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50. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 10. Dezember 1985 i.S. Gemeinde Eggersriet gegen Marcel Anderegg und Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | |
Regeste |
Art. 5 Abs. 2 RPG; Verjährung einer Forderung aus materieller Enteignung. |
2. Ist im öffentlichen Recht die Unterbrechung einer Verjährungsfrist, welche zugunsten des Bürgers wirkt, von Amtes wegen zu berücksichtigen? (Frage offengelassen - E. 3a/bb). |
3. Auch das Prinzip von Treu und Glauben (Art. 4 BV) vermag im vorliegenden Fall an der Tatsache nichts zu ändern, dass die Forderung aus materieller Enteignung im Zeitpunkt ihrer Geltendmachung verjährt war (E. 3a/cc). | |
Sachverhalt | |
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Am 4. Februar 1972 teilte Marcel Anderegg dem Gemeinderat von Eggersriet mit, er beabsichtige, in den nächsten Jahren auf seinem Grundstück ein Einfamilienhaus zu bauen. Gleichzeitig ersuchte er die Behörde um eine schriftliche Garantie, dass er das in ein paar Jahren noch machen könne. Der Gemeinderat ![]() | 2 |
Marcel Anderegg stellte am 16. Dezember 1982 beim Gemeinderat Eggersriet das Begehren, es sei festzustellen, dass das Bauverbot bezüglich seiner Parzelle Nr. 833 in Fürschwendi einen Eingriff bewirke, der den Tatbestand der materiellen Enteignung erfülle. Der Gemeinderat Eggersriet wies das Begehren am 31. Oktober 1983 wegen Verjährung des Entschädigungsanspruches ab. Marcel Anderegg erhob Rekurs beim Regierungsrat des Kantons St. Gallen. Dieser fand, der Anspruch sei noch nicht verjährt, hob demgemäss den angefochtenen Entscheid auf und wies die Sache zur Ergänzung des Sachverhalts und zu neuer Entscheidung an den Gemeinderat Eggersriet zurück. Dieser wandte sich jedoch mit Beschwerde an das Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen, welches das Rechtsmittel am 14. März 1985 abwies. Das Bundesgericht heisst eine gegen diesen Entscheid erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde der Gemeinde Eggersriet gut.
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a) Das Verwaltungsgericht und mit ihm der Regierungsrat und der Beschwerdegegner gehen - gestützt auf bundesgerichtliche Urteile und verschiedene Meinungen in der Literatur - davon aus, grundsätzlich sei für den Beginn der Verjährung einer Entschädigungsforderung aus materieller Enteignung auf das Inkrafttreten der Eigentumsbeschränkung abzustellen. Voraussetzung sei aber, dass der Betroffene in diesem Zeitpunkt die in der Eigentumsbeschränkung liegende materielle Enteignung habe erkennen können und dass er seine Forderung an sich sofort hätte geltend machen und durchsetzen können. Es ist im folgenden zu prüfen, ob diese Annahmen der bundesgerichtlichen Praxis entsprechen.
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aa) Das Bundesgericht hat in BGE 97 I 624 ff. entschieden, die Verjährungsfrist habe spätestens an dem Tag zu laufen begonnen, an dem das Bauverbot in Kraft getreten sei; es habe bereits in einem früheren Urteil (BGE 93 I 144 ff.) dargelegt, es hänge von der rechtlichen und wirtschaftlichen Qualifikation des Grundstücks in diesem Zeitpunkt ab, ob der Eingriff enteignungsähnlich wirke. Von diesem Datum an sei die Forderung fällig und der Betroffene könne sie geltend machen (vgl. auch ANDRÉ GRISEL, Traité du droit administratif, Neuchâtel 1984, S. 666). Damit legte das Gericht den Grundsatz fest, dass für den Beginn der Verjährungsfrist das Inkrafttreten der Eigentumsbeschränkung massgebend ist. Dieses Prinzip wurde in der Folge durch die Rechtsprechung bestätigt (BGE 109 Ib 17 E. 3 mit Hinweis; vgl. auch BGE 109 Ib 262 /263 E. 2a sowie IMBODEN/RHINOW, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, 5. Auflage, Basel 1976, Nr. 130 B VII, S. 967). Auch BGE 108 Ib 334 ff. brachte in dieser Hinsicht keine Änderung. Das Bundesgericht setzte in diesem Entscheid vielmehr jenen Grundsatz voraus, denn es kam zum Schluss, bei dessen Anwendung wäre der Anspruch verjährt. Aufgrund der konkreten Umstände des Falles stellte es indessen fest, der Beginn der Verjährungsfrist sei für die Beschwerdeführer im Zeitpunkt des Inkrafttretens ![]() ![]() | 6 |
Zusammenfassend ist deshalb festzustellen, dass für die Bestimmung des Beginns der Verjährungsfrist einer Entschädigungsforderung aus materieller Enteignung beim Schweigen des Gesetzes nicht darauf abzustellen ist, wann der Betroffene die Eigentumsbeschränkung und die möglicherweise darin liegende materielle Enteignung erkennen konnte oder hätte erkennen können.
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Die Autoren, die die Relevanz der Kenntnis bejahen, vermögen dagegen nicht zu überzeugen. ULRICH ZIMMERLI (ZBl 1974/75, S. 158) begründet seine Meinung nicht; PETER DILGER (Raumplanungsrecht der Schweiz, Zürich 1982, S. 490 f.) übernimmt die Ansicht Zimmerlis ohne Kommentar und HEINZ AEMISEGGER (Raumplanung und Entschädigungspflicht, Bern 1983, S. 78) verweist bloss auf das Urteil des Bundesgerichts vom 28. April 1982 i.S. Sarnen (BGE 108 Ib 334 ff.).
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Auch wenn die Verjährung einer Forderung aus materieller Enteignung grundsätzlich mit dem Inkrafttreten der Eigentumsbeschränkung zu laufen beginnt, so bedeutet dies indessen noch nicht, dass die konkreten Umstände des Falles überhaupt keinen Einfluss auf die Bestimmung dieses Zeitpunktes haben können. Die Norm, welche die Eigentumsbeschränkung stipuliert, kann so gestaltet sein, dass allein aus ihr ohne Berücksichtigung weiterer Elemente der Eintritt einer Eigentumsbeschränkung für ein bestimmtes Grundstück feststellbar ist. Das ist etwa dann der Fall, wenn ein voraussetzungsloses Bauverbot verhängt wird (vgl. dazu z.B. BGE 97 I 624 ff.; BGE 93 I 130 ff.). Die gesetzliche ![]() | 9 |
Die Gemeinde Eggersriet besass 1972 eine gültige Zonenplanung, welche das Gebiet Fürschwendi mit dem Grundstück des Beschwerdegegners dem Übrigen Gemeindegebiet zuwies. Gemäss dem Gesetz über die Raumplanung und das öffentliche Baurecht des Kantons St. Gallen vom 6. Juni 1972 (Baugesetz) war in diesem Gebiet das Bauen nicht grundsätzlich untersagt (vgl. dazu Art. 21 in der Fassung von 1972) und laut Art. 26 des damals gültigen Baureglements der Gemeinde Eggersriet war das Übrige Gemeindegebiet zwar zur land- und forstwirtschaftlichen Nutzung bestimmt, doch waren auch andere Bauten zulässig, wenn sie die landschaftliche Umgebung nicht verunstalteten und sofern die Erfordernisse der Erschliessung und Baureife sowie der Abwasserbeseitigung einwandfrei erfüllt waren. Für nichtlandwirtschaftliche Bauten in den Weilern "Fürschwendi" und "Büel" galten die Vorschriften der Wohn- und Gewerbezone WG 2 (Art. 11). Diese wenn auch sehr eingeschränkte Überbauungsmöglichkeit wurde indessen mit dem Inkrafttreten des eidgenössischen Gewässerschutzgesetzes am 1. Juli 1972 definitiv aufgehoben: Gemäss der damals gültigen Fassung durften aufgrund von Art. 19 dieses Gesetzes Baubewilligungen für den Neu- und Umbau von Bauten und Anlagen aller Art nur noch innerhalb der Bauzone oder, wo solche fehlten, innerhalb des im Generellen Kanalisationsprojekt (GKP) abgegrenzten Gebiets erteilt werden, und das auch nur ![]() | 10 |
Etwas anderes ergibt sich auch aus dem Urteil des Bundesgerichts vom 28. April 1982 i.S. Sarnen nicht (BGE 108 Ib 334 ff.). Das eidgenössische Gewässerschutzgesetz als mögliche Ursache einer materiellen Enteignung stand hier gar nicht zur Diskussion. Dass die Entschädigungsforderung trotz des Ablaufs von zehn Jahren seit dem Inkrafttreten der massgebenden Eigentumsbeschränkung nicht als verjährt angesehen werden konnte, war eine Folge der Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben. Ob dieses Prinzip auch im vorliegenden Fall die Berücksichtigung von Umständen verlangt, die zu einem anderen Ergebnis führen, ist in Erwägung 3a/cc zu prüfen. Auch aus dem Urteil vom 22. September 1982 i.S. Aesch (ZBl 1983/84, S. 78 ff.) kann für die hier zur Entscheidung stehende Frage nichts abgeleitet werden. Die Gemeinde Aesch besass im Zeitpunkt des Inkrafttretens des eidgenössischen Gewässerschutzgesetzes am 1. Juli 1972 weder einen rechtsgültigen Zonenplan noch ein genehmigtes GKP. Die streitigen Grundstücke wurden erst mit dem Erlass des ersten Zonenplanes der Gemeinde definitiv nicht mehr überbaubar. Der Regierungsrat des Kantons St. Gallen weist allerdings darauf hin, dass trotzdem kein grundlegend rechtlicher Unterschied zwischen den beiden Fällen bestehe. Mit dem Inkrafttreten des Gewässerschutzgesetzes hätte auch im Fall Aesch keine Baubewilligung mehr erteilt werden dürfen, weil die Grundstücke nicht innerhalb ![]() | 11 |
bb) Der Beschwerdegegner macht in seiner Vernehmlassung zu Recht nicht geltend, er habe während der Verjährungsfrist keine Möglichkeit gehabt, seine Entschädigungsforderung gerichtlich durchzusetzen (vgl. dazu ANDRÉ GRISEL, a.a.O., S. 666; FRITZ ZWEIFEL, Zeitablauf als Untergangsgrund öffentlich-rechtlicher Ansprüche, Basel 1960, S. 47 f.). Indessen hat er in seinem Rekurs an den Regierungsrat des Kantons St. Gallen die Einrede erhoben, er habe mit seinem Rekurs vom 8. März 1973 an dieselbe Behörde die Verjährungsfrist unterbrochen. Obwohl sich der in diesem Rechtsmittel gestellte formelle Antrag lediglich auf das am 14. Juni 1972 eingereichte Baugesuch und die Einzonung bezogen habe, gehe doch aus der Begründung klar und deutlich hervor, dass er im Falle der Ablehnung seiner Anträge eine Entschädigung wegen materieller Enteignung geltend mache. Vor Bundesgericht hält er die Einrede in dieser Form nicht mehr aufrecht, sondern begnügt sich mit einem allgemeinen Hinweis auf die Möglichkeit, Verjährungsfristen zu unterbrechen.
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Die Verjährung von öffentlichrechtlichen Forderungen zum Nachteil des gegen das Gemeinwesen klagenden Bürgers ist nicht ![]() | 13 |
cc) Ein konkreter Fall kann Umstände aufweisen, denen im Rahmen des Rechtsinstituts der Verjährung zu wenig oder gar nicht Rechnung zu tragen ist. Hier kann der aus Art. 4 BV abgeleitete Grundsatz von Treu und Glauben für die Verwirklichung der gebotenen Gerechtigkeit sorgen, sei es als allgemeines Prinzip oder unter bestimmten Voraussetzungen in der qualifizierten Form des Vertrauensschutzes (vgl. dazu BGE 103 Ia 508 E. 1; JÖRG PAUL MÜLLER/STEFAN MÜLLER, Grundrechte, Besonderer Teil, Bern 1985, S. 222 ff.; ANDRÉ GRISEL, a.a.O., S. 388 ff.; ARTHUR HAEFLIGER, Alle Schweizer sind vor dem Gesetze gleich, Bern 1985, S. 218 ff.).
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Im Unterschied zum Fall in BGE 108 Ib 341 E. 5c war vorliegend klar, dass auch öffentlichrechtliche Forderungen einer Verjährung unterliegen. Der Beschwerdegegner musste also grundsätzlich mit einer solchen Möglichkeit rechnen. Der Gemeinderat von Eggersriet hat ihm in dieser Hinsicht auch nie irgendwelche Zusicherung abgegeben oder sonstwie ein Verhalten an den Tag gelegt, das geeignet gewesen wäre, in ihm ein Vertrauen auf den Fortbestand seiner Entschädigungsforderung hervorzurufen oder zu bestärken. Ebenso wenig hat er ihn von der Geltendmachung seiner Forderung abgehalten. Im Gegenteil, der Gemeinderat hatte bereits am 20. Februar 1973 das Baugesuch des Beschwerdegegners unter ausdrücklicher Berufung auf die am 1. Juli 1972 in Kraft getretenen planungsrechtlichen Bestimmungen des eidgenössischen Gewässerschutzgesetzes abgelehnt. Mit diesem Entscheid musste es dem Beschwerdegegner klar sein, dass er auf seinem Grundstück nur noch werde bauen können, wenn es in die Bauzone eingezont werden würde. Er hatte denn auch im Rekurs an den Regierungsrat einen entsprechenden Eventualantrag gestellt und gleichzeitig darauf hingewiesen, sollte er nicht bauen können, ![]() | 15 |
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