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87. Auszug aus dem Urteil vom 20. Dezember 1972 i.S. Dr. X. gegen Obergericht des Kantons Thurgau. | |
Regeste |
Art. 31 und 33 BV, Art. 5 Üb. Best. BV; Ausübung des Anwaltsberufs (Kt. Thurgau). |
2. Ist die Ausübung des Anwaltsberufs bewilligungspflichtig und einer besondern Aufsicht unterstellt, so bedarf der dauernde Entzug der Bewilligung wegen nachträglichen Wegfalls einer wesentlichen Voraussetzung nicht noch einer besondern gesetzlichen Grundlage (Erw. 1c). | |
Sachverhalt | |
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A.- § 1 des Anwalts-Gesetzes (AG) des Kantons Thurgau vom 11. April 1880 lautet:
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"Den Beruf eines Rechtsanwaltes kann jeder stimmberechtigte Schweizerbürger oder Kantonseinwohner ausüben, welcher vor der vom thurgauischen Obergericht bestellten Prüfungskommission die vorgeschriebene mündliche und schriftliche Prüfung besteht oder sonst in zureichender Weise über erworbene Rechtskenntnisse und praktische Tüchtigkeit den erforderlichen Ausweis leistet."
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Unter den dem Obergericht zustehenden Disziplinarbefugnissen wird in § 7 Ziff. 3 AG der "Entzug der Berechtigung zur Ausübung des Anwaltsberufes auf die Dauer von einem Jahr" erwähnt. Von einem dauernden Entzug der Bewilligung ist im Gesetz nirgends ausdrücklich die Rede.
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§ 2 des thurgauischen Reglements betreffend die Prüfung der Rechtsanwälte vom 16. März 1948 enthält in Abs. 1 eine Vorschrift über die Beschäftigung von Anwaltskandidaten ("Personen, die sich auf die thurgauische Rechtsanwaltsprüfung vorbereiten") und bestimmt in Abs. 2:
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"Wegen schwerer Verstösse des Anwalts oder des Anwaltskandidaten gegen die Berufspflichten kann die Bewilligung verweigert oder entzogen werden."
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B.- Dr. X. wurde vom Obergericht des Kantons Thurgau am 7. Oktober 1965 gestützt auf das Anwaltspatent des Kantons Unterwalden nid dem Wald gemäss Art. 5 ÜbBest. BV die Bewilligung zur Ausübung des Anwaltsberufs im Kanton Thurgau erteilt.
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Nachdem die Kantone Luzern und Zürich Dr. X. 1966 bzw. 1969 die Bewilligung zur Ausübung des Anwaltsberufs wegen einer Bestrafung und wegen pflichtwidrigen Verhaltens entzogen hatten, beschloss das Obergericht des Kantons Thurgau am 30. Mai 1972, Dr. X. die am 7. Oktober 1965 erteilte Bewilligung wieder zu entziehen. Es begründete seinen Entscheid damit, dass Dr. X. die Anforderungen, die das thurgauische Recht an den guten Leumund und die Vertrauenswürdigkeit eines Anwaltes stelle, nicht mehr erfülle.
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C.- Dr. X. hat gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Thurgau staatsrechtliche Beschwerde erhoben. Er beantragt, dieser Beschluss sei aufzuheben.
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a) Es trifft zu, dass weder im Anwaltsgesetz des Kantons Thurgau noch im Reglement betreffend die Prüfung der Rechtsanwälte guter Leumund oder Vertrauenswürdigkeit als Voraussetzung für die Bewilligung zur Ausübung des Anwaltsberufs genannt werden. Die Vorschriften befassen sich lediglich mit dem Nachweis genügender Rechtskenntnisse. Wenn in § 1 des Anwaltsgesetzes von "praktischer Tüchtigkeit" die Rede ist, so bezieht sich dieser Ausdruck, der im Sinne der Rechtschaffenheit und Vertrauenswürdigkeit verstanden werden könnte, nach dem ganzen Zusammenhang nur auf die fachliche, nicht auch auf die persönliche, charakterliche Eignung; denn er wird als ein der Anwaltsprüfung gleichkommendes Element verwendet. Es stellt sich daher die Frage, ob in einem Kanton die Vertrauenswürdigkeit und Ehrenhaftigkeit auch dann als Voraussetzung für die Bewilligung zur Ausübung des Anwaltsberufs betrachtet werden darf, wenn eine gesetzliche Umschreibung dieser persönlichen Voraussetzungen fehlt.
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Durch die gesetzliche Einführung der Bewilligungspflicht und die Schaffung eines - wenn auch rudimentären - Aufsichts- und Disziplinarrechts hat der Kanton Thurgau zum Ausdruck gebracht, dass die Handels- und Gewerbefreiheit im Bereich des Anwaltsberufs aus polizeilichen Gründen den auch in anderen Kantonen üblichen Beschränkungen unterworfen sein soll.
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Im übrigen beruht die Befugnis der Aufsichtsbehörde zur Überprüfung des Leumunds und der Vertrauenswürdigkeit eines im Kanton tätigen (oder tätig werdenden) Anwalts wohl auch auf Gewohnheitsrecht. Mit wenigen Ausnahmen knüpfen alle Kantone die Erteilung der Berufsausübungsbewilligung ![]() | 14 |
b) Der im angefochtenen Entscheid als Grundlage der Entzugsverfügung genannte § 2 Abs. 2 des thurgauischen Reglements betreffend die Prüfung der Rechtsanwälte bezieht sich nach dem Zusammenhang lediglich auf die Bewilligung zur Beschäftigung von Anwaltskandidaten. Diese Bewilligung kann "wegen schwerer Verstösse des Anwalts oder des Anwaltskandidaten gegen die Berufspflichten" verweigert oder entzogen werden. Mit Recht macht der Beschwerdeführer geltend, dieser § 2 Abs. 2 des Prüfungsreglements besage nichts über die Möglichkeit ![]() | 15 |
c) § 7 des Thurgauer Anwaltsgesetzes nennt als schwerste Disziplinarstrafe den Bewilligungsentzug für die Dauer eines Jahres. Daraus folgert der Beschwerdeführer, dass ein Entzug auf unbestimmte Zeit nicht zulässig sei.
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Dieser Schluss wäre zu ziehen, wenn § 7 als abschliessende Aufzählung aller dem Obergericht als Aufsichtsbehörde zustehenden Befugnisse verstanden werden müsste. Indessen handelt es sich in § 7 lediglich um die Regelung der Disziplinarstrafen, welche - bei grundsätzlicher Wahrung des Rechts zur Ausübung des Anwaltsberufs - ausgefällt werden können. Im Rahmen dieser Disziplinarstrafordnung ist als schwerste Sanktion das Verbot der Berufsausübung auf die Dauer eines Jahres vorgesehen. Daneben gibt es den Verweis und die Ordnungsbusse als mildere Strafen. Diese Disziplinarstrafen - unter Einschluss des zeitlich befristeten Berufsausübungsverbots - dienen der disziplinarischen Ahndung bestimmter Verstösse, ohne dass die fachliche und persönliche Befähigung zur Ausübung des Anwaltsberufs grundsätzlich in Frage steht. Mit der Erwähnung des vorübergehenden Entzugs als einer von vornherein begrenzten disziplinarischen Massnahme schliesst jedoch das Gesetz den dauernden Entzug der Berufsausübungsbewilligung wegen Wegfalls einer wesentlichen Voraussetzung nicht aus. Das Thurgauer Anwaltsgesetz befasst sich nur mit dem zeitlich begrenzten Entzug als Disziplinarstrafe bei grundsätzlicher Erhaltung der Fähigkeit zur Berufsausübung. Ist aber eine Berufstätigkeit bewilligungspflichtig und einer speziellen Aufsicht unterstellt, so muss die zuständige Behörde stets auch die Möglichkeit haben, die Bewilligung ohne zeitliche Beschränkung, d.h. dauernd, zu entziehen, wenn eine stillschweigende oder ausdrückliche Voraussetzung der Bewilligungserteilung nachträglich wegfällt (oder wenn es sich herausstellt, dass eine wesentliche Voraussetzung überhaupt nie gegeben war). Dass eine Bewilligung (Polizeierlaubnis) zurückzunehmen ist, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung weggefallen sind, ergibt sich aus den allgemeinen Lehren des Verwaltungsrechts (DUBACH, a.a.O. S. 40 a, GRISEL, a.a.O. S. 213). Einer besonderen gesetzlichen Grundlage bedarf der Entzug der Bewilligung wegen nachträglichen Wegfalls einer wesentlichen ![]() | 17 |
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