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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Sabiha Akagündüz, A. Tschentscher | |||
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51. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 29. Oktober 1980 i.S. Einwohnergemeinde Aarberg und Staat Bern gegen Hurni und Mitbeteiligte sowie Verwaltungsgericht des Kantons Bern (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | |
Regeste |
Art. 30 GSchG und Art. 22ter BV; Entschädigung für Nutzungsbeschränkungen infolge Grundwasserschutzzone. | |
Sachverhalt | |
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Die von der engeren Schutzzone erfassten Grundeigentümer verlangten von der Gemeinde Enteignungsentschädigungen. Die Enteignungs-Schätzungskommission (Kreis 4) des Kantons Bern wies diese mit Urteil vom 3. Juni 1977 ab. Das daraufhin angerufene Verwaltungsgericht des Kantons Bern hiess hingegen mit Urteil vom 22. Oktober 1979 die Entschädigungsbegehren grundsätzlich gut, soweit das betroffene Land in der Bauzone W 4 liegt, und wies die Sache zur Festsetzung der Entschädigungssummen an die Vorinstanz zurück. Hiegegen führen die Einwohnergemeinde Aarberg und der Staat Bern Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht. Dieses weist die Beschwerde ab.
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Aus den Erwägungen: | |
5. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes entfällt beim Vorliegen eines enteignungsähnlichen Eingriffes eine Entschädigungspflicht dann, wenn der streitige Eingriff als Polizeimassnahme im engeren Sinne zu betrachten ist. Polizeiliche Eigentumsbeschränkungen sind danach ohne Rücksicht auf ihre Schwere grundsätzlich entschädigungslos hinzunehmen, ![]() | 3 |
a) Das Verwaltungsgericht hat diese Rechtsprechung in Frage gestellt. Es will die Pflicht des Grundeigentümers zur entschädigungslosen Hinnahme nur dort anerkennen, wo die Eigentumsbeschränkung nach ihrer Schutzrichtung den Interessen des Grundeigentümers selber dient oder wo sie auf einer latenten, wegen einer beabsichtigten Eigentumsnutzung aktualisierten Gefahrensituation beruht. Dient jedoch die Eigentumsbeschränkung in erster Linie der Allgemeinheit und hängt sie mit einem Gefahrenherd zusammen, den das Gemeinwesen geschaffen bzw. aktualisiert hat, so ist nach der Meinung des Verwaltungsgerichtes der Eingriff nach enteignungsrechtlichen Grundsätzen zu entschädigen, da andernfalls der von der Schutzmassnahme in seinen Befugnissen eingeschränkte Grundeigentümer im Vergleich zu den Nichtbetroffenen ein Sonderopfer auf sich zu nehmen hätte. Ein solcher Fall liege hier hinsichtlich des Baulandes vor, weshalb der Eingriff zu entschädigen sei (E. 9).
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Die Beschwerdeführer wenden sich einzig gegen diese abweichende Argumentation. Nach ihrer Auffassung stellen die fraglichen Nutzungsbeschränkungen einen im engern Sinn polizeilich bedingten und daher nicht entschädigungspflichtigen Eingriff ins Privateigentum dar.
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b) In der vorstehend veröffentlichten E. 4 des Urteils Thomann (BGE 106 Ib 332 ff.) hat das Bundesgericht die an seiner Rechtsprechung geübte Kritik geprüft und ist zum Schluss gelangt, dass diese eine Änderung seiner Praxis nicht gebiete. Es hat dabei allerdings hervorgehoben, dass nur die im Sinne des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes notwendigen polizeilichen Beschränkungen entschädigungslos zu dulden sind - nicht dagegen Anordnungen, die weiter gehen, als zur Abwendung ![]() | 6 |
c) Zunächst ist klarzustellen, dass sich die Frage der Auszonung nur stellt, wo sich die Schutzzone mit der Zone der Grundnutzung nicht verträgt. Das trifft hier zu, denn ein Bauverbot für Häuser mit Abwasseranlagen ist mit einer Bauzone für eine Wohnüberbauung nicht vereinbar. Schutzzone und Landwirtschaftszone schlössen sich dagegen nicht von vornherein aus; so entfiel eine Entschädigungspflicht im Fall des BGE 96 I 350 ff. (Verbot der Kiesausbeutung im Landwirtschaftsgebiet) und im genannten Fall Thomann (Verbot der intensiven landwirtschaftlichen Nutzung, ohne dass die im Zeitpunkt des Liegenschaftserwerbs ausgeübte Nutzung untersagt worden wäre). Gleiches gilt für polizeilich bedingte Eigentumsbeschränkungen in der Bauzone, die mit der baulichen Nutzung noch vereinbar sind. Hat jedoch die Schutzzone wegen ihrer Unvereinbarkeit mit der Zone der Grundnutzung eine Auszonung zur Folge oder kommt sie im Ergebnis einer solchen gleich, so sind folgende Fälle zu unterscheiden:
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aa) Wenn die aus polizeilichen Gründen angeordnete Beschränkung unmittelbar dem Schutz des Grundeigentümers selbst dient, liegt keine materielle Enteignung vor, so etwa bei einem Bauverbot in einem lawinengefährdeten Gebiet oder bei einer Waldabstandszone (vgl. BGE 96 I 128 ff.). Dass in einem solchen Fall die Beschränkungen auch weitere Interessen schützen (z.B. den Wald), schliesst die Entschädigungslosigkeit nicht aus. Dass möglicherweise ein Planungsfehler vorliegt, der durch Auszonung und Einweisung des Grundstückes in eine Lawinengefahrzone korrigiert wird, vermag höchstens eine ![]() | 8 |
bb) Wenn die aus polizeilichen Gründen angeordnete Beschränkung dem Schutz eines öffentlichen Werkes - etwa der Wasserversorgung einer Gemeinde - dient, führt das Bauverbot zur Korrektur eines Planungsfehlers mit der Wirkung, dass den betroffenen Grundstücken die von der Gemeinde in ihrer Bau- und Zonenordnung selbst anerkannte Baulandqualität entzogen wird. Es rechtfertigt sich in diesem Falle, die zugunsten des öffentlichen Werkes vorgenommene Korrektur einer Zonenplanung, auch wenn sie aus polizeilichen Gründen im engeren Sinne erfolgt und sich gegen den Störer richtet, gleich zu behandeln wie eine Auszonung, die aus sonstigen allgemeinen raumplanerischen Gründen erfolgt. Ein innerer, sachlicher Grund, den betroffenen Eigentümer anders zu behandeln als jenen, dessen Grundstück etwa mit Rücksicht auf den Landschafts- oder Denkmalschutz einer Bauverbotszone zugewiesen wird, ist nicht zu erkennen; in beiden Fällen wird die durch die Zonenordnung anerkannte Baulandqualität aufgehoben, ohne dass es zum Schutze des Eigentümers selbst nötig ist.
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d) Im vorliegenden Fall hatte der Gemeindegesetzgeber mit Zustimmung des Regierungsrates bei der Ortsplanung von 1966 die fraglichen Parzellen bzw. Parzellenteile ungeachtet der seit 1948 in der Nähe erstellten Grundwasserfassungen der Wohnzone W 4 zugewiesen, also ausdrücklich einem Baugebiet intensiver Überbauung. Das durch die Schutzzonenordnung bewirkte, vom gleichen Gemeindegesetzgeber erlassene Bauverbot kommt somit einer Auszonung gleich, die als Ausnahme vom Grundsatz der entschädigungslos hinzunehmenden polizeilichen Eigentumsbeschränkung anzuerkennen ist. Eine Auszonung aus dem Baugebiet bedeutet eine entschädigungspflichtige materielle Enteignung, wenn die betroffenen Grundstücke sehr wahrscheinlich in naher Zukunft überbaubar gewesen wären und die Eigentümer die Überbauung auch hätten verwirklichen wollen und können; das ist in der Regel bei grob oder gar schon fein erschlossenen Grundstücken zu bejahen, sofern aufgrund der baulichen Entwicklung auch eine entsprechende Nachfrage vorliegt (BGE 105 Ia 339 E. 4a und 5, ![]() | 10 |
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