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26. Auszug aus dem Urteil von 28. Juni 1978 i.S. X. AG und Y. AG gegen Z. und Konsorten, Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden und Beschwerdekammer des Kantonsgerichts Graubünden | |
Regeste |
Art. 88 OG. | |
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a) Die staatsrechtliche Beschwerde steht den Bürgern (Privaten) hinsichtlich solcher Rechtsverletzungen zu, die sie durch allgemein verbindliche oder sie persönlich treffende Erlasse oder Verfügungen erlitten haben (Art. 88 OG). Zur staatsrechtlichen Beschwerde ist demnach nur legitimiert, wer durch den angefochtenen Hoheitsakt in seinen rechtlich geschützten Interessen beeinträchtigt ist. Der Strafanspruch, um den es im Strafverfahren geht, steht nach feststehender Rechtsprechung ausschliesslich dem Staat zu. Der an einem Strafverfahren beteiligte Anzeiger oder Geschädigte ist demnach in der Sache selbst nicht legitimiert, gegen die Nichteröffnung oder Einstellung des Strafverfahrens oder gegen ein freisprechendes Urteil staatsrechtliche Beschwerde zu führen. Unbekümmert um die fehlende Legitimation in der Sache selbst sind aber Anzeiger und Geschädigter befugt, mit staatsrechtlicher Beschwerde die Verletzung solcher Rechte zu rügen, die ihnen das kantonale Recht wegen ihrer Stellung als am Strafverfahren beteiligte Partei einräumt und deren Missachtung eine formelle Rechtsverweigerung darstellt oder auf eine solche hinausläuft ("einer formellen Rechtsverweigerung gleich- oder nahekommt": BGE 99 Ia 108).
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b) Die Beschwerdeführerinnen stellen die Richtigkeit der dargelegten Rechtsprechung in Frage. Sie sehen ein wesentliches Argument für eine weniger zurückhaltende Praxis in der Aufgabe des Bundesgerichtes, für eine einheitliche Rechtsanwendung auf dem ganzen Gebiet der Schweiz zu sorgen, und sie weisen darauf hin, ein Geschädigter, der rechtsungleiche Behandlung rüge, verfechte damit auch öffentliche Interessen. Konkret falle zusätzlich ins Gewicht, dass die StPO des Kantons Graubünden dem Geschädigten eine relativ starke Parteistellung einräume. Das Ergebnis der Strafuntersuchung solle ausdrücklich auch der Geltendmachung von Zivilansprüchen dienen. Das Nichteintreten des Bundesgerichtes auf Willkürbeschwerden von Geschädigten aus Kantonen mit derart erweiterter Rechtsstellung des Geschädigten erscheine in erhöhtem Masse als fragwürdig.
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Diese Argumente veranlassen das Bundesgericht nicht, seine Praxis zu ändern. Die staatsrechtliche Beschwerde ist ein Rechtsbehelf eigener Art, der - von den hier nicht in Betracht fallenden Tatbeständen der Art. 84 lit. b-d und 85 lit. a OG abgesehen - ausschliesslich dem Schutze der Bürger vor Verletzung seiner verfassungsmässigen Rechte dient (AUBERT, Droit constitutionnel suisse, Bd. II, S. 590, Nr. 1643; MARTI, Die staatsrechtliche Beschwerde, 3. Auflage, S. 20/21, Nr. 7-10). Demgemäss stösst das aus früheren Arbeiten von MARTI (Staatsrechtliche Beschwerde, 1. Auflage, S. 106, und ZSR 81/II S. 84) ![]() | 5 |
Fehl geht auch das Argument, die staatsrechtliche Beschwerde wegen Willkür müsse dem Geschädigten vor allem dann zustehen, wenn ihm das in Betracht fallende kantonale Prozessrecht eine verhältnismässig starke Stellung einräume, wie dies für den Kanton Graubünden zutreffe. Schon die Richtigkeit dieser letzten Behauptung ist mindestens zweifelhaft. Nach der Strafprozessordnung des Kantons Graubünden kann der Geschädigte erst nach Abschluss der Untersuchung in die Akten Einsicht nehmen und Ergänzungsanträge stellen (Art. 129 Abs. 1 StPO), und an der Hauptverhandlung hat er sich auf die Begründung seines zivilrechtlichen Anspruchs zu beschränken (Art. 131 Abs. 4 StPO). In diesen beiden wesentlichen Punkten gehen - um nur einige der grösseren deutschschweizerischen Kantone zum Vergleich heranzuziehen - z.B. die Strafprozessordnungen der Kantone Zürich (§ 10 StP und § 283 Abs. 2 StPO), Bern (Art. 43 und 252 StPO) und St. Gallen (Art. 37 und 152 StPO) weiter als das bündnerische Recht, indem sie dem Geschädigten schon während der Untersuchung Parteirechte zubilligen und ihn entweder uneingeschränkt ![]() | 6 |
c) Auch abgesehen von den Argumenten der Beschwerdeführerinnen besteht bei nochmaliger Überprüfung der bisherigen Rechtsprechung kein Anlass, davon abzuweichen. Das Interesse des Geschädigten an der Bestrafung des Angeschuldigten kann doppelter Natur sein: es kann einerseits im Bedürfnis nach Sühne und Vergeltung liegen und anderseits im Bestreben, den zivilrechtlichen Wiedergutmachungsanspruch durchzusetzen. Da nach allgemeiner Ansicht der Strafanspruch allein dem Staat zusteht und Art. 88 OG die Legitimation davon abhängig macht, dass der Beschwerdeführer in eigenen Rechten verletzt wurde, kann nach dem Gesagten die staatsrechtliche Beschwerde nicht zulässig sein, um das Bedürfnis nach Bestrafung zu befriedigen; mit dieser Ordnung steht im Einklang, dass der eidgenössische Gesetzgeber dem Verletzten das Rechtsmittel der Nichtigkeitsbeschwerde im Strafpunkt nur in sehr beschränktem Umfang zu Verfügung stellt (Art. 270 BStP). Was den privatrechtlichen Wiedergutmachungsanspruch angeht, bleibt dem Geschädigten bei Freispruch oder Einstellung des Strafverfahrens in jedem Fall die Möglichkeit gewahrt, seine Forderungen auf dem Weg des Zivilprozesses geltend zu machen. Ihm nur wegen des privatrechtlichen Wiedergutmachungsanspruchs die Legitimation zur Anfechtung eines Entscheids einzuräumen, mit dem über den Strafanspruch befunden wurde, geht nicht an und lässt sich mit dem Gesetz nicht in Einklang bringen.
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