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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Sabiha Akagündüz, A. Tschentscher | |||
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70. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung |
vom 27. September 1991 |
i.S. X. gegen Verwaltungsgericht des Kantons Bern |
(staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Vollmacht; Handels- und Gewerbefreiheit; selbständige Ausübung des Berufs eines medizinischen Masseurs. |
1. Eine generelle Vollmacht zur Wahrung aller Interessen des Vertretenen gilt auch für das bundesgerichtliche Verfahren (Art. 29 Abs. 1 OG; E. 1). |
2. Die gewerbsmässig ausgeübte, privatwirtschaftliche Tätigkeit eines medizinischen Masseurs steht unter dem Schutz der Handels- und Gewerbefreiheit (E. 2). |
3. Die Regelung im Kanton Bern, wonach die selbständig ausgeübte medizinische Massage den Physiotherapeuten vorbehalten ist, lässt sich mit gesundheitspolizeilichen Gründen nicht rechtfertigen (E. 4). Unzulässige Motive für eine Beschränkung der Handels- und Gewerbefreiheit (E. 5a-e). | |
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A.- Gemäss Art. 14 Abs. 1 des bernischen Gesundheitsgesetzes vom 2. Dezember 1984 (nachfolgend "Gesundheitsgesetz") bedarf einer Berufsausübungsbewilligung der Gesundheitsdirektion, wer unter eigener fachlicher Verantwortung berufsmässig oder gegen Entgelt (lit. a) "Krankheiten, Verletzungen und andere Störungen der körperlichen und seelischen Gesundheit feststellt und behandelt". Unter die Bewilligungspflicht fallen "die Berufe des Gesundheitswesens, namentlich die Medizinalberufe gemäss Artikel 25 und die anderen Berufe gemäss Artikel 38" (Art. 14 Abs. 2 Gesundheitsgesetz). Medizinalpersonen im Sinne von Art. 25 des Gesetzes sind die Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Apotheker und Hebammen, zu den "anderen Berufen" zählt Art. 38 Abs. 1 unter anderem die Physiotherapeuten.
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Der Beruf des medizinischen Masseurs ist im Gesetz nicht erwähnt. Zwar kann der Regierungsrat durch Verordnung weitere Berufe des Gesundheitswesens der Bewilligungspflicht unterstellen (Art. 38 Abs. 3 Gesundheitsgesetz), doch hat er zugunsten der medizinischen Masseure von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht.
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X. erwarb nach einjährigem Besuch der Fachschule für medizinische Massage in St. Gallen (Tagesschule) und einjährigem Praktikum an der Solbadklinik Rheinfelden am 16. April 1981 das Diplom eines medizinischen Masseurs/Bademeisters.
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Er arbeitete in der Folge von 1981 bis 1986 unter fachlicher Anleitung von Ärzten als medizinischer Masseur in der Bernischen Höhenklinik Heiligenschwendi. Daneben besuchte er verschiedene Weiterbildungskurse wie beispielsweise den Kurs für therapeutische Lymphdrainage am Lehrinstitut für Lymphologie an der Feldbergklinik in Deutschland. Seit 1986 betreibt er eine eigene Massagepraxis in Steffisburg.
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Am 20. September 1988 ersuchte X. die Gesundheitsdirektion des Kantons Bern, ihm die selbständige Ausübung des Berufs des medizinischen Masseurs im Kanton Bern zu bewilligen. Die Gesundheitsdirektion wies das Gesuch ab. Sie begründete dies damit, dass im Kanton Bern die selbständig ausgeübte medizinische Massage ausschliesslich den Physiotherapeuten vorbehalten sei und dass die vom Gesuchsteller absolvierte Ausbildung fachlich und vor allem hinsichtlich ihrer Dauer nicht der Ausbildung eines Physiotherapeuten entspreche. Eine Beschwerde an den Regierungsrat des Kantons Bern blieb ohne Erfolg.
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Mit Entscheid vom 5. November 1990 wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern die Beschwerde von X. ab. Das Gericht stufte die medizinische Massage als eine im Sinne von Art. 14 Abs. 1 lit. a Gesundheitsgesetz bewilligungspflichtige Heiltätigkeit ein und bejahte auch, dass das Gesundheitsgesetz eine genügende gesetzliche Grundlage enthalte, um die Handels- und Gewerbefreiheit der medizinischen Masseure zu beschränken. Es verwarf sodann mit ausführlicher Begründung die Einwände des Beschwerdeführers, wonach sich die Beschränkung der Handels- und Gewerbefreiheit durch kein öffentliches Interesse rechtfertigen lasse und unverhältnismässig sei.
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Mit staatsrechtlicher Beschwerde beantragt X., das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern sei aufzuheben und es sei ihm die Bewilligung zur selbständigen Ausübung des Berufs eines medizinischen Masseurs zu erteilen. Er beruft sich auf eine Verletzung von Art. 31 BV. ![]() | 8 |
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Wir ersuchen Sie, uns innert gleicher Frist für das bundesgerichtliche Verfahren eine Vollmacht von ... zukommen zu lassen. Im Unterlassungsfalle würde das Bundesgericht gemäss Art. 30 Abs. 2 OG und Art. 20 Abs. 2 BZP in Verbindung mit Art. 40 OG auf Ihre Beschwerde nicht eintreten.
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Am 7. Februar 1991 - nach Ablauf der Frist - machte der Bundesgerichtsschreiber den Anwalt auf die Auflage vom 11. Dezember 1990 aufmerksam. Der Anwalt räumte ein, dass keine Vollmacht abgeschickt worden sei, er reichte aber am 8. Februar 1991 eine Vollmachtsurkunde nach. Gleichzeitig stellte er im Sinne von Art. 35 OG ein Gesuch um Wiederherstellung der Frist, welches er mit Eingabe vom 11. Februar 1991 noch ergänzte.
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Die Justizdirektion und das Verwaltungsgericht des Kantons Bern beantragen, die Beschwerde abzuweisen.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut und hebt den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern auf.
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Auszug aus den Erwägungen: | |
Erwägungen:
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Erwägung 1 | |
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a) Eine solche Generalvollmacht genügt auch für das bundesgerichtliche Verfahren. Das muss, entgegen der Auffassung BIRCHMEIERS im Kommentar zur Bundesrechtspflege (N 2 zu Art. 29 OG, S. 30), auch für das Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde gelten (in diesem Sinne auch POUDRET, Commentaire de la loi fédérale d'organisation judiciaire, N 2.2.3 zu Art. 29, S. 155 f.; WALTER KÄLIN, ![]() ![]() | 16 |
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c) Im vorliegenden Fall bestand indessen kein Grund, eine Spezialvollmacht einzuholen. Das wurde übersehen, als der Anwalt ![]() ![]() | 18 |
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Erwägung 2 | |
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Art. 31 Abs. 1 BV gewährleistet im Rahmen der Bundesverfassung und der auf ihr beruhenden Gesetzgebung die Handels- und Gewerbefreiheit, behält jedoch in Abs. 2 kantonale Bestimmungen über die Ausübung von Handel und Gewerben vor. Solche Einschränkungen bedürfen einer gesetzlichen Grundlage, müssen durch ein überwiegendes öffentliches Interesse gerechtfertigt sein und den Grundsatz der Verhältnismässigkeit (BGE 116 Ia 121 E. 3, 115 Ia 121 E. 2b und dort zitierte Entscheide) sowie der Rechtsgleichheit (BGE 112 Ia 34, 91 I 462 E. 3) wahren. Unzulässig sind wirtschaftspolitische oder standespolitische Massnahmen, die den freien Wettbewerb behindern, um gewisse Gewerbezweige oder Bewirtschaftungsformen zu sichern oder zu begünstigen. Zulässig sind dagegen andere im öffentlichen Interesse begründete Massnahmen, namentlich polizeilich motivierte Eingriffe. Dazu gehören auch Massnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit (BGE 116 Ia 121 f. E. 3 mit Hinweisen).
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Erwägung 3 | |
3.- Gemäss Art. 14 Abs. 1 des bernischen Gesundheitsgesetzes bedarf einer Berufsausübungsbewilligung, wer unter eigener fachlicher Verantwortung berufsmässig oder gegen Entgelt (lit. a) "Krankheiten, Verletzungen und andere Störungen der körperlichen ![]() ![]() | 22 |
Ob das Gesundheitsgesetz auch eine genügende gesetzliche Grundlage enthält, um die selbständige Ausübung des Berufs eines medizinischen Masseurs den Physiotherapeuten vorzubehalten, ist fraglich. (Art. 38 Abs. 1 des Gesundheitsgesetzes erwähnt zwar nur die Physiotherapeuten, nicht auch die medizinischen Masseure, behält aber in Abs. 3 ausdrücklich "weitere Berufe" vor, die der Regierungsrat durch Verordnung der Bewilligungspflicht unterstellen kann.) Die Frage braucht hier jedoch nicht entschieden zu werden, denn eine eigentliche Rüge erhebt der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang nicht.
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Erwägung 4 | |
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Auf dem Gebiet der beruflichen Fähigkeitsausweise kommt dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit und Notwendigkeit die Bedeutung zu, vor unnötigen und übertriebenen (vielfach standespolitisch motivierten) Erfordernissen zu bewahren, aber auch, ![]() ![]() | 26 |
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Das bestätigt auch der Bericht, den der Regierungsrat zur Frage der Zulassung der medizinischen Masseure zur selbständigen Berufsausübung beim Sanitätskollegium des Kantons Bern eingeholt hat. Die aus Ärzten zusammengesetzte und von einem Vertreter der medizinischen Fakultät präsidierte medizinische Sektion (des ![]() ![]() | 28 |
Das Sanitätskollegium befürwortet deshalb die Zulassung medizinischer Masseure zur selbständigen Berufsausübung, sofern diese Tätigkeit (gleich wie die selbständige Ausübung der Physiotherapie, vgl. Art. 2 Abs. 3 der entsprechenden Verordnung vom 4. Mai 1988) auf Zuweisung eines Arztes erfolgt. Auf diese Meinungsäusserung von Fachleuten kann abgestellt werden. Auch die kantonalen Instanzen haben dem Gutachten nichts entgegenzusetzen.
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Die Ausbildung an der vom Beschwerdeführer besuchten Fachschule für medizinische Massage in St. Gallen steht auf hohem theoretischem Niveau und ist der Ausbildung an ausländischen Anstalten "mindestens ebenbürtig", wie aus dem erwähnten Bericht des Sanitätskollegiums hervorgeht. Das zeigt auch eine Durchsicht des Ausbildungsprogramms, Stoffplans, Prüfungsreglements und der Promotionsordnung dieser Schule.
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Im Rahmen von Vorarbeiten, welche die gesamtschweizerische Anerkennung des Berufs des medizinischen Masseurs zum Ziele hatten, erarbeitete die Schweizerische Sanitätsdirektorenkonferenz im Jahre 1980 einen Entwurf für die "Regelung des Berufs des medizinischen Masseurs". Die Ausbildung an der Fachschule für medizinische Massage in St. Gallen entspricht sowohl hinsichtlich ihrer Dauer (24 Monate mit insgesamt rund 3300 Unterrichts- und Praktikumsstunden) als auch hinsichtlich des vermittelten Wissens (Fächerkatalog) im wesentlichen den in diesem Entwurf aufgestellten Richtlinien.
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d) Im Lichte dieser Erwägungen kann dem Beschwerdeführer die selbständige Ausübung des Berufs des medizinischen Masseurs ![]() ![]() | 33 |
Erwägung 5 | |
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a) Unter dem Gesichtspunkt des öffentlichen Interesses und der Verhältnismässigkeit von Verwaltungsmassnahmen ist ein Gemeinwesen nicht grundsätzlich gehalten, für alle möglichen Berufe oder Berufszweige Teilbewilligungen vorzusehen. Es darf sich auf die Einführung einer allgemeinen Bewilligung beschränken und deren Erteilung von der Fachkunde abhängig machen, wenn das öffentliche Interesse dies verlangt und der Grundsatz der Verhältnismässigkeit dem nicht entgegensteht. Das trifft im Gesundheitswesen namentlich dann zu, wenn sich eine einfache Tätigkeit von riskanten Tätigkeiten nicht leicht unterscheiden lässt und zum Schutze der Gesundheit der Patienten eine Teilbewilligung mit weniger weitgehenden fachlichen Anforderungen sich nicht rechtfertigen lässt. So hat das Bundesgericht ein kantonales Verbot der selbständigen Ausübung des Berufs der Dentalhygienikerin angesichts gesundheitlicher Komplikationen, die bei bestimmten Tätigkeiten auftreten können und für deren Behandlung die Dentalhygienikerin nicht ausgebildet ist, unter dem Gesichtspunkt des öffentlichen Interesses und der Verhältnismässigkeit nicht beanstandet (BGE 116 Ia 124 ff. E. 6). Das Verwaltungsgericht verweist sodann auf das (nicht publizierte) Urteil L. vom 18. November 1988, wo das Bundesgericht ein Verbot für das Anpassen von Zahnprothesen durch Zahnprothetiker angesichts der ![]() ![]() | 35 |
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Mit dieser Begründung kann den medizinischen Masseuren die selbständige Berufsausübung jedoch nicht untersagt werden. Zwar ist für die selbständige Ausübung des Berufs nicht schon deshalb eine Teilbewilligung vorzusehen, weil ein Lehrgang absolviert wurde. Entscheidend dafür ist vielmehr, dass es sich um einen in der Schweiz verbreiteten Heilberuf mit klar umschriebenem Tätigkeitsgebiet und eigenem Berufsbild handelt, wie aus dem bereits erwähnten Bericht der Schweizerischen Sanitätsdirektorenkonferenz erhellt. Es gibt spezielle Institute, an denen der Beruf erlernt werden kann (in der Schweiz die Fachschule für medizinische Massage in St. Gallen), und Berufsverbände, welche die Wahrung der beruflichen Interessen der medizinischen Masseure bezwecken (z.B. den Verein Arbeitsgemeinschaft für Physikalische Therapie oder den Verband diplomierter Masseure der Schweiz). Bereits im Jahre 1919 wurde in der Schweiz der Verband diplomierter Masseure und Masseurinnen gegründet. Es scheint, dass demgegenüber der Beruf des Physiotherapeuten erst später aus dem Beruf des medizinischen Masseurs/Bademeisters hervorgegangen ist, wie der Beschwerdeführer geltend macht.
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Wegen der Bedeutung des Berufes gibt es Schulen, an denen dieser erlernt werden kann, und arbeitet die Schweizerische Sanitätsdirektorenkonferenz auf seine gesamtschweizerische Anerkennung hin. Wie aus dem vom Verwaltungsgericht beim Zentralsekretariat der Schweizerischen Sanitätsdirektorenkonferenz eingeholten Bericht hervorgeht, erteilen bereits zehn Kantone medizinischen Masseuren die Bewilligung zur selbständigen Berufsausübung und zwei weitere Kantone gestatten diese Tätigkeit auch ohne Bewilligung (Stand August 1990). Medizinische Masseure werden zudem an öffentlichen Spitälern eingesetzt, ![]() ![]() | 38 |
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e) Das Verwaltungsgericht sucht seinen Entscheid schliesslich damit zu stützen, dass die Anerkennung des Berufs des medizinischen ![]() ![]() ![]() | 41 |
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