![]() ![]() | |||
| |||
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Sabiha Akagündüz, A. Tschentscher | |||
![]() | ![]() |
66. Urteil vom 6. Oktober 1976 i.S. Buchdruckerei Elgg AG gegen evangelisch-reformierte Kirchgemeinde Elgg und Verwaltungsgericht des Kantons Zürich | |
Regeste |
Kirchensteuerpflicht juristischer Personen; Art. 49 Abs. 6 BV, Art. 4 BV, Art. 9 EMRK. | |
Sachverhalt | |
![]() ![]() | 1 |
Gestützt auf diese gesetzlichen Grundlagen wurde die Buchdruckerei Elgg AG für 1974 zur Bezahlung einer reformierten Kirchensteuer von Fr. 16.70 und einer römisch-katholischen Kirchensteuer von Fr. 9.75 verpflichtet. Sie führt hiegegen, nachdem sie sich erfolglos an die Finanzdirektion und hernach an das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich gewandt hat, wegen Verletzung von Art. 4 und Art. 49 Abs. 1 und 6 BV, Art. 64 KV und Art. 9 EMRK staatsrechtliche Beschwerde. Diese richtet sich aus verfahrensrechtlichen Gründen - nicht formgerechte Anfechtung der römisch-katholischen Kirchensteuer vor den kantonalen Instanzen - formell nurmehr noch gegen die Erhebung der reformierten Kirchensteuer.
| 2 |
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
3 | |
Wie schon das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich festgestellt hat, kommt der Berufung auf Art. 64 KV keine selbständige ![]() | 4 |
5 | |
Abs. 6 bezieht sich auf die Steuerpflicht: Die Vorschrift setzt voraus, dass Steuern speziell für eigentliche Kultuszwecke einer Religionsgenossenschaft erhoben werden dürfen, und macht dann die Einschränkung, dass niemand gehalten sei, solche Kultussteuern für eine Religionsgenossenschaft zu bezahlen, der er nicht angehöre.
| 6 |
a) Das Bundesgericht hat in ständiger Rechtsprechung seit 1878 entscheiden, dass sich juristische Personen nicht auf Art. 49 Abs. 6 BV berufen könnten, da diese Bestimmung ein Ausfluss der in Art. 49 Abs. 1 BV gewährleisteten Glaubens- und Gewissensfreiheit sei, also eines Freiheitsrechtes, das seiner Natur nach nur natürlichen Personen zustehe (BGE 4 S. 536 f., 539, 541; 9 S. 416; 17 S. 557 ff.; BGE 35 I 333 ff.; BGE 41 I 158 ff.; BGE 52 I 108 ff.; nicht veröffentlichte Urteile vom 24. Mai 1940 i.S. Dr. A. Wander u. Kons. sowie vom 23. Dezember 1947 i.S. Société coopérative "La Fraternelle und Kons.", vgl. auch BGE 95 I 353).
| 7 |
In der Rechtslehre ist diese Praxis von namhaften Autoren kritisiert worden (BURCKHARDT, Kommentar der schweizerischen Bundesverfassung, 3. A., S. 462; E. BLUMENSTEIN, System des Steuerrechts, 3. A., S. 44 f.; J. BLUMENSTEIN, Zur Frage der Kirchensteuerpflicht juristischer Personen, ASA 26 S. 113 ff.; FLEINER-GIACOMETTI, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, S. 320 f.; R. EGGER, Das Subjekt der Kultussteuern in der Schweiz, Diss. Bern 1942 S. 68 ff., 117 ff.; SALADIN, Grundrechte im Wandel, S. 29 Anm. 89; vgl. auch AUBERT, Traité de droit constitutionnel suisse, Nr. 2016 u. 2023). Die jüngste Zusammenfassung der Diskussion findet sich bei JEAN-PIERRE BAGGI, La struttura giuridica dell'imposta ![]() | 8 |
Den Kritikern, die mit unterschiedlicher Begründung die Erhebung einer Kultussteuer bei juristischen Personen für verfassungswidrig halten, steht eine Gruppe von Autoren gegenüber, welche der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zustimmen (LANGHARD, Die Glaubens- und Kultusfreiheit nach schweizerischem Bundesrecht, Bern 1888, S. 74; HOLENSTEIN, Die konfessionellen Artikel und der Schulartikel der schweizerischen Bundesverfassung, Olten 1931, S. 289 unten; VASELLA, Die Rechtsverhältnisse des katholischen Kirchenvermögens im Kantons Graubünden, Diss. Freiburg 1933, S. 180 f.; NOSER, Pfarrei und Kirchgemeinde, Diss. Freiburg 1957, S. 158 f.; STIRNIMANN, Die Kultussteuerpflicht der juristischen Personen, in ZBl 59/1958, S. 289 ff.; REIMANN/ZUPPINGER/SCHÄRRER, Kommentar zum Zürcher StG, N 34 zu § 150 StG).
| 9 |
b) Trotz der in der Rechtslehre - zum Teil mit Nachdruck - geäusserten Bedenken hat nicht nur das Bundesgericht an seiner restriktiven Auslegung von Art. 49 Abs. 6 BV festgehalten, sondern in der Gesetzgebung der Kantone wurde mit Zustimmung der politischen Organe (Parlament und Volk) die Kirchensteuerpflicht juristischer Personen ausgebaut und in einzelnen Kantonen neu eingeführt. Bestimmungen kantonaler Verfassungen, welche ausdrücklich vorsehen, dass juristische Personen der Kirchensteuerpflicht unterliegen, hat die Bundesversammlung die Gewährleistung erteilt (KV Nidwalden Art. 90 Abs. 2, Gewährleistungsbeschluss vom 12. Dezember 1974; KV Graubünden Art. 11 Abs. 6, Gewährleistungsbeschluss vom 30. April 1959). Die Kirchensteuerpflicht juristischer Personen ist also heute sogar in einzelnen kantonalen Verfassungsnormen verankert, die gemäss bisheriger ständiger Praxis vom Bundesgericht nicht auf ihre Übereinstimmung ![]() | 10 |
c) Die Verfassungsmässigkeit der Kirchensteuerpflicht juristischer Personen ist in der Doktrin - trotz der Konstanz der Rechtsprechung - umstritten geblieben. Die Entwicklung der kantonalen Gesetzgebung hat den gegen die Besteuerung erhobenen Bedenken jedoch kaum Rechnung getragen.
| 11 |
In einer Zeit starker gesellschaftlicher Wandlungen mag es angezeigt sein, dass das Bundesgericht seine seit 1878 vertretene Interpretation von Art. 49 Abs. 6 BV grundsätzlich neu überprüft und untersucht, ob neue Argumente und Erkenntnisse eine Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung zu rechtfertigen vermögen.
| 12 |
13 | |
a) Im Sinne dieser Argumentation hat das deutsche Bundesverfassungsgericht durch Urteil vom 14. Dezember 1965 in Auslegung von Art. 2 Abs. 1 des deutschen Grundgesetzes (Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit) die lediglich im ehemaligen Lande Baden noch bestehende Kirchenbausteuerpflicht juristischer Personen als verfassungswidrig erklärt. In der Begründung wurde vor allem festgestellt, dass das Grundgesetz dem Staat verbiete, einer Religionsgesellschaft hoheitliche Befugnisse gegenüber Personen zu verleihen, die keiner Religionsgesellschaft angehören (BVerfGE 19 Nr. 27). Für die deutsche Bundesrepublik gilt somit heute die Regel, dass die Kirchensteuerpflicht sich auf Kirchenangehörige beschränkt und nicht auf juristische Personen ausgedehnt werden darf. Das Bundesverfassungsgericht hat in den Motiven seines Entscheides hervorgehoben, dass es Landeskirchen im Sinne der ursprünglichen Bedeutung des Begriffes nicht mehr gebe, die früheren Landeskirchen hätten nicht mehr den Rechtscharakter von Gebietskörperschaften, die territoriale Grundlage sei ![]() | 14 |
b) Der Wortlaut von Art. 49 Abs. 6 BV könnte rein sprachlich gesehen dahin interpretiert werden, dass Kirchenzugehörigkeit, Zugehörigkeit zur steuerberechtigten Religionsgenossenschaft, eine unabdingbare Voraussetzung der Kirchensteuerpflicht sei und dass folglich juristische Personen, die nach der Natur der Sache nicht einer Kirche angehören, auch der Kirchensteuerpflicht nicht unterliegen können.
| 15 |
Geht man aber von der Entstehungsgeschichte des Art. 49 Abs. 6 BV aus, die VON REDING-BIBEREGG (a.a.O. S. 40 ff.) 1885 sehr einlässlich dargestellt hat, so sieht man, dass das Anliegen der Bundesversammlung in den Jahren vor 1872 und 1874 ausschliesslich darauf ging, natürliche Personen gegen die Besteuerung durch eine Religionsgemeinschaft, der sie nicht angehören, zu schützen. Dies war das Anliegen, um das in den Eidg. Räten intensiv gerungen wurde. Das Problem der juristischen Personen war gar nicht im Blickfeld der Bundesversammlung. Auch der bundesrätliche Entwurf vom 26. November 1875 zu einem diesbezüglichen Ausführungsgesetz, das in der Folge nie zustande kam, befasste sich nicht mit dieser Frage, sondern einzig mit der Kirchensteuerpflicht der natürlichen Personen (BBl 1875 IV 971 ff.; VON SALIS, Schweiz. Bundesrecht III Nr. 1019). Dies führte das Bundesgericht schon in seinen ersten Entscheiden im Jahre 1878 (BGE 4 S. 536 f., 539, 541) dazu, den in Art. 49 Abs. 6 BV verankerten Grundsatz nicht auch auf juristische Personen anzuwenden. Es erblickte in dieser Verfassungsvorschrift lediglich eine Norm zum Schutze der in ihrer Glaubens- und Gewissensfreiheit berührten natürlichen Personen vor Steuern für eine Religionsgenossenschaft, der sie nicht oder nicht mehr angehören. Nach dieser Auslegung schafft Art. 49 Abs. 6 BV nicht ein positives Erfordernis der Kirchenzugehörigkeit als verfassungsrechtliche Voraussetzung für die Erhebung der Kultussteuer, sondern bestimmt rein negativ, dass die nicht zur steuerberechtigten Kirche gehörende natürliche Person wegen der ihr zustehenden Glaubens- und Gewissensfreiheit nicht zur Bezahlung von Kirchensteuern verpflichtet werden darf.
| 16 |
Diese restriktive Interpretation ist auch auf dem Hintergrund der öffentlich-rechtlichen Stellung der anerkannten und mit der Befugnis zur Steuererhebung ausgestatteten Kirchen ![]() | 17 |
Die den strukturellen Hintergrund nicht beachtende, eine Kirchensteuerpflicht auf reiner Personalgrundlage postulierende Kritik an der Rechtsprechung dürfte einem gewandelten ![]() | 18 |
19 | |
![]() | 20 |
Der Einwand hat dagegen ein gewisses Gewicht, soweit es um kleinere Unternehmungen geht, die in Form einer juristischen Person organisiert sind (Familienaktiengesellschaften, Einmann-Aktiengesellschaften). Die Umwandlung einer Einzelfirma in eine Aktiengesellschaft kann zur Folge haben, dass die wirtschaftlich einem Konfessionslosen gehörenden Vermögenswerte, die vorher der Kirchensteuer nicht unterlagen, nun in der juristischen Person zur Besteuerung für kirchliche Zwecke herangezogen werden. Möglich ist auch, dass das Steuersubstrat, das bisher im Rahmen einer konfessionell einheitlichen Familie der Kirche des eigenen Glaubensbekenntnisses zur Verfügung stand, nach dem Einbringen in die Aktiengesellschaft teilweise auch zugunsten einer Kirchgemeinde der andern Konfession besteuert wird. Die Kirchensteuerpflicht juristischer Personen hat zur Folge, dass der Freidenker, der jede Abgabe für eine Religionsgemeinschaft vermeiden will, oder der Anhänger einer Kirche, welcher verhindern will, dass von seinen Steuern der am Ort bestehenden Gemeinde Andersgläubiger etwas zukommt, ihre geschäftliche Tätigkeit nicht in Form einer juristischen Person organisieren können. Das vermag bei der heutigen Ausgestaltung der Individualrechte nicht ganz zu befriedigen. Dass derjenige, der einen Teil seines Vermögens rechtlich von seiner Person trennt und im Rahmen einer juristischen Person verselbständigt, neben den Vorteilen dieser Gestaltung auch deren Nachteile in Kauf zu nehmen hat, ist jedoch ein allgemeiner Grundsatz. Es erscheint nicht als stossend, dass derjenige, der für seine geschäftliche Tätigkeit die persönliche Haftung ausschliesst, sich bei der Besteuerung des als juristische Person konstituierten Unternehmens nicht auf Elemente seiner subjektiven Weltanschauung berufen kann. Zudem ist hier daran zu erinnern, dass der Verfassungsgeber unbestrittenermassen durch Art. 49 Abs. 6 BV nicht jede Verwendung ![]() | 21 |
Vom Grundsatz, dass Art. 49 Abs. 6 BV auf juristische Personen nicht zur Anwendung komme, wird in der Rechtsprechung eine wichtige Ausnahme gemacht. Juristische Personen, die selber religiöse oder kirchliche Zwecke verfolgen, können nicht verpflichtet werden, an andere Religionsgemeinschaften Kultus- oder Kirchensteuern zu entrichten (BGE 95 I 350). Diese Ausnahme ist wohlbegründet und fand allgemein Zustimmung. Wenn auch juristische Personen im allgemeinen und Erwerbsgesellschaften im besondern unter dem Gesichtswinkel der Besteuerung sich nicht auf die Glaubens- und Gewissensfreiheit berufen können, so wäre es anderseits - bei aller formalen Logik - absurd, juristischen Personen mit religiöser oder kirchlicher Zwecksetzung den Schutz von Art. 49 Abs. 6 BV zu versagen und sie der Besteuerung durch Kirchen Andersgläubiger zu unterwerfen. Diese aus dem Sinn und Zweck der Verfassungsbestimmung sich ergebende Ausnahme lässt sich mit keinen stichhaltigen Argumenten auf ![]() | 22 |
23 | |
"Die physischen Personen, welche einer Religionsgenossenschaft nicht angehören, dürfen persönlich nicht besteuert werden ...; die juristischen Personen jedoch, welche ihrer Natur nach als glaubenslose, ideale Rechtssubjekte keiner Religionsgenossenschaft angehören können, dürfen besteuert werden. Also wesentlich gleiche tatsächliche Voraussetzungen: die Nichtzugehörigkeit, aber ungleiche Behandlung: im einen Fall Steuerbefreiung, im andern Besteuerung."
| 24 |
Zum Teil wird die Rechtsungleichheit auch insbesondere darin gesehen, dass die natürliche Person sich durch Austritt aus der Kirche Kirchensteuerfreiheit verschaffen könne, die juristische Person nicht.
| 25 |
Der Vorwurf rechtsungleicher Behandlung kann nur zutreffen, sofern zwischen natürlichen und juristischen Personen in dem hier in Frage stehenden Bereich keine wesentlichen Unterschiede bestehen. Wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, hat das Bundesgericht stets angenommen, es bestehe insofern zwischen den beiden Arten von Rechtssubjekten ein entscheidender Unterschied, als die natürliche Person sich auf die Glaubens- und Gewissensfreiheit berufen könne, während der juristischen Person nach der Natur der Sache dieses Freiheitsrecht im allgemeinen nicht zustehe. Überzeugende Argumente für die Auffassung, auch juristischen Personen komme generell das Individualrecht gemäss Art. 49 Abs. 1 BV zu und sie seien daher durch die Erhebung der Kirchensteuer in gleicher Weise verletzt wie ein Konfessionsloser oder Andersgläubiger, lassen sich weder der Beschwerdeschrift noch der Literatur entnehmen. Die ungleiche Behandlung juristischer und natürlicher Personen in bezug auf die Kirchensteuerpflicht beruht auf einem offensichtlich rechtlich relevanten Unterschied: Die natürliche Person kann durch Kultussteuern in ihrer Glaubens- und Gewissensfreiheit verletzt werden, für die juristische Person besteht dieser in Art. 49 Abs. 6 BV umschriebene Steuerbefreiungsgrund im ![]() | 26 |
27 | |
a) Gegen die Kirchensteuerpflicht juristischer Personen wird geltend gemacht, juristische Personen könnten die Dienste der Kirche nicht beanspruchen, es sei daher ungerechtfertigt, ja willkürlich, sie mit Kirchensteuern zu belasten. Die Kirchensteuer ist - wie der Name sagt - eine Steuer, d.h. eine voraussetzungslose Abgabe zur Erfüllung öffentlicher Zwecke, die wie jede andere Steuer vom Pflichtigen ohne Rücksicht darauf geschuldet ist, ob er die damit finanzierten Dienste und Einrichtungen beansprucht oder nicht. Auch eine Steuer, die von einem Pflichtigen erhoben wird, der die Einrichtungen des steuerberechtigten Gemeinwesens nicht oder nur wenig benützt, ist selbstverständlich nicht wegen dieses Fehlens einer Gegenleistung verfassungswidrig. Der Einwand, die juristische Person nehme die Dienste der Kirche nicht in Anspruch, ist in der gesetzgebungspolitischen Diskussion zu prüfen, aber für die verfassungsrechtliche Beurteilung einer bestehenden Besteuerungsmöglichkeit ohne Belang.
| 28 |
b) Von den Organen der Landeskirchen wird dargelegt, dass die Kirchen heute mannigfache Dienstleistungen für die Allgemeinheit erbringen (Fürsorge, Schulung, sozial-caritative Einrichtungen). Es erscheint offensichtlich, dass die den Kirchen zufliessenden finanziellen Mittel bei weitem nicht nur für den Kultus im engern Sinne Verwendung finden. Auch dieser Gesichtspunkt braucht jedoch nicht näher untersucht zu werden; denn indem die Bundesverfassung implizite die Erhebung von Kirchensteuern grundsätzlich zulässt, wird den Kantonen die Möglichkeit gegeben, die kirchliche Tätigkeit generell als öffentliche Aufgabe zu verstehen, diesen Bereich öffentlichrechtlich zu organisieren und durch Erhebung von Steuern zu finanzieren. Der Hinweis auf die heutigen Formen kirchlicher Arbeit im Dienste der Allgemeinheit mag eine zeitgemässe rechtspolitische Begründung der Rechtsnatur der Landeskirchen und ihrer Steuerhoheit sein. Für die Frage der Verfassungsmässigkeit der Kirchensteuerpflicht juristischer Personen ist es nicht entscheidend, ob die Kirchen mehr oder weniger Aufwendungen für allgemeine Dienste machten.
| 29 |
![]() | 30 |
d) Auch das Argument, die Befreiung der juristischen Personen von Kultussteuern würde Möglichkeiten der Steuervermeidung eröffnen (REIMANN/ZUPPINGER/SCHÄRRER, N 34 zu § 150 StG Zürich), ist rechtspolitischer Natur und für die Beurteilung der Verfassungsmässigkeit ohne Belang. Die Befürchtung, Kirchenangehörige könnten im Falle der Steuerfreiheit juristischer Personen das bisher der Kirchensteuerpflicht unterliegende Vermögen und Einkommen aus steuerlichen Überlegungen nach Möglichkeit auf eine juristische Person übertragen, dürfte übrigens weitgehend unbegründet sein. Aus den Kantonen, in denen eine Kirchensteuerpflicht juristischer Personen nicht besteht, sind keine solchen Machenschaften von erheblicher Bedeutung bekannt.
| 31 |
32 | |
"1. Jedermann hat Anspruch auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit;
| 33 |
dieses Recht umfasst die Freiheit des einzelnen zum Wechsel der Religion oder der Weltanschauung sowie die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder in Gemeinschaft mit andern öffentlich oder privat, durch Gottesdienst, Unterricht, Andachten und Beachtung religiöser Gebräuche auszuüben.
| 34 |
![]() | 35 |
a) Das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich hat eingehend untersucht, ob die EMRK, die von der Schweiz am 28. November 1974 ratifiziert wurde, auf den vorliegenden Fall, der die Kirchensteuer für das Jahr 1974 betrifft, anwendbar ist. Es kam zum Schluss, mit der Ratifikation seien die Bestimmungen des Abschnittes I der EMRK - unter Vorbehalt einzelner Ausnahmen und soweit sie keine den Bürger verpflichtenden Drittwirkungen begründen - in der Schweiz unmittelbar anwendbares Recht geworden. Diesem Ergebnis und der dazu führenden Argumentation des Verwaltungsgerichtes ist zuzustimmen.
| 36 |
Obschon die EMRK nur am Ende des Steuerjahres 1974 noch während 34 Tagen in Geltung war, ist die grundsätzliche Frage der Zulässigkeit einer Belastung juristischer Personen mit Kirchensteuern ohne Einschränkung abzuklären. Die vom Verwaltungsgericht aufgeworfene und verneinte Frage, ob im konkreten Fall die auf die 34 Tage berechnete Steuerbelastung von Fr. 1.60 nicht schon wegen ihrer Geringfügigkeit keine Verletzung der in Art. 9 EMRK gewährleisteten Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit darstellen könne, braucht hingegen nicht geprüft zu werden. Die Beschwerdeführerin rügt nicht die Höhe der Steuerbelastung, sondern verlangt einen Entscheid über die prinzipielle, sich jedes Jahr wieder in gleicher Weise stellende Frage, ob unter dem Aspekt von Art. 9 EMRK juristische Personen zur Zahlung von Kirchensteuern herangezogen werden dürfen.
| 37 |
b) Art. 9 EMRK enthält - anders als Art. 49 Abs. 6 BV - keine Bestimmung, welche die Belastung Andersgläubiger mit Steuern für Kultuszwecke ausdrücklich verbietet. Ob sich ein solches Verbot aus der allgemeinen Gewährleistung der Freiheit, irgendeine Religion oder Weltanschauung ungehindert auszuüben, ableiten lässt, kann hier offen bleiben. Ein Entscheid der mit der Auslegung der EMRK betrauten Organe zu dieser Frage ist bis jetzt nicht bekannt. Auch in der Doktrin finden sich keine Erörterungen über eine allenfalls aus Art. 9 sich ergebende Beschränkung der Steuererhebung zu ![]() | 38 |
c) Auch wenn Art. 9 so auszulegen sein sollte, dass Kirchensteuern von Andersgläubigen nicht gefordert werden dürfen, so kann dieser staatsvertraglichen Bestimmung doch keine über Art. 49 Abs. 6 BV hinausgehende, juristische Personen gegen Kirchensteuern schützende Tragweite zukommen. Die Europäische Kommission für Menschenrechte hat durch Entscheid vom 17. Dezember 1968 i.S. Church of Scientology of California erkannt, juristische Personen könnten keine Rechte aus Art. 9 Abs. 1 EMRK ableiten (Requête Nr. 3798/68, vgl. dazu F.G. JACOBS, The European Convention on Human Rights, S. 148). Wenn es sich um Vereinigungen von Einzelpersonen zur Ausübung der Religion oder Weltanschauung handelt und soweit es um die Verfolgung dieser Ziele geht, müssen sich auch juristische Personen auf Art. 9 EMRK berufen können (in diesem Sinne Urteil des Verwaltungsgerichts Erw. 11 und dort zitierte Literatur sowie H. SCHORN, Die europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, S. 250). Dass juristische Personen ausschliesslich unter diesen Voraussetzungen, d.h. wenn es sich um religiöse oder weltanschauliche Zusammenschlüsse handelt und es um die Behinderung der religiösen oder weltanschaulichen Tätigkeit geht, den Schutz von Art. 9 EMRK beanspruchen können, ist in der Doktrin unbestritten. Im vorliegenden Fall sind diese Voraussetzungen nicht gegeben. Die Beschwerdeführerin ist eine Erwerbsgesellschaft ohne religiöse Ziele. Art. 9 EMRK hat nicht den Zweck, juristische Personen vor steuerlicher Belastung für kirchliche Zwecke zu schützen, sondern gewährleistet durch das Verbot staatlicher Behinderung der freien Ausübung jeder Religion oder Weltanschauung eine Freiheit, welche nur natürlichen Personen ![]() | 39 |
Demnach erkennt das Bundesgericht:
| 40 |
41 | |
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). |