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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server, A. Tschentscher | |||
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65. Urteil vom 30. Oktober 1974 i.S. Derungs gegen Gemeinde St. Martin und Regierung des Kantons Graubünden. | |
Regeste |
Art. 116 Abs. 1 und 2 BV. |
2. Überprüfungsbefugnis des Bundesgerichtes (Erw. 3 a); keine willkürliche Auslegung des kantonalen Rechtes durch die Kantonsbehörden (Erw. 3 c). |
3. Fehlende Verletzung der Sprachenfreiheit (Erw. 4). | |
Sachverhalt | |
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B.- Im April 1973 stellte Derungs der Gemeinde St. Martin das Gesuch um Übernahme der Schulgelder und der Kosten für die auswärtige Verpflegung. Mit Beschluss vom 5. Mai 1973 lehnte die Gemeindebehörde das Begehren ab, teilte dem Gesuchsteller aber gleichzeitig mit, wenn seine Kinder die Schule in Lunschania besuchen würden, erhielten sie unentgeltlich Unterricht und Mittagsverpflegung.
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Gegen diesen Gemeindebeschluss erhob Derungs Beschwerde beim Erziehungsdepartement des Kantons Graubünden, die am 7. Januar 1974 teilweise gutgeheissen wurde. Das Departement verpflichtete die Gemeinde Uors, das Schulgeld auf maximal Fr. 500.-- pro auswärtigen Schüler und Jahr anzusetzen und dem Rekurrenten allfällig zuviel bezahlte Beträge zurückzuerstatten oder mit Guthaben gegenüber dem Rekurrenten zu verrechnen. Im übrigen wies es die Beschwerde ab.
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Den Entscheid des Erziehungsdepartements focht Derungs mit Verwaltungsbeschwerde bei der Regierung des Kantons Graubünden an. Er stellte das Begehren, für das Schuljahr 1972/73 sei er vom Schulgeld für die drei schulpflichtigen Kinder zu entlasten. Dieselbe Befreiung möge man ferner für das Schuljahr 1973/74 verfügen, wobei ab Herbst 1973 auch das ![]() | 5 |
Die Regierung wies die Beschwerde am 20. Mai 1974 ab. Zur Begründung führte sie im wesentlichen aus: Grundsätzlich habe jedes Kind die Schule der Gemeinde zu besuchen, in der es sich mit Einwilligung des gesetzlichen Vertreters aufhalte. Der Schulort der Kinder Derungs sei die Gemeinde St. Martin. In der kleinen Gesamtschule Lunschania der Gemeinde St. Martin unterrichte seit Jahren ein romanischsprechender Lehrer aus Tersnaus. Er sei fähig und bereit, die Kinder Derungs solange deutsch und romanisch zu unterrichten, bis sie genügende Kenntnisse der deutschen Sprache hätten, um ausschliesslich dem Unterricht in dieser Sprache folgen zu können. Die Möglichkeit des unentgeltlichen Primarschulunterrichts bestehe somit am Schulort, obwohl die Muttersprache der Kinder romanisch sei. Zu weitern Leistungen könne die Gemeinde St. Martin nicht verpflichtet werden, zumal Art. 11 Abs. 2 des Bündner Schulgesetzes eine Kann-Vorschrift sei, die nicht extensiv interpretiert werden dürfe. Der Schulbesuch in den Nachbargemeinden könne nicht mit Sprachschwierigkeiten begründet werden. Der Grund liege in persönlichen Verhältnissen. Die Nachbargemeinden Uors und Tersnaus könnten nicht gezwungen werden, die Kinder Derungs in ihre Schulen aufzunehmen. Die Aufnahme erfolge freiwillig, weshalb das Erziehungsdepartement keine Möglichkeit gehabt habe, das Schulgeld der Gemeinde Uors auf das in Graubünden übliche Minimum pro auswärtigen Schüler und Jahr anzusetzen. Mit dem Antrag betreffend Ersatz der Kosten für die auswärtige Verpflegung der Kinder Derungs durch die Gemeinden Uors und Tersnaus habe sich die Regierung in diesem Verfahren nicht zu beschäftigen, da es sich um eine Erweiterung des erstinstanzlichen Rekursbegehrens handle.
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C.- Gegen diesen Entscheid führt Silvester Derungs gestützt ![]() | 7 |
D.- Die Regierung des Kantons Graubünden beantragt Abweisung der Beschwerde. Die Gemeinde St. Martin stellt sinngemäss den gleichen Antrag.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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Die Kompetenz zur Ordnung des Sprachengebrauchs Privater steht den Kantonen zu. Das ergibt sich aus Art. 116 Abs. 2 BV, der nur die Amtssprachen der Bundesbehörden festlegt (FLEINER/GIACOMETTI, a.a.O. S. 395; THILO, FJS 301 S. 2 f.; SCHÄPPI, a.a.O. S. 60 ff.; anderer Meinung: BERNHARD, Die Sprachen und der Aufbau schweizerischer Gemeinwesen, in Europa Ethnica, Heft 11970 S. 4). In der öffentlichen Schule wird der Unterricht in der Regel in der Amtssprache des Einzugsgebiets erteilt. Die Befugnis, die Unterrichtssprache festzulegen, ist in dieser Hinsicht bereits in der allgemeinen Zuständigkeit des Kantons zur Bestimmung seiner Amtssprache enthalten (BGE 911 487).
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Derungs verlangt vielmehr, es sei ihm das Schulgeld für den Besuch der romanischen Schule durch seine Kinder in den Nachbargemeinden zu erlassen und es seien die Kosten für die auswärtige Mittagsverpflegung der Kinder vom Gemeinwesen zu übernehmen.
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3. a) Ob der Beschwerdeführer für Schulgeld und Mittagsverpflegung der Kinder selber aufzukommen hat, bestimmt sich zunächst nach kantonalem Recht. Dessen Anwendung kann das Bundesgericht grundsätzlich nur unter dem Gesichtswinkel der Willkür überprüfen. Anders wäre es bloss, wenn sich der Eingriff in das Grundrecht der Sprachenfreiheit besonders einschneidend auswirken würde. Das ist nicht der Fall. Die Kinder des Beschwerdeführers hätten die Möglichkeit, den Schulunterricht in St. Martin unentgeltlich zu besuchen, wobei sie der Lehrer romanischer Muttersprache solange in romanischer und deutscher Sprache unterrichten würde, bis sie dem Unterricht in dieser Sprache zu folgen vermöchten. Auf ihre Muttersprache würde also weitgehend Rücksicht genommen. Es bedeutet keinen besonders schweren Eingriff in die Sprachenfreiheit, dass dem Beschwerdeführer ![]() | 13 |
b) Der Beschwerdeführer beklagt sich darüber, dass er die Kosten für die auswärtige Verpflegung seiner Kinder selber zu tragen hat. Die Regierung führte im angefochtenen Entscheid aus, mit dem Antrag betreffend Ersatz der Kosten für die auswärtige Verpflegung habe sich die Beschwerdeinstanz nicht zu befassen, da es sich um eine Erweiterung des erstinstanzlichen Rekursbegehrens handle. Derungs könnte in diesem Punkt mit seiner Beschwerde nur mit der Begründung durchdringen, es verstosse gegen Art. 4 BV, dass sich die Regierung nicht mit diesem Antrag beschäftigte. Eine solche Rüge erhebt er aber nicht. Vielmehr begründet er die Beschwerde so, wie wenn die Regierung in diesem Punkt auf seinen Antrag eingetreten wäre. Da der Beschwerdeführer nicht dartut, dass es die Regierung in Verletzung des Art. 4 BV ablehnte, auf den die Verpflegungskosten betreffenden Antrag einzutreten, erweist sich die Beschwerde in diesem Punkt als unbegründet.
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c) Nach Art. 11 Abs. 1 des Bündner Schulgesetzes hat jedes Kind die Schule der Gemeinde zu besuchen, in der es sich mit Einwilligung des gesetzlichen Vertreters dauernd aufhält. Nach Abs. 2 kann ein Kind auf Gesuch hin in die Schule einer Nachbargemeinde aufgenommen werden, wenn der Schulbesuch wesentlich erleichtert wird. Die beteiligten Gemeinden einigen sich über ein allfälliges Schulgeld, das in der Regel die Wohngemeinde des Kindes entrichtet. In Streitfällen entscheidet das Erziehungsdepartement über Zuweisung und Schulgeld. Art. 12 der Vollziehungsverordnung zum Schulgesetz (VV) lautet:
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Das Schulgeld haben der gesetzliche Vertreter oder die Pflegeeltern selber zu entrtchten, sofern der Schulbesuch in der Nachbargemeinde aus Gründen erfolgt, die in ihren oder des Kindes persönlichen Verhältnissen liegen."
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Grundsätzlich hat demnach die Wohngemeinde das von einer Nachbargemeinde verlangte Schulgeld zu übernehmen. Anders verhält es sich, wenn der Schulbesuch in der Nachbargemeinde aus Gründen erfolgt, die in den persönlichen Verhältnissen der Eltern bzw. Pflegeeltern oder des Kindes liegen. Die Vorschrift lässt verschiedener Auslegung Raum. Sie kann mit Fug in dem Sinn ausgelegt werden, dass die Wohngemeinde das Schulgeld nur zu übernehmen hat, wenn der auswärtige Schulbesuch in sachlichen Umständen begründet ist, so etwa, wenn der Weg zur Schule der Wohngemeinde lang und beschwerlich, jener zur Schule der Nachbargemeinde kurz und bequem ist. Ob die Muttersprache als sachlicher Umstand oder als persönliches Verhältnis zu werten ist, mag hier dahingestellt bleiben. Jedenfalls erscheint die Erklärung der Regierung nicht als willkürlich, im hier zu beurteilenden Fall, da die Kinder des Beschwerdeführers in der Schule der Wohngemeinde zunächst in romanischer und deutscher Sprache unterrichtet worden wären und sich somit keine schwerwiegenden Sprachprobleme ergeben hätten, erfolge der Schulbesuch in den Nachbargemeinden aus "in den persönlichen Verhältnissen" liegenden Gründen. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung liegt Willkür nur vor, wenn der Entscheid nicht nur unrichtig, sondern darüber hinaus schlechthin unhaltbar ist, namentlich wenn er einen allgemeinen Rechtsgrundsatz offensichtlich schwer verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (BGE 97 I 352 mit Verweisungen). Die Regierung musste zudem bei der Auslegung des Art. 12 VV auch Art. 11 Abs. 2 des Schulgesetzes beachten, wonach der Besuch der Schule in einer Nachbargemeinde nur zu gestatten ist, wenn dadurch "der Schulbesuch wesentlich erleichtert" wird. Nachdem der Schullehrer der Wohnortsgemeinde St. Martin fähig und bereit gewesen ![]() | 18 |
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Die Behauptung des Beschwerdeführers, es sei der Entwicklung seiner Kinder förderlich, wenn sie in den ersten Schuljahren in ihrer Muttersprache unterrichtet werden, leuchtet ein. Es ist zudem zu berücksichtigen, dass nur eine kleine Minderheit des Schweizervolkes romanisch spricht und die Gefahr besteht, dass der Bereich dieser Sprache noch mehr eingeschränkt wird. Die Erhaltung der romanischen Sprache liegt im schweizerischen Interesse. Der Bund und der Kanton Graubünden bemühen sich darum, die vierte Nationalsprache zu erhalten und zu fördern (vgl. Botschaft des Bundesrates über die Gewährung eines jährlichen Beitrages an die Ligia ![]() ![]() | 20 |
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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