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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server, A. Tschentscher | |||
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50. Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 27. Oktober 1994 i.S. V. gegen Regierungsrat des Kantons St. Gallen (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | |
Regeste |
Anspruch auf Niederlassungsbewilligung österreichischer Staatsangehöriger aufgrund des Abkommens vom 14. September 1950 zwischen dem Schweizerischen Bundesrat und der österreichischen Bundesregierung betreffend zusätzliche Vereinbarungen über die Niederlassungsverhältnisse der beiderseitigen Staatsbürger. |
Österreichischen Staatsangehörigen ist nach einem ununterbrochenen und bewilligten Aufenthalt von zehn Jahren die Niederlassungsbewilligung zu erteilen, es sei denn, es liege ein Ausweisungsgrund im Sinne von Art. 10 Abs. 1 ANAG vor (E. 3). | |
Sachverhalt | |
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"Mit Ablauf der Bewilligung wird das Aufenthaltsverhältnis neu geregelt (Schuldentilgung; Geschäftsabschlüsse; Beschaffung von Arbeitsplätzen etc.)."
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Mit Urteil der Gerichtskommission Oberrheintal vom 16. April 1991 wurde V. wegen Zweckentfremdung von AHV-Beiträgen, begangen in den Jahren 1983 und 1984, mit Fr. 1'500.-- gebüsst.
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Am 20. September 1991 ersuchte V. um Erteilung einer Niederlassungsbewilligung. Die Fremdenpolizei behandelte das Gesuch als solches um Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung und wies es mit Verfügung vom 10. November 1992 unter Ansetzung einer Ausreisefrist ab.
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Gegen den Entscheid des Regierungsrats hat V. am 1. März 1994 Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht erhoben, mit dem Antrag, es sei ihm die Aufenthaltsbewilligung bzw. die Niederlassung zu erteilen.
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Der Regierungsrat beantragt, auf die Beschwerde nicht einzutreten, eventuell sie abzuweisen, während das Bundesamt für Ausländerfragen auf Gutheissung und Rückweisung der Sache an die Vorinstanz schliesst.
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2. a) Nun ist allerdings in der Literatur in Zweifel gezogen worden, ob der Bundesrat befugt sei, ohne Genehmigung durch das Parlament staatsvertraglich Ansprüche auf Niederlassungsbewilligung einzuräumen. Dabei wird insbesondere darauf hingewiesen, dass der Bundesrat mit dem Abschluss solcher Vereinbarungen in die gesetzlich festgelegte Kompetenzverteilung zwischen Bund und Kantonen eingreife und letzteren die Ermessensfreiheit gemäss Art. 4 ANAG nehme, wobei aber das Gesetz keine entsprechende Delegationsnorm zugunsten des Bundesrates enthalte (PETER KOTTUSCH, Die Niederlassungsbewilligung gemäss Art. 6 ANAG, ZBl 87/1986 S. 521 ff.; URBAIN LAMBERCY, La répartition des compétences entre ![]() | 9 |
b) Nach Art. 102 Ziff. 8 BV wahrt der Bundesrat die Interessen der Eidgenossenschaft nach aussen, wie namentlich ihre völkerrechtlichen Beziehungen, und besorgt die auswärtigen Angelegenheiten überhaupt. "Bündnisse und Verträge mit dem Ausland" fallen jedoch gemäss Art. 85 Ziff. 5 BV "in den Geschäftskreis beider Räte". Das bedeutet nicht, dass die Bundesversammlung bei sämtlichen von der Schweiz eingegangenen Verträgen mitzuwirken und diese zu genehmigen hätte. So fallen Verträge, welche für die Schweiz weder neue Pflichten begründen noch den Verzicht bestehender Rechte zur Folge haben, nicht in den Anwendungsbereich von Art. 85 Ziff. 5 BV (Mitteilung der Direktion für Völkerrecht und des Bundesamtes für Justiz nach zustimmender Kenntnisnahme durch den Bundesrat vom 14. Dezember 1987, in VPB 51/1987 Nr. 58 Ziff. 5 S. 375 ff.; JEAN MONNIER, Les principes et les règles constitutionnels de la politique étrangère suisse, ZSR 105/1986 II S. 221 ff.). Möglich ist sodann auch, dass der Bundesrat durch Landesrecht oder aufgrund eines von der Bundesversammlung genehmigten Staatsvertrags ermächtigt ist, in eigener Kompetenz Verträge abzuschliessen (Mitteilung, a.a.O., Ziff. 6 S. 377 ff.; MONNIER, a.a.O., S. 224 ff.).
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Aus dem Ingress des Abkommens vom 14. September 1950 zwischen dem Schweizerischen Bundesrat und der österreichischen Bundesregierung geht hervor, dass diese Vereinbarung "in Anwendung des Staatsvertrages zwischen der Schweiz und der österreichisch-ungarischen Monarchie vom 7. Dezember 1875" ergangen ist, welcher von der Bundesversammlung genehmigt worden war (SR 0.142.111.631). Dieser Niederlassungsvertrag enthält indessen keine Regelung darüber, unter welchen Voraussetzungen eine Niederlassungsbewilligung erteilt wird (vgl. zur beschränkten Tragweite der zum Teil sehr alten Niederlassungsverträge: BGE 119 IV 65 E. 1 S. 67 ff., ![]() | 11 |
c) Die völkerrechtlichen Regeln über das Vertragsrecht beruhen auf Gewohnheitsrecht, welches in der Wiener Konvention vom 23. Mai 1969 über das Recht der Verträge kodifiziert wurde (VRK; SR 0.111). Für die Schweiz ist diese Konvention, nach Genehmigung durch die Bundesversammlung am 15. Dezember 1989 und Hinterlegung der Beitrittsurkunde am 7. Mai 1990, am 6. Juni 1990 in Kraft getreten. Im vorliegenden Zusammenhang ist vorab Art. 46 VRK von Bedeutung. Danach kann sich ein Staat nicht darauf berufen, dass seine Zustimmung, durch einen Vertrag gebunden zu sein, unter Verletzung einer Bestimmung seines innerstaatlichen Rechts über die Zuständigkeit zum Abschluss von Verträgen ausgedrückt wurde und daher ungültig sei, sofern nicht die Verletzung offenkundig war und eine innerstaatliche Rechtsvorschrift von grundlegender Bedeutung betraf. Von einer ![]() | 12 |
3. a) Der Beschwerdeführer kann sich demnach auf einen staatsvertraglichen Anspruch auf Erteilung der Niederlassungsbewilligung berufen, weshalb die Verwaltungsgerichtsbeschwerde grundsätzlich zulässig ist. Im kantonalen Rekursverfahren hatte er freilich nur die Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung beantragt, nicht aber die Erteilung der Niederlassungsbewilligung verlangt und auch nicht beanstandet, dass sein Gesuch um Erteilung einer Niederlassungsbewilligung von der kantonalen Fremdenpolizei als ein solches um Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung behandelt worden war. Dementsprechend hat der Regierungsrat in seinem Entscheid nur geprüft, ob die Aufenthaltsbewilligung zu verlängern sei. Der Antrag auf Erteilung der Niederlassungsbewilligung hat demzufolge als neu zu gelten. Nun sind aber im Verfahren der Verwaltungsgerichtsbeschwerde neue Begehren grundsätzlich ausgeschlossen (BGE 104 Ib 307 E. 2d S. 314/315; BGE 103 Ib 366 E. 1a S. 368). Indessen könnte dem Beschwerdeführer, falls er aufgrund des Abkommens mit Österreich tatsächlich Anspruch auf Erteilung der Niederlassungsbewilligung hat, was als Rechtsfrage von Amtes ![]() | 13 |
b) Art. 1 des Abkommens vom 14. September 1950 gewährt österreichischen Staatsbürgern nach einem ununterbrochenen und ordnungsgemässen Aufenthalt von zehn Jahren in der Schweiz Anspruch auf Erteilung der Niederlassungsbewilligung. Dass der Beschwerdeführer seit mehr als zehn Jahren ununterbrochenen Aufenthalt in der Schweiz hat, ist bereits festgestellt worden. Ordnungsgemäss ist der Aufenthalt dann, wenn der Ausländer in dieser Zeit über eine Aufenthaltsbewilligung verfügt hat. Auch diese Voraussetzung ist vorliegend erfüllt. In der Rechtsprechung hat das Bundesgericht sodann wiederholt den Eindruck erweckt, zu einem ordnungsgemässen Aufenthalt gehöre zusätzlich auch, dass das persönliche Verhalten des Ausländers zu keinen Beanstandungen Anlass gegeben hat (BGE 116 Ib 113 E. 3 S. 116; BGE 101 Ib 225 E. 3b S. 227/28; BGE 97 I 530 E. 2a S. 534/35). Richtig ist zwar, dass die von der Schweiz im Ausländerrecht eingegangenen Staatsverträge die Anwendung landesrechtlicher Bestimmungen nicht hindern, welche aus Gründen polizeilichen Fehlverhaltens zu einer Bewilligungsverweigerung führen können. Das folgt aber nicht aus dem Erfordernis des ordnungsgemässen Aufenthalts, sondern liegt den Verträgen implizit zugrunde oder ist in anderen Vertragsbestimmungen gar ausdrücklich festgehalten. Art. 5 des hier massgeblichen Abkommens bestimmt, dass die gesetzlichen Vorschriften der beiden Vertragsstaaten über das Erlöschen und den Entzug der Niederlassungsbewilligung (bzw. für Österreich der "Aufenthaltserlaubnis") durch diese Vereinbarung nicht berührt werden. Die Niederlassungsbewilligung erlischt unter anderem, wenn gegen den Ausländer die Ausweisung verfügt wird. Ob dem Beschwerdeführer die Niederlassungsbewilligung zu erteilen oder aber zu verweigern sei, beurteilt sich folglich danach, ob er aus der Schweiz ausgewiesen werden könnte, was wiederum im Lichte der Ausweisungsgründe von Art. 10 ANAG zu beurteilen ist. Nicht massgebend sind dagegen die Gründe, welche nach den Vorschriften des ANAG zu einem Widerruf der Aufenthaltsbewilligung Anlass geben können (Art. 9 Abs. 2 ANAG). Der Beschwerdeführer hat grundsätzlich Anspruch auf Erteilung der Niederlassungsbewilligung; nur ein Verhalten, das die Ausweisung (Art. 10 ANAG) und damit das Erlöschen der ![]() | 14 |
c) Der Regierungsrat hat im angefochtenen Entscheid lediglich geprüft, ob dem Beschwerdeführer die Aufenthaltsbewilligung unter dem Gesichtswinkel des der kantonalen Behörde nach Art. 4 ANAG zustehenden freien Ermessens zu verlängern sei. Massgebend ist indessen, wie dargelegt, ob die Niederlassungsbewilligung verweigert werden kann, weil gegenüber dem Beschwerdeführer ein Ausweisungsgrund vorliegt. Dabei ist zu beachten, dass die Ausweisung nur zulässig ist, wenn sie nach den gesamten Umständen angemessen erscheint (Art. 11 Abs. 3 ANAG), was eine umfassende Interessenabwägung (vgl. die Kriterien von Art. 16 Abs. 3 ANAV) voraussetzt. Es ist indessen nicht Aufgabe des Bundesgerichts, darüber erstinstanzlich zu entscheiden, zumal das Ergebnis nicht auf der Hand liegt. Vielmehr ist der angefochtene Entscheid aufzuheben und die Sache an den Regierungsrat zurückzuweisen.
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