BGE 127 I 128 - Kirchgemeinde U. |
15. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung |
vom 28. Mai 2001 |
i.S. K. gegen Rekurskommission der Evangelisch-Reformierten Landeskirche des Kantons Aargau und Regierungsrat des Kantons Aargau |
(staatsrechtliche Beschwerde) |
Regeste |
Anspruch auf richtige Besetzung der entscheidenden Behörde (§ 99 der Kirchenordnung der Evangelisch-Reformierten Landeskirche des Kantons Aargau; Art. 9 und 29 Abs. 2 BV). |
Für die Zusammensetzung der Rekurskommission der Evangelisch-Reformierten Landeskirche des Kantons Aargau als Spruchkörper sind die gleichen Anforderungen zu stellen wie bei einem eigentlichen Gericht (E. 4a). |
Gemäss § 99 der anwendbaren Kirchenordnung besteht die Rekurskommission aus sieben Mitgliedern. Mangels abweichender Vorschriften muss die vorhandene Regelung in Befolgung rechtsstaatlicher Grundsätze dahin ausgelegt werden, dass die Rekurskommission nur in der Besetzung mit allen sieben Mitgliedern entscheiden darf (E. 4b und c). |
Sachverhalt |
K. war seit 1992 Pfarrer der Kirchgemeinde U. Am 16. März 1999 eröffnete der Kirchenrat der Evangelisch-Reformierten Landeskirche des Kantons Aargau gegen ihn ein Disziplinarverfahren. In der Folge wurde K. mit Beschluss des Kirchenrats vom 23. September/26. November 1999 mit sofortiger Wirkung aus dem örtlichen Kirchendienst der Evangelisch-Reformierten Kirchgemeinde U. entlassen. Einen hiergegen erhobenen Rekurs wies die Rekurskommission der Evangelisch-Reformierten Landeskirche des Kantons Aargau am 5. April 2000 im Hauptpunkt (fristlose Entlassung) ab. Desgleichen wies der Regierungsrat des Kantons Aargau am 20. September 2000 eine Beschwerde gegen den Entscheid der Rekurskommission ab.
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Gegen den regierungsrätlichen Entscheid hat K. staatsrechtliche Beschwerde an das Bundesgericht erhoben mit der Rüge, das Willkürverbot (Art. 9 BV) sei verletzt.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut
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Auszug aus den Erwägungen: |
aus folgenden Erwägungen:
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Erwägung 3 |
b) Der Regierungsrat vertritt die Auffassung, ihm komme gegenüber landeskirchlichen Entscheiden "blosse Rechtskontrolle" zu, und er habe den Entscheid des Kirchenrats nur auf dessen Verträglichkeit mit Normen auf Verfassungsstufe und Regelungen im Organisationsstatut, nicht aber mit allfälligen Ausführungserlassen zu prüfen. Weder aus der Bundes- noch aus der Kantonsverfassung noch aus dem einschlägigen Organisationsstatut ergebe sich indessen, dass Kollegialbehörden nur in vollständiger Besetzung rechtsgültig entscheiden könnten. So sei z.B. der Regierungsrat befugt, Entscheidungen im Bereich der verwaltungsinternen Administrativjustiz in Vierer- oder gar Dreierbesetzung zu fällen; ebenso der aargauische Erziehungsrat und der Gemeinderat. Die andern Grundsätze der Gerichtsorganisation könnten nicht herangezogen werden, weil im eigentlichen Justizbereich nicht die Behördenmitgliederzahl, sondern die Grösse der Spruchkammern festgelegt und für den Fall unvollständiger Besetzung Ersatzrichter bestimmt seien. |
c) Ob eine kantonale Verwaltungs- oder Gerichtsbehörde in ordnungsgemässer Zusammensetzung entschieden hat, beurteilt sich in erster Linie nach dem einschlägigen kantonalen Organisations- und Verfahrensrecht, dessen Auslegung und Anwendung das Bundesgericht nur unter dem Gesichtswinkel der Willkür prüft. Unabhängig davon ist die richtige Besetzung des Gerichts bzw. die richtige Zusammensetzung der entscheidenden Verwaltungsbehörde durch die Verfassung gewährleistet (Art. 58 aBV bzw. Art. 4 aBV; BGE 114 Ia 278 E. 3b S. 279 f.; vgl. Art. 29 f. BV). Ob dieser Anspruch verletzt ist, prüft das Bundesgericht im Rahmen der erhobenen Rügen frei (BGE 108 Ia 48 E. 2 S. 50, mit Hinweisen).
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Erwägung 4 |
4.- a) Gemäss § 110 Abs. 1 KV organisieren sich die Landeskirchen im Rahmen der Kantonsverfassung nach demokratischen Grundsätzen selbständig. Sie sind für einen "genügenden Rechtsschutz" der Konfessionsangehörigen und der Kirchgemeinden besorgt, wobei letztinstanzliche Entscheide ihrer Behörden nach Massgabe der Gesetzgebung an staatliche Organe weiterziehbar sind (§ 114 Abs. 1 und 2 KV). Was die kircheninternen Rechtspflegeorgane betrifft, schreibt die Kantonsverfassung nicht die Errichtung von Gerichten im Sinn von spezifisch unabhängigen Institutionen vor, doch muss es sich zumindest um gerichtsähnliche Organe, analog den staatlichen Verwaltungsrekurskommissionen, handeln (so KURT EICHENBERGER, Verfassung des Kantons Aargau, Frankfurt a.M. 1986, N. 3 zu § 114 KV). Diese Anforderungen erfüllt namentlich die Rekurskommission, die im erwähnten, vom Grossen Rat genehmigten (§ 110 Abs. 2 KV) Organisationsstatut der Evangelisch-Reformierten Landeskirche als "oberste Beschwerdeinstanz" der Landeskirche vorgesehen ist (Art. 9 OS): Sie ist als eigentliches Gericht konzipiert, indem ihre Mitglieder von der Synode als "oberstem Organ" (Parlament) der Landeskirche gewählt werden (Art. 7 Abs. 5 OS) und zudem ausschliesslich rechtsprechende Funktionen ausüben (vgl. § 99 Abs. 2 KO und zu den Aufgaben im Einzelnen § 2 des Reglements für die Rekurskommission vom 20. November 1978), ohne dabei der Weisungsgewalt einer übergeordneten Behörde unterworfen zu sein. Für die Zusammensetzung der Rekurskommission als Spruchkörper sind deshalb die gleichen Anforderungen zu stellen wie bei einem Gericht. |
c) Die ebenfalls von der Synode erlassene Kirchenordnung (vgl. Art. 7 Abs. 4 OS) sieht vor, dass die Rekurskommission aus sieben Mitgliedern besteht (§ 99 Abs. 1 KO). Bestimmungen darüber, wie sich die Kommission konstituiert, unter welchen Voraussetzungen sie beschlussfähig ist, wie bei Absenzen oder in Ausstandsfällen zu verfahren ist usw., sind den einschlägigen Ausführungsvorschriften des Organisationsstatuts, d.h. der Kirchenordnung und dem erwähnten Reglement für die Rekurskommission, nicht zu entnehmen; insbesondere ist weder ein Quorum festgelegt, noch sind Ersatzmitglieder vorgesehen. Mangels abweichender Vorschriften muss die vorhandene Regelung in Befolgung rechtsstaatlicher Grundsätze deshalb dahin ausgelegt werden, dass die Rekurskommission nur in der Besetzung mit allen in § 99 Abs. 1 KO vorgesehenen sieben Mitgliedern entscheiden darf. Es entspräche nicht dem Zweck dieses Rechtsprechungsorgans, würde die Besetzung des Spruchkörpers von zufälligen Umständen wie der beliebigen An- oder Abwesenheit einzelner Mitglieder abhängen. Die vom Regierungsrat angerufenen Regelungen für Exekutivorgane (z.B. Regierungs- oder Gemeinderat), die wegen des Fehlens von Ersatzmitgliedern notgedrungen auch in reduzierter Besetzung entscheiden können müssen, solange das vorgeschriebene minimale Quorum erreicht ist, lassen sich nicht analog auf Rechtsprechungsorgane (Rekurskommissionen, Gerichte) übertragen. Dass die Beschlussfähigkeit der Rekurskommission durch den geltenden Rechtszustand in Frage gestellt wird, liegt auf der Hand, kann doch die vorgeschriebene Besetzung bereits bei Verhinderung eines einzigen Mitglieds nicht mehr eingehalten werden. Es ist aber Sache des zuständigen Rechtsetzungsorgans (Synode), die Mängel der jetzigen Regelung zu beheben. |
Aus den Akten ist ersichtlich, dass an der Sitzung vom 5. April 2000, in der die Rekurskommission ihren Entscheid fällte, nur sechs anstatt der sieben Kommissionsmitglieder teilnahmen; das siebte Mitglied war "entschuldigt". Dass der Beschwerdeführer auf die Mitwirkung eines der sieben Mitglieder gültig verzichtet hätte (vgl. BGE 92 I 331 E. 2 S. 336 f.) oder eine entsprechende abweichende Regelung diese (oder eine andere) reduzierte Besetzung gestattet hätte, wird von keiner Seite geltend gemacht. Somit hat die Rekurskommission nicht in der vorgeschriebenen Besetzung entschieden und dadurch sowohl kantonales Recht (§ 99 KO) als auch den Anspruch des Beschwerdeführers auf richtige Zusammensetzung der Behörde verletzt, wie ihn das Bundesgericht als Teilgehalt des Anspruchs auf rechtliches Gehör aus Art. 4 aBV abgeleitet und in seiner Rechtsprechung umschrieben hat (oben E. 4b; vgl. auch G. MÜLLER, a.a.O., Rz. 120). Daran ändert nichts, dass die urteilenden Mitglieder der Rekurskommission einstimmig entschieden haben und dem abwesenden Mitglied der Entscheidentwurf möglicherweise bekannt war. Der Regierungsrat hat diesen Mangel zu Unrecht nicht sanktioniert. Seine Kognition ist zwar auf die Frage der Einhaltung von Verfassung und Organisationsstatut beschränkt, wie er unter Hinweis auf § 114 Abs. 2 KV an sich zutreffend bemerkt. Soweit es jedoch um den verfassungsrechtlichen Anspruch auf ordnungsgemässe Besetzung des Gerichts geht, sind selbstverständlich auch die einschlägigen nachgeordneten landeskirchlichen Normen zu berücksichtigen.
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d) Der aus der Verfassung abgeleitete Anspruch auf richtige Zusammensetzung der Behörde ist formeller Natur; seine Verletzung führt, ungeachtet der Erfolgsaussichten der Beschwerde in der Sache selber, zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids (vgl. statt vieler: BGE 126 V 130 E. 2b S. 132, mit Hinweisen). Der die verfassungswidrige Besetzung der Rekurskommission schützende Regierungsratsentscheid ist deshalb aufzuheben, unbekümmert darum, ob Aussicht darauf besteht, dass eine Neubeurteilung in ordnungsgemässer Besetzung zu einem andern Ergebnis führen könnte. Eine Heilung des Mangels kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil der Regierungsrat als Beschwerdeinstanz den Sachverhalt und die Rechtslage nicht frei überprüfen konnte bzw. überprüfte (vgl. BGE 126 V 130 E. 2b S. 132, mit Hinweisen). Unter den gegebenen Umständen kann offen bleiben, ob der Anspruch auf rechtliches Gehör auch dadurch verletzt wurde, dass die Rekurskommission dem Beschwerdeführer die Vernehmlassung des Kirchenrats nicht zugestellt hat, und es erübrigt sich ferner, auch die materiellen Rügen zu prüfen. |