![]() ![]() | |||
| |||
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Sabiha Akagündüz, A. Tschentscher | |||
![]() | ![]() |
41. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung |
vom 9. Oktober 1991 |
i.S. H. gegen Staatsanwaltschaft und Obergericht |
(Strafabteilung) des Kantons Aargau (staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Art. 4 BV (Rechtsgleichheit, Willkür); Untersuchungs- und Sicherheitshaftregime bei vorzeitigem Strafvollzug; Kollusionsgefahr. |
1. Es verstösst nicht gegen das Rechtsgleichheitsgebot, dass Untersuchungs- und Sicherheitshäftlinge im vorzeitigen Strafvollzug nicht dem gleichen Haftregime (insbesondere der gleichen Urlaubsregelung) unterstellt werden wie Gefangene im ordentlichen Strafvollzug (E. 3). |
2. Kollusionsgefahr, welche der Gewährung von Urlaub im vorzeitigen Strafvollzug entgegensteht, kann auch nach Abschluss der Untersuchung noch weiterbestehen (E. 4b). Die theoretische Möglichkeit, dass der Angeschuldigte in Freiheit oder im Urlaub kolludieren könnte, genügt jedoch nicht, um die Fortsetzung der Haft oder die Nichtgewährung von Urlaub während des vorzeitigen Strafvollzuges zu rechtfertigen. Es müssen vielmehr konkrete Indizien für eine solche Gefahr sprechen (E. 4c). Willkürliche Annahme von Kollusionsgefahr im vorliegenden Fall verneint. | |
![]() | |
A.- Das Bezirksgericht Aarau verurteilte H. am 12. Februar 1991 wegen wiederholten Diebstahls, wiederholter Sachbeschädigung, wiederholten Hausfriedensbruchs, gewerbsmässiger Hehlerei, gewerbsmässigen Betruges sowie verschiedener SVG-Delikte zu einer Zuchthausstrafe von vier Jahren und zu einer Busse von Fr. 1'000.--. Am 6. Mai 1991 erhob H. hiegegen Berufung. Er willigte indessen in den vorzeitigen Strafvollzug ein und befindet sich z. Zt. in der Strafanstalt Bostadel. Die Berufungsverhandlung hat noch nicht stattgefunden. Am 21. August 1991 wurde H. mit einer Zusatzanklage wiederum wegen gewerbsmässiger Hehlerei und gewerbsmässigem Betrug angeklagt; dieses Verfahren ist gegenwärtig am Bezirksgericht hängig.
| 1 |
Am 20. August 1991 stellte H. an das Obergericht des Kantons Aargau das Gesuch, die Strafanstalt Bostadel sei anzuweisen, dem Gesuchsteller analog einem rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren Verurteilten Urlaub zu gewähren; ferner sei er auch bezüglich Arbeitseinteilung und weiteren Anstaltsregelungen diesem gleichzustellen. Das Gesuch wurde insbesondere damit begründet, dass ein Drittel der Strafe, die ausgestandene und angerechnete Untersuchungshaft eingeschlossen, vollzogen sei. Die Strafabteilung des Obergerichtes wies mit Beschluss vom 26. August 1991 das Gesuch ab. Dagegen führt H. staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
| 2 |
Auszug aus den Erwägungen: | |
Aus den Erwägungen:
| 3 |
Erwägung 3 | |
3.- a) Der Beschwerdeführer rügt in erster Linie eine Verletzung des Rechtsgleichheitsgrundsatzes gemäss Art. 4 BV. Der Umstand, dass er den vorzeitigen Strafvollzug angetreten habe, müsse in der Weise berücksichtigt werden, dass er auch wie ein Vollzugsgefangener und nicht wie ein Untersuchungshäftling zu ![]() ![]() | 4 |
5 | |
c) Der vorzeitige Strafantritt ist eine Institution des kantonalen Strafrechts, weshalb von der konkreten aargauischen Regelung auszugehen ist (vgl. Stefan Trechsel, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kurzkommentar, N 5 zu Art. 69; MARTIN SCHUBARTH, Zur Rechtsnatur des vorläufigen Strafvollzuges, ZStrR 96/1979 S. 295 ff.). Im Kanton Aargau ist der vorzeitige Strafantritt lediglich in § 75 Abs. 3 des Gesetzes über die Strafrechtspflege (Strafprozessordnung) vom 11. November 1958 geregelt. Darnach kann im Einverständnis mit dem Betroffenen die Untersuchungshaft auch in einer Strafanstalt vollzogen werden. Daraus ergibt sich, dass im Kanton Aargau für den vorzeitigen Strafvollzug, auch wenn er in einer Strafanstalt erfolgt, grundsätzlich das Regime der Untersuchungshaft massgeblich ist. Allgemein hat das Bundesgericht wiederholt festgehalten, der vorzeitige Strafvollzug stelle seiner Natur nach eine Massnahme auf der Schwelle zwischen Strafverfolgung und Strafvollzug dar. Er soll ermöglichen, dass dem Angeschuldigten bereits vor der rechtskräftigen Urteilsfällung verbesserte Chancen auf Resozialisierung im Rahmen des Strafvollzuges geboten werden können. Aus dem Umstand, dass der Angeschuldigte freiwillig in dieses Vollzugsregime eintritt, darf jedoch nicht geschlossen werden, dass eine Unterbrechung bzw. Aufhebung dieses Vollzuges nur unter den für den ordentlichen Strafvollzug geltenden, engen Voraussetzungen möglich sein soll. Das Bundesgericht kam ![]() ![]() | 6 |
Erwägung 4 | |
7 | |
b) § 67 Abs. 1 Ziff. 2 StPO/AG nennt als Haftgrund u.a. das Bestehen von Kollusionsgefahr. Dass diese Bestimmung im vorliegenden Fall analog angewendet werden kann, ergibt sich aus der vorstehenden Erwägung 3. Kollusion bedeutet, dass sich der Beschuldigte ![]() ![]() | 8 |
c) Jedoch genügt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes die theoretische Möglichkeit, dass der Angeschuldigte in Freiheit kolludieren könnte, nicht, um die Fortsetzung der Haft oder die Nichtgewährung von Urlauben unter diesem Titel zu rechtfertigen. Es müssen vielmehr konkrete Indizien für eine solche Gefahr sprechen (unveröffentlichte Urteile des Bundesgerichtes vom 15. November 1988 i.S. W., E. 2b und vom 1. Juni 1989 i.S. G., E. 4b). Solche konkrete Indizien liegen hier vor. So hat der Beschwerdeführer in seiner Berufungsschrift ans Obergericht bezüglich des ersten Strafverfahrens eine grosse Anzahl neu abzunehmender Beweismittel, insbesondere die Einvernahmen von Zeugen und Mitangeschuldigten, beantragt. Dass der Beschwerdeführer eine gewisse Neigung zum kolludieren hat, zeigt insbesondere auch seine Eingabe vom 20. Juni 1991. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Kollusionsgefahr, wenn auch etwas weniger stark als die Fluchtgefahr, nicht von rein objektiven Faktoren abhängig ist, sondern dass sie auch mit den subjektiven Eigenschaften des Angeschuldigten zusammenhängt. Deshalb entfällt der Einwand, wenn der angebliche Haupttäter des zweiten Strafverfahrens offenbar nicht kollusionsgefährdet sei, könne dies der Beschwerdeführer als Mittäter ebensowenig sein. Sodann ist zu beachten, dass die direkten Einwirkungsmöglichkeiten auf freiem Fuss weit grösser wären als diejenigen per Telefon oder Briefverkehr aus dem Gefängnis, ![]() ![]() ![]() | 9 |
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). |