BVerwGE 81, 185 - ausreichende Ermittlungen


BVerwGE 81, 185 (185):

Die einer atomrechtlichen Genehmigung zum Betrieb eines Kernkraftwerks beigefügte Auflage, einen mit Faustfeuerwaffen ausgestatteten Werkschutz (Objektsicherungsdienst) einzurichten, findet in § 7 Abs. 2 Nr. 5 AtG eine gesetzliche Grundlage und kann rechtmäßig sein.
Behördliche Bewertungen über den erforderlichen Schutz einer kerntechnischen Anlage gegen Störmaßnahmen und sonstige Einwirkungen Dritter gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 5 AtG unterliegen - ebenso wie Anordnungen im Rahmen des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG - der gerichtlichen Überprüfung nur daraufhin, ob sie auf willkürfreien Annahmen und ausreichenden Ermittlungen beruhen (im Anschluß an BVerwGE 72, 300 [316]).
AtG §§ 7 Abs. 2 Nr. 5, 17 Abs. 1 Satz 2
 
Urteil
des 7. Senats vom 19. Januar 1989
- BVerwG 7 C 31.87 -
I. Verwaltungsgericht Stuttgart
II. Verwaltungsgerichtshof Mannheim
Die Klägerin betreibt ein Kernkraftwerk. Sie wehrt sich gegen die ihr vom beklagten Land als Nachtrag zur Ersten Teilbetriebsgenehmigung gemachte Auflage, zum Schutz der Anlage gegen Einwirkungen Dritter einen mit Faustfeuerwaffen (Revolver oder Pistolen) bewaffneten Werkschutz in bestimmter Mindeststärke aufzustellen. Der Werkschutz soll insbesondere die Überwachung der Sicherheitsbereiche und die Kontrolle des Personen-, Fahrzeug- und Materialverkehrs wahrnehmen. Polizeiliche Befugnisse, so heißt es in der Auflage ausdrücklich, stehen dem Werkschutz nicht zu. Eine Dienstanweisung für den Werkschutz soll die Klägerin der Genehmigungsbehörde zur Zustimmung vorlegen.
Mit der auf Aufhebung der Auflage gerichteten Klage hat die Klägerin im wesentlichen geltend gemacht, ein bewaffneter Werkschutz sei nicht erforderlich, in sicherheitstechnischer Hinsicht untauglich und strafrechtlich zumindest bedenklich. Der Personen-, Fahrzeug- und Materialverkehr werde durch besonders ausgebildetes Personal am Eingang der Anlage überwacht und überprüft. Ein elektronisches System erlaube nur den mit Schlüsseln ausgestatteten Personen den Zugang zu den Sicherheitsbereichen, die vom normalen Betriebspersonal hinreichend überwacht würden. Die

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gesamte Anlage sei optisch gesichert; Angriffe könnten deshalb rechtzeitig erkannt und für mindestens eine halbe Stunde, jedenfalls bis zur Reaktorschnellabschaltung und bis zum Eintreffen der Polizei hingehalten oder abgewehrt werden.
Der Beklagte hat Klagabweisung beantragt und geltend gemacht, technische Vorkehrungen allein reichten zur Sicherung der Anlage gegen ein Eindringen von Terroristen oder Saboteuren in die Sicherheitsbereiche nicht aus. Bis zum Eintreffen der Polizei könne nur ein ausreichend bewaffneter Werkschutz hinhaltend Widerstand leisten. Die Polizei sei nicht in der Lage, die Kernenergieanlage ständig - vor allem innerhalb der Sicherheitsbereiche - zu überwachen.
Das Verwaltungsgericht gab der Klage statt. Der Verwaltungsgerichtshof hob das erstinstanzliche Urteil auf und wies die Klage ab. Die Revision der Klägerin blieb erfolglos.
 
Aus den Gründen:
1. Gegen die Zulässigkeit der Klage bestehen entgegen den Zweifeln des Oberbundesanwalts keine Bedenken. Die Auflage, einen bewaffneten Werkschutz einzurichten, ist selbständig anfechtbar. Wird - wie hier - geltend gemacht, die einer Genehmigung beigefügte Auflage finde im Gesetz keine Grundlage, so kann dies mit der Klage auf Aufhebung der Auflage geltend gemacht werden. Ob die Auflage isoliert aufgehoben werden, die Genehmigung also ohne die Auflage "sinnvoller- und rechtmäßigerweise bestehenbleiben kann" (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Februar 1984 - 4C 70.80-Buchholz 310 § 113 Nr. 137; NVwZ 1984, 366; DÖV 1984, 854), ist eine Frage der Begründetheit und nicht der Zulässigkeit des mit der Anfechtungsklage verfolgten Aufhebungsbegehrens, sofern nicht eine isolierte Aufhebbarkeit offenkundig von vornherein ausscheidet.


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Als Grundlage für die Anordnung zur Einrichtung eines bewaffneten Werkschutzes kommt, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, § 7 Abs. 2 Nr. 4 des Atomgesetzes - AtG - vom 23. Dezember 1959 (BGBl.1 S. 813, jetzt unverändert: § 7 Abs. 2 Nr. 5 des Atomgesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom 15. Juli 1985, BGBl. I S. 1565) in Betracht (im folgenden wird die Bestimmung in ihrer Neufassung zitiert). Diese Vorschrift ermächtigt die Genehmigungsbehörde, vom Betreiber der Anlage Maßnahmen auch zum Schutz vor Gefahren zu verlangen, die nicht durch den Zustand oder den Betrieb der Anlage an sich hervorgerufen werden (hierfür ist § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG einschlägig), sondern dadurch, daß Dritte unbefugt auf die Anlage einwirken können. Eine solche - erweiterte - Haftung für durch Einwirkungen Dritter auf eine Sache verursachte Gefahren geht über die sog. polizeiliche Zustandsstörerhaftung hinaus und bedarf einer gesetzlichen Grundlage (BVerwG, Urteil vom 4. Oktober 1985 - 4 C 76.82 - Buchholz 442.40 § 29 LuftVG Nr. 3). Diese Grundlage bietet § 7 Abs. 2 Nr. 5 AtG für die Verpflichtung des Betreibers, Maßnahmen zum Schutz einer kerntechnischen Anlage gegen terroristische oder sonstige rechtswidrige Akte zu treffen.
§ 7 Abs. 2 Nr. 5 AtG verpflichtet den Betreiber nicht nur zu baulichtechnischen, sondern auch zu organisatorischen Maßnahmen zur Sicherung der Anlage gegen Störmaßnahmen; denn durch Absperrungen, automatische Warnanlagen, automatische Schnellabschaltung bei durch Störmaßnahmen verursachten Defekten allein ist, wie ohne weiteres einleuchtet, ein ausreichender Schutz der Anlage nicht zu gewährleisten. Es bedarf, damit die Funktion und Funktionsfähigkeit von Absperrungen, Warnanlagen, Abschaltvorrichtungen usw. gewährleistet bleiben, auch z.B. der Sicherheitskontrolle des Besucherverkehrs und des Materialeingangs und -ausgangs sowie der Überwachung des Werksgeländes, der Zugangswege zu den Anlagen und Einrichtungen und der Anlagen und Einrichtungen selbst (vgl. auch "Aufgaben des Objektsicherungsdienstes" in der Bekanntmachung des Bundesministers des Inneren vom 8. April 1986, GMB1. 1986, 242 Nr. 2). Das alles stellt die Klägerin nicht in Frage. Sie wendet sich letztlich nur dagegen, daß ihr die Einrichtung eines bewaffneten Werkschutzes aufgegeben wird.


BVerwGE 81, 185 (188):

Der Einwand der Klägerin, mit der Bewaffnungsauflage werde sie unzulässig für polizeiliche Aufgaben in Dienst genommen, trifft nicht zu. Der Unterschied zwischen "Werkschutz als Eigensicherung" (vgl. auch Mahlberg, Gefahrenabwehr durch gewerbliche Sicherheitsunternehmen, Berlin 1988, S. 41) und polizeilicher Aufgabenstellung liegt darin, daß es sich in einem Fall um "eine im privatrechtlichen Dispositionsbereich des Anlagenbetreibers eingerichtete Schutzorganisation handelt, deren Angehörige im Rahmen der allgemeinen Rechtsvorschriften" (Lukes, Werkschutz für Kernenergieanlagen, ET 1975, 23) handeln (vgl. §§ 227 ff. BGB), während die Polizei - weitergehende - hoheitliche Befugnisse wahrnimmt, insbesondere nicht darauf beschränkt ist, erst bei einem gegenwärtigen Angriff Gewalt ausüben zu dürfen. Die Ausübung hoheitlicher Befugnisse ist gemäß Art. 33 Abs. 4 GG als ständige Aufgabe in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu übertragen, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen. Privaten darf die Ausübung hoheitlicher Befugnisse als ständige Aufgabe also "in der Regel" nicht übertragen werden. Ausnahmen bedürfen einer gesetzlichen Grundlage und sind dem geltenden Recht auch keineswegs fremd (Einzelheiten s. bei Bracher, Gefahrenabwehr durch Private, Berlin 1987, S. 26 ff.). § 7 Abs. 2 Nr. 5 AtG ist indes keine Grundlage für die Übertragung hoheitlicher Befugnisse auf den Werkschutz. Der Regelung läßt sich - auch im Zusammenhang mit anderen Vorschriften des Gesetzes, insbesondere mit § 1 AtG - nicht entnehmen, daß der Antragsteller über die Pflicht zur Eigensicherung der Anlage im Rahmen der allgemeinen Gesetze hinaus für hoheitliche Aufgaben in Dienst genommen werden soll (so ausdrücklich auch Lukes a.a.O. S. 29 f.). Die Genehmigungsbehörde hat hier überdies die Übertragung hoheitlicher Befugnisse ausdrücklich ausgeschlossen.
Allerdings handelt es sich bei den möglichen Störmaßnahmen, vor denen das Kernkraftwerk mittels des bewaffneten Werkschutzes vor allem geschützt werden soll, um ein Risiko, das "seine Ursache in der allgemeinen politischen Lage und der in der Gesellschaft sich bildenden Kriminalität, nicht aber in dem Betrieb oder in der Existenz des gefährdeten Objekts" hat (Ossenbühl, Eigensicherung und hoheitliche Gefahrenabwehr, Stuttgart 1981, S. 26). Die Abwehr solcher Gefahren ist typischerweise eine öffentli

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che Aufgabe der Polizei und nicht eine private Angelegenheit des Eigentümers oder Betreibers der Anlage. Das bedeutet indes nicht, daß zur Abwehr einer von Kriminellen ausgehenden Gefahr rechtlich nur der Polizeieinsatz und nicht auch - wie gegenüber sonstigen kriminellen Akten allgemein - Maßnahmen tauglich wären und in Betracht kämen, die von Privaten, insbesondere von potentiellen Opfern solcher Anschläge zu treffen sind. Überdies geht es hier auch nicht darum, daß der Schutz vor kriminellen Anschlägen auf das Kernkraftwerk mit Hilfe des Werkschutzes gänzlich dem Betreiber überlassen, sozusagen "privatisiert" werden soll, sondern nur darum, den Schutz der Anlage außer durch baulich-technische Vorkehrungen auch durch organisatorische Maßnahmen bis zum Eintreffen der Polizei zu gewährleisten. Die Alternative zur Verpflichtung des Betreibers zu derartiger "Eigensicherung" wäre, Polizeibeamte auf dem Betriebsgelände in ständiger Bereitschaft zu halten (Rossnagel, Zum Schutz kerntechnischer Anlage gegen Angriffe von außen, ZRP 1983, 59 ff. [62 f.]). Zwar wäre dies dem Staat nicht verwehrt. Er ist aber von Verfassungs wegen dazu nicht verpflichtet. Zutreffend weist der Oberbundesanwalt darauf hin, daß es neben Kernkraftwerken zahlreiche andere großtechnische Anlagen gibt (z.B. Raffinerien, chemische Fabriken, Lagerstätten für toxische, brennbare oder explosive Stoffe), die ebenso wie Kernkraftwerke durch Anschläge gefährdet sind und für die dann ebenso gefordert werden müßte, daß Polizei auf dem Betriebsgelände ständig einsatzbereit ist. Ob der Gesetzgeber die Objektsicherung auf dem Betriebsgelände gefährdeter und gefährlicher Anlagen zu einer öffentlichen, durch die Polizei wahrzunehmenden Aufgabe macht oder sie für eine Übergangszeit bis zum Eintreffen der alarmierten Polizei dem "Hausrecht" des Betreibers überläßt, ist eine Entscheidung, die in seinem - weiten - Ermessen steht. Er darf sie für die besagte Übergangszeit nicht nur dem "Hausrecht" des Betreibers überlassen, er darf den Betreiber eines Kernkraftwerks sogar verpflichten, dieses "Hausrecht" in Gestalt eines bewaffneten Werkschutzes zu organisieren, weil sonst der gebotene Schutz vor den Gefahren der Kernenergienutzung nicht zu gewährleisten wäre; § 7 Abs. 2 Nr. 5 AtG ist in diesem Sinne auszulegen.
Daß die Objektsicherung die Bewaffnung des Sicherungspersonals einschließt, macht diese auch nicht faktisch zu einer polizeilichen Aufgabe;

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denn der Werkschutz ist zum Waffeneinsatz nur im Rahmen der allgemeinen Gesetze, d.h. im Rahmen von Notwehr und Nothilfe berechtigt. Die Objektsicherung durch den Betreiber würde selbst dann nicht zu einer hoheitlichen (polizeilichen) Aufgabe, wenn die Klägerin als Betreiberin die Angehörigen des Werkschutzes arbeitsvertraglich verpflichten könnte, im Ernstfall Notwehr und Nothilfe, ggf. unter Einsatz des eigenen Lebens, auch tatsächlich auszuüben (verneinend: Lukes a.a.O. S. 26 f.); denn dadurch wurden die Befugnisse des Werkschutzes nicht erweitert. Die Frage der arbeitsvertraglichen Verpflichtung der Werkschutzleute zur Notwehr und Nothilfe ist deshalb allenfalls für die sich im Rahmen des Erforderlichkeitsmerkmals in § 7 Abs. 2 Nr. 5 AtG stellende weitere Frage von Bedeutung, ob die Bewaffnung des Werkschutzes ein geeignetes Mittel zur Gewährleistung des Schutzes der kerntechnischen Anlage ist (im einzelnen dazu unten 3 c).
3. Die Einwände der Revision gegen die Erforderlichkeit der Bewaffnung greifen ebenfalls nicht durch.
a) Das Berufungsgericht hat angenommen, die Konkretisierung des erforderlichen Schutzes gegen Einwirkungen Dritter sei Aufgabe der Genehmigungsbehörde; dies umfasse auch die Beantwortung der Frage, ob und wie der Werkschutz zu bewaffnen sei. Das Gericht habe die Bewertungen nur daraufhin zu überprüfen, ob sie auf willkürfreien Annahmen und ausreichenden Ermittlungen beruhen. Das entspricht dem geltenden Recht.
Der erkennende Senat (Urteil vom 19. Dezember 1985 - BVerwGE 72, 300 [316]) hat einen Berurteilungsspielraum der Genehmigungsbehörde bisher ausdrücklich nur im Rahmen des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG anerkannt. Die Revision meint, der Gesetzgeber habe den behördlichen Beurteilungsspielraum in § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG durch die Formel "nach dem Stand von Wissenschaft und Technik" und durch den weiten Begriff der "erforderlichen Vorsorge" zum Ausdruck gebracht, während es in § 7 Abs. 2 Nr. 5 AtG an diesen oder ähnlichen Formeln und Begriffen fehle und es auch keiner prognostischen Einschätzung künftiger Entwicklungen und Geschehensabläufe bedürfe.
Diese Argumentation überzeugt jedoch nicht. Das Bundesverfassungsgericht (Beschluß vom 8. August 1978, BVerfGE 49, 89 [139 f.]) hat die Ver

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wendung unbestimmter, von der Exekutive zu konkretisierender Rechtsbegriffe in § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG damit gerechtfertigt, daß im technischen Sicherheitsrecht, vor allem bei Anlagen mit außergewöhnlich hohem Gefährdungspotential für einzelne wie für die Allgemeinheit, nur eine laufende Anpassung der für eine Risikoermittlung maßgeblichen Umstände an den jeweils neuesten Erkenntnisstand dem Grundsatz einer bestmöglichen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge zu genügen vermöge.
Die rechtlichen Handlungsformen der Exekutive gewährleisteten am ehesten die erforderliche Anpassung. Die Beurteilung in die Hand der Exekutive zu geben, diene insoweit auch einer Dynamisierung des Rechtsgüterschutzes. Die Exekutive habe dabei alle wissenschaftlich und technisch vertretbaren Erkenntnisse heranzuziehen und willkürfrei zu verfahren.
Dieser Gesichtspunkt läßt sich nicht auf die in § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe "erforderliche Vorsorge" und "Stand(es) von Wissenschaft und Technik" beschränken; denn das Gefährdungspotential, um dessen uneingeschränkte Beherrschung es dem Gesetzgeber in § 7 Abs. 2 Nr. 3 und Nr. 5 AtG geht, ist ein und dasselbe; der Unterschied liegt nur darin, daß es in Nr. 3 um Gefahren geht, die sich unmittelbar aus der Errichtung und dem Betrieb der Anlage ergeben können, während es sich in Nr. 5 um Gefahren handelt, die aus Einwirkungen Dritter auf die Anlage und damit - mittelbar - ebenfalls aus der Errichtung und dem Betrieb der Anlage entstehen können. Sowohl in Nr. 3 wie in Nr. 5 AtG kommen als Maßnahmen der erforderlichen Vorsorge oder des erforderlichen Schutzes in erster Linie baulich-technische Vorkehrungen und ergänzend organisatorisch-administrative in Betracht. Derartige Vorkehrungen können sowohl Vorsorgezwecken der Nr. 3 als auch Schutzzwecken der Nr. 5 dienen; sie lassen sich häufig gar nicht voneinander trennen. Es ergäbe keinen Sinn, wäre mit Maßnahmen in Anwendung der Nr. 3 ein außerordentlich hoher Sicherheitsstandard, nämlich bestmögliche Gefahrenabwehr und Risikovorsorge, zu gewährleisten, und zwar in dem Sinne, daß "bei bestehenden Unsicherheiten stets die sicherere Annahme zugrunde gelegt" werden muß, während mit Maßnahmen nach Nr. 5 nur weniger weitreichende Sicherheitsanforderungen gestellt werden könnten (ebenso Straßburg, ET 1984, 137 [140]). Deshalb ist - wie auch der Oberbundesanwalt

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meint - Nr. 5 dahin auszulegen, daß der "erforderliche Schutz" ebenso wie in Nr. 3 ein "vorsorgender" Schutz ist und daß das Maß des Erforderlichen auch hier "nach dem Stand von Wissenschaft und Technik" zu bestimmen ist. Gefahren und Risiken auch durch Störmaßnahmen und sonstige Einwirkungen Dritter müssen praktisch ausgeschlossen sein. Übrigens ist dabei auch zu bedenken, daß § 7 Abs. 2 Nr. 5 AtG nicht nur für den Schutz vor Terror- und Sabotageakten und für die Frage der Erforderlichkeit eines Werkschutzes und seiner Ausstattung einschlägig ist, sondern auch für den Schutz vor anderen Gefahren, z.B. aus einem Flugzeugabsturz oder aus dem Transport gefährlicher Güter auf vorbeiführenden Verkehrswegen. Auch das Bundesverfassungsgericht (Beschluß vom 8. Juli 1982, BVerfGE 61, 82 [114 f.]) nennt Bewertungen über den erforderlichen Schutz gegen Störmaßnahmen oder sonstige Einwirkungen Dritter neben den Bewertungen nach § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG als solche, die nur begrenzter gerichtlicher Kontrolle unterliegen und nicht durch eigene Bewertungen der Gerichte ersetzt werden dürfen.
Daß die Genehmigungsbehörde auch bei Anwendung des § 7 Abs. 2 Nr. 5 AtG einen Beurteilungsspielraum hat, ergibt sich ferner daraus, daß hier ebenfalls - entgegen der Auffassung der Revision - prognostische Einschätzungen über künftige Entwicklungen und Geschehensabläufe vorzunehmen sind, so beim speziellen Erfordernis des Schutzes gegen Terror- und Sabotageakte, z.B. über voraussichtliche Täter und voraussichtliches Täterverhalten; dies gilt weiter für Einschätzungen darüber, welche psychologischen Wirkungen eine Bewaffnung und die Art der Bewaffnung des Werkschutzes auf das Betriebspersonal und damit - mittelbar - auf die Sicherheit des Betriebs haben können (s. hierzu Bochmann, Zur Sicherung kerntechnischer Anlagen gegen Anschläge und Sabotageakte, Atomwirtschaft 1984, 75 [79]).
b) Das Berufungsgericht hat die Trage, ob die Genehmigungsbehörde den ihr zustehenden Beurteilungsspielraum rechtmäßig ausgefüllt habe, nach dem Maßstab beantwortet, ob die Bewertung, die Bewaffnung des Werkschutzes sei erforderlich, aufgrund willkürfreier Annahmen und ausreichender Ermittlungen zustande gekommen ist. Dieser Maßstab entspricht

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der Rechtsprechung des erkennenden Senats (BVerwGE 72, 300 [317]) und des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 61, 82 [114 f.]).
Der Einwand der Revision, die Genehmigungsbehörde habe überhaupt keine Ermittlungen über die erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen gegen Störmaßnahmen durchgeführt, entspricht nicht den Feststellungen im Berufungsurteil. Danach lag der Genehmigungsbehörde das "Sicherheitstechnische Gutachten zum Konzept der Anlagensicherung des Gemeinschaftskernkraftwerks Neckarwestheim" des Instituts für Reaktorsicherheit vom August 1975 (sog. IRS-Gutachten) vor. Dort wird festgestellt, daß mit den vorgeschlagenen Maßnahmen "ein Optimum dessen erreicht wurde, was mit vertretbarem Aufwand erreicht werden kann" (IRS-Gutachten S. 2). Die Vorschläge des IRS-Gutachtens setzen eine ständige Überwachung von Anlagen, insbesondere auch von Sicherheitsbarrieren, Meldeanlagen, der Pforte und des Zugangs und Abgangs von Personen von und 7.u sicherheitstechnisch bedeutsamen Anlagen durch Hilfskräfte voraus. Sie setzen insbesondere voraus, daß Alarmschwellen und Barrieren "kontinuierlich und lückenlos im Einsatz sind". Das IRS-Gutachten sagt nichts dazu, durch welche organisatorischen Maßnahmen die kontinuierliche und lückenlose Funktionsfähigkeit der sicherheitstechnisch unverzichtbaren Anlagen zu gewährleisten ist. Die Einschätzung der Behörde, auf der sicheren Seite zu sein, wenn das zur Objektsicherung eingesetzte Personal mit Faustfeuerwaffen ausgestattet ist, ist nicht willkürlich. Für diese Einschätzung konnte sich die Genehmigungsbehörde, wie das Berufungsgericht zu Recht ausgeführt hat, auf den der Ständigen Konferenz der Innenminister der Länder in der Sitzung am 11. April 1975 in Bonn vorgelegten Bericht über Maßnahmen zur Sicherung im Bereich der Kernenergie stützen. Dieser Bericht fordert, daß bautechnische Maßnahmen einen so hohen Widerstandszeitwert haben, daß ein Täter mindestens 15 bis 30 Minuten benötigen würde, bevor er die Anlage in einen kritischen Zustand versetzen kann, und hält außerdem einen ausreichenden Werkschutz für erforderlich, der u.a. mögliche Angreifer so lange hinhalten kann, bis Polizeikräfte eintreffen; die Ausrüstung mit Schußwaffen und eine intensive Schießausbildung könnten erforderlich sein. Die Meinung der Revision, bei Befürwortung eines bewaffneten Werkschutzes sei der genannte Bericht davon ausgegangen, daß Kernkraftwerke,

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wie seinerzeit üblich und technisch machbar, nach ihrer baulich-technischen Beschaffenheit nur einen Widerstandszeitwert von fünf Minuten haben, trifft nicht zu; der Bericht legt, wie schon ausgeführt, einen Widerstandszeitwert der Anlage nach ihrer baulich-technischen Beschaffenheit von 15 bis 30 Minuten zugrunde.
Zutreffend weist die Revisionserwiderung auch darauf hin, die Behörde habe, ohne daß ihr Willkür vorzuwerfen wäre, davon ausgehen dürfen, daß eine künftige Störmaßnahme nicht unbedingt dem Tat-Täter-Modell entsprechen müsse, das der Berechnung des Widerstandswertes der baulichtechnischen Ausstattung zugrunde liegt. Ein solches Tat-Täter-Modell kann nur auf Vermutungen über denkbare Geschehensabläufe beruhen; Abweichungen (z.B.: Zusammenwirken eines von außen eindringenden Täters mit einem Angehörigen des Betriebspersonals; mehrere Täter; Mitführen größerer Mengen von Sprengstoff usw.) können zu einer Verringerung des Widerstandszeitwerts der baulich-technischen Ausstattung führen. Die Genehmigungsbehörde darf deshalb, wie geschehen, einen ergänzenden Schutz durch organistorische Maßnahmen fordern, selbst wenn der Widerstandszeitwert durch baulich-technische Maßnahmen für bestimmte -immer unterstellte und deshalb Ungewisse - künftige Geschehensabläufe das Mehrfache der Zeit beträgt, innerhalb derer die Polizei - planmäßig - eintrifft; denn das besondere Gefahrenpotential eines Kernkraftwerks rechtfertigt und gebietet es, gegenüber Störmaßnahmen und sonstigen Einwirkungen Dritter - ebenso wie im Rahmen des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG gegenüber Gefahren aus dem Betrieb unmittelbar - Mehrfachsicherungen zu fordern in dem Sinne, daß immer dann, wenn ein System ganz oder teilweise überspielt wird oder sonst ausfällt, ein anderes System den Ausfall noch kompensieren kann.
Auch die Annahme, die Polizei treffe im Falle einer Störmaßnahme binnen 10 bis 12 Minuten ein, ist nur eine Annahme, die planmäßiges Funktionieren aller baulich-technischen und organisatorisch-administrativen Sicherheitssysteme sowie die sofortige Einsatzbereitschaft und -fähigkeit der Polizei voraussetzt. Die Vorgabe ist schon dann in Frage gestellt, wenn die Alarmierung sich verzögert, etwa weil Leitungen unterbrochen sind, die Alarmauslösung behindert wird und dergleichen. Sie ist auch in Frage

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gestellt, wenn die Abfahrt der Polizei behindert wird, sei es, daß Polizeifahrzeuge beschädigt sind, sei es, daß Straßen, z.B. infolge Glätte oder Sperren, nicht oder nicht schnell befahrbar sind usw. Schließlich können auch Verzögerungen dadurch eintreten, daß zunächst nur unzureichende Polizeikräfte am Einsatzort eintreffen. Die Annahme der Genehmigungsbehörde, eine Bewaffnung des Werkschutzes biete eine größere Sicherheitsreserve für solche unvorhergesehenen Geschehensabläufe, und solche Geschehensabläufe seien nicht gänzlich unwahrscheinlich, ist deshalb nicht willkürlich.
Die Revision wendet weiter ein, bei Zugrundelegung eines Tat-Täter-Modells einer paramilitärisch vorgehenden schwerbewaffneten Gruppe sei ein mit Faustfeuerwaffen ausgerüsteter Werkschutz schnell ausgeschaltet und deshalb unnütz, möglicherweise sogar eher sicherheitsgefährdend als -fördernd. Die Revision geht dabei von der Vorstellung aus, die mit Pistolen oder Revolvern ausgerüsteten Werkschutzleute hätten sich in einem solchen Fall den schwerbewaffneten Angreifern vor der äußeren Umschließung des Kernkraftwerks "heldenhaft und todesmutig" entgegenzustellen und sich erst im letzten Augenblick hinter die Umschließung zurückzuziehen; dabei sei die Gefahr besonders groß, daß die Angreifer ebenfalls durch die zu diesem Zweck geöffneten Sperren eindringen. Ein Sicherheitskonzept, das auf solchen Annahmen beruht, wäre in der Tat unrealistisch und ungeeignet. Das Sicherheitskonzept der Genehmigungsbehörde legt eine solche Abwehrstrategie jedoch nicht zugrunde. Der Einwand der Revision vermag deshalb die Rechtmäßigkeit der Auflage nicht in Frage zu stellen. Er beruht auf einer Prognose, die von derjenigen der Genehmigungsbehörde abweicht, ohne der Prognose der Genehmigungsbehörde die Grundlage zu entziehen, auch wenn diese den Angriff einer paramilitärisch ausgerüsteten und vorgehenden Gruppe nicht in Rechnung gestellt hat; denn es ist nicht Sache der Gerichte, Prognosen der Genehmigungsbehörde im Hinblick auf Situationen zu korrigieren, die allenfalls im Grenzbereich des nach praktischer Vernunft noch Möglichen liegen könnten. Abgesehen davon würde eine solche Annahme es nicht in Frage stellen, daß bei anderen Geschehensabläufen, von denen die Genehmigungsbehörde ausgegangen ist, ein bewaffneter Werkschutz ein ergänzender Sicherheitsfaktor ist. Schließlich könnte der Einwand - zum Nachteil der Klägerin - darauf hinauslaufen,

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daß die Genehmigungsbehörde einen nach Mannschaftsstärke und Waffenausrüstung stärkeren Werkschutz fordern, nicht jedoch, daß sie auf die Einrichtung eines bewaffneten Werkschutzes überhaupt verzichten müßte.
c) Die Revision rügt weiter, die Bewaffnung sei nicht erforderlich, weil sie als Schutzmaßnahme ungeeignet sei; denn die Werkschutzleute könnten rechtlich nicht gezwungen werden, zur Objektsicherung (Nothilfe) von der Waffe Gebrauch zu machen, notfalls unter Einsatz ihres Lebens. Dieser Einwand ist aus folgenden Gründen nicht erheblich: Es geht nicht darum, wozu und unter Inkaufnahme welcher Risiken Werkschutzleute arbeitsvertraglich verpflichtet werden können und wie eine solche Verpflichtung rechtlich durchgesetzt werden kann, sondern darum, ob die Bewaffnung einen zusätzlichen Sicherheitsfaktor beim Schutz des Kernkraftwerks gegen Einwirkungen Dritter darstellt. Diese Frage ist schon dann zu bejahen, wenn nach der Lebenserfahrung damit gerechnet werden kann, daß Werkschutzleute oder anderes Betriebspersonal (z.B. der Pförtner) sich notfalls mit der Waffe zur Wehr setzen, wenn sie selbst in Wahrnehmung ihrer Überwachungs- und Sicherheitsaufgaben oder wenn Anlagen mit der Folge einer Gesundheits- und Lebensgefahr für das Betriebspersonal und für die Allgemeinheit angegriffen werden. Daß sie dazu berechtigt sind (§ 227 BGB, § 32 StGB), unterliegt keinem Zweifel. Ob auch eine Verpflichtung besteht, ist allenfalls eine - graduelle - Frage des Zugewinns an Sicherheit durch Bewaffnung des Werkschutzes. Die Meinung der Revision, der Werkschutz dürfe nur zur Waffe greifen, wenn polizeiliche Hilfe nicht rechtzeitig zu erlangen sei, er dürfe folglich überhaupt nicht von der Waffe Gebrauch machen, weil die Polizei binnen 10 bis 12 Minuten zur Stelle sei, ist unrichtig. § 229 BGB nennt diese Voraussetzung nur für das Recht der Selbsthilfe, d.h. für die private "Vollstreckung" einer Forderung durch Gewaltanwendung gegenüber Sachen oder Personen, nicht dagegen für Notwehr und Nothilfe, d.h. für das Recht zur Abwehr eines gegenwärtigen Angriffs auf ein Rechtsgut.