiden Gremien im gleichen Verhältnis zueinander stehen. Der Quotient aus Sitzanteil im Ausschuss und Sitzanteil im Bundestag ("Erfolgswert") ist in diesem Idealfall für alle Fraktionen gleich eins. Zugleich hat jede genau spiegelbildliche Abbildung die Eigenschaft, dass sie -- für beliebige Koalitionen -- auch die Mehrheitsverhältnisse abbildet. Mehrheitsabbildung kann insofern neben der Erfolgswertgleichheit als Element der Spiegelbildlichkeit aufgefasst werden. Das Problem liegt darin, dass eine genau spiegelbildliche Abbildung in der Regel nicht möglich ist und bei der Annäherung an das Ideal der Spiegelbildlichkeit, die infolgedessen allein verlangt werden kann, die im Ideal vereinten Teilziele Erfolgswertgleichheit und Mehrheitsabbildung miteinander in Konflikt geraten können.
Für eine Rechtspflicht, in diesem Konflikt das Teilziel der Mehrheitsabbildung zurückzusetzen, sehe ich keine Grundlage. Das Bundesverfassungsgericht hat in einer früheren Entscheidung die geschäftsordnungsrechtliche Regel, dass die Ausschüsse entsprechend dem Stärkeverhältnis der Fraktionen zu besetzen sind (§ 12 GOBT), nicht nur in ihrer Bedeutung für die jeweilige Opposition gewürdigt, sondern sie zugleich als grundsätzlich notwendige Konsequenz der aus dem demokratischen Prinzip folgenden Rechtsstellung der parlamentarischen Mehrheit aufgefasst (vgl. BVerfGE 70, 324 [365 f.]). Wenn der Senat stattdessen nun die parlamentarische Mehrheit zu einer bloß politischen, nicht rechtlichen Kategorie erklärt, so kann dies jedenfalls nicht bedeuten -- und bedeutet ausweislich der weiteren Entscheidungsgründe auch für den Senat nicht --, dass die parla

BVerfGE 112, 118 (155):

mentarische Mehrheit eine verfassungsrechtlich irrelevante Größe wäre. Demokratische Legitimation vermittelt sich nicht über Minderheits-, sondern über Mehrheitsentscheidungen (vgl. BVerfGE 38, 258 [274]). Das für den demokratischen Verantwortungszusammenhang wichtigste Element des abzubildenden Stärkeverhältnisses der Fraktionen sind deshalb die Mehrheitsverhältnisse. Der Bundestag hat daher grundsätzlich das Recht, für Konfliktfälle dem Ziel der Mehrheitsabbildung den Vorzug zu geben. Dieses Recht folgt aus dem Grundsatz der Spiegelbildlichkeit selbst, nicht aus einem damit konkurrierenden Mehrheitsprinzip.
Der Auffassung der Senatsmehrheit, dass es angesichts der auf Kompromissbildung ausgerichteten Funktion des Vermittlungsausschusses auf die dortigen Mehrheitsverhältnisse weniger als in anderen Ausschüssen ankomme, kann ich nicht folgen. Dem Vermittlungsausschuss ist die Funktion zugedacht, Kompromisse zu finden, die Aussicht haben, sowohl im Bundestag als auch im Bundesrat die notwendige Mehrheit zu finden. Diese Funktionszuweisung legt aber den Inhalt der zu findenden Kompromisse noch nicht fest. Weder folgt aus dem Ziel, einen für Bundestag und Bundesrat akzeptablen Kompromiss zu finden, ohne weiteres, wie dieser Kompromiss auszusehen hat, noch ist gewährleistet, dass alle Beteiligten tatsächlich auf einen in diesem Sinne zielführenden Kompromiss hinarbeiten. In der Praxis des Vermittlungsausschusses kommen bekanntlich auch die im Urteil erwähnten sogenannten unechten Vermittlungsergebnisse vor -- Einigungsvorschläge, die die Ausschussmehrheit in Kenntnis dessen beschließt, dass sie keine Aussicht auf Annahme in beiden Gesetzgebungsorganen haben. Ob ein tragfähiger Kompromiss gefunden wird und welcher Kompromiss gefunden wird, hängt daher unter anderem von den Mehrheitsverhältnissen ab. Die Funktion des Vermittlungsausschusses, durch Kompromissfindung eine Einigung zu ermöglichen, macht deshalb die Mehrheitsverhältnisse nicht belanglos. Im Gegenteil: Die Senatsmehrheit selbst weist auf die gerade durch diese Funktion geprägten besonderen Bindungswirkungen der Beschlüsse des Vermittlungsausschusses für das weitere Gesetzgebungsverfahren hin, unter anderem darauf, dass der Bundestag die Vorschläge des Ver

BVerfGE 112, 118 (156):

mittlungsausschusses, anders als die Beschlussvorschläge anderer Ausschüsse, nur unverändert annehmen oder ablehnen kann. Das verschafft den Beschlüssen des Vermittlungsausschusses besondere Bedeutung und damit den Mehrheitsverhältnissen, von denen ihr Inhalt abhängt, besonderes Gewicht. Mir scheint, dass die Senatsmehrheit dies der Sache nach anerkennt, wenn sie feststellt, dass wegen der angesprochenen Besonderheiten gerade auf der Bundestagsbank des Vermittlungsausschusses die politischen Stärkeverhältnisse im Plenum des Bundestages repräsentiert sein müssen, damit nicht "der Bundestag als Ganzes in die Sachzwänge konsensual vorgeprägter Verfahrensentscheidungen gezwungen" wird.
Zur Begründung des trotzdem eingenommenen Standpunktes, dass es im Vermittlungsausschuss weniger als sonst auf die Abbildung der Mehrheitsverhältnisse ankomme, weist die Senatsmehrheit auch darauf hin, dass die Bundesratsbank im Vermittlungsausschuss ohne Berücksichtigung des unterschiedlichen Stimmgewichts der Länder (Art. 51 Abs. 2 GG) besetzt wird, der Bundesrat also darauf verzichtet hat, die parteipolitischen Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat auf die Bundesratsbank im Vermittlungsausschuss abzubilden. Dass der vom Grundgesetz nicht als Vertretung der parteipolitischen Mehrheitsverhältnisse der Ländergesamtheit, sondern als Vertretung der Länder konzipierte Bundesrat so verfährt, kann aber nicht das Recht des Bundestages schmälern, für die von ihm zu besetzenden Sitze im Vermittlungsausschuss auf die Abbildung der Mehrheitsverhältnisse Wert zu legen und das Berechnungsverfahren für die Sitzverteilung entsprechend zu gestalten. Tatsächlich kann es, wie die Senatsmehrheit hervorhebt, vorkommen, dass auf der Bundesratsbank des Vermittlungsausschusses die "politische Bundesratsmehrheit" sich in der Minderheit findet. Das zeigt aber nicht, dass es im Vermittlungsausschuss auf die Mehrheitsverhältnisse grundsätzlich nicht ankäme. Es zeigt nicht einmal, dass es für die praktische Arbeit der Vertreter des Bundesrates im Vermittlungsausschuss auf die "politischen Mehrheitsverhältnisse" im Bundesrat nicht ankäme, sondern nur, dass der Bundesrat aufgrund der dortigen Kooperationsbedingungen über politische Mechanismen verfügt, die hinreichend sicherstellen, dass bei der Arbeit im Vermittlungsausschuss diese Mehrheitsver

BVerfGE 112, 118 (157):

hältnisse berücksichtigt werden, obwohl sie in der Besetzung der Bundesratsbank nicht abgebildet sind. Das nötigt den Bundestag nicht, von entsprechenden Voraussetzungen bei der Besetzung der Bundestagsbank auszugehen.
Die erste Frage ist demnach zu bejahen. Der Bundestag darf für die Verteilung seiner Sitze im Vermittlungsausschuss ein Berechnungsverfahren wählen, das die Abbildung der Bundestagsmehrheit sicherstellt. Aus der besonderen Funktion des Vermittlungsausschusses lassen sich Gegengründe nicht ableiten.
Ob der Senat demgegenüber schon die erste Frage verneint, bleibt unklar. Die Ausführungen zur schwachen Wirkkraft des Mehrheitsprinzips deuten auf eine verneinende Antwort hin; ebenso die Feststellung, die gegenwärtige Sitzverteilung gebe "nicht mehr in einem akzeptablen Umfang die tatsächlichen politischen Kräfteverhältnisse im Plenum des Bundestages wieder". Dass in den Entscheidungsgründen die Frage offengelassen wird, "ob das Mehrheitsprinzip die gleiche prägende Kraft wie das Repräsentationsprinzip besitzt", kann dagegen eigentlich nur bedeuten, dass auch die Frage der Vor- oder Nachrangigkeit im Konfliktfall offengelassen wird, und wenn der Senat feststellt, der Bundestag sei verpflichtet, seinen Beschluss so zu fassen, dass "auch bei einer Abbildung der Kanzlermehrheit" die von § 12 GOBT geforderte Besetzung nach dem Stärkeverhältnis der Fraktionen "soweit wie möglich gewahrt wird", so deutet dies darauf hin, dass er die gewählte Lösung nicht wegen Überschreitung einer nicht näher definierten absoluten Grenze zulässiger Abweichung vom Ideal der Erfolgswertgleichheit, sondern nur deshalb ablehnt, weil er eine schonendere Variante für möglich hält. Dafür spricht auch, dass der Senat die Frage aufwirft, ob es "ersichtlich keinen anderen Ausgleich zwischen den betroffenen Verfassungsprinzipien" gibt, und ausdrücklich feststellt, die Alternativlosigkeit der gewählten Lösung sei jedenfalls nicht offensichtlich. Hierauf käme es nicht an, wenn das beschlossene mehrheitsabbildende Zuteilungsverfahren unabhängig von der Existenz schonenderer Alternativen für rechtswidrig gehalten würde.
II. War der Bundestag berechtigt, dem Ziel der Mehrheitsabbildung Vorrang einzuräumen, so stellt sich die weitere Frage, ob er da

BVerfGE 112, 118 (158):

zu gerade das im Beschluss vom 30. Oktober 2002 vorgesehene Zuteilungsverfahren wählen durfte.
Dem gewählten Verfahren wird angekreidet, dass es mit einem ergebnisbezogenen Korrekturfaktor arbeitet und damit von den herkömmlichen Zuteilungsverfahren abweicht. Dies ist auch in Teilen der öffentlichen Diskussion als eine Art schmutziger Trick aufgefasst worden, der die Ergebnisse sauberer mathematischer Verfahren verfälscht. Von der Voraussetzung, dass die Einführung eines ergebnisbezogenen Korrekturfaktors schon als solche zu beanstanden ist, geht auch die Senatsmehrheit insofern aus, als sie beanstandet, das angegriffene Verteilungsergebnis lasse sich mit keiner der üblichen Berechnungsmethoden rechtfertigen.
Diese Betrachtungsweise wird dem Vorgang nicht gerecht. Die verfassungsrechtliche Beurteilung unterliegt nicht dem Diktat mathematischer Berechnungsverfahren, sondern umgekehrt hängt von den verfassungsrechtlichen Vorgaben ab, ob ein Berechnungsverfahren zulässig oder seine Anwendung sogar geboten ist. Die in der parlamentarischen Praxis üblichen Berechnungsverfahren sind -- mit kleinen Unterschieden im Ergebnis -- am Ziel der Erfolgswertgleichheit ausgerichtet. Ihre Funktion ist nicht, Abweichungen von diesem Ziel zu rechtfertigen, sondern die Abweichung möglichst gering zu halten. Die Frage, ob und inwieweit Abweichungen von den herkömmlichen Berechnungsverfahren zulässig sind, ist daher, wenn man die zwischen diesen Verfahren selbst bestehenden Unterschiede ausblendet, gleichbedeutend mit der Frage, ob und inwieweit Abweichungen vom Ziel der Erfolgswertgleichheit zulässig sind.
Wie unter I. ausgeführt und auch von der Senatsmehrheit nicht konsequent bestritten, ist es grundsätzlich zulässig, für die Besetzung der Bundestagsbank im Vermittlungsausschuss ein Berechnungsverfahren zu wählen, das dem Ziel der Mehrheitsabbildung Vorrang vor dem Ziel der Erfolgswertgleichheit einräumt. Daraus folgt, dass zugunsten des erstgenannten Ziels von den herkömmlichen Berechnungsverfahren abgewichen werden darf. Das beschlossene Berechnungsverfahren diskreditiert sich also weder durch die Abweichung als solche noch dadurch, dass der eingebaute Abwei

BVerfGE 112, 118 (159):

chungsfaktor auf ein bestimmtes Ergebnis, nämlich die Abbildung der parlamentstragenden Mehrheit, gerichtet ist.
Dass das gewählte Verfahren, weil es mit einem sogenannten Korrekturfaktor arbeitet, mathematisch weniger elegant erscheinen mag als das unkorrigierte herkömmliche Verfahren, tut verfassungsrechtlich nichts zur Sache. Zwar kann Einfachheit eine begrenzte verfassungsrechtliche Relevanz insofern gewinnen, als die Verständlichkeit der Verfahren, in denen demokratische Legitimation vermittelt wird, in einer Demokratie einen gewissen Eigenwert hat; zugunsten besserer Durchschaubarkeit kann es daher gerechtfertigt sein, andere bei der Verfahrensgestaltung zu berücksichtigende Ziele nicht mit letztmöglicher Subtilität zu verfolgen. Das ändert aber nichts daran, dass mathematische Eleganz weder in der einen noch in der anderen Richtung ein Maßstab für Verfassungskonformität ist. Die Verfassungskonformität eines Zuteilungsverfahrens hängt davon ab, ob es verfassungskonforme Ergebnisse produziert.
Dass das gewählte Verfahren systematisch das Ziel möglichst weitgehender Erfolgswertgleichheit zugunsten des Ziels der Mehrheitsabbildung zurücksetzt, ist, wie ausgeführt, per se nicht zu beanstanden. Als möglicher Grund für verfassungsrechtliche Beanstandungen bleibt demnach nur das Ausmaß der bewirkten Zurücksetzung.
Diesbezügliche verfassungsrechtliche Einwände macht die Urteilsbegründung geltend, indem sie einen schonenden Ausgleich zwischen Mehrheitsprinzip und Grundsatz der Spiegelbildlichkeit verlangt und annimmt, diesem Gebot sei zwar -- mangels ausreichender Zeit für die Prüfung besserer Alternativen -- zum Zeitpunkt des umstrittenen Beschlusses genügt gewesen, inzwischen aber nicht mehr, so dass nun ein neuer Beschluss mit abweichendem Inhalt gefasst werden müsse.
Die parlamentarische Mehrheit kann nur entweder abgebildet oder nicht abgebildet werden, ein Drittes gibt es nicht. Zwischen Mehrheitsabbildung und Erfolgswertgleichheit ist daher im Konfliktfall ein schonender Ausgleich im Sinne einer Mittellösung nicht möglich. Zu verlangen ist aber, dass das Ziel der Erfolgswertgleichheit zur Bewältigung des Konflikts nicht weiter zurückgesetzt wird, als es das Ziel der Mehrheitsabbildung erfordert; weiter reicht des

BVerfGE 112, 118 (160):

sen rechtfertigende Kraft nicht. In diesem Sinne muss die Zurücksetzung möglichst schonend erfolgen. Dieses Gebot hat der Antragsgegner jedoch nicht in einer die Rechte der Antragstellerin berührenden Weise missachtet.
Im Fall der reinen Bundestagsausschüsse bietet sich als Mittel der Vermeidung eines Patts zwischen parlamentarischer Mehrheit und Opposition die geringfügige Veränderung der Gremiengröße an. Dieser Ausweg steht dem Bundestag aber aus den bekannten Gründen für den Vermittlungsausschuss nicht offen.
Ebensowenig ist ein Zuteilungsverfahren denkbar, mit dem bei der gegebenen Gremiengröße und unter den gegebenen Mehrheitsverhältnissen die Abbildung der parlamentarischen Mehrheit auf zugleich verfassungskonforme und für die Antragstellerin schonendere Weise hätte erreicht werden können:
Ergibt die Anwendung herkömmlicher Zählverfahren ein Patt (8 : 8), so lässt sich bei gleichbleibender Anzahl von Sitzen und Stimmen für die Bundestagsbank dieses Patt nur dadurch -- schonender geht es nicht -- zugunsten einer Abbildung der regierungstragenden Mehrheit auflösen, dass ein Sitz von der Oppositions-auf die Mehrheitsseite verlagert wird. Genau das bewirkt der beschlossene Berechnungsmodus, und zwar auf die im Verhältnis zwischen den Oppositionsfraktionen schonendste Weise.
Im Hinblick auf das Gebot möglichst schonender Zurücksetzung des Ziels der Erfolgswertgleichheit stellt sich daher nur noch die Frage, welcher Fraktion im Regierungslager der zu verschiebende Sitz zufallen muss.
Die umstrittene Zuteilungsregel weist den zu verschiebenden Sitz der stärksten Fraktion zu. Damit ist zwar das verfassungs- und geschäftsordnungskonforme Ziel, die regierungstragende Mehrheit unter möglichst schonender Zurücksetzung der Erfolgswertgleichheit abzubilden, nicht auf möglichst abstrakte, allgemeingültige Weise in eine konkrete Berechnungsregel übersetzt. Die Formulierung des Berechnungsverfahrens ist insofern auf die gegebenen Mehrheits- und Koalitionsverhältnisse zugeschnitten. Darin liegt jedoch keine Verletzung von Rechten der Antragsgegnerin und auch kein objektiver Verfassungsverstoß, sofern das Verfahren für die ge

BVerfGE 112, 118 (161):

gebenen Mehrheits- und Koalitionsverhältnisse die Bedingung erfüllt, die Erfolgswertgleichheit auf möglichst schonende Weise zurückzusetzen. Denn veränderte Mehrheiten sind nicht gehindert, ein den veränderten Verhältnissen angepasstes anderes Berechnungsverfahren zu beschließen.
Bleibt zu prüfen, ob das Ziel, die parlamentarische Mehrheit abzubilden, auf schonendere Weise durch Zuweisung des sechzehnten Sitzes an eine andere als die stärkste Fraktion -- konkret: die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN -- hätte erreicht werden können. In den beiden folgenden Tabellen sind die Erfolgswerte aufgeführt, die sich ergeben, wenn die Sitzverteilung für die Bundestagsbank im Vermittlungsausschuss nach dem im Beschluss vom 30. Oktober 2002 vorgesehenen Berechnungsverfahren beziehungsweise nach einem stattdessen die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN begünstigenden Berechnungsverfahren erfolgt (Zahlengrundlage: Beschlusszeitpunkt).
Tab. 1
Erfolgswerte bei Sitzzuteilung gemäß Beschluss vom 30. Oktober 2002
SPD   1,20
Union   0,91
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN   0,69
FDP   0,80
PDS 0,0
Tab. 2
Erfolgswerte bei Sitzzuteilung nach zugunsten der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN modifiziertem Verfahren
SPD   1,05
Union   0,91
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN   1,37
FDP   0,80
PDS 0,0


BVerfGE 112, 118 (162):

Abstrakt gesprochen ist die schonendere Lösung die, die dem Ziel der Erfolgswertgleichheit näher ist. Für die Bemessung der Nähe zur Erfolgswertgleichheit kommen aber unterschiedliche Kriterien in Betracht.
Eine naheliegende Möglichkeit besteht darin, die Nähe zum Ziel der Erfolgswertgleichheit im Unterschiedsbetrag zwischen niedrigstem und höchstem verfahrensbedingten Erfolgswert ausgedrückt zu sehen. (Der Null-Erfolgswert der PDS-Fraktion wird nach diesem Kriterium nicht in die Betrachtung einbezogen, weil er nicht durch die zu vergleichenden Berechnungsverfahren, sondern bereits durch die faktische Sperrwirkung der Gremiengröße bedingt ist.) Ein Zuteilungsergebnis ist danach der Erfolgswertgleichheit umso näher, je weniger weit der höchste und der niedrigste verfahrensbedingte Erfolgswert der Fraktionen auseinanderliegen. Nach diesem Kriterium bleiben, wie aus den Tabellen ersichtlich, die Ergebnisse des im Beschluss vom 30. Oktober 2002 vorgesehenen Verfahrens näher am Ziel der Erfolgswertgleichheit als die Ergebnisse eines zugunsten der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN modifizierten Verfahrens. Ein so modifiziertes Verfahren würde mit dem auf 1,37 praktisch verdoppelten Erfolgswert für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN größere Unterschiede zwischen den Extremwerten erzeugen.
Eine andere naheliegende Möglichkeit ist, die Nähe zum Ziel der Erfolgswertgleichheit über die Summe der Entfernungen der verfahrensbedingten Erfolgswerte vom Idealwert (1,0) zu definieren. Ein Zuteilungsergebnis ist danach der Erfolgswertgleichheit umso näher, je kleiner die Summe der Beträge ist, um die die Erfolgswerte der Fraktionen vom Wert 1,0 entfernt sind. Nach diesem Kriterium wird größere Nähe zur Erfolgswertgleichheit und damit größere Schonung des Ziels der Erfolgswertgleichheit durch die Zuweisung des sechzehnten Sitzes an die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erreicht; die Summe der Abstandswerte vom Idealwert beträgt bei dieser Zuteilung 0,71 gegenüber 0,80 bei Zuweisung nach dem beschlossenen Verfahren.
Welche der genannten Methoden wäre für die Bestimmung der Nähe eines Zuteilungsergebnisses zur Erfolgswertgleichheit heran

BVerfGE 112, 118 (163):

zuziehen? Bei der Erwägung verschiedener Gründe und Gegengründe, die hier wiederzugeben zu weit führen würde, habe ich keine Antwort auf diese Frage gefunden, die den Anspruch erheben könnte, durch das Verfassungsrecht vorgegeben zu sein. Verfassungsrechtliche Vorgaben wie der Grundsatz der Spiegelbildlichkeit und das daraus abgeleitete Gebot, bei prioritärer Ausrichtung des Zuteilungsverfahrens am Ziel der Mehrheitsabbildung die Erfolgswertgleichheit so wenig wie möglich zu beeinträchtigen, sind vage. Die notwendigen Präzisierungen lassen sich ein Stück weit vom -- im Urteil dargestellten -- Sinn und Zweck des Spiegelbildlichkeitsgrundsatzes her bestimmen. Es gibt hier aber ein unteres Ende verfassungsgeleiteter Präzisierbarkeit. Irgendwann gelangt man an einen Punkt, an dem nicht mehr der Grundsatz der Spiegelbildlichkeit die weitere Präzisierung zu bestimmen, sondern nur noch umgekehrt diese die Bedeutung der Spiegelbildlichkeit zu definieren scheint. Dies ist der Punkt, an dem das Verfassungsrecht aufhört.
Ein Einwand gegen den obigen Ansatz zur Konkretisierung des Postulats möglichst schonender Zurücksetzung des Ziels der Erfolgswertgleichheit muss allerdings aus der Perspektive des Verfassungsrechts noch berücksichtigt werden. Er betrifft die Frage, ob es richtig ist, in den Vergleich der Zuteilungssysteme die verfahrensbedingten Erfolgswerte aller Fraktionen einzubeziehen. Wir befinden uns in der Prüfung, ob der zwecks Mehrheitsabbildung legitimerweise zu den regierungstragenden Fraktionen verlagerte Sitz gemäß dem beschlossenen Verfahren an die SPD-Fraktion gehen durfte oder ob im Interesse größtmöglicher Schonung der Erfolgswertgleichheit ein die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN begünstigendes Verfahren hätte gewählt werden müssen. Die vorgelagerte Frage, ob der Sitz zur regierungstragenden Mehrheit transferiert werden durfte, ist mit positivem Ergebnis bereits abgeschichtet. Von daher scheint es geboten, die Frage, welche Zuteilung das Ziel der Erfolgswertgleichheit schonender zurücksetzt, hier nur noch auf das Verhältnis zwischen den regierungstragenden Fraktionen zu beziehen, also nur deren Erfolgswerte zu betrachten. Diese Betrachtung führt, gleich ob man das Kriterium des geringeren Unterschieds zwischen den Extremwerten oder das Kriterium der kleine

BVerfGE 112, 118 (164):

ren Summe der Entfernungen vom Idealwert anwendet, zu dem Ergebnis, dass im Verhältnis zwischen den regierungstragenden Fraktionen die Erfolgswertgleichheit durch ein die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN begünstigendes Verfahren besser gewahrt wird als durch das beschlossene Verfahren. Danach hätte die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Grund, sich zu beschweren. Das Zuteilungsverfahren weist einen Fehler zu ihren Lasten auf. Dieser Fehler betrifft jedoch nicht den Sitzanteil der Antragstellerin. Wie eben dargelegt, erzeugt er auch für das System der Erfolgswerte aller Fraktionen, auf dessen Vereinbarkeit mit der Verfassung die Antragstellerin einen von der Berührung ihres Sitzanteils unabhängigen Anspruch haben könnte, keinen Verfassungsverstoß. Es ist deshalb nicht ersichtlich, wie durch die festgestellte Benachteiligung der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Rechte der Antragstellerin berührt sein könnten.
Lübbe-Wolff