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20. Urteil vom 21. Februar 1968 i.S. Keller gegen Einwohnergemeinde Münchenstein und Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft. | |
Regeste |
Eigentumsgarantie. Art. 88 und 90 OG. |
Legitimation des Bürgers, vorfrageweise eine Verletzung der Gemeindeautonomie geltend zu machen (Erw. 3). |
Zulässigkeit neuer rechtlicher Vorbringen? (Erw. 5). |
2. Eigentumsgarantie. |
a) Gesetzliche Grundlage für die Einteilung eines Grundstücks in eine Zone für öffentliche Werke und Anlagen im Kt. BaselLandschaft (Erw. 6). |
b) Öffentliches Interesse. |
Das Bundesgericht prüft grundsätzlich frei, ob das öffentliche Interesse einen Eingriff in das Privateigentum rechtfertigt und schwerer wiegt als das Interesse des betroffenen Grundeigentümers(Änderung der Rechtsprechung); dabei übt es aber Zurückhaltung, soweit örtliche Verhältnisse zu würdigen sind oder sich ausgesprochene Ermessensfragen stellen (Erw. 7 a). |
Abwägung des in einem zukünftigen, unsichern Bedürfnis nach Inanspruchnahme eines Grundstücks für die Erweiterung einer öffentlichen Anstalt bestehenden öffentlichen Interesses mit dem entgegenstehenden privaten Interesse (Erw. 7 b). | |
Sachverhalt | |
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B.- Am 24. März/5. April 1966 beschloss die Einwohnergemeindeversammlung von Münchenstein, den bisherigen Zonenplan und das Zonenreglement aufzuheben und neue Zonenvorschriften, bestehend aus Zonenplan, Legende, Ergänzungsbestimmungen und kantonalen Zonenreglements-Normalien, zu erlassen. Im Zonenplan wurde die für die Motorfahrzeugprüfstation vorgesehene Parzelle Nr. 2288 samt der nördlich angrenzenden Parzelle Nr. 2290 und einem Teil der südlich angrenzenden Parzelle Nr. 2287 der "Zone für öffentliche Werke und Anlagen" zugewiesen. Diese beiden Grundstücke wurden auf Wunsch des Regierungsrates in die Zone einbezogen als Reserve für eine allfällige spätere Erweiterung der geplanten Motorfahrzeugprüfstation. Die Parzelle Nr. 2290 hat eine Fläche von 36 a, lag nach dem alten Zonenplan in der Industrie- und Gewerbezone und ist Eigentum der Geschwister Keller, die in Basel unter der Firma Keller AG ein Autotaxiunternehmen sowie ein Möbeltransport- und Möbellagerhausgeschäft betreiben. Das Transport- und Lagerhausgeschäft befindet sich etwa 950 m von der Parzelle Nr. 2290 entfernt auf dem Gebiet der Stadt Basel.
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Nachdem die Zonenvorschriften vom 1. Juli 1966 an öffentlich ![]() | 3 |
Der Gemeinderat, der die Einsprache vorläufig zu prüfen hatte, fragte die Polizeidirektion des Kantons Basel-Landschaft sowie das Polizeidepartement des Kantons Basel-Stadt an, ob die Parzelle Nr. 2290 tatsächlich für eine eventuelle spätere Erweiterung der Motorfahrzeugprüfstation benötigt werde.
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Das Polizeidepartement des Kantons Basel-Stadt gab dem Gemeinderat mit Schreiben vom 7. Oktober 1966 bekannt, dass die (aus Vertretern beider Kantone zusammengesetzte) Fachkommission für die Motorfahrzeugprüfstation die Frage geprüft und sich dazu wie folgt geäussert habe:
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"Die Fachkommission ist von Anfang an von der Auffassung ausgegangen, dass das Projekt für die Prüfstation als geschlossenes Bauvolumen zu konzipieren ist, ohne räumliche Erweiterungsreserven. Eine Leistungsreserve ist in den Rationalisierungsmöglichkeiten des Betriebes gegeben, durch welche eine Mehrkapazität erreicht werden kann.
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Wenn die Zahl der Motorfahrzeuge noch weiter ansteigen sollte, so soll, entsprechend den Erfahrungen im Ausland, an einer andern Örtlichkeit eine zweite Anlage erstellt werden.
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Die Nachbarparzellen 2287 und 2290 werden somit als Erweiterungsreserve für die Motorfahrzeugprüfstation nicht benötigt."
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Die Polizeidirektion des Kantons Basel-Landschaft liess den Gemeinderat am 13. Oktober 1966 wissen, dass die Frage so wichtig sei, dass sie dem Regierungsrat zum Entscheid unterbreitet werde.
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Darauf leitete der Gemeinderat am 25. Oktober 1966 die Einsprache der Eigentümer der Parzelle Nr. 2290 an den Regierungsrat weiter.
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Dieser wies durch Beschlüsse vom 21. März 1967 sämtliche Einsprachen gegen die neuen Zonenvorschriften ab und ![]() | 11 |
C.- Mit der staatsrechtlichen Beschwerde beantragen die Geschwister Keller, den Beschluss des Regierungsrates vom 21. März 1967 insoweit aufzuheben, als er die Parzelle Nr. 2290 betreffe. Sie machen Verletzung des Art. 4 BV, der Eigentumsgarantie und der Gemeindeautonomie geltend und erheben im wesentlichen folgende Rügen:
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a) Die Zuweisung der Parzelle Nr. 2290 in eine Zone für öffentliche Werke und Anlagen sei unzulässig, weil es an der erforderlichen gesetzlichen Grundlage für eine solche Zone fehle.
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b) Da die Notwendigkeit einer Erweiterung der (erst geplanten) Motorfahrzeugprüfstation höchst unsicher sei, fehle ein öffentliches Interesse an der Einbeziehung der Parzelle Nr. 2290 in die Zone für öffentliche Werke und Anlagen. Anderseits sei es für die Beschwerdeführer von eminenter wirtschaftlicher Bedeutung, die Parzelle für den Geschäftsbetrieb der Firma Keller AG zu behalten. Der angefochtene Entscheid beruhe nicht auf einer vertretbaren Abwägung der öffentlichen und privaten Interessen.
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c) Der angefochtene Entscheid verletze auch die Gemeindeautonomie.
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D.- Der Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft beantragt Abweisung der Beschwerde.
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Die Gemeinde Münchenstein hat sich zur Beschwerde nicht vernehmen lassen.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
1./2. - (Prozessuales).
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3. Die Beschwerdeführer werfen dem Regierungsrat eine Verletzung der Gemeindeautonomie vor. Zu dieser Rüge sind sie befugt, da der einzelne Bürger legitimiert ist, eine Verletzung der Gemeindeautonomie vorfrageweise geltend zu machen, wenn er wegen Verletzung anderer verfassungsmässiger Rechte Beschwerde führt (BGE 91 I 412 Erw. 2). Dagegen ist die Rüge ![]() | 19 |
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5. Der Einwand, es fehle die gesetzliche Grundlage für die Schaffung einer Zone für öffentliche Werke und Anlagen, wird erstmals in der staatsrechtlichen Beschwerde erhoben. Doch sind neue rechtliche Vorbringen bei Beschwerden, welche die Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges voraussetzen, jedenfalls dann grundsätzlich zulässig, wenn die letzte kantonale Instanz freie Kognition besass und das Recht von Amtes wegen anzuwenden hatte; eine Ausnahme gilt nur für Beschwerden wegen Willkür und solche, bei denen die Rüge, eine andere Verfassungsbestimmung sei verletzt, mit derjenigen der Willkür zusammenfällt (BGE 73 I 51Erw. 2, BGE 90 I 148 /9). Im vorliegenden Falle sind jene Voraussetzungen erfüllt und liegt diese Ausnahme nicht vor. Die von den Beschwerdeführern erhobene Rüge der Verletzung der Eigentumsgarantie ist, wie sich aus den nachstehenden Erwägungen ergibt, vom Bundesgericht frei zu prüfen, fällt also nicht mit der Willkürrüge zusammen. Sodann überprüft der Regierungsrat, wie er im Eingang des angefochtenen ![]() | 21 |
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Das Bundesgericht hat diese Frage bereits im Urteil vom 17. Oktober 1962 i.S. Brodtbeck AG c. Stadtgemeinde Liestal bejaht. Dort ging es um einen Zonenplan, durch den ein Grundstück in eine solche Zone einbezogen wurde, um es für die geplante Kantonsschule zu reservieren. Das Bundesgericht nahm an, es sei zum mindesten zweifelhaft, ob § 59 Abs. 3 des Baugesetzes (BauG), der den Inhalt des Zonenplans umschreibt, eine genügende Grundlage für die Schaffung einer Zone für öffentliche Werke und Anlagen abgebe. Doch erkläre der Regierungsrat, nach seiner ständigen Praxis könne der Zonenplan auch Elemente eines Bebauungsplans enthalten, und nach den für diesen geltenden Bestimmungen in § 59 Abs. 1 und § 70 BauG sei es zulässig, im Bebauungsplan Boden für solche Zwecke zu reservieren. Dieser Auffassung pflichtete das Bundesgericht bei, da nach § 70 BauG im Bebauungsplan Grundflächen allgemein für "öffentliche Werke" ausgeschieden werden können und darunter nicht nur "öffentliche Anlagen" im engern Sinne, sondern auch Bauten wie Schulhäuser und dergleichen angesehen werden können. Von dieser Rechtsprechung abzuweichen, besteht umso weniger Anlass, als die vorliegende Beschwerde, wie sich aus den nachstehenden ![]() | 23 |
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a) Da der Regierungsrat in der Beschwerdeantwort den Standpunkt einnimmt, das Bundesgericht habe im vorliegenden Falle nur unter dem beschränkten Gesichtswinkel der Willkür zu prüfen, ob das öffentliche Interesse genüge, ist zunächst der Umfang der Überprüfungsbefugnis des Bundesgerichts zu bestimmen.
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Das Bundesgericht hat in langjähriger Rechtsprechung angenommen, der Begriff des öffentlichen Interesses sei so unbestimmt und schwanke so sehr nach Ort und Zeit, dass der kantonalen Behörde ein weites Ermessen gelassen werden müsse; das Bundesgericht schreite nur ein, wenn es klar sei, dass von einem öffentlichen Interesse nicht die Rede sein könne, es prüfe die Auffassung der kantonalen Behörde nur unter dem Gesichtswinkel der Willkür (BGE 57 I 385Erw. 1 und dort angeführte frühere Urteile; BGE 84 I 173). Diese Beschränkung der Überprüfungsbefugnis ist in der Rechtslehre immer wieder kritisiert worden (H. HUBER, Die Garantie der individuellen Verfassungsrechte, ZSR 1936 S. 88 a; M. IMBODEN, Der Schutz der Eigentumsgarantie, Festschrift für Fritzsche 1952, S. 50/51; F. GYGI, Über die Eigentumsgarantie, MBVR 55/1957 S. 262/3; H. HUBER, Öffentlichrechtliche Gewährleistung, Beschränkung und Inanspruchnahme des Eigentums, im Sammelwerk "Staat und Privateigentum" 1960 S. 100/101). Das Bundesgericht hat dieser Kritik, ohne darauf Bezug zu nehmen, insofern Rechnung getragen, als es seit 1962 die Frage des öffentlichen Interesses frei überprüfte, wenn es im wesentlichen um eine Rechtsfrage ging, dagegen nur auf Willkür, wenn die tatsächlichen Verhältnisse im Vordergrund standen (BGE 88 I 252, 294; BGE 89 I 196, 461; BGE 90 I 357 /8, BGE 91 I 335). Dass die Unterscheidung von Rechts- und Tatfrage als Kriterium für den Umfang der Überprüfungsbefugnis nicht recht zu befriedigen vermag, zeigt BGE 88 I 294, wo inbezug auf das Bedürfnis nach einem im Quartierplan einer ![]() | 26 |
Das Bundesgericht ist bei der Auslegung und Anwendung von Verfassungsrecht, das dem Bürger ein Individualrecht gewährleistet, grundsätzlich frei. Das gilt für das Verfassungsrecht der Kantone (BGE 90 I 239 Erw. 3) und muss erst recht für das des Bundes gelten, dem die Eigentumsgarantie angehört. Inwieweit das Bundesgericht bei Beschwerden wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte an tatsächliche Feststellungen der kantonalen Behörden gebunden ist (wozu vgl. BGE 88 I 22 Erw. 5 und dort angeführte frühere Urteile), braucht hier nicht geprüft zu werden. Beim Entscheid darüber, ob ein aus dem Gesichtspunkt der Eigentumsgarantie hinreichendes öffentliches Interesse vorliege, geht es zunächst nicht um tatsächliche Feststellungen; der Begriff des öffentlichen Interesses ist nach der neuern Rechtslehre (F. GYGI und H. HUBER a.a.O. und dort zit. Autoren) ein sogenannter unbestimmter Rechtsbegriff (vgl. BGE 91 I 75). Ob ein öffentliches Interesse den streitigen Eingriff in das Eigentum (Enteignung oder Eigentumsbeschränkung) rechtfertige, ist daher eine Rechtsfrage, die vom Bundesgericht grundsätzlich frei zu prüfen ist. Keiner Beschränkung unterliegt insbesondere die Prüfung der Frage, ob das geltend gemachte Interesse seiner Art und seinem Gewicht nach den streitigen Eingriff rechtfertige (vgl. BGE 88 I 252 Erw. 2), wie auch die Frage, ob dieses Interesse schwerer wiege als das entgegenstehende private Interesse. Soweit dagegen örtliche Verhältnisse, denen die kantonalen Behörden näher stehen, zu würdigen sind oder sich ausgesprochene Ermessensfragen stellen, wäre eine völlig freie Überprüfung mit der Aufgabe des Staatsgerichtshofs nicht zu vereinbaren. So wird das Bundesgericht die ihm schon wiederholt unterbreitete Frage, ob eine durch überbautes Gebiet führende Strasse im Hinblick auf die Sicherheit der Fussgänger beidseitig oder nur einseitig und gegebenenfalls auf welcher Seite mit einem Trottoir zu versehen sei (nicht veröffentlichte Urteile vom 10. Juli 1963 i.S. Bühlmann c. Gemeinde St. Margrethen und vom 9. März 1966 i.S. Haene ![]() | 27 |
b) An der Errichtung der Prüfstation für Motorfahrzeuge auf der Parzelle Nr. 2288 besteht, wie sich aus BGE 91 I 425 Erw. 3 ergibt und unbestritten ist, ein öffentliches Interesse. Das nördlich angrenzende Grundstück Nr. 2290 der Beschwerdeführer wurde in die Zone für öffentliche Werke und Anlagen einbezogen, um Land für eine allfällige spätere Erweiterung der Prüfstation sicherzustellen.
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Das öffentliche Interesse an der Belegung eines privaten Grundstücks mit einem Bauverbot kann auch in einem zukünftigen Bedürfnis des Gemeinwesens bestehen, doch muss es sich dabei um ein Bedürfnis handeln, das vom Gemeinwesen genau anzugeben und dessen Eintritt mit einiger Sicherheit zu erwarten ist (vgl. BGE 88 I 295 /6). Nun ist die Prüfstation auf der Parzelle Nr. 2288 noch nicht erstellt, sondern erst geplant. Es ist anzunehmen, dass sie so ausgestaltet und eingerichtet wird, dass sie für eine gewisse Zeit ihre Aufgabe erfüllen kann. Angesichts der noch immer zunehmenden Zahl der Motorfahrzeuge ist es freilich sehr wohl möglich, dass sie nach einiger Zeit sich als zu klein erweist oder aus andern Gründen nicht mehr genügt. Für eine dann in Frage kommende Erweiterung sieht der Regierungsrat auch das Grundstück der Beschwerdeführer vor.
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Demgegenüber ist es durchaus glaubhaft, dass die Beschwerdeführer ein sehr grosses Interesse daran haben, ihr Grundstück für ihr in der Nähe betriebenes Transport- und Lagergeschäft zu benutzen und, wegen der Bodenknappheit in diesem Gebiet, als Landreserve zu behalten. Der Regierungsrat hat denn auch ihre Ausführungen über ihre Interessen nicht bestritten. Er scheint anzunehmen, ein öffentliches Interesse verdiene in jedem ![]() | 31 |
Sollte die Fachkommission ihre bestimmt geäusserte Auffassung über die Gestaltung der Prüfstation vor dem Beginn des Baus oder während desselben ändern und eine allfällige Erweiterung auf dem Land der Beschwerdeführer als geboten erachten, so haben die Behörden noch immer die Möglichkeit, das Grundstück der Beschwerdeführer zu enteignen.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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