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54. Urteil der II. Zivilabteilung vom 3. Juni 1971 i.S. Dal-Bosco und Walther gegen Bern, Regierungsrat. | |
Regeste |
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen einen Entscheid der kantonalen Aufsichtsbehörde in Zivilstandssachen. Zulässigkeit dieses Rechtsmittels (Art. 97, 98 lit. g OG; Erw. 1). |
Zivilstandsregister. Eintragung ins Familienregister der im Ausland (Dänemark) erfolgten Eheschliessung zwischen einer Schweizerin und einem in der Schweiz geschiedenen Italiener (Art. 137 Abs. 1 ZStV; Art. 7c Abs. 1 NAG; Änderung der Rechtsprechung; Erw. 3-12). Stellung der Kinder aus einer solchen Ehe (Art. 8 NAG; Erw. 12 a.E.). Bewilligung der Eheschliessung eines geschiedenen Italieners in der Schweiz? (Art. 168 ZStV; Art. 1 ff. des Haager Abkommens zur Regelung des Geltungsbereichs der Gesetze auf dem Gebiete der Eheschliessung vom 12. Juni 1902; Erw. 13). | |
Sachverhalt | |
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B.- Am 22. April 1969 übermittelte Rosmarie Ruth Walther die dänische Heiratsurkunde dem Amt für den Zivilstandsdienst bei der Polizeidirektion des Kantons Bern und ersuchte um die Bewilligung zur Eintragung der neuen Ehe ins Familienregister der Gemeinde Lajoux. Das Amt wies dieses Gesuch am 20. Mai 1970 unter Hinweis auf den Entscheid des Bundesgerichts vom 11. November 1954 i.S. Caliaro (BGE 80 I 427 ff.) ab. Der Regierungsrat des Kantons Bern, bei dem Frau Walther Beschwerde führte, entschied am 11. August 1970 im gleichen Sinne, ![]() | 2 |
C.- Gegen den Entscheid des Regierungsrates haben Dal Bosco und Frau Walther beim Bundesgericht Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingereicht mit dem Antrag, ihre in Tondern geschlossene Ehe sei anzuerkennen und es sei deren Eintragung in das Familienregister von Lajoux anzuordnen.
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Der Regierungsrat hat auf Bemerkungen zu dieser Beschwerde verzichtet. Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement enthält sich in seiner Vernehmlassung vom 20. November 1970 eines förmlichen Antrags, drückt aber die Hoffnung aus, dass eine neue Rechtsprechung des Bundesgerichts die Kantone zu einer Vereinheitlichung ihrer (gegenwärtig zersplitterten) Praxis bewegen möge.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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Durch den angefochtenen Entscheid, der das Eintragungsgesuch von Frau Walther ablehnt, wird nur diese selbst, nicht auch Dal Bosco, im Sinne von Art. 103 lit. a OG "berührt" bzw. beschwert. Dal Bosco hat an der Eintragung der Ehe ins Familienregister der Heimatgemeinde von Frau Walther auf jeden ![]() | 7 |
Die Frage, ob die in Dänemark geschlossene Ehe ins Familienregister von Lajoux einzutragen oder ob dieser Ehe die Anerkennung in der Schweiz zu versagen und die von Frau Walther verlangte Eintragung aus diesem Grunde abzulehnen sei, ist im vorliegenden Verfahren umfassend zu prüfen. Die Beteiligten können in einem solchen Falle nicht darauf verwiesen werden, die sich stellenden Fragen des internationalen Privatrechts vorerst durch den Zivilrichter entscheiden zu lassen (vgl. BGE 80 I 430 E. 2 am Ende; vgl. auch BGE 94 I 235 ff., wo die Frage der Anerkennung und Eintragung eines in Schweden ergangenen Scheidungsurteils auf eine Verwaltungsgerichtsbeschwerde hin umfassend geprüft wurde).
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Es ist unbestritten, dass die Eheschliessung, auf welche sich die vorliegende dänische Heiratsurkunde bezieht, vor einer nach dänischem Recht zuständigen Behörde und in der vom dänischen Recht vorgeschriebenen Form stattgefunden hat und dass sie nach dänischem Recht, wie in der Urkunde bescheinigt wird ("mit voller bürgerlicher Gültigkeit die Ehe miteinander geschlossen"), auch materiell gültig ist.
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Für die Anerkennung dieser Eheschliessung in der Schweiz ist entgegen der Auffassung, die Frau Walther in ihrer Beschwerde an den Regierungsrat vertreten hat, nicht von Bedeutung, dass der Bürgermeister von Tondern das Ehevorhaben der Beschwerdeführer zwei Monate vor der Trauung durch eine Bekanntmachung in einer bernischen Tageszeitung ("Der Bund" vom 16. Februar 1969) "zur allgemeinen Kenntnis" brachte mit dem ![]() | 11 |
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b) Diese Entscheidung hat VAUCHER (ZSR 1967 II 548 ff.) gebilligt. Andere Autoren haben sie dagegen aus mannigfachen Gründen und zum Teil mit scharfen Worten abgelehnt (LALIVE: Schweiz. Jahrbuch für internationales Recht = SJb 1956 S. 243 f.; "Le mariage des étrangers en droit international privé suisse", Zeitschrift für Zivilstandswesen = ZZw 1961 S. 391 ff., 392; LACHENAL: "Le droit applicable aux mariages mixtes célébrés à l'étranger", SJb 1957 S. 33 ff.; "De quelques jurisprudences récentes en droit international privé", Mémoires publiés par la faculté de droit de Genève, no. 15, 1962, Première Journée juridique - 27 mai 1961, S. 93 ff., 103 ff.; LOUIS-LUCAS: "Qualification et répartition", Revue critique de droit international privé = Revue critique 1957 S. 153 ff., 172 f.; VISCHER: "Mariage mixte und Ehescheidung im internationalen Privatrecht der Schweiz", Jus et Lex, Festgabe Max Gutzwiller 1959, S. 413 ff.; SJb 1968 S. 126; "Der ordre public im Familienrecht", ZZw 1969 S. 324 ff., 328 f. und - in französicher Übersetzung - ZZw 1970 S. 33 ff., 37 f.; "Internationales Privatrecht", Schweiz. Privatrecht I, 1969, S. 598 f.; VON OVERBECK: ZSR 1967 II 724; "Die Wiederverheiratung des nach schweizerischem Rechte geschiedenen Angehörigen eines Staates, der keine Ehescheidung anerkennt", ZZw 1967 S.
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LALIVE bezeichnet die Lösung des Bundesgerichts als unbefriedigend und findet, sie schaffe ebensoviele Konflikte, wie sie solche verhindern wolle. LACHENAL neigt zu der von STAUFFER (N. 1 und 5 zu Art. 7 c, N. 10 zu Art. 7 f NAG) und BECK (N. 1, 2 zu Art. 7 c, N. 8 ff. und 59 zu Art. 7 f NAG) vertretenen, in BGE 80 I 431 E. 5 abgelehnten Auffassung, Art. 7 c NAG gelte nur für die Eheschliessung in der Schweiz, während Art. 7 f Abs. 1 NAG, wonach eine im Ausland nach dem dort geltenden Recht geschlossene Ehe in der Schweiz grundsätzlich anerkannt wird, nicht nur auf Ehen zwischen Schweizern, sondern auch auf solche zwischen Ausländern oder doch auf solche zwischen einem schweizerischen und einem ausländischen Partner anzuwenden sei. Er betrachtet zudem als widersprüchlich, dass die schweizerischen Behörden bei der Scheidung national gemischter Ehen im Interesse der schweizerischen Ehefrau über das Heimatrecht des ausländischen Ehemannes hinwegschreiten, bei der Eheschliessung dagegen auf dieses Recht Rücksicht nehmen, selbst wenn die zweite Frau wiederum eine Schweizerin ist. LOUIS-LUCAS hält dafür, der Scheidungsstaat müsse auf Grund des rechtskräftigen Scheidungsurteils, das die Ehe hinsichtlich dieses Staates für beide Teile vollständig aufhebe, notwendigerweise beiden Teilen die Wiederverheiratung erlauben. VISCHER behauptet vor allem, das Bundesgericht habe verkannt, "dass die Ehe eine soziale Tatsache von objektiver Existenz ist, welche, wenigstens vom Gesichtspunkt eines einzigen Rechtes aus, mit Bezug auf die beiden Gatten nur bestehen kann oder nicht"; die von einem inländischen Gericht ausgesprochene Scheidung müsse für beide Gatten die gleichen Wirkungen haben. Er wirft dem Bundesgericht in ZZw 1969 S. 328 und ZZw 1970 S. 38 geradezu "Zynismus" vor, weil es in BGE 80 I 436 erklärte, es verstosse nicht gegen den schweizerischen ordre public, dass Italien die in der Schweiz geschiedene ![]() | 17 |
Unter den das Bundesgericht kritisierenden Lehrmeinungen zitiert VON OVERBECK wiederholt (ZZw 1967 S. 349 FN 2, Revue critique 1970 S. 54 FN 2) die Bemerkung von FRANCESCAKIS: "C'est là une particularité du droit suisse qui heurte passablement les idées reçues dans les autres pays du continent ![]() | 18 |
c) Die Praxis der kantonalen Aufsichtsbehörden ist, wie schon angedeutet, nicht einheitlich. Die Vernehmlassung des Eidg. Justiz- und Polizeidepartements erwähnt, dass nach den bisherigen Feststellungen des Eidg. Amtes für das Zivilstandswesen die Aufsichtsbehörden von sieben Kantonen die Eintragung von im Ausland erfolgten Eheschliessungen in der Schweiz geschiedener Italiener bereits bewilligt haben und dass nach dem Ergebnis einer vom genannten Amt im November 1970 durchgeführten telephonischen Umfrage die Aufsichtsbehörden fast aller Kantone bereit oder doch geneigt sind, eine solche Eheschliessung einzutragen. Bei der gleichen Umfrage ergab sich überdies, dass die Aufsichtsbehörden von neun Kantonen der Regierung ihres Kantons wahrscheinlich empfehlen werden, auf Grund von Art. 168 ZStV die Wiederverheiratung solcher Italiener in der Schweiz zu erlauben (vgl. hiezu auch den Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über seine Geschäftsführung im Jahre 1969, S. 90 Ziff. 4, wonach immer mehr Kantonsregierungen solche Bewilligungen erteilen, und den Bericht von GÖTZ in ZZw 1969 S. 180 f., wonach die Aufsichtsbehörde des Kantons Basel-Stadt am 14. März 1968 im Falle Grigolo eine solche Bewilligung erteilt hat).
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d) In der deutschen Rechtsprechung und Lehre bestehen ![]() | 20 |
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Mit Bezug auf in Dänemark geschlossene Ehen, denen nach dem Heimatrecht des einen Partners das Hindernis der Doppelehe entgegensteht, haben in den letzten Jahren einzelne deutsche Gerichte entschieden, solche Ehen seien in Deutschland als ![]() | 22 |
e) Für das österreichische Recht vertritt HOYER ("Zur Frage der Wiederverehelichung im Inland geschiedener Ausländer", Österreichische Juristenzeitung 1965 S. 617 ff.) die Auffassung, die Versuche seien misslungen, den Gesetzesbefehl des § 6 Abs. 1 der Vierten Durchführungsverordnung zum Ehegesetz (der inhaltlich mit Art. 13 Abs. 1 des deutschen EG übereinstimmt) für den Fall der inländischen Scheidung eines Ausländers im Sinne der Wirkung des Scheidungsurteils einzuschränken, d.h. das inländische Scheidungsurteil als stärker anzusehen als die Verweisungsnorm des § 6 Abs. 1 der erwähnten Verordnung.
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f) In Frankreich (wo das Eheschliessungsabkommen von 1902 seit dem 1. Juni 1914 nicht mehr gilt; vgl. BS 11 799) wird seit dem Urteil des Tribunal de la Seine vom 17. März 1948 i.S. Sciachi (Revue critique 1948 S. 112 ff., mit Besprechung von NIBOYET) angenommen, dass ein in Frankreich geschiedener Ausländer wieder heiraten kann, selbst wenn sein Heimatstaat die Scheidung nicht anerkennt (J. ET J. FOYER in Répertoire Dalloz de droit international, Band I 1968, Artikel Divorce, N. 172; BATIFFOL/LAGARDE, Droit international privé, 5. Aufl., Band II 1971, N. 453 S. 80 f. mit Fussnote 86). Im erwähnten Urteil wird diese Lösung vor allem damit begründet, dass das rechtskräftige französische Scheidungsurteil das Eheband für das französische Recht "de façon nécessairement indivisible" hinsichtlich beider Ehegatten beseitige. BATIFFOL/LAGARDE nehmen (S. 80) an, diese Lösung werde durch den ordre public geboten.
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g) In England, wo seinerzeit die Ehe Caliaro-Wydler geschlossen worden war, wird heute die Wiederverheiratung eines in der Schweiz geschiedenen Italieners, der wie seine Verlobte in der Schweiz Wohnsitz hat und sich nur zum Zwecke der Eheschliessung vorübergehend nach England begeben hat, nicht mehr zugelassen, weil die Eheschliessung in der Schweiz als Wohnsitzstaat nicht zulässig sei und weil dort die in England ![]() | 25 |
h) Der Entwurf eines Haager Abkommens über die Anerkennung von Scheidungen und Trennungen vom Oktober 1968, das die (von der Schweiz schon 1928 gekündigte) Haager Scheidungskonvention von 1902 ersetzen soll, sieht in Art. 11 vor:
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"Un Etat, tenu de reconnaître un divorce par application de la présente Convention, ne peut pas interdire le remariage à l'un ou l'autre époux au motif que la loi d'un autre Etat ne reconnaît pas ce divorce".
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(Vgl. hiezu VISCHER, SJb 1968 S. 126, und VON OVERBECK, Revue critique 1970 S. 48 ff., der darauf hinweist, dass diese Bestimmung die Wiederverheiratung im Scheidungsstaate nicht erfasst, dass aber die Ratifikation des Abkommens von einer entsprechenden Änderung des inländischen Rechts begleitet sein sollte.)
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6. Die dargestellte Kritik der Lehre am Entscheide Caliaro und an ähnlichen deutschen Entscheiden sowie die aufgezeigten Entwicklungstendenzen der Praxis der kantonalen Aufsichtsbehörden und der ausländischen Praxis wie auch des Staatsvertragsrechts rechtfertigen eine neue Prüfung der im Falle Caliaro beurteilten Frage, ob die im Ausland erfolgte Eheschliessung eines in der Schweiz geschiedenen Italieners in der Schweiz anzuerkennen und ins Zivilstandsregister einzutragen sei. Diese Frage ist nicht etwa dadurch gegenstandslos geworden, dass Italien durch Gesetz vom 1. Dezember 1970 (Gazzetta Ufficiale della Repubblica Italiana 1970 S. 8046 ff.) die Ehescheidung eingeführt hat. Abgesehen davon, dass dieses Gesetz noch der Gefahr der Aufhebung durch ein Referendum ausgesetzt ist (vgl. PADIRAC, "Les aspects constitutionnels du problème de l'introduction du divorce en Italie", Revue du droit public et de la science politique en France et à l'étranger 1971 S. 387 ff., 443 ff.), weiss man nicht, ob und allenfalls unter welchen Voraussetzungen Italien nunmehr eine in der Schweiz ausgesprochene Scheidung eines italienischen Staatsangehörigen anerkennt. Es ist daher nicht sicher, dass der im italienischen Recht liegende Grund, der im Falle Caliaro zur Nichtanerkennung ![]() | 29 |
8. Der Anregung von LACHENAL, bei der Beurteilung der materiellen Gültigkeit einer im Ausland erfolgten Eheschliessung ![]() | 30 |
9. Zu Unrecht glaubt VON OVERBECK, Art. 7 c NAG lasse sich mit der Begründung ausschalten, die Nichtanerkennung ausländischer Scheidungsurteile betreffend Italiener durch Italien beruhe nicht auf einem Ehehindernis des internen italienischen Rechts, sondern aufeiner Regel des internationalen Zivilprozessrechts, die nach Art. 7 c NAG nicht zu berücksichtigen sei (Erw. 5b hievor). Das italienische Eherecht fordert ![]() | 31 |
Der eben genannte Zweck von Art. 7 c NAG steht nicht nur der eben besprochenen Auffassung VON OVERBECKS, sondern auch der Auffassung entgegen, diese Bestimmung verweise nur auf die abstrakten Regeln des Heimatrechts über Ehefähigkeit und Eheverbote und sage nicht, nach welchem Recht der "Ausgangssachverhalt", z.B. also das Bestehen einer die Heirat hindernden Ehe zu beurteilen sei, wie das DORENBERG mit Bezug auf Art. 13 Abs. 1 des deutschen EG annimmt (Erw. 5 d hievor).
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Dem Zwecke von Art. 7 c NAG widerspricht es auch, die Frage, ob die frühere Ehe noch bestehe, nicht nach dem gemäss Art. 7 c NAG für die Schliessung der neuen Ehe massgebenden Rechte zu beurteilen, sondern diese Frage "selbständig anzuknüpfen", d.h. nach dem gemäss den schweizerischen Konfliktsregeln für die Scheidung der frühern Ehe massgebenden Rechte zu entscheiden, wie es VON OVERBECK in ZZw 1967 S. 350 für den Fall der von ihm abgelehnten "kollisionsrechtlichen Betrachtungsweise" (d.h. für den Fall der grundsätzlichen Anwendung von Art. 7 c NAG) ins Auge fasst ![]() | 33 |
Der Zweck, den Art. 7 c Abs. 1 NAG klarerweise verfolgt, muss für die Auslegung dieser Bestimmung massgebend bleiben, solange nicht ein in der Sache liegender Grund eine andere Auslegung verlangt (vgl. Erw. 12 hienach).
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lo. - Das Argument, das VON OVERBECK aus der materiellen Rechtskraft des schweizerischen Scheidungsurteils zu gewinnen sucht (ZZw 1967 S. 352 und Revue critique 1970 S. 59/60: Massgeblichkeit des für beide Parteien wirkenden schweizerischen Scheidungsurteils für jede schweizerische Behörde; vgl. auch KEGEL/A. LÜDERITZ und R. LÜDERITZ, FamRZ 1964 S. 59 und 1966 S. 287), schlägt nicht durch; denn die materielle Rechtskraft von Zivilurteilen, die gemäss BGE 95 II 643 eine Einrichtung des Zivilrechts ist, reicht nicht weiter als das materielle Recht, das in der Sache zur Anwendung kommt (in diesem Sinne zutreffend WENGLER, Juristenzeitung 1964 S. 622; NEUMAYER, "Ehescheidung und Wiedererlangung der Ehefähigkeit", Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht = RabelsZ 1955 S. 66 ff., 73; DORENBERG a.a.O. S. 147 f.; GUTZWILLER a.a.O. S. 183).
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Diese Nachteile können indes wenigstens zum Teil auch dann eintreten, wenn z.B. ein geschiedener schweizerisch-italienischer Doppelbürger wieder heiratet, und werden in diesem Falle ohne weiteres in Kauf genommen. Den erwähnten Nachteilen sind aber vor allem die Nachteile gegenüberzustellen, die für die Beteiligten entstehen, wenn die Wiederverheiratung einer geschiedenen Person nicht zugelassen oder nicht anerkannt wird, weil einer der Verlobten Ausländer ist und dessen Heimatrecht die Scheidung nicht anerkennt. Der Geschiedene und sein neuer Partner haben diesfalls nur die Wahl, sich zu trennen oder in wilder Ehe zusammenzuleben. Sich trennen zu müssen, nur weil ein ausländisches Recht die im Inland regulär erfolgte Scheidung nicht anerkennt, wird von den Verlobten meist als unerträgliche Härte empfunden. Die wilde Ehe, zu der sich die Verlobten daher meist entschliessen, setzt sie selbst und die Kinder schweren Unzukömmlichkeiten aus. Das Verhältnis zwischen den Partnern einer solchen Beziehung wird vom Gesetz nicht geregelt und geniesst keinen rechtlichen Schutz, so dass jeder Teil den andern kurzerhand (auch ohne Wegzug ins Ausland) im Stich lassen kann, wenn ihm die Fortsetzung der Beziehung nicht mehr passt. Dienstleistungen des einen Teils gegenüber dem andern begründen nach der geltenden Praxis (BGE 87 II 164 ff.) keinen Lohnanspruch, der das Fehlen anderer Ansprüche wenigstens zum Teil kompensieren könnte. In einzelnen Kantonen der Schweiz haben die Partner einer solchen Beziehung Bestrafung wegen Konkubinats (vgl. BGE ![]() | 36 |
Die Nachteile, die sich aus der Nichtzulassung bzw. Nichtanerkennung einer Ehe wie der streitigen ergeben, überwiegen die Nachteile der entgegengesetzten Lösung erheblich (in diesem Sinne zutreffend DORENBERG a.a.O. S. 144 auf Grund eines sorgfältigen Vergleichs der Folgen der beiden Lösungen). Der Kritik am Entscheide Caliaro muss daher vom menschlichen und sozialen Gesichtspunkt aus recht gegeben werden. Den überwiegend nachteiligen Folgen der vom Bundesgericht in jenem Entscheide gewählten Lösung kommt heute praktisch um so mehr Bedeutung zu, als im Zusammenhang mit dem überaus starken Ansteigen der Zahl der Ausländer in der Schweiz die Zahl der Heiraten zwischen Schweizern und Ausländern, insbesondere die Zahl der Heiraten zwischen Schweizerinnen und Italienern und damit wahrscheinlich auch die Zahl der Scheidungen solcher Ehen seit der Zeit, da jener Entscheid erging, stark zugenommen hat (Heiraten von Schweizerinnen mit Italienern im Durchschnitt der Jahre 1951/55: 497; im Jahre 1968: 1343; im Jahre 1969: 1306; vgl. Statistisches Jahrbuch der Schweiz 1969 S. 41, 1970 S. 41). Schweizerinnen, die einen Ausländer heiraten, geben heute in aller Regel auf Grund von Art. 9 des Bundesgesetzes über Erwerb und Verlust des Schweizerbürgerrechts vom 29. September 1952 (AS 1952 1087) die Erklärung ab, das Schweizerbürgerrecht beibehalten zu wollen, und können daher nach der schweizerischen Gerichtspraxis (vgl. den schon in Erw. 8 hievor zitierten EntscheidBGE 58 II 93) in der Schweiz die Scheidung erreichen, auch wenn das Heimatrecht des Ehemannes sie nicht zulässt. Die neueste Rechtsprechung (BGE 94 II 65 ff., Urteil vom 11. Juli 1968 i.S. Cardo) erleichtert im übrigen auch die Scheidung in der Schweiz von Nichtschweizern verschiedener Nationalität, indem sie dem klagenden Ehegatten den von der frühern Praxis ![]() | 37 |
Die Beseitigung des Ehehindernisses der bestehenden Ehe ist in Ländern, welche die Scheidung zulassen, eine Hauptwirkung der Scheidung, die sich unmittelbar aus dem Begriff der Scheidung als vollständiger Auflösung des Ehebandes ergibt. Es wird heute, wie die Hinweise in Erwägung 5 hievor zeigen, immer weniger verstanden, dass eine von einem inländischen Gericht ausgesprochene oder im Inland anzuerkennende Scheidung diese Wirkung im Inland nur für den einen der beiden geschiedenen Ehegatten erzeugt, wogegen dem andern mit Rücksicht auf sein die Scheidung nicht anerkennendes Heimatrecht nach wie vor das erwähnte Ehehindernis entgegengehalten wird. Eine verbreitete Meinung erblickt darin einen unerträglichen Widerspruch, einen Verstoss gegen die innere Folgerichtigkeit der inländischen Rechtsordnung, und betrachtet die erwähnte Konzession an das Heimatrecht eines der Ehegatten als eine unzumutbare Selbstaufgabe des inländischen Rechtsstandpunktes. Als stossend wird auch betrachtet, dass zwar im Interesse des inländischen Ehegatten eine Ehe mit einem Ausländer ![]() | 38 |
Berücksichtigt man im Sinne von BGE 94 II 71 E. 4 (Entscheid Cardo) die Veränderung der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse und den Wandel der Ansichten, die seit dem Entscheide Caliaro und erst recht seit dem Erlass der Art. 7 a ff. NAG durch Art. 59 des Schlusstitels des ZGB vom 10. Dezember 1907 eingetreten sind, so lässt sich mit gutem Grunde die Auffassung vertreten, es sei auf dem Boden des schweizerischen Landesrechts nicht mehr zu rechtfertigen, bei Beurteilung der Frage, ob ein für die Schweiz gültig geschiedener Ausländer hier wieder heiraten könne oder ob eine im Ausland erfolgte Eheschliessung eines solchen Ausländers anzuerkennen sei, auf die Nichtanerkennung der Scheidung durch das Heimatrecht des Ausländers Rücksicht zu nehmen; im Interesse der innern Harmonie der schweizerischen Rechtsordnung müsse der aus dem Begriff der Scheidung folgende elementare Grundsatz, dass die Scheidung die Ehe für beide Teile vollständig auflöst, vor der Verweisungsnorm des Art. 7 c Abs. 1 NAG den Vorrang haben, soweit diese zwecks Vermeidung von Konflikten mit dem Heimatrecht die Berücksichtigung der Tatsache verlangt, dass das Heimatrecht eines Verlobten die Scheidung nicht anerkennt; Art. 7 c Abs. 1 NAG sei heute zur Verhütung innerer Widersprüche des schweizerischen Rechts in diesem Sinne einschränkend auszulegen. Wollte man aber diese neue Auslegung des Art. 7 c NAG nicht gelten lassen, so müsste den Kritikern des Entscheides Caliaro auf jeden Fall darin recht gegeben werden, dass die auf Art. 7 c Abs. 1 NAG gestützte Anwendung eines die erfolgte Scheidung nicht anerkennenden und damit die neue Eheschliessung verbietenden ausländischen Rechts durch ![]() | 39 |
Aus diesen Gründen ist die in Dänemark geschlossene und daher (vgl. Erw. 4 hievor) von der Eheschliessungskonvention vom 12. Juni 1902 nicht erfasste Ehe der Beschwerdeführer in der Schweiz anzuerkennen und ins Familienregister der Heimatgemeinde der Ehefrau einzutragen, auch wenn man mit der Möglichkeit rechnet, dass sie in Italien trotz der Einführung der Scheidung durch das Gesetz vom 1. Dezember 1970 mangels Anerkennung der in der Schweiz erfolgten Scheidung der ersten Ehe Dal Boscos nicht gültig sein könnte (vgl. Erw. 6 hievor).
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Aus entsprechenden Gründen sind die Kinder aus einer solchen Ehe in der Schweiz als ehelich zu betrachten, obwohl gemäss Art. 8 NAG die Frage der ehelichen oder unehelichen Geburt nach dem Heimatrecht des als ehelicher Vater in Anspruch genommenen Mannes zu beurteilen ist und man nicht sicher weiss, ob in Italien (wo die Familienbeziehungen gemäss Art. 17 der den Codice civile einleitenden "Disposizioni sulla legge in generale" ebenfalls dem Heimatrecht unterstehen) die Kinder aus einer solchen Ehe heute als ehelich anerkannt werden.
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Dass zwar die im Ausland erfolgte Eheschliessung eines geschiedenen Italieners in der Schweiz anerkannt, die Eheschliessung in der Schweiz selbst aber nicht zugelassen wird, ist freilich unbefriedigend. Dieser Zustand ist aber die unvermeidliche Folge davon, dass die Konvention zwar nicht für eine ausserhalb der Vertragsstaaten, wohl aber für eine in einem Vertragsstaat geschlossene oder zu schliessende Ehe gilt und dass die Schweiz in der Auslegung des eigenen Rechts, das im ersten Falle ausschliesslich gilt, freier ist als in der Auslegung der internationalen Konvention. Will man den erwähnten unbefriedigenden Zustand unabhängig von der Entwicklung des italienischen Rechts und der italienischen Praxis beenden, was sehr wünschbar ist, so bleibt nichts anderes übrig, als die Eheschliessungskonvention zu kündigen, wie das mehrere Autoren befürworten (VON OVERBECK, ZZw 1967 S. 356; GÖTZ, ZZw 1969 S. 180; VISCHER, ZZw 1969 S. 328; mit einlässlicher, überzeugender Begründung namentlich STAUFFER, SJZ 1971 S. 119 f.).
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Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit auf sie einzutreten ist, der Entscheid des Regierungsrates des Kantons Bern vom 11. August 1970 wird aufgehoben und das Zivilstandsamt für die Gemeinde Lajoux wird angewiesen, die Ehe der Beschwerdeführerin Rosmarie Ruth Walther mit Bruno Lorenzo Dal Bosco ins Familienregister einzutragen.
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