BGE 54 II 188 - Übervorteilung
 


BGE 54 I 188 (188):

Urteil der I. Zivilabteilung
vom 8. Mai 1928
i.S. Schwander gegen Räber.
Vergleich: Anfechtung aus Art. 21 OR; Kenntnis des Übervorteilenden von der Übervorteilungsmöglichkeit erforderlich (Erw. 1).
Anfechtung wegen Irrtums nach Art. 24 Ziff. 4 OR; Voraussetzungen (Erw. 2).
 
Sachverhalt
 
A.
Der Kläger Schwander verunglückte am 26. August 1925 in dem von ihm als Untermieter bewohnten, dem Beklagten gehörenden Einfamilienhaus "Kleinwehri", Emmen, in der Weise, dass er auf dem Steinplattenboden der Küche durchbrach und sich verschiedene Verletzungen zuzog. Das vom 10. Dezember 1925 datierte Zeugnis des behandelnden Arztes lautet:
    "Schwander Joh., Emmen, war vom 27. August -- 17. November in meiner Behandlung wegen Verstauchung des linken Fusses und starker Quetschung des Ober- und Unterschenkels links. Er war 1 1/2 Monate ganz und 14 Tage halb arbeitsunfähig."
Der Beklagte entschädigte den Kläger mit 500 Fr. und  am 7. Januar 1926 unterzeichneten die Parteien folgende "Vereinbarung":
    "Johann Schwander...... erklärt, dass er für einen Unfall, den er am 26. August 1925 infolge eines Defektes am Küchenboden der Kleinwehri erlitten hat, und welcher Unfall durch Herrn Dr. Hüsler in Emmenbrücke behandelt worden ist, durch den Hauseigentümer entschädigt worden ist, so dass alle aus diesem Unfall etwa erwachsende Haftpflicht des Eigentümers beglichen und getilgt ist......"
Anlässlich einer spätern Untersuchung des Klägers durch Dr. Ch. W. in N. stellte dieser, laut seinen Zeugnissen vom 25. Mai und 4. Juni 1926, eine "chronisch deformierende Arthritis" des linken Knies fest, die "wohl mit Sicherheit" auf den Unfall zurück

BGE 54 I 188 (189):

zuführen sei. Die dauernde Arbeitsunfähigkeit schätzte er auf 30%. In einem Gutachten vom 30. September 1926 sodann sprach sich Dr. V. in L. dahin aus, dass beim Kläger eine "schwerste deformierende Arthritis an beiden Knien" vorhanden sei. Es handle sich um die Folgen einer Distorsion, welche dadurch verschlimmert wurde, dass eine schwere deformierende Arthritis vorbestanden habe. Die dauernde Invalidität betrage 10 bis 15%.
 
B.
Mit der vorliegenden, im September 1926 beim Amtsgericht Luzern-Stadt eingereichten Klage hat Schwander die Rechtsbegehren gestellt, es sei die Vereinbarung vom 7. Januar 1926 für ihn als unverbindlich zu erklären und der Beklagte zur Zahlung einer weitern Entschädigung von 7000 Fr. nebst 5% Zins seit 26. August 1925, eventuell einer solchen von 2231 Fr. 60, zuzüglich 18 Fr. 70 Cts. Arztkosten, zu verurteilen. Zur Begründung machte er geltend: Die Vereinbarung sei für ihn sowohl nach Art. 21 OR wegen des offenbaren Missverhältnisses zwischen der vom Beklagten geleisteten Vergütung und dem effektiven Schaden, als namentlich aber auch nach Art. 24 Ziff. 4 OR unverbindlich, weil er sich bei deren Abschluss über das Vorhandensein eines bleibenden Nachteils im Irrtum befunden habe. Gemäss Art. 58 OR hafte der Beklagte für die sämtlichen Unfallsfolgen.
Der Beklagte bestritt diese Anfechtungsgründe, wie auch den Kausalzusammenhang zwischen dem behaupteten bleibenden Nachteil und dem Unfall.
 
C.
Beide kantonalen Instanzen haben die Klage abgewiesen, das Obergericht des Kantons Luzern mit Urteil vom 6. Oktober 1927.
 
D.
Hiegegen richtet sich die Berufung des Klägers mit den Begehren um Aufhebung des obergerichtlichen Urteils und Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zur Abnahme der angetragenen Beweise, eventuell Gutheissung der Klage ohne Beweisergänzung.
 


BGE 54 I 188 (190):

Auszug aus den Erwägungen:
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
Erwägung 1
 
Erwägung 2
2. Als Hauptstandpunkt macht der Kläger geltend, er sei bei Unterzeichnung der Vereinbarung in einem wesentlichen Irrtum gemäss Art. 24 Ziff. 4 OR befangen gewesen, indem er einen bleibenden Nachteil als ausgeschlossen betrachtet habe, während in Wirklichkeit ein solcher vorhanden sei. Nun bezieht sich diese irrtümliche Annahme allerdings auf einen Sachverhalt, der bei objektiver Betrachtung nach Treu und Glauben im Verkehr als notwendige Grundlage des Vertrages im Sinne einer condicio sine qua non für dessen Abschluss bezeichnet werden könnte. Zur Erheblichkeit dieser falschen Vorstellung ist indessen subjektiv weiter erforderlich, dass der Irrende diesen bestimmten Sachverhalt tatsächlich auch zum Gegenstande seiner Willenserklärung gemacht habe. In dieser Hinsicht kommt hier in Betracht, dass die Parteien mit dem Abschluss des Vergleiches  zu erkennen gegeben haben, dass sie das durch den Unfall des Klägers zwischen ihnen geschaffene Rechtsverhältnis als unsicher ansahen und diese Ungewissheit, wie sie namentlich mit Bezug auf den Umfang des Schadens bestand, im Wege gegenseitigen Nachgebens beseitigen wollten. Nach der Natur des Vergleiches, als eines durch diese beiden Erfordernisse: Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis und gegenseitiges Opfer der Beteiligten charakterisierten Vertrages, ist

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denn auch die nachträgliche Anfechtung wegen Irrtums über zur Zeit des Abschlusses bestrittene und ungewisse Punkte bei späterer Aufklärung darüber ausgeschlossen, da sonst gerade die Fragen wieder aufgerollt würden, deretwegen die Beteiligten sich verglichen haben. Als Sachverhalt, dessen irrtümliche Würdigung die Unverbindlichkeit des getroffenen Abkommens zu begründen vermag, kommen vielmehr nur Umstände in Betracht, die von beiden Teilen oder doch von einer Partei (der irrenden) mit Wissen der Gegenpartei dem Vergleiche als feststehend zugrundegelegt wurden (vgl. BGE 48 II 107 f.; 49 II 7). Ein beachtlicher Irrtum läge daher hier bloss dann vor, wenn nachgewiesenermassen für den Kläger bei Vergleichsabschluss die sichere Annahme bestand, dass ein bleibender Nachteil nicht vorhanden sei, und dies auch dem Beklagten ersichtlich war. Die Vorinstanz erachtet jedoch diesen Nachweis nicht als erbracht und an diese in keiner Weise als aktenwidrig dargetane Feststellung ist das Bundesgericht gebunden (vgl. BGE 45 II 437). In der Tat würde zu Gunsten des Klägers einzig die Entschädigungssumme von 500 Fr. insofern sprechen, als sich dieser niedrige Betrag durch die sichere Annahme des Ausschlusses bleibender nachteiliger Folgen erklären liesse, namentlich im gegebenen Stadium des Krankheitsverlaufes. Dem steht jedoch die ausdrückliche Bestimmung des Vergleiches gegenüber, dass der Kläger durch die ihm ausgerichtete Summe für die sämtlichen aus dem Unfall "etwa" abzuleitenden Entschädigungsansprüche abgefunden sei. Die Vereinbarung hatte mithin unverkennbar den Zweck, die den Unfall des Klägers betreffenden schuldrechtlichen Beziehungen der Parteien völlig und endgültig zu erledigen.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichts des Kantons Luzern vom 6. Oktober 1927 bestätigt.