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14. Urteil vom 25. Mai 1966 i.S. Renold gegen Einwolmergemeinde Baden sowie Regierungsrat und Obergericht des Kantons Aargau. | |
Regeste |
Art. 4 BV; rechtliches Gehör. |
2. Verweigerung des rechtlichen Gehörs durch eine entgegen dem klaren Gesetzeswortlaut erfolgende Einschränkung der Überprüfungsbefugnis (Erw. 3c). | |
Sachverhalt | |
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"Art. 12 bis (Marginale "Anschlussgebühr für Altbauten").
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Im Hinblick auf die neue Kläranlage erhebt die Gemeinde für bestehende Liegenschaften eine Anschlussgebühr in der halben Höhe der Regelung von Art. 13.
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Art. 13 (Marginale "Anschlussgebühr").
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Für den Anschluss an die öffentliche Kanalisation erhebt die Gemeinde von den Eigentümern der anzuschliessenden Grundstücke eine einmalige Anschlussgebühr. Sie beträgt
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b) für Mehrfamilienhäuser 2 Prozent
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des ordentlichen Brandversicherungswertes mit der gesetzlichen Zusatzversicherung.
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Art. 17 (Marginale "Sonderfälle").
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Bei nicht reinen Wohnbauten sowie für Fabriken und gewerbliche Betriebe ist der Gemeinderat berechtigt, die Anschlussgebühr, den Baubeitrag und die Benützungsgebühr von Fall zu Fall festzusetzen."
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B.- Dr. Pierre Renold reichte am 1. Juli 1963 beim Bezirksamt Baden zuhanden der Direktion des Innern und des Regierungsrats gegen den erwähnten Beschluss der Einwohnergemeindeversammlung eine Beschwerde ein. Er stellte darin die Begehren, dem KRB sei die in § 37 des aargauischen Gesetzes über die Nutzung und den Schutz der öffentlichen Gewässer vom 22. März 1954 (GSG) vorbehaltene Genehmigung des Regierungsrats nicht zu erteilen und die Vorlage sei an den Gemeinderat von Baden zurückzuweisen, damit dieser die Art. 13 und 17 KRB neu fasse. Zur Begründung machte Dr. Renold geltend, es sei unzulässig, eine Anschlussgebühr auch für bereits an die Kanalisation angeschlossene Grundstücke zu erheben. Es gehe sodann nicht an, dem Gemeinderat für nicht reine Wohnbauten sowie für Fabriken und gewerbliche Betriebe eine "rahmenlose Blankovollmacht" zur Festsetzung der Anschlussgebühr zu erteilen. Die Art und Weise, wie die Einwohnergemeindeversammlung mit der zusätzlichen Fiskalbelastung bereits an die Kanalisation angeschlossener Grundstücke "überrumpelt" worden sei, verletze § 22 Abs. 2 des Gemeindeorganisationsgesetzes.
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Mit Entscheid vom 2. November 1964 trat die Direktion des Innern insoweit, als Bestimmungen des KRB beanstandet worden waren, auf die Beschwerde wegen Unzuständigkeit nicht ein, da diese Frage im Genehmigungsverfahren nach § 37 GSG vom Regierungsrat zu beurteilen sei. Dagegen wies sie die Beschwerde ab, soweit sich diese auf die Rüge der Verletzung von § 22 Abs. 2 des Gemeindeorganisationsgesetzes bezog.
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Eine gegen den genannten Abweisungsentscheid gerichtete Beschwerde Dr. Renolds wies der Regierungsrat mit Beschluss 3441 vom 17. Dezember 1964 ab. Mit dem am gleichen Tage gefassten Beschluss 3469 wies er "im Rahmen des Genehmigungsverfahrens" sodann auch die Beschwerde, die Dr. Renold ![]() | 13 |
"Gegen Beschlüsse über Entschädigungs-, Ausgleichs- und Enteignungsansprüche der Schätzungsbehörde und über letztinstanzliche Verfügungen und Entscheide der Verwaltungsbehörden, ausgenommen solche über Staatsbeiträge, steht den Beteiligten wegen Rechtsverletzung, Rechtsverweigerung oder Willkür innert 20 Tagen seit der Zustellung die Beschwerde beim Verwaltungsgericht offen."
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Gleichzeitig focht Dr. Renold den Beschluss 3441, "eventuell auch 3469" mit staatsrechtlicher Beschwerde beim Bundesgericht an. In ihrem Urteil vom 26. Mai 1965 trat die staatsrechtliche Kammer auf den Antrag, "eventuell" auch den Beschluss 3469 aufzuheben, nicht ein mit der Begründung, dieser Entscheid könne mit den selben Rügen an das Obergericht als Verwaltungsgericht weitergezogen werden; der Beschwerdeführer habe dies denn auch getan, und das entsprechende Verfahren sei noch hängig, weshalb der kantonale Instanzenzug nicht erschöpft sei. Den Antrag, den Beschluss 3441 aufzuheben, wies das Bundesgericht ab.
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In seinem Urteil vom 8. Oktober 1965 trat das Obergericht des Kantons Aargau auf die Beschwerde von Dr. Renold gegen den Beschluss 3469 des Regierungsrates nicht ein und auferlegte dem Beschwerdeführer eine Staatsgebühr von Fr. 300.--, die Auslagen von Fr. 50.- sowie die Parteikosten der Gemeinde Baden im Betrage von Fr. 967.--. Das Obergericht begründete seinen Entscheid im wesentlichen wie folgt: Der Beschwerdeführer fechte allgemein zwei Artikel des KRB an und verlange dem Sinne nach, dass die im Beschwerdeentscheid des Regierungrates stillschweigend enthaltene Genehmigung dieser Artikel wieder aufzuheben sei. Das aargauische Recht kenne aber keine Bestimmung, wonach beim Obergericht generelle Erlasse wegen Gesetz- oder Verfassungswidrigkeit angefochten werden könnten. Auch § 50 Abs. 1 GSG räume dem Obergericht keine solche Überprüfungsbefugnis ein. Die ![]() | 16 |
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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Die UrteileBGE 76 I 189undBGE 77 I 274, welche der Beschwerdeführer zur Begründung seines Standpunktes anruft, betreffen indessen (wie auchBGE 78 I 297) die Versäumnis der Rechtsmittelfrist infolge unrichtiger bzw. missverständlicher Rechtsmittelbelehrung. Im vorliegenden Fall aber geht es darum, ob entgegen der Belehrung überhaupt ein Rechtsmittel gegeben sei. Muss diese Frage verneint werden, so vermag die irrtümliche Rechtsmittelbelehrung dem Beschwerdeführer nicht zu einem in der Rechtsordnung nicht vorgesehenen Rechtsmittel zu verhelfen. Die sachliche Zuständigkeit der Rechtsmittelinstanz wird durch das Gesetz festgelegt; behördliche Erklärungen, wie Rechtsmittelbelehrungen, Rechtsauskünfte und dergleichen können an der gesetzlichen Zuständigkeitsordnung nichts ändern. Der Rechtsmittelrichter ist daher nicht verpflichtet, ein Rechtsmittel, für das die gesetzlichen Voraussetzungen nicht gegeben sind, entgegenzunehmen und materiell zu behandeln, bloss weil die Vorinstanz eine unrichtige Rechtsmittelbelehrung erteilt hat (nicht veröffentlichte Urteile vom 30. Oktober 1963 i.S. Consorzio Acquedotto di Camou, E. 3 c und vom 18. März 1964 i.S. Jaggi, E. 2). Umsoweniger ist er gehalten, auf Grund einer irrtümlichen Rechtsmittelbelehrung der unteren Instanz auf ein Rechtsmittel einzutreten, das es nach dem Gesetz überhaupt nicht gibt.
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b) Der Beschwerdeführer hat aber auch nicht direkt von Bundesrechts wegen einen Anspruch darauf, dass das Obergericht ein in der kantonalen Gesetzgebung nicht vorgesehenes ![]() | 20 |
Zwar macht der Beschwerdeführer unter Berufung auf BGE 85 I 202, IMBODEN (Schweiz. Verwaltungsrechtssprechung, 2. Aufl., Nr. 95, S. 342) und GIACOMETTI (Die Verfassungsgerichtsbarkeit des Schweiz. Bundesgerichts, S. 99) geltend, das Obergericht verkenne, dass er für den formellen Schutz seiner verfassungsmässigen Rechte nicht auf das noch weitgehend "embryonale" aargauische Verwaltungsgerichtsverfahren angewiesen sei, er vielmehr unmittelbar gestützt auf Art. 4 BV einen Anspruch auf rechtliches Gehör habe und verlangen könne, "dass nicht nur Einzelverfügungen der Rechtsanwendung, sondern auch generelle, abstrakte Normen auf ihre Übereinstimmung mit dem Grundsatz der Rechtsgleichheit überprüft werden". Allein auch aus den zitierten Stellen lässt sich eine Pflicht des Richters, auf ein vom Gesetz nicht vorgesehenes Rechtsmittel einzutreten, nicht herauslesen. GIACOMETTI befasst sich am angeführten Orte überhaupt nicht mit dem kantonalen Verfahren, sondern mit demjenigen der staatsrechtlichen Beschwerde. IMBODEN behandelt die Obliegenheit des kantonalen Richters, das kantonale Recht auf seine Übereinstimmung mit dem Bundesrecht hin zu überprüfen. BGE 85 I 202 schliesslich bezieht sich auf den aus Art. 4 BV fliessenden Anspruch einer Partei, von den Behörden angehört zu werden, bevor ihre durch einen Entscheid bestimmte Rechtsstellung zu ihrem Nachteil abgeändert wird.
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c) Sollte sich demnach die Rechtsmittelbelehrung des Regierungsrates und die Annahme des Bundesgerichts im Urteil vom 26. Mai 1965, wonach der kantonale Instanzenzug nicht erschöpft sei, als irrtümlich herausstellen, so wäre die Folge lediglich die, dass das Bundesgericht auf seinen Nichteintretensentscheid zurückkommen und gemäss Art. 35 OG Wiederherstellung gegen die Folgen der Versäumung der inzwischen abgelaufenen Frist für die Erhebung der staatsrechtlichen Beschwerde gegen den Beschluss 3469 des Regierungsrates erteilen müsste (BGE 85 II 147 /8).
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3. a) Bei § 50 GSG - einzig die Interpretation dieser Vorschrift durch das Obergericht steht vorliegend in Frage - ![]() | 23 |
b) § 50 Abs. 1 GSG lässt die Beschwerde wegen Rechtsverletzung, Rechtsverweigerung und Willkür an das Verwaltungsgericht zu gegen "letztinstanzliche Verfügungen und Entscheide der Verwaltungsbehörden". Eine Verfügung ist ein individueller, an den Einzelnen für einen bestimmten Fall gerichteter Hoheitsakt, durch den die Behörde den Betroffenen in definitiver, verbindlicher und erzwingbarer Weise zu einem Tun, Unterlassen oder Dulden verpflichtet (BGE 60 I 369,BGE 72 I 280,BGE 76 I 103E. 6; BIRCHMEIER, Handbuch des OG, S. 314; vgl. auch RUCK, Schweizerisches Verwaltungsrecht, I. Band, S. 82; GIACOMETTI, Die Verfassungsgerichtsbarkeit des Schweiz. Bundesgerichts, S. 97; derselbe, Allgemeine Lehren des rechtsstaatlichen Verwaltungsrechts, S. 349). Entscheide fallen nach dem Wortlaut von Art. 84 OG, wo sie in Klammer erwähnt sind, ebenfalls unter den Begriff der Verfügung, ebenso nach Art. 4 Abs. 1 lit. c in Verb. mit Art. 4 Abs. 2 des bundesrätlichen Entwurfs zu einem Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren (BBl 1965, S. 1377/8). Wenn § 50 Abs. 1 (wie auch § 49 Abs. 1) GSG von "Verfügungen und Entscheiden" spricht, so soll damit offensichtlich ausgedrückt werden, dass auch solche an den Einzelnen gerichtete Hoheitsakte mit der Beschwerde an das Verwaltungsgericht weitergezogen werden können, die in Beurteilung einer Einsprache oder Beschwerde ergangen sind. Dem Obergericht ist daher soweit zuzustimmen, dass sich die verwaltungsgerichtliche Beschwerde gemäss § 50 Abs. 1 GSG nicht unmittelbar gegen einen allgemein verbindlichen Erlass, wie z.B. ein Kanalisationsreglement, richten kann, da in diesem Fall das Angriffsobjekt weder eine Verfügung noch ein Entscheid im dargelegten Sinne ist. Das Obergericht übersieht indes, dass der Beschwerdeführer die Art. 12bis und 17 KRB beim Regierungsrat angefochten, der Regierungsrat diese Beschwerde materiell geprüft und sie mit Beschluss 3469 vom 17. Dezember 1964 abgewiesen hat. Wohl fällte die kantonale ![]() | 24 |
c) Liegt aber nach dem Gesagten ein Entscheid des Regierungsrates über die Frage der Rechtsgültigkeit der Art. 12bis und 17 KRB vor, der auf Einsprache oder Beschwerde des Beschwerdeführers hin ergangen ist, so waren an diesem Einsprache- oder Beschwerdeverfahren entgegen der Auffassung des Obergerichts nicht bloss die Gemeinde Baden und der Regierungsrat, sondern auch Dr. Renold "Beteiligte" im Sinne von § 50 Abs. 1 GSG. Für diesen Fall will das Obergericht die Verwaltungsgerichtsbeschwerde aber nur gegen Entscheide zulassen, die "Rechtsanwendungsakte" sind, nicht dagegen auch gegen solche, welche die Überprüfung genereller Normen auf ihre Rechtmässigkeit zum Gegenstand haben. Eine solche Einschränkung sieht § 50 Abs. 1 GSG indes nicht vor. Sie ergibt sich auch nicht aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen. Der Hinweis des Obergerichts auf GIACOMETTI (Allgemeine Lehren des rechtsstaatlichen Verwaltungsrechts, S.493/4) und GYGI/STUCKI (Handkommentar zum bernischen Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege, S. 74) hilft nicht. Der Beschwerdeführer hat beim Obergericht nicht unmittelbar Verwaltungsrechtssätze angefochten. Angriffsobjekt seiner Verwaltungsgerichtsbeschwerde war vielmehr ein einem Urteil vergleichbarer Entscheid des Regierungsrates über eine Einsprache oder Beschwerde, also ein Akt der Rechtspflege. Daran ändert nichts, dass der angefochtene Entscheid die Frage der Rechtsgültigkeit von zwei Bestimmungen des KRB beschlägt. § 50 Abs. 1 GSG schliesst die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ![]() | 25 |
d) Zwar will das Obergericht die Anfechtung von Art. 12bis und 17 KRB im Rahmen einer Verwaltungsgerichtsbeschwerde nach § 50 Abs. 1 GSG dann zulassen, wenn gestützt auf die beiden Bestimmungen eine Gebühr oder ein Beitrag erhoben worden ist, wobei es im Falle der Gutheissung der Beschwerde die angefochtenen Normen zwar nicht generell aufheben, jedoch ihre Anwendung im konkreten Fall versagen dürfe. Erlaubt indessen, wie ausgeführt, der Wortlaut von § 50 Abs. 1 GSG, bereits den Entscheid des Regierungsrates über die Beschwerde betreffend die Rechtsgültigkeit der streitigen Bestimmungen des KRB mit der verwaltungsgerichtlichen Beschwerde an das Obergericht weiterzuziehen, dann läuft es auf einen sachlich nicht begründeten, übertriebenen Formalismus hinaus, der einer formellen Rechtsverweigerung gleichkommt (vgl. BGE 81 I 118, BGE 85 I 209, BGE 86 I 10, BGE 87 I 9), und widerspricht überdies dem Gebot der Prozessökonomie, den Beschwerdeführer auf die Anfechtung künftiger Anwendungsverfügungen zu verweisen. Dabei müsste nämlich zunächst wiederum Beschwerde beim Regierungsrat geführt werden (obschon dieser bereits im jetzt angefochtenen Entscheid Stellung genommen hat). Erst dann läge ein "letztinstanzlicher" Entscheid im Sinne von § 50 Abs. 1 GSG vor, der beim Verwaltungsgericht anfechtbar wäre. Auf diese Weise könnte der Beschwerdeführer zudem die beanstandeten Bestimmungen des KRB als solche nicht mehr zu Fall bringen, sondern sich höchstens gegen ihre weitere Anwendung wehren. Demgegenüber hat das Obergericht im Rahmen seiner Überprüfung des Beschlusses 3469 des Regierungsrats die Möglichkeit, generell über die Rechtsbeständigkeit und künftige Anwendung der beiden angefochtenen Vorschriften zu befinden. Im Falle der Rechtswidrigkeit könnten diese ausgemerzt werden (wenn nicht durch das Obergericht selber, so doch auf Grund des obergerichtlichen Urteils durch den Regierungsrat). Damit wäre eine klare Rechtslage geschaffen, und es bliebe dem Beschwerdeführer (sowie gegebenenfalls weiteren Benützern der Kanalisation) die Anfechtung künftiger Anwendungsverfügungen erspart.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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