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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Sabiha Akagündüz, A. Tschentscher | |||
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49. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 22. September 1992 i.S. N. gegen Regierungsrat des Kantons Solothurn (staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Persönliche Freiheit; Art. 6 Ziff. 1 EMRK. Haftbedingungen. |
2. Stellen disziplinarischer Arrest bzw. Einschliessung bis zu 10 Tagen eine strafrechtliche Sanktion im Sinne von Art. 6 Ziff. 1 EMRK dar? Frage offengelassen, da nach Solothurner Prozessrecht eine richterliche Überprüfung jedenfalls gewährleistet ist (E. 3b). | |
Sachverhalt | |
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
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Aus den Erwägungen: | |
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aa) Der freiwillige Verzicht auf tierische Nahrungsmittel durch Vegetarier ist vor allem weltanschaulich und ethisch begründet und meist nur indirekt mit religiösen Anschauungen verbunden. Die Wünsche von Vegetariern bei der Haftverpflegung werden in der Praxis des Bundesgerichtes daher als Ausdruck der persönlichen Freiheit und nicht der religiösen Glaubensfreiheit (Art. 49 BV) angesehen (vgl. BGE 118 Ia 79 f. E. 3h). Im zitierten Urteil Minelli hat das Bundesgericht auf die Empfehlung Nr. 25 Ziff. 1 des Ministerkomitees des Europarates R (87) 3 für die Behandlung von ![]() | 4 |
bb) Diese Überlegungen gelten auch im vorliegenden Fall. Dass die Solothurner Strafvollzugsgesetzgebung die Zulassung von Sonderkost aus religiösen oder medizinischen Gründen ausdrücklich vorsieht, schliesst die Abgabe von vegetarischer Kost (auf Ersuchen des Betroffenen hin) keineswegs aus. In diesem Sinne und durchaus verfassungskonform werden die angefochtenen Bestimmungen auch vom Solothurner Regierungsrat verstanden. Dieser hält in seiner Vernehmlassung fest, dass er "davon Kenntnis" nehme, "dass auch weltanschauliche und kulturelle Besonderheiten im Zusammenhang mit der Gefängniskost Beachtung finden sollten. Wir können auch zusichern, dass die Praxis im Kanton Solothurn in diesem Sinne verfassungskonform gehandhabt wird." Der Regierungsrat weist insbesondere darauf hin, dass über das Bürgerspital Solothurn die Verpflegung mit vegetarischer Kost sichergestellt werden könne. Bei Haftfällen in der Nähe der Kantonsgrenzen gebe es nötigenfalls auch geeignete Einrichtungen in Aarau, Liestal oder Basel. Da die angefochtenen Bestimmungen verfassungskonform auslegbar sind und von den kantonalen Behörden auch in diesem Sinne interpretiert werden, erweisen sich die dagegen erhobenen Verfassungsrügen als unbegründet.
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b) § 40 Abs. 1 VG/SO sieht gegen Verfügungen einer Anstaltsverwaltung oder der Abteilung Straf- und Massnahmenvollzug die Beschwerde an das kantonale Polizei-Departement vor. Der Beschwerdeführer macht geltend, die Rechtsmittelordnung des Solothurner Vollzugsgesetzes verstosse gegen die Europäische Menschenrechtskonvention und Art. 19 der Kantonsverfassung, da für die disziplinarische Anordnung von Einschliessungen und Arreststrafen keine richterliche Überprüfung gewährleistet sei.
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aa) Art. 6 Ziff. 1 EMRK verlangt, dass über strafrechtliche Sanktionen von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz ![]() | 7 |
bb) § 36 Abs. 1 VG/SO sieht neben anderen Disziplinarsanktionen in lit. c und d Einschliessung und Arrest bis zu 10 Tagen vor. Es braucht indessen auch im vorliegenden Fall nicht entschieden zu werden, ob diese Massnahmen - losgelöst vom konkreten Anwendungsfall - als strafrechtliche Sanktion im Sinne von Art. 6 Ziff. 1 EMRK zu qualifizieren sind. Selbst wenn dies bejaht würde, wäre nämlich dem Erfordernis der richterlichen Überprüfung Genüge getan. Nach der Auffassung des Regierungsrates ist im Kanton Solothurn "jede Disziplinarstrafe im Bereich Strafvollzug der richterlichen Überprüfung zugänglich". In der Tat beurteilt das kantonale Verwaltungsgericht gemäss § 49 lit. b des Gesetzes über die Gerichtsorganisation vom 13. März 1977 (GO/SO, BGS 125.12) Beschwerden gegen Verfügungen der Departemente. Eine Ausnahme gemäss §§ 50 und 59ter GO/SO besteht im Falle von Disziplinarstrafverfügungen nach §§ 33 ff. VG/SO nicht.
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cc) Aus dem gleichen Grund verstösst die Rechtsmittelordnung von § 40 VG/SO weder gegen Art. 19 Abs. 3 KV/SO, wo das "Recht zur Beschwerde an eine im Gesetz genannte richterliche Behörde" statuiert ist, noch gegen das Willkürverbot von Art. 4 BV.
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"Wünschen Untersuchungsgefangene einen Aufenthalt im Freien, kann ihnen
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die freie Bewegung im Innenhof gestattet werden."
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aa) Der Beschwerdeführer wendet gegen die angefochtene Bestimmung ein, die Gefangenen seien "auf das Wohlwollen der Richter und der Verwaltungsbeamten angewiesen", da der Aufenthalt im Freien nur durch eine "Kann"-Vorschrift gewährleistet sei. Ausserdem fehle eine Garantie, wonach dem Gefangenen "ab dem zweiten Haftmonat mindestens eine Stunde Aufenthalt im Freien" zustehe. § 56 VV/SO verstosse damit gegen das Grundrecht auf persönliche Freiheit und Unversehrtheit. Der Regierungsrat macht demgegenüber geltend, die angefochtene Bestimmung sei zwar "bewusst offen formuliert" worden, damit den Entwicklungen der Rechtsprechung, insbesondere der bundesgerichtlichen Praxis, Rechnung getragen werden könne. Die angefochtene Bestimmung werde aber durchaus verfassungskonform angewendet, wie sich aus den inzwischen erlassenen Hausordnungen der Untersuchungsgefängnisse Solothurn und Olten ergebe, wo folgende Regelung verankert worden sei:
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"14. Aufenthalt im Freien
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Während eines Monats nach dem Eintritt ist täglich eine halbe Stunde
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Aufenthalt im Innenhof möglich, nach einem Monat täglich eine Stunde. Der
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Wunsch ist beim Einzug des Frühstückgeschirrs anzumelden."
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bb) Auch zum Anspruch des Gefangenen auf täglichen Spaziergang hat sich das Bundesgericht im Urteil Minelli in grundsätzlicher Weise ausgesprochen. Gestützt unter anderem auf einschlägige Empfehlungen des Ministerkomitees des Europarates hat das Bundesgericht entschieden, dass Untersuchungs- und Strafgefangenen ein Anspruch auf körperliche Bewegung im Freien von mindestens einer halben Stunde täglich zustehe, wo es die tatsächlichen Verhältnisse zulassen, von einer ganzen Stunde. Ungeachtet der baulichen, organisatorischen und personellen Voraussetzungen sei nach einer Haftdauer von einem Monat in jedem Fall ein täglicher Spaziergang von mindestens einer Stunde zu gewährleisten. Vorbehalten blieben einschränkende disziplinarische Sanktionen im Falle von schweren Disziplinarvergehen (BGE 118 Ia 76 f. E. 3c, 81 f. E. 3k; vgl. ZBJV 128 (1992) 407).
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cc) Die Verfassungsmässigkeit von § 56 VV/SO ist zu bejahen. Die Bestimmung lässt sich grundrechtskonform anwenden und wird ![]() | 19 |
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