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44. Urteil vom 5. Oktober 1966 i.S. S. gegen Kanton Graubünden und Kantonale Steuerrekurskommission von Graubünden | |
Regeste |
Art. 4 BV; Beweislast im Steuerverfahren. | |
Sachverhalt | |
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Die kantonale Steuerrekurskommission hat die Beschwerde abgewiesen. Sie hat dazu ausgeführt, da die Sendung uneingeschrieben zugestellt worden sei, sei die Kreissteuerkommission nicht in der Lage, den "strikten Beweis" für ihre Behauptung, die Verfügung sei am 13. Dezember 1965 versandt worden, zu erbringen. Im Zweifel sei indessen zu vermuten, dass das in der Verfügung angegebene Mitteilungsdatum mit dem Datum der Postaufgabe übereinstimme. Es sei daher Sache des Steuerpflichtigen, nachzuweisen, dass die Sendung tatsächlich erst später aufgegeben worden sei, welchen Beweis er vermittels des Zustellungsumschlages ohne weiteres erbringen könne. Der Beschwerdeführer sei diesen Beweis schuldig geblieben; es sei darum davon auszugehen, dass die Veranlagungsverfügung tatsächlich ![]() | 2 |
Dr. S. führt hiergegen staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung des Art. 4 BV.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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Im vorliegenden Fall vernichtete eine Angestellte des Beschwerdeführers den Umschlag der uneingeschriebenen Sendung, der den Poststempel trug; es liess sich infolgedessen nicht mehr feststellen, wann die Veranlagungsverfügung der Post übergeben worden war. Es fragt sich, ob die Steuerverwaltung oder der Beschwerdeführer die Folgen dieser Beweislosigkeit zu tragen habe.
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2. Das Steuerveranlagungsverfahren ist von der Untersuchungsmaxime beherrscht: es ist darauf gerichtet, den wirklichen Sachverhalt zu ermitteln und daraus die gesetzlichen Rechtsfolgen zu ziehen (BOSSHARDT, Die neue zürcherische Einkommens- und Vermögenssteuer, S. 232). Das gilt nicht nur für die Einschätzung (Art. 123 Abs. 1 StG), sondern auch für das Einspracheverfahren: Gemäss Art. 135 Abs. 1 StG trifft die Veranlagungsbehörde auf Einsprache hin "von Amtes wegen alle erforderlichen Untersuchungsmassnahmen"; sie nimmt hierauf, "ohne an die Anträge des Einsprechers gebunden zu sein, eine neue Veranlagung vor, die den im Einspracheverfahren festgestellten Tatsachen entspricht". Ungeachtet der Bezeichnung der Einsprache als "Rechtsmittel" erscheint das Einspracheverfahren damit der Sache nach als Fortsetzung des Einschätzungsverfahrens. Dass in diesen Verfahren die Untersuchungsmaxime ![]() | 6 |
Das bündnerische Steuergesetz bestimmt in Art. 139 Abs. 1, dass "der Rekurrent ... die Beweislast für die Richtigkeit der im Rekursverfahren behaupteten Tatsachen" trägt. Die kantonale Steuerverwaltung hält dafür, dass diese Beweislastregel auch auf das Einspracheverfahren anwendbar sei. Hätte der Gesetzgeber das gewollt, so hätte er die in Art. 139 Abs. 1 enthaltene Regel aus den Bestimmungen über den Rekurs (Art. 136141) in diejenigen über die Einsprache (Art. 134, 135) versetzt. Die Übertragung des Art. 139 Abs. 1 StG auf das Einspracheverfahren lässt sich zudem auch der Sache nach nicht vertreten. Nach dem Gesagten bildet das Einspracheverfahren die Fortsetzung des Einschätzungsverfahrens. In diesem aber lässt sich die Beweislast nicht nach der Regel des Art. 139 Abs. 1 StG verteilen. Wenn diese Bestimmung dem Rekurrenten die Beweislast für die im Rekurs behaupteten Tatsachen auferlegt, so beruht das auf der Überlegung, dass es im Rekursverfahren um den Bestand eines Verwaltungsaktes gehe, dem eine umfassende Ermittlung vorausgegangen sei und der daher eine gewisse Vermutung der Rechtmässigkeit für sich habe (vgl. SCHNEIDER, In dubio pro libertate, in Hundert Jahre deutsches Rechtsleben, Bd. II, S. 275). Diese Erwägung trifft auf das Einschätzungsverfahren, worin die Veranlagungsbehörde den Sachverhalt erstmals - und ohne sich auf die Vorarbeiten anderer Behörden stützen zu können - abzuklären hat, nicht zu. Für das Einschätzungsverfahren und dessen Fortsetzung im Einspracheverfahren gilt vielmehr nach Lehre und Rechtsprechung der Grundsatz, dass die Steuerverwaltung die Beweislast für ![]() | 7 |
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Hinsichtlich der Fristen, die durch die Mitteilung einer Verfügung ausgelöst werden, können sich in zwei Beziehungen Beweisschwierigkeiten einstellen: es kann streitig werden, ob die Verfügung der Partei zugestellt wurde und wann das geschah. Der Beweis dafür, dass es überhaupt zur Zustellung der Verfügung kam, obliegt der Behörde, die allein in der Lage ist, sich den Beweis dafür zu sichern (ASA 27 S. 358; IMBODEN, a.a.O., Nr. 92 Ziff. IV mit Verweisungen). Wann die Zustellung erfolgte, kann insbesondere bei der uneingeschriebenen Versendung behördlicher Akte streitig werden. Wer in einem solchen Falle die Beweislast für den Beginn der Frist zur Anfechtung der Verfügung oder zur Vornahme der darin vorgeschriebenen Parteihandlung trägt, hangt nach den oben dargelegten Grundsätzen davon ab, ob der Versand des Aktes durch die Behörde oder der Empfang desselben durch die Partei die Frist auslöse:
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b) Anders verhält es sich, wenn der Versand der Verfügung durch die Behörde die Rechtsmittelfrist auslöst. Das bündnerische Verwaltungsrecht sieht das namentlich für den Rekurs an den Kleinen Rat (Art. 8 Abs. 2 VVV) und für die Einsprache gegen die Steuerveranlagungsverfügung (Art. 134 Abs. 2 StG) vor. Laut Art. 134 Abs. 2 StG beginnt die Einsprachefrist mit der "Mitteilung der Veranlagungsverfügung" zu laufen; bei Zustellung durch die Post gilt dabei "das Datum des Poststempels der Aufgabestelle" als Zeitpunkt der Mitteilung (Art. 8 Abs. 2 VVV). Da alle Postsachen mit dem Stempel der Aufgabestelle versehen sein müssen, ist der Einsprecher bei dieser Regelung auch dann in der Lage, zum Beweis der Rechtzeitigkeit der Einsprache den Beginn des Fristenlaufs zu belegen, wenn die Veranlagungsverfügung ihm uneingeschrieben zugestellt worden ist. Es besteht somit kein Anlass zu einer Umkehrung der Beweislast, sondern bleibt beim Grundsatz, wonach der Einsprecher als die Partei, die ein der Verwirkung unterliegendes Recht ausübt, die Beweislast für den Zeitpunkt des Fristbeginns trägt.
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4. Im vorliegenden Fall erhielt der Beschwerdeführer die Veranlagungsverfügung in einem Briefumschlag, der aller Wahrscheinlichkeit nach den Poststempel der Aufgabestelle trug und damit den Beweis für den Beginn der Einsprachefrist bildete. Die Bedeutung dieses Beweismittels war aus der Rechtsmittelbelehrung der Veranlagungsverfügung ersichtlich, die ausdrücklich ![]() | 12 |
Demnach erkennt das Bundesgericht:
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