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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Sabiha Akagündüz, A. Tschentscher | |||
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13. Urteil vom 19. März 1975 i.S. Diskont- und Handelsbank AG und Mitbeteiligte gegen Fides Treuhand-Vereinigung, Tino AG und Handelsgericht des Kantons Zürich. | |
Regeste |
Europäische Menschenrechtskonvention; Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges. | |
Sachverhalt | |
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Erwägungen: | |
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b) Die Menschenrechtskonvention ist mit ihrer Ratifikation am 28. November 1974 für die Schweiz in Kraft getreten. Da es sich um einen Staatsvertrag handelt, könnte aus Art. 86 ![]() | 4 |
c) Während die meisten Staatsverträge in der Regel den Vertragsstaat zu einem bestimmten Verhalten gegenüber dem andern Staat oder dessen Bürgern verpflichten, verhält die Konvention die Schweiz dazu, ihre eigenen Bürger sowie Dritte in den Genuss der von ihr geschützten Rechte kommen zu lassen (SCHORN, Die europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, S. 55). Diese Rechte haben ihrer Natur nach einen verfassungsrechtlichen Inhalt. Durch ihre Aufzählung übernimmt und entwickelt die Konvention Bestimmungen weiter, welche zahlreiche Staatsverfassungen im Abschnitt über die Freiheitsrechte enthalten oder welche die Vertragsstaaten als ungeschriebene Verfassungsrechte anerkennen. Im übrigen hat der von der Konvention gebotene Schutz nur soweit eine selbständige Bedeutung, als er den von den Verfassungen des Bundes und der Kantone gewährten Schutz übersteigt. Das bedeutet, dass die von der Konvention geschützten Rechte in Verbindung mit den entsprechenden Individualrechten unseres geschriebenen und ungeschriebenen Verfassungsrechts zu bestimmen sind. Diese enge inhaltliche Beziehung zwischen den verfassungsmässigen und den von der Konvention geschützten Rechten erlaubt daher, die Verletzung der Konvention der Verletzung verfassungsmässiger Rechte gemäss Art. 84 Abs. 1 lit. a OG verfahrensmässig gleichzustellen und solche staatsrechtliche Beschwerden ebenfalls dem Erfordernis der Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges zu unterwerfen - vorbehältlich der in Art. 86 Abs. 2 OG genannten Ausnahmen.
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d) Wenn sich diese Auslegung auch vom Wortlaut des Art. 86 Abs. 3 OG entfernt, so widerspricht sie doch nicht der grundsätzlichen Systematik des Gesetzes. Der Verzicht auf das Erfordernis der Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges im Falle der Verletzung von Staatsverträgen gilt ja nicht in jenen Fällen, wo für die Anfechtung des Mangels die Berufung oder die Kassationsbeschwerde in Betracht kommt - nämlich ![]() | 6 |
e) Diese Auslegung widerspricht überdies den mutmasslichen Absichten des Gesetzgebers nicht. Sich der - noch darzulegenden - praktischen Schwierigkeiten bewusst, hat der Bundesrat in seiner Botschaft an die Bundesversammlung über die Konvention vorgeschlagen, Art. 84 Abs. 1 lit. a so zu ergänzen, dass die Beschwerden wegen Verletzung von Rechten der Konvention dem Erfordernis der Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges unterliegen (BBl 1974 I 1059 f.). Wenn der Gesetzgeber in der Folge diese Reform nicht an die Hand genommen und den Vorschlag an den Bundesrat zurückgewiesen hat, so tat er das nicht, weil er diese Änderung ausschliessen wollte, sondern weil er die Zweckmässigkeit einer Ausdehnung der Regel des Art. 86 Abs. 2 OG auf alle Beschwerden wegen Verletzung von Staatsverträgen prüfen lassen wollte.
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f) Die gefundene Lösung drängt sich schliesslich auch aus praktischen Gründen auf. Der Katalog der Konventionsrechte ist so weit, dass ihre Verletzung in der Mehrzahl der Fälle, wo die Verletzung eines verfassungsmässigen Rechts im Sinne von Art. 84 Abs. 1 lit. a OG behauptet wird, gleichzeitig angerufen werden könnte: Wenn sich ein solches doppeltes Vorgehen einbürgerte, käme die Regel der Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges praktisch nicht mehr zur Anwendung. Verzichtete aber der Staatsgerichtshof auf dieses Erfordernis, so setzte er sich der Gefahr aus, nicht mehr die ihm eigene Funktion wahrnehmen zu können. Er wäre zudem wegen der grundsätzlich kassatorischen Natur der staatsrechtlichen Beschwerde nicht in der Lage, den vom Beschwerdeführer gerügten Mangel unmittelbar zu beheben, was hingegen den mit ![]() | 8 |
g) Es ist somit der Schluss zu ziehen, dass die Regel der Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges für alle Fälle gilt, wo die Beschwerdeführer die Verletzung von solchen Rechten der Konvention rügen, die den verfassungsmässigen Rechten der Bürger im Sinne von Art. 84 Abs. 1 lit. a OG entsprechen. Da diese Folgerung sich aus dem Wortlaut des Organisationsgesetzes nicht direkt entnehmen lässt, behält sich das Bundesgericht vor, in jenen Fällen Ausnahmen zu machen, wo das Nichteintreten auf die staatsrechtliche Beschwerde mangels Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges den Beschwerdeführer in ungerechtfertigter Weise jeder ordentlichen Anfechtungsmöglichkeit berauben würde. Eine solche Ausnahmesituation ist im vorliegenden Fall offensichtlich nicht gegeben.
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