BVerfGE 166, 194 - Wiederaufnahmeverfahren


BVerfGE 166, 194 (194):

Wiederaufnahme zuungunsten des Freigesprochenen – e.A-Verlängerung
 
Beschluss
des Zweiten Senats vom 16. Juni 2023
– 2 BvR 900/22 –
In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Herrn (...), – Bevollmächtigte: Schwenn Kruse Georg Rechtsanwälte, Pickhuben 2, 20457 Hamburg – 1. unmittelbar gegen a) den Beschluss des Oberlandesgerichts Celle vom 20. April 2022 – 2 Ws 62/22, 2 Ws 86/22 –,b) den Beschluss des Landgerichts Verden vom 25. Februar 2022 – 1 Ks 148 Js 1066/22 (102/22) –,2. mittelbar gegen § 362 Nr. 5 StPO und Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung;
hier: Wiederholung der einstweiligen Anordnung.
 
Entscheidungsformel:
Die einstweilige Anordnung vom 14. Juli 2022, wiederholt durch Beschluss vom 20. Dezember 2022, wird mit der Maßgabe wiederholt, dass der gegen den Beschwerdeführer mit Beschluss des Landgerichts Verden vom 25. Februar 2022 – 1 Ks 148 Js 1066/22 (102/22) – erlassene Haftbefehl bis zu einer Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde, längstens für die Dauer von sechs Monaten, ohne Bedingungen und Weisungen außer Vollzug gesetzt wird.
 
Gründe:
Das Bundesverfassungsgericht hat durch einstweilige Anordnung vom 14. Juli 2022 den Vollzug des gegen den Beschwerdeführer erlassenen Haftbefehls des Landgerichts Verden vom 25. Februar 2022 – 1 Ks 148 Js 1066/22 (102/22) – unter der Bedingung ausgesetzt, dass der Beschwerdeführer vorhandene Ausweispapiere (Personalausweis und Reisepass) zu den Akten des Landgerichts gibt. Zudem ist der Beschwerdeführer angewiesen worden, sich zweimal wöchentlich bei der von der Staatsanwaltschaft Verden (Aller) zu bestimmenden Dienststelle nach näherer zeitlicher Festlegung durch diese zu melden. Ferner ist es ihm untersagt worden, das Gebiet seines Wohnortes ohne Erlaubnis der Staatsanwaltschaft zu verlassen.


BVerfGE 166, 194 (195):

Diese einstweilige Anordnung hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 20. Dezember 2022 gemäß § 32 Abs. 6 Satz 2 BVerfGG wiederholt.
Eine einstweilige Anordnung kann durch das Bundesverfassungsgericht dann wiederholt werden, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für den erstmaligen Erlass einer solchen Anordnung noch gegeben sind (vgl. m.w.N. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 20. Dezember 2022 – 2 BvR 900/22 –, Rn. 2). Die Sicherungsfunktion der einstweiligen Anordnung kann es rechtfertigen, dass das Bundesverfassungsgericht ohne einen entsprechenden Antrag des Beschwerdeführers eine einstweilige Anordnung von Amts wegen erlässt (vgl. BVerfGE 140, 211 [224 Rn. 22]). Dementsprechend kann auch eine bereits erlassene einstweilige Anordnung jederzeit vom Bundesverfassungsgericht abgeändert werden, wenn dies in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht geboten ist (vgl. BVerfGE 4, 110 [113]; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 13. Oktober 2021 – 1 BvR 1750/21 –, Rn. 7).
Die mit Beschluss vom 14. Juli 2022 vom Senat erlassene und durch Beschluss vom 20. Dezember 2022 wiederholte einstweilige Anordnung war danach unter Maßgabe der aus dem Tenor ersichtlichen Abänderungen zu wiederholen. Sie erweist sich im Hinblick auf die ausgesprochene Bedingung und die dem Beschwerdeführer auferlegten Weisungen nicht mehr als verhältnismäßig. Der Beschwerdeführer ist den angeordneten Maßnahmen  seit knapp einem Jahr beanstandungsfrei nachgekommen. Vor diesem Hintergrund ist das verbleibende Risiko, dass er sich einer etwaigen Strafverfolgung gleichwohl entzieht, nunmehr hinnehmbar.
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