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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Sabiha Akagündüz, A. Tschentscher | |||
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68. Auszug aus dem Urteil |
vom 5. Oktober 1977 |
i.S. Hasler gegen Stadtrat von Zürich | |
Regeste |
Die Wohnsitzpflicht der Beamten verstösst weder gegen Art. 45 BV noch gegen Art. 8 EMRK (E. 4). |
Eine auf sachlichen Gründen beruhende Änderung der Bewilligungspraxis (Bewilligung des auswärtigen Wohnsitzes) lässt sich mit Art. 4 BV vereinbaren (E. 6a). |
Verletzung der Grundsätze von Treu und Glauben und der Rechtsgleichheit? Frage im vorliegenden Fall verneint (E. 6b-d). | |
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"Die Beamten, Angestellten und Arbeiter, deren Dienstkreis nicht ausserhalb des Stadtkreises liegt, sind gehalten in der Stadt zu wohnen. Der Stadtrat ist berechtigt, Ausnahmen zu bewilligen."
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Die Bewilligung des auswärtigen Wohnsitzes wird durch den Finanzvorstand erteilt, die Abweisung eines Gesuches erfolgt durch den Stadtrat auf Antrag des Finanzvorstandes. Während der Hochkonjunktur wurden - mit Rücksicht auf den Wohnungsmangel in der Stadt und die Schwierigkeiten der Personalrekrutierung - in grosszügiger Weise Ausnahmen von der Residenzpflicht gewährt. Im Laufe des Jahres 1976 entschloss sich jedoch der Stadtrat in Anbetracht der veränderten Verhältnisse (Entspannung auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt), die Wohnsitzpflicht der Beamten strenger zu handhaben und Ausnahmebewilligungen nur noch in ausserordentlichen Fällen zu erteilen.
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Hans Hasler wurde am 13. Februar 1974 als Adjunkt (Verkehrsingenieur) der Stadtpolizei Zürich gewählt. Am 9. August 1976 stellte er das Gesuch, es sei ihm zu gestatten, seinen Wohnsitz von Zürich nach Meilen zu verlegen, da seine Frau in Meilen ein Einfamilienhaus gekauft habe. Unter Bezugnahme auf die eingeleitete Änderung der Bewilligungspraxis lehnte der Stadtrat das Gesuch aus grundsätzlichen Überlegungen ab.
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Gegen den Beschluss des Stadtrates hat Hans Hasler staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 und 45 BV sowie von Art. 8 EMRK eingereicht. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
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Auszug aus den Erwägungen: | |
Aus den Erwägungen:
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Erwägung 4 | |
4.- a) Art. 45 BV garantiert jedem Schweizer die Niederlassungsfreiheit. Im Beamtenrecht der Kantone und Gemeinden ist teilweise die Wohnsitzpflicht (Residenzpflicht) des Beamten am Dienstort oder in dessen Umgebung oder im Kantonsgebiet vorgesehen (vgl. Hinweise bei E. RICHNER, Umfang und Grenzen der Freiheitsrechte der Beamten nach schweizerischem Recht, Diss. Zürich 1951, S. 272; E.M. JUD, Besonderheiten öffentlichrechtlicher Dienstverhältnisse nach schweizerischem Recht ... Diss. Freiburg 1975, S. 104 f.). Auch ![]() ![]() | 7 |
In der Doktrin wird mit mehr oder weniger Nachdruck die Auffassung vertreten, eine solche Residenzpflicht halte vor Art. 45 BV nur stand, wenn dienstliche Gründe, wie die Notwendigkeit erhöhter oder ständiger Dienstbereitschaft (Polizei, Katastrophendienst, Feuerwehr, usw.), einen bestimmten Wohnsitz erfordern; bei der Mehrzahl der Dienstnehmer müsse jedoch dem Grundrecht der Niederlassungsfreiheit der Vorrang eingeräumt werden (so insbesondere JUD a.a.O. S. 105). - In der schweizerischen Praxis wurde bisher nicht angenommen, Art. 45 BV stehe einer beamtenrechtlich fundierten Residenzpflicht entgegen und lasse eine Verpflichtung zu einem bestimmten Wohnsitz nur zu, sofern dies für die richtige Erfüllung der Dienstpflicht notwendig sei. AUBERT (Traité de droit constitutionnel suisse, S. 701 Ziff. 1970) erwähnt die Residenzpflicht der Beamten ohne Vorbehalt als eine der Ausnahmen von der Niederlassungsfreiheit.
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Art. 45 BV hindert den öffentlichrechtlichen Arbeitgeber nicht, im Rahmen der gesetzlichen Regelung des Dienstverhältnisses auch Vorschriften über den Wohnsitz der Beamten aufzustellen. Das öffentliche Interesse an einer Residenzpflicht des Beamten besteht nicht nur dann, wenn die Art des Dienstes (besondere Dienstbereitschaft, Pikettdienst) es dringend erfordert, dass der Beamte am Arbeitsort wohnt. Für eine Verpflichtung des Beamten zur Wohnsitznahme im Gebiet des Gemeinwesens, in dessen Dienst er steht, können eine Reihe sachlicher Gründe angeführt werden. Nach schweizerischer Auffassung ist eine gewisse Verbundenheit des Beamten mit der Bevölkerung anzustreben, was bei einzelnen Stellen auch in der Volkswahl zum Ausdruck kommt. Die Verwurzelung des Beamten in der Gemeinschaft, für welche er arbeitet, ist besser gewährleistet, wenn der Beamte in diesem Gemeinwesen wohnt, denn die Beziehung zum Wohnort ist in der Regel eine wesentlich intensivere als die Beziehung zum blossen Dienstort. Dass der Zugehörigkeit eines Beamten zur Wohnbevölkerung seines Dienstortes bei einem Lehrer, Gemeindeschreiber ![]() ![]() | 9 |
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Mit diesen Bestimmungen wird u.a. der Schutz der Wohnung vor ungesetzlichen Eingriffen statuiert. Irgendein Anspruch auf Niederlassungsfreiheit oder ein Verbot der Residenzpflicht von Beamten kann dagegen aus Art. 8 EMRK nicht abgeleitet werden, tangiert doch die Verpflichtung eines Beamten zu einem bestimmten Wohnsitz weder die Integrität seiner Wohnung, noch wird dadurch sein Anspruch auf Achtung seines Privat- oder Familienlebens verletzt.
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Erwägung 5 | |
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Erwägung 6 | |
6.- a) Unter welchen Voraussetzungen Ausnahmen von der Wohnsitzpflicht bewilligt werden können, wird in Art. 8 PR nicht umschrieben. Unbestritten ist, dass während der Hochkonjunktur Ausnahmen ohne Anwendung strenger Kriterien bewilligt wurden, und dass die hier angefochtene Verweigerung einer Ausnahmebewilligung auf einer bewussten Verschärfung der Bewilligungspraxis beruht. Die Wohnungsknappheit ![]() ![]() | 13 |
b) Der Beschwerdeführer beruft sich in gewissem Sinn auf Vertrauensschutz. Er macht geltend, es sei ihm vor dem Eintritt in den städtischen Dienst erklärt worden, der auswärtige Wohnsitz sei zwar grundsätzlich bewilligungspflichtig, es handle sich dabei aber um eine Formalität; da in seinem Fall kein dienstlicher Grund die Ortsansässigkeit erfordere, könne er ohne weiteres mit der Erteilung der Bewilligung rechnen. Dass der Beschwerdeführer 1974 - entsprechend der damaligen Bewilligungspraxis - in diesem Sinne orientiert wurde, ist unbestritten. Der Beschwerdeführer kannte also die grundsätzliche Wohnsitzpflicht von Anfang an. Er konnte zwar auf Grund der wahrheitsgemässen Orientierung annehmen, er ![]() ![]() | 14 |
Aus der zutreffenden Orientierung über die Rechtslage und die damals geltende grosszügige Bewilligungspraxis kann der Beschwerdeführer keinen Anspruch auf Erteilung der Ausnahmebewilligung ableiten. Dass die grundsätzliche Wohnsitzpflicht allgemeiner Natur ist und sich nicht auf die Fälle der dienstlich bedingten Ortsansässigkeit beschränkt, blieb ihm nicht verborgen. Die blosse Hoffnung, dass die zur Zeit seines Eintritts in den städtischen Dienst geübte Bewilligungspraxis nicht geändert und gegebenenfalls auch ihm zugute kommen werde, geniesst keinen rechtlichen Schutz. Da eine verbindliche Zusicherung der zuständigen Behörde fehlt, kann offenbleiben, ob das angebliche Vertrauen in die Möglichkeit eines auswärtigen Wohnsitzes für den Entschluss des Beschwerdeführers, die Stelle eines Verkehrsingenieurs anzunehmen, wirklich von entscheidender Bedeutung war (vgl. über die Voraussetzungen des Vertrauensschutzes BGE 99 Ib 101).
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c) Aus den Akten ergibt sich, dass nach Einführung der restriktiven Bewilligungspraxis durch den Stadtrat der Finanzvorstand in einzelnen Fällen noch den auswärtigen Wohnsitz bewilligte, obschon bei konsequenter Anwendung der neuen strengern Kriterien eher eine Ablehnung der Gesuche in Betracht gefallen wäre. Eine gewisse Inkonsequenz in der Übergangszeit mag wohl zum Teil auf die merkwürdige Spaltung der Zuständigkeit zur Behandlung der Gesuche zwischen Finanzvorstand und Stadtrat zurückzuführen sein. Es ist aber nicht dargetan, dass es der Stadtrat mit seiner Praxisänderung und der versuchten Durchsetzung der Residenzpflicht nicht ernst meine, sondern willkürlich in Einzelfällen einen strengern Massstab anlege. In den Vergleichsfällen liess sich zum grössten Teil wegen erheblicher sachlicher Unterschiede (Beibehaltung eines bisherigen auswärtigen Wohnsitzes, Einzug in ein schon bisher einem Familienglied gehörendes Haus, Verheiratung weiblicher Angestellter nach auswärts, Berücksichtigung der beruflichen Situation der Frau) eine Bewilligung ![]() ![]() | 16 |
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Erwägung 7 | |
7.- Der Stadtrat hat es unterlassen, seine für die betroffenen Beamten sehr einschneidende Änderung der Bewilligungspraxis in allgemeiner Form bekanntzugeben, um Interessenten von der Wohnungssuche ausserhalb des Stadtgebietes abzuhalten. Über die Bewilligungspflicht als solche konnte zwar kein Zweifel bestehen. Die Eheleute Hasler gingen deshalb ein Risiko ein, als Frau Hasler in Meilen ein Einfamilienhaus kaufte, bevor ihrem Mann der auswärtige Wohnsitz bewilligt war. Allerdings ist es verständlich, dass der Beschwerdeführer gestützt auf die Orientierung vor dem Eintritt in den städtischen Dienst und die ihm bekannte Bewilligungspraxis keine ernstlichen Schwierigkeiten erwartete. Der Stadtrat anerkennt in seiner Vernehmlassung selbst, dass eine unbefriedigende Situation entstanden sei, indem die neue, verschärfte Bewilligungspraxis ![]() ![]() ![]() | 18 |
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