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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Sabiha Akagündüz, A. Tschentscher | |||
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25. Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung |
vom 19. Juni 1981 |
i.S. Stutz gegen Kanton Glarus und Steuer-Rekurskommission des Kantons Glarus |
(staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Die Bestimmung des glarnerischen Steuergesetzes, wonach diejenigen Personen, die keiner staatlich anerkannten Kirchgemeinde angehören, der Kirchgemeinde, in der sie Wohnsitz haben, die halbe Kirchensteuer bezahlen müssen, verstösst gegen Art. 49 Abs. 6 BV, da die Steuer für eigentliche Kultuszwecke auferlegt wird. | |
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A.- Nach Art. 198 des glarnerischen Gesetzes über das Steuerwesen vom 10. Mai 1970 (StG) sind die Orts-, Schul-, Fürsorge- und Kirchgemeinden befugt, Steuern zu erheben, soweit der Ertrag der Gemeindegüter und die übrigen Einkünfte sowie die Anteile an der Staatssteuer zur Deckung ihrer Ausgaben nicht ausreichen. Art. 199 StG regelt die Steuerarten, Art. 200 StG den Steuerfuss. Art. 200 Abs. 5 StG bestimmt:
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"Natürliche Personen, welche keiner staatlich anerkannten Kirchgemeinde angehören, sind von der Kirchensteuer befreit, haben aber der Kirchgemeinde, in der sie Wohnsitz haben, an die Kosten der bürgerlichen Funktionen die halbe Steuer zu bezahlen."
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Jakob Stutz gehört nach seinen eigenen Angaben keiner der beiden glarnerischen Landeskirchen an, sondern ist Mitglied der Pfingstmission Glarus. Gestützt auf die Steuerveranlagung 1977-78 stellte ihm seine damalige Wohnsitzgemeinde Glarus Rechnung für die halbe Kirchensteuer für das Jahr 1977. Stutz bezahlte nicht und erhob Einsprache. Die Steuerkommission wies die Einsprache ab, worauf Stutz bei der Steuer-Rekurskommission des Kantons Glarus Beschwerde einreichte, die am 24. Oktober 1978 mit folgender Begründung abgewiesen wurde: Die Bundesverfassung verbiete die Erhebung einer Kirchensteuer von "Dissidenten" nicht schlechthin, sondern nur soweit sie speziell für eigentliche Kultuszwecke verwendet werde. Die Kirchensteuern deckten aber z.B. auch die Auslagen für den Unterhalt der kirchlichen Gebäude, die heute vermehrt auch der Öffentlichkeit für Konzerte, Versammlungen und nicht-kirchliche Feiern dienten. Die Landeskirchen leisteten wesentliche Beiträge an Institutionen sozialen Charakters (z.B. an die Evangelische Mittelschule Schiers, an die evangelische Krankenpflegeschule Chur) und führten Veranstaltungen durch, die im Interesse der Allgemeinheit lägen. Bei allen diesen Auslagen handle es sich nicht um Ausgaben für eigentliche Kultuszwecke. Eine exakte Ausscheidung der Kosten für kirchliche und nicht-kirchliche Aufgaben sei praktisch ausgeschlossen. Der Gesetzgeber habe sich daher entschieden, von den sog. Dissidenten einen Betrag in der Höhe der halben Kirchensteuer an die Kosten der bürgerlichen Funktionen der Kirche zu verlangen. Diese Lösung könne nicht als willkürlich bezeichnet werden.
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Gegen diesen Entscheid hat Jakob Stutz gestützt auf Art. 4 und Art. 49 Abs. 6 BV staatsrechtliche Beschwerde beim Bundesgericht eingereicht. Er verlangt unter lit. a seiner Anträge, die Einwohner ![]() ![]() | 4 |
Auszug aus den Erwägungen: | |
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde aus folgenden Erwägungen gut:
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Erwägung 1 | |
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Der Beschwerdeführer behauptet sinngemäss, Art. 200 Abs. 5 StG verletze Art. 49 Abs. 6 und Art. 4 BV. Die Frist zur unmittelbaren Anfechtung des Steuergesetzes des Kantons Glarus ist längst ![]() ![]() | 7 |
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Erwägung 2 | |
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"Niemand ist gehalten, Steuern zu bezahlen, welche speziell für eigentliche Kultuszwecke einer Religionsgenossenschaft, der er nicht angehört, auferlegt werden. Die nähere Ausführung dieses Grundsatzes ist der Bundesgesetzgebung vorbehalten."
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Der in dieser Bestimmung enthaltene Grundsatz ist eine notwendige Folge der in Art. 49 Abs. 1 BV garantierten Glaubens- und Gewissensfreiheit; Gewissensfreiheit wäre nicht mehr vorhanden, wenn jemand gegen seinen Willen genötigt würde, für Kultuszwecke einer ihm fremden Konfession oder Religionsgenossenschaft ![]() ![]() | 12 |
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Erwägung 3 | |
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b) Die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichts zur Auslegung dieses Begriffs lässt sich nur kasuistisch erfassen. Die Entscheide liegen zudem durchwegs ein halbes bis ein ganzes Jahrhundert zurück. "Eigentliche Kultuszwecke" liegen nach dieser Rechtsprechung z.B. dann vor, wenn die Steuern für folgende ![]() ![]() | 15 |
c) Das Bundesgericht fasste seine Rechtsprechung in BGE 24 I 630 E. 2 folgendermassen zusammen: Eine Steuer werde nur dann zu einem eigentlichen Kultuszweck erhoben, "wenn dieselbe ausschliesslich zu einem Kultuszweck verwendet werden soll, nicht aber auch dann, wenn die Steuer in ihrem Zwecke, in der Verwendung, die sie findet, nicht nur religiösen, sondern auch anderen öffentlichen, bürgerlichen oder sozialen Bedürfnissen und Aufgaben dient". Diese Abgrenzung stiess in der Literatur auf Kritik. VON REDING-BIBEREGG (a.a.O., S. 69 ff.) und BURCKHARDT (Kommentar der schweizerischen Bundesverfassung vom 29. Mai 1874, Bern 1905, S. 503 f.) verlangten, Andersgläubige und Konfessionslose seien aufgrund von Art. 49 Abs. 6 BV immer schon dann von den Steuern zu befreien, wenn der kirchliche Zweck der Ausgabe überwiege. Das Bundesgericht wies in BGE 39 I 32 auf diese Kritik hin, liess aber offen, ob es diesem Abgrenzungskriterium den Vorzug geben wolle, da im konkreten Fall beide Methoden zum ![]() ![]() | 16 |
Erwägung 4 | |
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b) Die Steuererträgnisse der Andersgläubigen und Konfessionslosen werden nicht für einen bestimmten nicht-kirchlichen Zweck verwendet, für den die Aufwendungen in den Jahresrechnungen der Kirchgemeinden gesondert ausgewiesen würden. Eigentliche bürgerliche Aufgaben, wie etwa der Unterhalt eines Friedhofs, die Armenfürsorge oder die Führung der öffentlichen Volksschule sind den glarnerischen Kirchgemeinden nicht übertragen. Diese Aufgaben obliegen den Orts-, Schul- und Fürsorgegemeinden, welche für ihre Zwecke von allen Gemeindeeinwohnern Steuern erheben können (Art. 69 ff. KV, Art. 198 ff. StG). Den Landeskirchen sind nur konfessionelle Angelegenheiten ![]() ![]() | 18 |
Die Steuerverwaltung führt in ihrer Vernehmlassung den Religionsunterricht, der nach dem Schulgesetz von den Lehrbeauftragten der anerkannten Kirchen erteilt wird, als Beispiel für eine der bürgerlichen Aufgaben der Landeskirchen an. Sie stützt sich dabei auf BGE 39 I 30. In diesem die Steuern einer Sekundarschulgemeinde betreffenden Entscheid hatte das Bundesgericht zwar die Besteuerung auch der Andersgläubigen als zulässig betrachtet, aber auch darauf hingewiesen, dass der Geistliche nicht nur als Lehrer handelt, sondern zugleich eine ihm nach der kirchlichen Ordnung obliegende Pflicht erfüllt. Die Abgrenzung wurde kritisiert (MARTI, Glaubens- und Gewissensfreiheit/Kultussteuern, SJK Nr. 1072 Ziff. 3; vgl. auch BÜHLMANN, a.a.O. S. 81). Sie kann jedenfalls nicht ohne weiteres auf die Besteuerung durch eine Kirchgemeinde übertragen werden, wo die Besoldung des Religionslehrers von dieser und nicht vom Trägergemeinwesen der öffentlichen Volksschule ausgerichtet wird. Indessen kann hier dahingestellt bleiben, ob und unter welchen Voraussetzungen auch die Ausgaben von Kirchgemeinden für den Religionsunterricht bürgerlichen Zwecken dienen können. Denn diese Aufwendungen machen nur einen geringen Teil der Gesamtausgaben der glarnerischen Kirchgemeinden aus. Es geht nicht an, die halbe Kirchensteuer allein aus diesem Grunde als bürgerlichen Zwecken dienende Abgabe zu qualifizieren.
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c) Die Steuer-Rekurskommission und die Steuerverwaltung betonen, die Landeskirchen hätten ihren Aufgabenbereich in neuerer Zeit wesentlich geändert und erweitert, indem sie zahlreiche neue soziale, fürsorgerische und erzieherische Aufgaben übernommen hätten. - Diese Veränderungen hängen damit zusammen, dass sich im Laufe der letzten Jahrzehnte die Lebensbedingungen allgemein ![]() ![]() | 20 |
Bei den auf neue Art angepackten und ausgeweiteten Aufgaben handelt es sich durchwegs um solche, die keineswegs den Kirchen allein obliegen, sondern teils auch durch Organe des Staates und der Einwohnergemeinden, sodann durch zahlreiche private - gemeinnützige und zum Teil politische - Organisationen erfüllt werden. Von der Art der Aufgaben her ist eine Vielfalt von Angeboten, die einen verschieden (auch religiös und konfessionell) gefärbten besonderen Charakter haben, in der Regel erwünscht. Der Bürger wird mit seinen Bedürfnissen auf die verschiedenen Angebote nicht in gleicher Weise ansprechen. Er hat nicht nur zu den vom Staat und den Einwohnergemeinden für die Erfüllung dieser Aufgaben getätigten Aufwendungen durch seine Steuern beizutragen, sondern ist überdies zur Unterstützung der von verschiedenen Seiten - im Wettbewerb - unternommenen privaten Anstrengungen aufgerufen. Es wäre stossend und würde Art. 49 Abs. 6 BV widersprechen, wenn er durch Steuerleistung an die ![]() ![]() | 21 |
Erwägung 5 | |
5.- Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass der angefochtene Entscheid der Steuer-Rekurskommission des Kantons Glarus vom 24. Oktober 1978 aufzuheben ist, da er in Anwendung der gegen Art. 49 Abs. 6 BV verstossenden Vorschrift von Art. 200 Abs. 5 StG ergangen ist. ob der angefochtene Entscheid, bzw. Art. 200 Abs. 5 StG zugleich auch Art. 4 BV verletzt, braucht unter diesen Umständen nicht mehr geprüft zu werden. ![]() | 22 |
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