Die vom Beschwerdeführer behauptete Einschränkung hat im Gesetzestext selber keinen Ausdruck gefunden. Aus dem Wortlaut und Wortsinn ist gegenteils zu entnehmen, dass die Kantone ohne Einhaltung einer bestimmten Frist befugt sein sollen, von der Regelung des ZGB abzuweichen. Da das
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Gesetz bezüglich des aufgeworfenen Problems weder unklar noch unvollständig ist, bleibt kein Raum für eine Berücksichtigung der Materialien. Die Entstehungsgeschichte der Bestimmung liegt im weiteren bereits über 65 Jahre zurück, so dass sie auch aus diesem Grund kaum mehr beachtlich ist. Aber selbst wenn der Sinn nicht aus der Bestimmung selbst geklärt werden könnte, so dürfte die Entstehungsgeschichte nur dann bei der Auslegung mitberücksichtigt werden, wenn sie über die Absichten des Gesetzgebers zuverlässig Aufschluss zu geben vermöchte (BGE 98 Ib 380). Das ist vorliegend nicht der Fall. Jedenfalls kann ihr nichts zugunsten der Beschwerdeführer entnommen werden, denn von einer zeitlichen Beschränkung des in Art. 472 ZGB enthaltenen Vorbehalts war im Verlaufe der Entstehungsgeschichte nie die Rede. Keiner der Antragsteller oder Berichterstatter vertrat die Ansicht, dass die in Art. 472 umschriebene Befugnis der Kantone, eine vom ZGB abweichende Form des Pflichtteilsschutzes zu wählen, nur im Zeitpunkt der Inkraftsetzung des ZGB und später nicht mehr ausgeübt werden dürfe. Der Umstand, dass in der ursprünglichen Fassung von Art. 472 ZGB ausdrücklich stand, die Kantone könnten eine vom ZGB abweichende Regelung der Pflichtteilsberechtigung "in ihren Einführungsgesetzen" vorsehen, und dass die drei Worte "in ihren Einführungsgesetzen" erst von der Redaktionskommission gestrichen wurden, spricht nicht für die Auffassung der Beschwerdeführer. Wären sie entsprechend den ursprünglichen Beschlüssen beider Räte im Differenzenbereinigungsverfahren stehen geblieben, so würde dies nicht bedeuten, dass ihnen ein zeitlicher Sinn beizumessen sei, d.h. dass die Abweichung von der Regelung des ZGB nur bei der Schaffung, nicht aber durch eine spätere Änderung des Einführungsgesetzes erfolgen dürfe. Im übrigen ist anzunehmen, dass die Redaktionskommission die Wendung nur deshalb gestrichen hat, weil die Verweisung auf die Einführungsgesetze nicht notwendig war und demgemäss auch andernorts im Zusammenhang mit Vorbehalten des Gesetzes zugunsten des kantonalen Rechtes nicht vorkommt (vgl. etwa Art. 349, 361, 466, 553, 609, 664, 688, 695, 709, 740, 795, 796, 843 ZGB und Memorial des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartementes an die Kantone vom 24. Juli 1908, BBl 1908/IV, S. 505 und 520; ferner M. JAGMETTI, Vorbehaltenes kantonales Privatrecht, in: Schweizerisches Privatrecht I,
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S. 254). Auch die Betonung der allgemeinen Leitlinie der Rechtsvereinheitlichung beim Erlass des ZGB hilft den Beschwerdeführern nicht, denn eben in der Frage des Pflichtteilsanspruchs der Geschwister musste auf die Vereinheitlichung verzichtet werden, und zwar ohne bestimmte zeitliche Begrenzung. Der Zweck von Art. 474 ZGB besteht jedenfalls nicht darin, den Kantonen die Beibehaltung ihres bisherigen Systems zu ermöglichen; vielmehr wurden ihnen an Stelle der früher geltenden, von Kanton zu Kanton verschiedenen Regelungen nur deren drei zur Wahl freigestellt, nämlich diejenige gemäss Art. 471 ZGB und die beiden in Art. 472 ZGB vorgesehenen Varianten. Die ratio legis lag allein in referendumspolitischen Rücksichten - man befürchtete, dass das ganze Gesetzeswerk ob dieser Frage scheitern könnte -, so dass ihr für die Auslegung des Textes nichts abzugewinnen ist (vgl. hierzu Votum HUBER im Nationalrat, Sten.Bull. N. 1907 S. 296 ff. und HOFFMANN im Ständerat, Sten.Bull. S 1907 S. 302 ff.; ferner Kommentar TUOR, 2. Auflage, N. 1 zu Art. 472; GUISAN, La réserve des héritiers collatéraux de la deuxième parentèle, in: ZSR 49/1930 S. 315; ÄBLI, der Pflichtteil der Geschwister und ihrer Nachkommen im schweizerischen Recht, Diss. Zürich 1940 S. 13/14). Wenn in der Beschwerde weiter auf die grosse Durchmischung der Bevölkerung der Kantone hingewiesen wird, die es als stossend erscheinen lasse, heute eine neue kantonale Norm zu schaffen, die nur für einen kleinen Teil der Kantonseinwohner gelte, so ist dem entgegenzuhalten, dass dieses Problem schon bei der Schaffung von Art. 472 ZGB bestand und erkannt worden war, wie sich eindeutig aus dem Referat EUGEN HUBERS vom 13. Dezember 1905 im Nationalrat ergibt (Sten.Bull. 1905 S. 1356). Da sich das Parlament schliesslich in Kenntnis der Nachteile doch für eine differenzierende Lösung entschlossen hat, dürfen heute diese nämlichen Gründe nicht ins Feld geführt werden, um einen Kanton daran zu hindern, in Ausübung seiner gesetzlichen Befugnis vom subsidiären Recht des ZGB abzuweichen.