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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Sabiha Akagündüz, A. Tschentscher | |||
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11. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 28. Januar 1981 i.S. Z. gegen Betreibungsamt Olten-Gösgen und Aufsichtsbehörde für Schuldbetreibung und Konkurs des Kantons Solothurn (staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Persönliche Freiheit. | |
Sachverhalt | |
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Die Aufsichtsbehörde für Schuldbetreibung und Konkurs wies die Beschwerde des Z. am 30. Juni 1980 ab. Sie führte aus, dieser habe nicht dargetan, dass seine Zahlungsunfähigkeit unverschuldeter Natur sei. Er habe zwar gewisse in diese Richtung zielende Behauptungen aufgestellt, jedoch keine Beweismittel vorgelegt oder wenigstens angerufen. Hinsichtlich der Behauptung, die solothurnische Gesetzesbestimmung über die Auskündigung fruchtlos gepfändeter Schuldner sei bundesrechtswidrig, sei auf BGE 67 III 129 ff. zu verweisen; in diesem Urteil habe das Bundesgericht einen entsprechenden Einwand zurückgewiesen. Dass die erwähnte Bestimmung gegen die EMRK verstosse, habe die Aufsichtsbehörde schon wiederholt verneint, und sie halte auch in Kenntnis von der abweichenden Auffassung des Obergerichts des Kantons Luzern, wie sie in einem Rundschreiben vom 6. Dezember 1979 zum Ausdruck komme, hieran fest. Schliesslich habe der Kantonsrat des Kantons Solothurn am 24. Juni 1980 eine Motion, in der die Abschaffung der Publikationsbestimmung verlangt worden sei, mit 57: 56 Stimmen abgelehnt. Für die Aufsichtsbehörde bestehe deshalb kein Anlass, ihren Standpunkt zu ändern.
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Gegen diesen Entscheid führt Z. staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung der derogatorischen Kraft des Bundesrechts, der Art. 8 und 3 EMRK sowie des "ungeschriebenen Verfassungsrechts der menschlichen Würde". Die Aufsichtsbehörde für Schuldbetreibung und Konkurs des Kantons Solothurn schliesst auf Abweisung der Beschwerde.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut, soweit es darauf eintritt, und hebt den angefochtenen Entscheid auf.
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Aus den Erwägungen: | |
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Der Entscheid des Betreibungsbeamten über ein solches Gesuch ist dem Schuldner und dem Gläubiger schriftlich mitzuteilen. Gegen diesen Entscheid können Schuldner und Gläubiger innert 10 Tagen seit Eröffnung bei der kantonalen Aufsichtsbehörde für Schuldbetreibung und Konkurs Beschwerde führen. Das Verfahren ist gebührenfrei.
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Für die Konkursiten gelten die bundesrechtlich vorgeschriebenen Publikationen."
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a) Der Beschwerdeführer macht nicht geltend, die kantonale Aufsichtsbehörde habe in willkürlicher Weise das Vorliegen von Rechtfertigungsgründen im Sinne von Absatz 3 der angeführten gesetzlichen Bestimmung verneint. Sein Standpunkt geht vielmehr dahin, diese Bestimmung als solche verstosse gegen die Bundesverfassung und gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Zwar ist die Frist, innert welcher der kantonale Erlass mit staatsrechtlicher Beschwerde hätte angefochten werden können, längst abgelaufen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts kann jedoch die Verfassungswidrigkeit einer kantonalen Vorschrift auch noch bei der Anfechtung eines gestützt darauf ergangenen Anwendungsakts geltend gemacht werden. Erweist sich der Vorwurf als begründet, so führt das freilich nicht zur formellen Aufhebung der Vorschrift; ihre Verfassungswidrigkeit wird nur vorfrageweise festgestellt mit der Folge, dass die Vorschrift auf den Beschwerdeführer nicht angewendet und der gestützt auf sie ergangene Entscheid aufgehoben wird (BGE 106 Ia 132 mit Hinweisen).
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b) Das Bundesgericht ist bei der Beurteilung von staatsrechtlichen Beschwerden an die von der Bundesversammlung erlassenen Gesetze gebunden (Art. 113 Abs. 3 BV). Das solothurnische Gesetz über die öffentlichrechtlichen Folgen der fruchtlosen Pfändung und des Konkurses beruht auf dem Bundesgesetz mit gleicher Bezeichnung vom 29. April 1929 (SR 284.1). Danach bleibt es den Kantonen unbenommen, unter Vorbehalt von Art. 1 des ![]() | 10 |
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a) Während das Bundesgericht in seiner älteren Rechtsprechung die persönliche Freiheit mit der Bewegungsfreiheit und der freien Verfügung über den eigenen Körper gleichsetzte, wurde der Bereich dieses ungeschriebenen verfassungsmässigen Rechts seit dem Jahre 1964 allmählich erweitert. Nach der neueren Praxis schützt die persönliche Freiheit als zentrales Freiheitsrecht nicht nur die Bewegungsfreiheit und die körperliche Integrität, sondern darüber hinaus alle Freiheiten, die elementare Erscheinungen der Persönlichkeitsentfaltung des Menschen darstellen (BGE 104 Ia 39 f. E. 5 mit zahlreichen Hinweisen). Sein wichtigstes praktisches Anwendungsgebiet hat der erweiterte Begriff der persönlichen Freiheit bisher im Zusammenhang mit den Rechten der Untersuchungs- ![]() | 12 |
b) In seiner bisherigen Rechtsprechung hat das Bundesgericht beispielsweise die Verweigerung eines Leumundszeugnisses nicht dem Schutzbereich der persönlichen Freiheit unterstellt (BGE 100 Ia 194 E. 3d). Ebensowenig gehört nach der Rechtsprechung die Möglichkeit, mit Spielautomaten um Geld zu spielen, zu den elementaren Erscheinungen der Persönlichkeitsentfaltung, für welche der verfassungsrechtliche Schutz des Grundrechts beansprucht werden kann (BGE 101 Ia 347 E. 7b). Ferner hat das Bundesgericht erkannt, die Massnahme, mit der einem Studierenden die Möglichkeit verwehrt wird, zu dem von ihm gewünschten Zeitpunkt an der von ihm gewählten Hochschule ein bestimmtes Studium zu beginnen, berühre den Schutzbereich der persönlichen Freiheit nicht, wenn dem Betroffenen rechtlich und faktisch die Möglichkeit bleibe, dasselbe Studium an einer andern schweizerischen Hochschule zu beginnen (BGE 102 Ia 324). Es hat auch angenommen, das Verlesen der Anklageschrift in einer öffentlichen Gerichtsverhandlung, in der die Delikte eines verstorbenen Geschädigten genannt werden, berühre die Angehörigen des Verstorbenen nicht in ihrer persönlichen Freiheit. Ein diesbezüglicher allfälliger Angriff auf die Ehre des Verstorbenen sei höchstens mittelbar und bedeutend weniger intensiv als ein Angriff auf ihr eigenes Ansehen (BGE 104 Ia 41). Umgekehrt hat das Bundesgericht ![]() | 13 |
c) Die Veröffentlichung der Namen der Verlustscheinschuldner bezweckt die Information künftiger Gläubiger. Diese sollen wissen, wer nicht kreditwürdig ist. Wie das Bundesgericht indessen bereits früher hervorgehoben hat, stellt die Auskündigung darüber hinaus eine repressive Massnahme dar (BGE 67 III 131; BGE 26 I 220 f.). Es führte damals aus, die Auskündigung wolle den Schuldner in der Würdigung seiner ökonomischen Persönlichkeit durch seine Mitbürger herabsetzen und bezwecke insofern eine Minderung seines öffentlichen Ansehens. Diese subjektive Zielsetzung ist durch die Entwicklung in der Zwischenzeit wohl in den Hintergrund getreten. Aber selbst wenn objektiv die gesetzliche Ordnung lediglich noch darauf gerichtet ist, die Gläubiger darüber zu informieren, wer nicht kreditwürdig sei, so wirkt die Massnahme auf den Schuldner nach wie vor wie eine öffentliche "Anprangerung". Die Auskündigung hat insofern strafähnlichen Charakter und ist jedenfalls geeignet, das öffentliche Ansehen des Betroffenen herabzumindern. Hinzu kommt, wie der Beschwerdeführer zutreffend geltend macht, dass sich diese Minderung des guten Rufs nicht nur auf die Person des Schuldners auswirkt, sondern auch auf diejenige seiner Angehörigen, namentlich seines Ehegatten und seiner Kinder.
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Verglichen mit den geschilderten Fällen, bei denen der Einbezug in den Schutzbereich der persönlichen Freiheit verneint wurde, beeinträchtigt die öffentliche Blossstellung der Person des Schuldners und seiner Angehörigen das soziale und ökonomische Ansehen des Betroffenen erheblich. Seine Würde und Ehre sind in einem Ausmass betroffen, das die Anrufung des Grundrechts der persönlichen Freiheit rechtfertigt.
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d) Der öffentlichrechtliche Schutz der Persönlichkeit gilt freilich nicht unbeschränkt und vermag das Ehrgefühl oder den guten Ruf des Bürgers, soweit diese Persönlichkeitsgüter vom Grundrecht miterfasst sind, nicht gegen jedes Verwaltungshandeln zu sichern, das eine Beeinträchtigung des Ansehens des Betroffenen mit sich bringt. Das Grundrecht darf aber nur eingeschränkt werden, wenn ein überwiegendes öffentliches Interesse den Eingriff rechtfertigt und soweit die Erfüllung der öffentlichen Aufgabe eine solche Einschränkung erfordert. Die angefochtene Massnahme kann ![]() | 16 |
Das einzige reale Interesse, das sich zugunsten der Veröffentlichung der Namen der Verlustscheinschuldner anführen lässt, ist der Schutz allfälliger künftiger Kreditoren. Allein diese werden bereits durch das gemäss Art. 8 Abs. 2 SchKG jedem Interessierten gewährleistete Recht auf Einsichtnahme in die Protokolle der Betreibungsämter geschützt. Wägt man das Interesse allfälliger Gläubiger daran, den Gang zum zuständigen Betreibungsamt oder eine entsprechende schriftliche Anfrage zu vermeiden, gegen dasjenige des Verlustscheinschuldners an der Vermeidung der öffentlichen Blossstellung seiner eigenen Person und seiner Angehörigen gegeneinander ab, so kann das Ergebnis nicht zweifelhaft sein: die in einzelnen Kantonen, so im Kanton Solothurn, noch bestehenden Bestimmungen über die Veröffentlichung der Namen von Verlustscheinschuldnern müssen als unverhältnismässig erscheinen. Dies gilt umso mehr, als selbst bei einer Verurteilung wegen strafbarer Handlungen das Urteil nur bei Vorliegen besonderer, in Art. 61 StGB umschriebener Voraussetzungen veröffentlicht werden darf, die Schuldnerschaft aber, selbst wenn sie zur Ausstellung von Verlustscheinen führt, an sich kein strafbares Verhalten darstellt. Schliesslich fällt auch ins Gewicht, dass es lediglich um den Abschluss einer Entwicklung geht, die sich auf kantonaler Ebene schon seit längerer Zeit abgezeichnet hat. Die Mehrzahl der Kantone hat die früher allgemein übliche Auskündigung der Verlustscheinschuldner bereits aufgehoben, so zuletzt der Kanton Luzern gemäss Rundschreiben des Obergerichts an die Betreibungsämter von 6. Dezember 1979 (auszugsweise veröffentlicht in EuGRZ 7/1980 S. 338 ff.).
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e) Die Veröffentlichung des Namens der Verlustscheinschuldner stellt demnach einen unzulässigen Eingriff in die persönliche Freiheit des Schuldners dar. Die Beschwerde ist deshalb bereits aus diesem Grund gutzuheissen und der angefochtene Entscheid der Aufsichtsbehörde für Schuldbetreibung und Konkurs des Kantons Solothurn vom 30. Juni 1980 demgemäss aufzuheben. Bei dieser Sachlage braucht nicht mehr geprüft zu werden, ob darin zusätzlich ein Eingriff in das Privat- und Familienleben gemäss Art. 8 EMRK liegt, soweit diese Bestimmung allenfalls über den durch die persönliche Freiheit gewährleisteten Schutz hinausgeht. Ebenfalls kann dahingestellt bleiben, ob die Publikation ein von Art. 3 ![]() | 18 |
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