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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: A. Tschentscher | |||
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5. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 30. November 1998 i.S. X. gegen Amtsstatthalteramt Sursee, Staatsanwaltschaft und Obergericht des Kantons Luzern (staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Art. 36 Abs. 4 BV, Art. 8 EMRK; Telefonabhörung, Verwendung von Zufallsfunden als Beweismittel im Strafverfahren gegen den von der Abhörung mit erfassten Gesprächspartner, Zeugnisverweigerungsrecht aufgrund des Berufsgeheimnisses. |
Voraussetzung der Schwere des Delikts (E. 7a). | |
Sachverhalt | |
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Das Amtsstatthalteramt Sursee unterbreitete der Kriminal- und Anklagekommission (im folgenden abgekürzt: KAK) des Obergerichts des Kantons Luzern im August 1997 zwölf Protokolle über Gespräche aus den erwähnten Telefonüberwachungen und ersuchte sie, die Protokolle im Strafverfahren gegen X. zur Verwendung zuzulassen. Die KAK entsprach diesem Gesuch mit Entscheid vom 16. Juni 1998.
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X. reichte dagegen staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 und Art. 36 Abs. 4 BV sowie von Art. 8 EMRK ein.
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
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Aus den Erwägungen: | |
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a) Art. 36 Abs. 4 BV und Art. 8 Ziff. 1 EMRK garantieren das Telefongeheimnis. Sie schützen damit die persönliche Geheimsphäre der am Telefonverkehr beteiligten Personen. Die Verfassungsgarantie ![]() | 6 |
b) Die Überwachung des Telefonverkehrs ist im Kanton Luzern in den §§ 117 ff. des Gesetzes über die Strafprozessordnung (StPO) geregelt. § 117 StPO umschreibt die Voraussetzungen der Telefonabhörung wie folgt:
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"Der Amtsstatthalter und der Staatsanwalt können den Post-, Telefon- und Telegrafenverkehr des Angeschuldigten überwachen und Sendungen beschlagnahmen lassen sowie technische Überwachungsgeräte einsetzen, wenn
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1. ein Verbrechen oder ein Vergehen, dessen Schwere oder Eigenart den Eingriff rechtfertigt, oder eine mit Hilfe des Telefons begangene Straftat verfolgt wird und
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2. der Angeschuldigte der Tat dringend verdächtigt ist und wenn
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3. die Untersuchung ohne die Überwachung wesentlich erschwert würde oder
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andere Untersuchungshandlungen erfolglos geblieben sind. Sind die Voraussetzungen beim Angeschuldigten erfüllt, so können Dritte überwacht werden, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen angenommen werden muss, dass sie für ihn bestimmte oder von ihm herrührende Mitteilungen entgegennehmen oder weitergeben. Ausgenommen sind Personen, die gemäss § 93 das Zeugnis verweigern dürfen.
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Der Telefonanschluss Dritter kann stets überwacht werden, wenn der Verdacht begründet ist, dass der Angeschuldigte ihn benutzt."
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Hinsichtlich der Verwendung der Ergebnisse der Überwachung legt § 117sexies Abs. 1 StPO Folgendes fest:
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"Soweit die Ergebnisse für die Untersuchung nicht notwendig sind oder aus dem Verkehr mit Personen herrühren, denen gemäss § 93 das Zeugnisverweigerungsrecht zusteht, dürfen sie im Verfahren nicht verwendet werden. Briefe, Sendungen und Telegramme dieser Art sind, sobald es die Untersuchung erlaubt, den Adressaten zuzustellen. Allfällig erstellte Kopien sowie Aufzeichnungen über Telefongespräche und über andere Überwachungsmassnahmen sind unter Verschluss zu halten und nach Abschluss des Verfahrens zu vernichten, sofern im Einstellungsbeschluss oder im Urteil nichts anderes verfügt wird."
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6. Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe die abgehörten Gespräche als Anwalt geführt, und nach der Luzerner StPO dürften Überwachungsergebnisse aus dem Verkehr mit Berufsgeheimnisträgern unter keinen Umständen in einem Strafverfahren als Beweismittel verwendet werden. Er ist der Meinung, die KAK hätte deshalb gar nicht prüfen müssen, ob er selber nach § 117 Abs. 1 ![]() | 18 |
Es kann offen bleiben, ob die Gespräche, die der Beschwerdeführer führte und die abgehört wurden, überhaupt eine Verbindung mit seiner Anwaltstätigkeit hatten und unter das Anwaltsgeheimnis fallen. Nach § 117sexies Abs. 1 StPO dürfen Überwachungsergebnisse, die aus dem Verkehr mit Personen herrühren, denen gemäss § 93 StPO das Zeugnisverweigerungsrecht aufgrund des Berufsgeheimnisses zusteht, "im Verfahren" nicht verwendet werden. Damit ist das Strafverfahren gemeint, in welchem die Überwachungsmassnahme vorgenommen wurde. Wo z.B. aus dem Verkehr des Überwachten mit seinem Anwalt, seinem Arzt oder einem Geistlichen Aufzeichnungen über Gespräche ergehen, sind - im Verfahren gegen den überwachten Angeschuldigten - die daraus gewonnenen Erkenntnisse unverwertbar. Das hier massgebende Vertrauensverhältnis verdient Vorrang und muss unangetastet bleiben (ROBERT HAUSER/ERHARD SCHWERI, Schweizerisches Strafprozessrecht, 3. Auflage, 1997, S. 301, Rz. 29 zu § 71). Die Vorschrift von § 117sexies Abs. 1 StPO besagt hingegen nicht, dass eine Telefonüberwachung allgemein dann unzulässig wäre, wenn ein Strafverfahren gegen einen Anwalt selber durchgeführt wird. Er ist nicht in dem Sinn gegenüber anderen Beschuldigten privilegiert, dass er von jeder Telefonüberwachung ausgenommen wäre. Die auf dem Berufsgeheimnis beruhende Einschränkung der Verwendung von Abhörprotokollen entfällt, wenn die zur Zeugnisverweigerung berechtigte Person selbst einer überwachungswürdigen Straftat verdächtigt wird (NIKLAUS OBERHOLZER, Grundzüge des Strafprozessrechts, Bern 1994, S. 394). Dort, wo der Berufsgeheimnisträger selbst Angeschuldigter ist, geht das Interesse an der Strafverfolgung der Wahrung des Berufsgeheimnisses vor. So kann sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts eine Person, die ein Berufsgeheimnis zu wahren hat, in einem gegen sie hängigen Strafverfahren der Beschlagnahme von in ihrem Besitz befindlichen Akten nicht unter Berufung auf ihre Geheimhaltungspflicht widersetzen (BGE 106 IV 413 E. 7c; BGE 102 IV 210 E. 4a; BGE 101 Ia 10 E. 5a). Für seine eigenen Verfehlungen kann niemand ein Privileg aufgrund eines Berufsgeheimnisses beanspruchen (BGE 106 IV 413 E. 7c mit Hinweisen). Die KAK hat im angefochtenen Entscheid mit Recht auf diesen Grundsatz hingewiesen und betont, es sei nicht der Sinn des Berufsgeheimnisses, dessen Träger vor einer Strafverfolgung zu schützen. Ferner hat sie zutreffend erwogen, aus dem Urteil des ![]() | 19 |
Nach dem Gesagten bezieht sich die Vorschrift von § 117sexies Abs. 1 StPO im vorliegenden Fall auf das gegen A. geführte Strafverfahren, in welchem die Telefonüberwachung vorgenommen wurde. Die KAK ging mit Recht davon aus, die aus dieser Überwachung stammenden Abhörprotokolle könnten im Verfahren gegen den von der Massnahme mit erfassten Beschwerdeführer verwendet werden, sofern die in § 117 Abs. 1 Ziff. 1-3 StPO genannten Voraussetzungen für eine Telefonüberwachung in Bezug auf den Beschwerdeführer ebenfalls erfüllt gewesen wären.
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a) § 117 Abs. l Ziff. 1 StPO erlaubt eine Überwachung nur, wenn ein Verbrechen oder Vergehen verfolgt wird, dessen Schwere oder Eigenart den Eingriff rechtfertigt. Dem Beschwerdeführer wird mehrfache Anstiftung zu falschem Zeugnis vorgeworfen. Er soll D. und E. (beide Kellner im Dancing B.) angestiftet haben, als Zeugen im Strafverfahren gegen A. falsche Aussagen zu machen. Ausserdem wird dem Beschwerdeführer Geldwäscherei im Sinne von Art. 305bis Ziff. 1 StGB zur Last gelegt. Er soll vereitelt haben, dass Bargeld im Umfang von Fr. 650'000.--, das aus den A. zur Last gelegten Delikten herrühren soll, von der Untersuchungsbehörde eingezogen werden konnte. Anstiftung zu falschem Zeugnis stellt ![]() | 22 |
Das Bundesgericht hat im Urteil BGE 117 Ia 10 E. 4d S. 13 beiläufig bemerkt, am Merkmal der Schwere der Tat dürfte es bei einer Falschaussage (eines Zeugen) fehlen; es hat indes die Frage offen gelassen. In der Lehre wird mit Grund erklärt, bei falschem Zeugnis könnten Überwachungsmassnahmen nicht von vornherein ausgeschlossen werden, denn das Delikt könne z.B. in einem Mordprozess so schwer wiegen, dass eine Überwachung gerechtfertigt erscheine (HAUSER/SCHWERI, a.a.O., S. 296, Rz. 7 zu § 71; NIKLAUS SCHMID, Strafprozessrecht, 2. Auflage, Zürich 1993, S. 228, N. 763). Allgemein hängt es bei Verfehlungen, die für sich allein weniger schwer erscheinen, von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab, ob Überwachungsmassnahmen angeordnet werden dürfen (HAUSER/SCHWERI, a.a.O.).
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Die KAK führte im angefochtenen Entscheid aus, die dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Delikte stünden im Zusammenhang mit den inkriminierten Vorgängen um das Dancing B. Es gehe im Wesentlichen um den Vorwurf, das Ergebnis der Strafuntersuchung gegen A., den Wirt des Dancings, beeinflusst und der Untersuchungsbehörde Bargeld im Umfang von Fr. 650'000.-- aus möglicherweise deliktischer Herkunft entzogen zu haben. A. würden zahlreiche Verbrechen und Vergehen vorgeworfen, wie gewerbsmässiger Betrug, Gehilfenschaft zu Menschenhandel (-sistiert bis zum rechtskräftigen Entscheid der Zürcher Behörden gegen Inhaber und Mitarbeiter der Agentur G.), mehrfache Förderung der Prostitution, mehrfache Urkundenfälschung und mehrfache Geldwäscherei. Die Staatsanwaltschaft habe gegen A. beim Kriminalgericht eine Zuchthausstrafe von vier Jahren und eine Busse von Fr. 100'000.-- beantragt. Die KAK hielt fest, der Beschwerdeführer habe mit der verdachtsweisen Beeinflussung der Zeugen zu verhindern versucht, dass die "schweren Delikte der Betreiber des Dancings B. aufgedeckt würden".
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Gegen A. wurde, wie sich aus dem Gesuch des Amtsstatthalters vom 16. Juni 1995 betreffend Genehmigung der Telefonüberwachung ergibt, eine Strafuntersuchung geführt wegen Menschenhandels, Förderung der Prostitution und Ausnützung einer Notlage; ausserdem bestand der Verdacht, dass diese schwerwiegenden Delikte gegen die sexuelle Integrität im Rahmen einer kriminellen Organisation begangen worden seien. A. ist übrigens im Juni 1998 erstinstanzlich zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt worden. Die Annahme der KAK, der Beschwerdeführer habe mit der ihm vorgeworfenen Anstiftung zu falschem Zeugnis gewisse Vorgänge im Dancing B. vertuschen wollen, ist nicht unhaltbar. Die beiden Kellner, die er zu falschen Zeugenaussagen angestiftet haben soll, wurden zu Vorgängen befragt, die sich in diesem Lokal abgespielt haben sollen, und konnten mit ihren Aussagen den Angeschuldigten A. erheblich belasten. Wenn aber mit einer Anstiftung zu falschem Zeugnis in einer Strafuntersuchung wegen schwerer Delikte die Beweislage zugunsten des Angeschuldigten beeinflusst werden soll, kann angenommen werden, die in Frage stehende Anstiftung wiege genügend schwer, um eine Überwachungsmassnahme anzuordnen. Hinzu kommt im vorliegenden Fall, dass der Beschwerdeführer noch Geldwäscherei in einem nicht geringen Umfang betrieben haben soll. Wird einerseits berücksichtigt, dass die Delikte, welche Gegenstand des gegen den Beschwerdeführer eingeleiteten Strafverfahrens bilden - mehrfache Anstiftung zu falschem Zeugnis und Geldwäscherei - an sich gravierende Straftaten sind, und wird anderseits in Rechnung gestellt, dass die angebliche Anstiftung zu falschem Zeugnis im Rahmen eines anderen Strafverfahrens erfolgte, das klarerweise schwere Straftaten zum Gegenstand hat, so konnte die KAK ohne Verfassungs- oder Konventionsverletzung annehmen, im Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer wäre im Hinblick auf die Schwere der Taten eine Telefonüberwachung zulässig gewesen.
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