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65. Urteil vom 13. Dezember 1967 i.S. Partei Freiheit und Rechte gegen den Grossen Rat des Kantons Luzern. | |
Regeste |
Stimmrecht. Grossratswahlen. Verweigerung des rechtlichen Gehörs. |
Prüfungsbefugnis des Bundesgerichts (Erw. 4 und 5). |
Einfluss der behaupteten Unregelmässigkeit auf das Wahlergebnis? (Erw. 4). |
Gutheissung der staatsrechtlichen Beschwerde und Aufhebung des Validierungsbeschlusses des Grossen Rates wegen ungenügender Untersuchung der im kantonalen Wahlrekurs aufgestellten Behauptungen |
- dass die Stadtkanzlei die ihr gelieferten Listen der beschwerdeführenden Partei an die Urnenlokale hätte verteilen sollen (Erw. 6); |
- dass den Vertretern der beschwerdeführenden Partei verweigert worden sei, ihre Listen in den Urnenlokalen aufzulegen (Erw. 7). | |
Sachverhalt | |
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a) Als Stimmzettel kann der Wähler eine von privater Seite herausgegebene, gedruckte Kandidatenliste benützen oder den amtlichen Wahlzettel, der die erforderlichen Zeilen für das handschriftliche Eintragen so vieler Kandidaten enthält, als zu wählen sind (§ 14 Abs. 1 GWG; §§ 48 Abs. 1 und 48a Abs. 2 WAG).
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§ 52a. Nach Anzeichnung des Namens im Stimmregister übergibt das Urnenbüro dem Stimmenden bei Abstimmungen den Stimmzettel und bei Wahlen das Stimmkuvert.
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Bei Wahlen sind amtliche Stimmzettel und von privater Seite zur Verfügung gestellte Kandidatenlisten im Urnenlokal so aufzulegen, dass sich die Stimmenden unkontrolliert bedienen können.
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§ 53. Nach vollzogener Stimmabgabe hat der Stimmberechtigte das Urnenlokal sofort zu verlassen; der Wiedereintritt ist ihm untersagt.
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Am 14. März 1967 erliess das Justizdepartement des Kantons Luzern ein Kreisschreiben an die Urnenbüros, worin es zur Erläuterung der §§ 52a und 53 WAG folgendes ausführte:
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Auflage der Stimmzettel bei Wahlen 8 Entgegen der bisherigen Regelung sind bei Wahlen die amtlichen Stimmzettel sowie die von privater Seite (Parteien usw.) dem Urnenbüro zur Verfügung gestellten Kandidatenlisten im Urnenlokal so aufzulegen, dass sich die Stimmenden unkontrolliert bedienen können (§ 52a Abs. 2 WAG). Hiezu sind geeignete Kästchen erforderlich, die sich in einer Art Nische befinden. Amtliche Stimmzettel und Kandidatenlisten können auch in den Nischen, wo der Stimmende den Stimmzettel ausfüllt, aufgelegt werden.
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9 Die Mitglieder des Urnenbüros haben das im Urnenlokal aufgelegte Wahlmaterial zu überwachen und dafür zu sorgen, dass stets amtliche Stimmzettel und Kandidatenlisten zur unkontrollierten Bedienung der Stimmenden zur Verfügung stehen.
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10 Es hat den Gemeinderat auch darauf aufmerksam zu machen, wenn die Einrichtungen des Urnenbüros nicht eine unkontrollierte Stimmabgabe ermöglichen.
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Zutritt zum Urnenlokal
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21 Der Zutritt zum Urnenlokal ist neben den aufgebotenen Urnenbüromitgliedern und Personen, die in amtlicher Funktion dort zu tun haben, nur dem Stimmberechtigten zum Zwecke der Stimmabgabe erlaubt. Nach vollzogener Stimmabgabe hat der Stimmberechtigte das Urnenlokal sofort zu verlassen; der Wiedereintritt ist ihm untersagt (§ 53 WAG).
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Verbot jeglicher Beeinflussung
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22 Im Urnenlokal ist jede Propaganda verboten. Den Urnenbüros ist jede Beeinflussung der Stimmberechtigten untersagt. Der geringste Verstoss gegen diesen Grundsatz kann die Kassation der Wahl oder Abstimmung und unter Umständen die Bestrafung des fehlbaren Büromitglieds zur Folge haben.
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23 Die Auflage der Kandidatenlisten im Urnenlokal gemäss § 52a Abs. 2 WAG (Ziff. 8-10) darf keinesfalls zu einer Beeinflussung der Stimmenden führen. Die amtlichen Stimmzettel und die dem Urnenbüro von privater Seite zur Verfügung gestellten Kandidatenlisten sind so aufzulegen, dass der Stimmende sie sämtliche sofort überblicken kann. Es dürfen nicht einzelne Kandidatenlisten besser plaziert und andere fast "versteckt" werden.
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b) Die Grundsätze über die Verteilung der Grossratsmandate auf Grund der eingelegten Wahllisten (§§ 22 ff. WAG) stimmen im wesentlichen mit den in den Art. 17 ff. des BG vom 14. Februar 1919 betreffend die Wahl des Nationalrates enthaltenen Vorschriften überein. Als Besonderheit ist festzuhalten, dass eine Partei bei der Verteilung der Restmandate ausser Betracht fällt, wenn ihre Parteistimmenzahl nicht wenigstens 75% der Wahlzahl (vorläufigen Verteilungszahl)
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beträgt (§ 23 Ziff. 5 Abs. 2 GWG).
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c) Über Einsprüche gegen die Grossratswahlen entscheidet der Grosse Rat, wobei er den Regierungsrat oder besondere Kommissionen mit der näheren Untersuchung beauftragen kann (§ 39 Abs. 1 WAG, 32 Abs. 2 und 33 Abs. 2 GWG). Massgebend sind folgende Bestimmungen:
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§ 39 Abs. 2 WAG. Die angefochtene Wahl oder Abstimmung ist ganz oder teilweise aufzuheben, wenn Rechtsverletzungen festgestellt werden, die auf das Ergebnis von Einfluss waren.
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§ 33 Abs. 1 GWG. Der Grosse Rat bestätigt die Wahlurkunden, wenn sie den Gesetzen gemäss sind. Er erklärt sie ganz oder teilweise als ungültig, wenn wesentliche Unregelmässigkeiten bei einer Wahlverhandlung stattgefunden haben. Soweit die Ungültigerklärung eine neue Wahlverhandlung notwendig macht, beauftragt er den Regierungsrat mit deren Anordnung.
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B.- Die Parteien der Stadt Luzern liessen früher die Kandidatenlisten vor den Urnenlokalen durch eigene Leute verteilen. Seit dem Jahre 1959 legten sie die Listen vor dem Urnenlokal in einem gemeinsamen Fächerkasten auf und liessen diesen durch einen von ihnen bezahlten Securitasmann bewachen und nötigenfalls nachfüllen.
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Für die erstmals nach dem revidierten § 52a WAG durchgeführten Grossratswahlen vom 6./7. Mai 1967 liess die Stadtkanzlei Luzern in den 16 Urnenlokalen des Wahlkreises Luzern-Stadt Listenkisten aufstellen, die zur Auflegung der Listen für die Wähler bestimmt und - zum Schutz des Wahlge heimnisses - mit Seitenwänden versehen waren; ferner liess sie den Ordnungsdienst in und vor den Urnenlokalen wie schon früher durch Angehörige des städtischen Polizeikorps, die sog. Bezirkschefs oder Quartiermeister, besorgen. In den Urnenlokalen des Wahlkreises Luzern-Land wurden die Listen auf Tischen, in Mappen, Schachteln, Nischen oder auf andere Weise aufgelegt.
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Am 3. April 1967 richtete die Stadtkanzlei Luzern an die 7 Parteien, die Kandidatenlisten aufgestellt hatten, darunter auch an die neue "Partei für Freiheit und Rechte" (Partei F + R), folgendes Schreiben:
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Allgemeine Erneuerungswahlen 1967
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Listenkasten vor und in den Stimmlokalen
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Gemäss § 52 a WAG, Fassung 1966, sind amtliche Stimmzettel und von privater Seite zur Verfügung gestellte Kandidatenlisten im Urnenlokal so aufzulegen, dass sich die Stimmenden unkontrolliert bedienen können.
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Bei den Ersatzwahlen in das Amtsgericht bzw. den Grossen Bürgerrat vom 26. Februar 1967 ist die Stadtkanzlei dieser neuen Gesetzesbestimmung nachgekommen und hat die Stimmzettel im ordentlichen Listenkasten in den Stimmlokalen auflegen lassen. Bekanntlich hat sich aber die Neuerung in dieser Form nicht bewährt, indem eine grosse Anzahl Stimmender die aufgelegten Listen ![]() | 29 |
Mit Eingabe vom 8. März 1967 hat der Stadtrat das Justizdepartement auf die Schwierigkeiten bei der strikten Einhaltung der Gesetzesbestimmung aufmerksam gemacht, ohne indessen eine Lockerung erreichen zu können. Nachdem jedoch der gleichzeitigen Auflage der Parteilisten vor und im Stimmlokal nichts im Wege steht, haben wir inskünftig folgende Lösung getroffen:
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1. Vor dem Stimmlokal gelangt wie bisher der übliche Listenkasten mit allen Partei- bzw. privaten Kandidatenlisten zur Aufstellung.
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2. Im Stimmlokal selbst wird in einer Ecke zusätzlich eine Listenkiste aufgestellt, in der sich in geringer Anzahl ebenfalls alle Listen (wie vor dem Lokal) und dazu die amtliche Blanko-Wahlliste befinden. In der Praxis dürften 98 % der Stimmenden beim Eintritt ins Wahllokal bereits im Besitz ihrer Wahlliste sein, währenddem die restlichen sich unkontrolliert mit einem Stimmzettel aus der Listenkiste noch im Wahllokal bedienen können.
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Bewachung der Listenkasten vor den Stimmlokalen
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Bei den Proporzwahlen 1959 und 1963 hat die Stadtkanzlei im Auftrag der politischen Parteien die Listenkasten durch einen Securitasmann bewachen lassen und ihnen am Ende des Wahljahres für die Kosten anteilsmässig Rechnung gestellt. Um unsern Auftrag auch dieses Jahr an die Securitas AG rechtzeitig erteilen zu können, müssen wir Sie bitten, uns bis 15. April 1967 wissen zu lassen, ob die Listenkasten auch diesmal bewacht werden sollen oder nicht. Im bejahenden Fall wären die Parteilisten jeweils an die Securitas AG, Hirschmattstrasse 25, zu liefern, und zwar für jedes der 16 Kreis-Wahlbüros getrennt verpackt und etikettiert, unter Angabe des Kreises und des Wahllokals. Für die Vorurnen (Mittwoch in der Kantonsschule und Samstag im Bahnhof) dagegen sind die Listen an die Stadtkanzlei zu liefern.
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Weil sich die Bewachung in der bisherigen Form in jeder Hinsicht bewährt hat, empfehlen wir sie auch für das laufende Wahljahr.
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Während die übrigen 6 Parteien sich für die vorgeschlagene Bewachung der Listenkasten durch Securitasmänner aussprachen, erklärte die Partei F + R der Stadtkanzlei, sie sei nicht im Stande, die ihr hieraus erwachsenden Kosten zu übernehmen. In dem vor jedem Urnenlokal aufgelegten Listenkasten waren daher nur die Kandidatenlisten der 6 übrigen Parteien aufgelegt. Was mit den Listen der Partei F + R geschah, ist teilweise umstritten und bildet den Gegenstand des vorliegenden Rechts streits.
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C.- Bei den Wahlen im Wahlkreis Luzern-Stadt wurden 14'278 gültige Stimmzettel abgegeben, davon 165 für die Partei F + R; 90 Stimmzettel waren ungültig, 336 leer. Die Wahlzahl ![]() | 37 |
Im Wahlkreis Luzern-Land wurden 14'082 gültige Stimmzettel abgegeben, davon 52 für die Partei F + R; 98 Stimmzettel waren ungültig, 115 leer. Die Wahlzahl betrug 392 und das Quorum 294. Die Partei F + R unterschritt somit das Quorum um 242 Stimmen. Das einzige Restmandat entfiel auf eine Partei, die einen Stimmrest von 208 aufwies.
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D.- Am 12. Mai 1967 reichten Roman Stalder als Präsident der Partei F + R und Johann Dahinden beim kantonalen Justizdepartement eine Wahleinsprache ein, mit der sie die Wahlen in den Bezirken Luzern-Stadt und Luzern-Land beanstandeten. Sie beklagten sich über eine Benachteiligung ihrer Partei und machten geltend:
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a) Obwohl sie der Stadtkanzlei Luzern fristgemäss für jedes Urnenbüro je 200 Listen zum Auflegen für die Wähler zugestellt hätten, seien diese Listen nach einer Auskunft von Adjunkt Reinhard am Samstag 6. Mai um 19 Uhr noch nicht auf die Urnenlokale verteilt gewesen, sondern noch auf der Stadtkanzlei gelegen.
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b) Als die Vertreter der Partei F + R hierauf versucht hätten, die Listen selber in den Urnenbüros aufzulegen, hätten ihnen dies Securitas und Quartiermeister unter Berufung auf eine Weisung der Stadtkanzlei verweigert. Erst ca. eine Stunde vor Urnenschluss habe die Stadtkanzlei die Bewilligung erteilt und die Quartiermeister angewiesen, auch die Listen der Partei F + R aufzulegen.
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c) Bei der Frühurne im Bahnhof Luzern seien die Herren Zimmermann und Stalder von Quartiermeister Roth aus dem Wahllokal gejagt worden, und im Urnenlokal VBL habe Roth erklärt, laut Weisung der Stadtkanzlei dürfe die Liste der Partei F + R nicht aufgelegt werden. Dasselbe sei den Herren Stalder und Fräger am Sonntag um 12 Uhr im Urnenlokal zur Schneidern passiert, als sie dort Wahlzettel auflegen wollten.
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d) In den Wahlbüros des Wahlkreises Luzern-Land seien die Listen der Partei F + R samt den Schachteln beseitigt worden.
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e) Durch dieses Vorgehen sei den Bürgern verunmöglicht worden, für die Partei F + R zu stimmen. Da diese bis auf 13 ![]() | 44 |
E.- Das Justizdepartement traf zur Untersuchung dieser Einsprache folgende Massnahmen:
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a) Es holte einen Bericht des Stadtrates von Luzern ein. Darin wurde ausgeführt, dass die Stadtkanzlei zwar die Listenkasten in und wie bisher auch vor den Urnenlokalen aufgestellt habe, dass sie aber mit der Lieferung der Kandidatenlisten an die Urnenbüros nichts zu tun gehabt habe. Während die übrigen Parteien sich für die Abmachung mit der Securitas entschieden hätten, sei mit der Partei F + R vereinbart worden, dass diese eigene Listenverteiler ausserhalb der Urnenlokale aufstelle. Adjunkt Reinhard habe am 5. Mai alle Bezirkschefs über die Listenauflage vor und im Urnenlokal eingehend aufgeklärt und sie dabei angewiesen, für das Ein- und Nachfüllen der Listenkasten im Urnenlokal besorgt zu sein und die dafür erforderlichen Listen vor dem Urnenlokal von der Securitas bzw. vom Verteiler der Partei F + R zu beziehen. Ferner sei die Securitas darauf aufmerksam gemacht worden, dass die Partei F + R den Kasten vor dem Urnenlokal nicht benutzen dürfe, dafür aber eigene Verteiler aufstellen werde. Entgegen der getroffenen Abmachung habe aber die Partei F + R nicht vor allen Urnenlokalen Verteiler aufgestellt, sondern teilweise versucht, unbefugt den Listenkasten mitzubenutzen, was ihr verweigert worden sei. Sie habe es ferner unterlassen, den Urnenbüros die Kandidatenlisten zu liefern, so dass die Bezirkschefs keine oder nicht genügend Listen dieser Partei zur Verfügung hatten für die Versorgung der Listenkisten in den Urnenlokalen. Es sei nicht Sache der Stadtkanzlei gewesen, die ihr von der Partei F + R ohne irgend welche Bemerkung gelieferten Listen an die Urnenbüros weiterzuleiten.
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b) Der in der Einsprache namentlich erwähnte Bezirkschef Walter Roth wurde vom Sekretär des Justizdepartements einvernommen. Nach seinen Angaben stand an der Frühurne im Bahnhof eine mit allen Kandidatenlisten, auch solchen der Partei F + R, versehene Kiste zur Verfügung; Oskar Zimmermann und ein Begleiter, die im Urnenlokal Listen zu verteilen versuchten, seien weggewiesen worden mit der Bemerkung, ![]() | 47 |
c) An alle 18 Gemeindekanzleien des Wahlkreises Luzern-Land wurde ein Fragebogen geschickt, der über die Auflegung der Liste der Partei F + R Auskunft verlangte. Aus den Antworten ergibt sich, dass Kandidatenlisten dieser Partei in 6 Gemeinden überhaupt nicht, in andern mit Verspätung geliefert wurden und dort, wo sie eingingen, ordnungsgemäss aufgelegt waren; die Behauptung der Partei F + R, ihre Listen seien mit den Schachteln beseitigt worden, wurde von den Gemeinden teils ausdrücklich, teils durch die Schilderungen des Wahlvorgangs zurückgewiesen.
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Auf Grund dieses Untersuchungsergebnisses erstattete der Regierungsrat dem Grossen Rat am 22. Mai 1967 einlässlich Bericht. Eine von den Fraktionspräsidenten aus bisherigen, wiedergewählten Mitgliedern bestellte Kommission behandelte diesen Bericht am 26. Mai 1967 in einer Sitzung und beschloss einstimmig, dem Grossen Rat Abweisung der Wahleinsprache und Genehmigung der Wahlen zu beantragen. Der Grosse Rat folgte diesem Antrag am 29. Mai 1967 und teilte dies der Partei F + R mit Schreiben vom 9. Juni 1967 unter Beilage des regierungsrätlichen Berichts vom 22. Mai 1967 mit.
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F.- Mit Eingaben vom 21. und 22. Juni 1967 haben J. Dahinden und R. Stalder im Auftrag der Partei F + R staatsrechtliche Beschwerde erhoben. Sie rügen eine Verletzung der §§ 36 Abs. 1 und 2, 48 Abs. 1, 50 Abs. 1 und 2 und 52a Abs. 2 WAG und bringen zur Begründung vor: Die Kandidatenlisten der Beschwerdeführerin seien in den Urnenbüros auf Weisung der Stadtkanzlei nicht zugelassen worden, so dass die Stimmbürger ![]() | 50 |
G.- Der Grosse Rat des Kantons Luzern beantragt Abweisung der Beschwerde, soweit sie den Wahlkreis Luzern-Stadt betrifft, und Nichteintreten, eventuell Abweisung betreffend den Wahlkreis Luzern-Land. Seine Ausführungen sind, soweit wesentlich, aus den nachstehenden Erwägungen ersichtlich.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
1./3. - (Prozessuales. Soweit die Beschwerde den Wahlkreis Luzern-Land betrifft, wird darauf mangels genügender Begründung nicht eingetreten.)
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Sofern die Kandidatenlisten der Beschwerdeführerin nicht gemäss § 52a WAG in den Urnenlokalen aufgelegt gewesen sein sollten, war dadurch an sich kein einziger Wähler verhindert, sein Stimmrecht unbeeinflusst auszuüben. Der Wähler kann eine der ihm ins Haus gesandten oder vor dem Urnenlokal verteilten Listen einlegen oder aber den im Urnenlokal aufliegenden amtlichen Wahlzettel ausfüllen. Trotzdem kann nicht gesagt werden, die Auflage der Kandidatenlisten diene nur der Bequemlichkeit der Wähler und sei ohne Einfluss auf die Stimmabgabe. Die Erfahrungen, und zwar gerade auch im Kanton Luzern, beweisen das Gegenteil. Obwohl der Stimmbürger das Recht, den amtlichen Stimmzettel auszufüllen, schon früher hatte, beschloss der Grosse Rat bei der Revision des WAG von 1966, es seien in den Urnenlokalen auch die Kandidatenlisten aufzulegen. Diese Neuerung hatte, wie der Grosse Rat in der Beschwerdeantwort (S. 3) selbst ausführt, u.a. den Zweck, dem Bürger, der seine Kandidatenlisten vergessen hatte, das umständliche handschriftliche Ausfüllen der amtlichen "Blankoliste" zu ersparen. Wie stark mindestens gegenwärtig die Gewohnheit der Wähler ist, mit der gedruckten Liste zu wählen und dann, wenn sie diese nicht vor oder in dem Urnenlokal vorfinden, eher leer einzulegen als einen amtlichen Wahlzettel von Hand auszufüllen, zeigte sich am 26. Februar 1967 bei den Bürgerratswahlen der Stadt Luzern; weil damals vor den Urnenlokalen keine Kandidatenlisten verteilt und die in den Lokalen aufgelegten Listen von vielen Wählern übersehen wurden, ergab sich eine ungewöhnlich grosse Zahl leerer Stimmen, ![]() | 55 |
Hiegegen vermag auch die Berufung des Grossen Rates auf § 39 Abs. 2 WAG nicht aufzukommen, wonach eine Wahl nur zu kassieren ist, wenn die festgestellten Rechtsverletzungen "auf das Ergebnis von Einfluss waren". Einmal ist fraglich, ob danach der Nachweis eines Einflusses auf das Ergebnis erforderlich ist und ob dies bundesrechtlich haltbar wäre. Sodann ist auf die Grossratswahlen nicht § 39 Abs. 2 WAG anwendbar, sondern, als später erlassene Sonderbestimmung (vgl. § 38 GWG), § 33 Abs. 1 GWG, wonach die Wahl zu kassieren ist, wenn "wesentliche Unregelmässigkeiten bei einer Wahlverhandlung stattgefunden haben". Unregelmässigkeiten sind aber nicht nur dann wesentlich, wenn sie das Wahlergebnis nachweisbar beeinflusst haben, sondern schon dann, wenn sie es beeinflusst haben können. Unbehelflich ist schliesslich auch der Einwand des Grossen Rates, der Regierungsrat habe festgestellt, dass die Beschwerdeführerin auch bei dauernder Auflage ihrer Liste kein Mandat erobert hätte, und diese tatsächliche Feststellung sei für das Bundesgericht verbindlich. Die angebliche "Feststellung" ist eine von mehreren möglichen Hypothesen. Festgestellt ist lediglich die Anzahl der auf die einzelnen Parteien entfallenden gültigen sowie der ungültigen und der leeren Stimmen. Dem Entscheid darüber, ob die ![]() | 56 |
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6. Die Beschwerdeführerin hat in der Wahleinsprache in erster Linie beanstandet, dass die der Stadtkanzlei zugestellten Kandidatenlisten der Partei F+ R (je 200 für jedes Urnenbüro) am Samstag 6. Mai um 19 Uhr noch nicht auf die Urnenbüros verteilt gewesen, sondern noch auf der Stadtkanzlei gelegen seien. Dass es sich so verhielt, wurde von den kantonalen ![]() | 58 |
Nach § 52a WAG sind im Urnenlokal neben den amtlichen Stimmzetteln auch die "von privater Seite zur Verfügung gestellten Kandidatenlisten aufzulegen". Wem und wie diese Listen zur Verfügung zu stellen sind, sagt die Bestimmung nicht. Ebenso wenig ist dies, entgegen der Behauptung des Regierungsrates, dem Schreiben der Stadtkanzlei an die Parteien vom 3. April 1967 zu entnehmen. Wenn dort eingangs erwähnt wird, bei den Wahlen vom 26. Februar 1967 habe "die Stadtkanzlei... die Stimmzettel... in den Stimmlokalen auflegen lassen", so kann dies sowohl heissen, sie habe die Auflegung gestattet, als auch, sie habe die Auflegung durch eigene Organe angeordnet. Für die bevorstehenden Grossratswahlen vom 6./7. Mai 1967 aber ordnet das Schreiben nichts an hinsichtlich der in den Urnenlokalen aufzulegenden Listen; es heisst dort lediglich, die Listen zur Verteilung vor den Urnenlokalen seien an die Securitas AG, diejenigen für die Vorurnen dagegen an die Stadtkanzlei zu liefern.
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Angesichts dieser Lückenhaftigkeit der gesetzlichen Regelung und der Anordnungen im Schreiben der Stadtkanzlei ist es verständlich, dass die Beschwerdeführerin ihre für die Auflegung in den Urnenbüros bestimmten Listen an die Stadtkanzlei lieferte in der Meinung, diese werde sie an die einzelnen Lokale verteilen. Wenn die Stadtkanzlei diese Verteilung nicht vornahm, so kann ihr zwar keine Rechtsverletzung vorgeworfen werden, da es an einer Vorschrift fehlt, die sie dazu verpflichtet hätte. Dagegen konnte sie, wenn ihr, wie in der Wahleinsprache behauptet wurde, fristgemäss (d.h. einige Tage vor den Wahlen) für jedes Urnenbüro je 200 Listen, d.h. 16 x 200 - 3200 Listen zugestellt wurden, nicht wohl annehmen, diese vielen Listen seien für die Vorurnen bestimmt. Vielmehr fragt sich ernstlich, ob die Stadtkanzlei nicht hätte erkennen können und sollen, dass die Listenbündel für die Auflegung in den Urnenlokalen bestimmt waren, und ob es ihr nicht nach Treu ![]() | 60 |
Die Beschwerdeführerin behauptet, Adjunkt Reinhart auf der Stadtkanzlei habe deutlich erklärt, dass die Listen für die Wahlbüros in die Stadtkanzlei gebracht werden müssten, und zwar für jedes Wahlbüro gebündelt und angeschrieben. Ob diese erstmals in der staatsrechtlichen Beschwerde aufgestellte tatsächliche Behauptung gehört werden kann (wozu vgl. nicht veröffentl. Urteil vom 26. Februar 1964 i.S. Carron c. Genève, Conseil d'Etat S. 9), kann dahingestellt bleiben, da der Vorwurf der mangelhaften Untersuchung sich nach dem Gesagten schon dann als begründet erweist, wenn lediglich die in der Wahleinsprache enthaltenen Vorbringen der Beschwerdeführerin berücksichtigt werden. Der Grosse Rat dürfte indes gut tun, auch diese Behauptung der Beschwerdeführerin auf ihre Richtigkeit zu prüfen.
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Auch dieser Vorwurf, zu dem der vom Justizdepartement eingeholte Bericht des Stadtrates nicht Stellung nahm, ist ungenügend untersucht worden. Das Justizdepartement begnügte sich mit der Einvernahme eines einzigen Bezirkschefs, Walter Roth. Dass es dessen Aussagen als glaubwürdig betrachtete und insoweit das Vorliegen einer wesentlichen Unregelmässigkeit ![]() | 63 |
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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