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33. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung i.S. Schäppi und Mitb. gegen Regierungsrat und Kantonsrat des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde) |
1P.223/2003 vom 27. August 2003 | |
Regeste |
Änderung der Zürcher Kantonsverfassung betreffend Neuordnung des Verhältnisses zwischen Kirchen und Staat, Einheit der Materie; Art. 34 Abs. 2 BV. |
Neuordnung des Verhältnisses zwischen Kirchen und Staat (E. 3). |
Die Verfassungsänderung enthält unterschiedliche Teile, bildet indessen eine grundsätzliche Gesamtvorlage zur Neuordnung des Verhältnisses zwischen Kirchen und Staat und wahrt den Grundsatz der Einheit der Materie (E. 4). | |
Sachverhalt | |
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Am 31. März 2003 beschloss der Kantonsrat des Kantons Zürich eine grundlegende Neugestaltung der Stellung von Religionsgemeinschaften. Zum einen verabschiedete er eine Änderung der Kantonsverfassung zur Neuregelung des Verhältnisses zwischen Kirchen und Staat, gestützt darauf zum andern das Kirchengesetz und das Gesetz über die Anerkennung von Religionsgemeinschaften (Anerkennungsgesetz). Die Änderung der Kantonsverfassung vom 31. März 2003 (im Folgenden: nKV) hat, soweit im vorliegenden Fall von Bedeutung, folgenden Wortlaut:
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Art. 16
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3 Die kirchlichen Körperschaften des öffentlichen Rechts sowie die weiteren, als Körperschaften des öffentlichen Rechts anerkannten Religionsgemeinschaften regeln das Stimm- und Wahlrecht ihrer Mitglieder unter Wahrung der rechtsstaatlichen Anforderungen selbst.
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Art. 47
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4 Die Zuständigkeit zur Neubildung, Vereinigung oder Auflösung von Kirchgemeinden kann durch die Gesetzgebung den kirchlichen Körperschaften übertragen werden.
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Art. 64
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1 Die Glaubens- und Gewissensfreiheit ist gewährleistet.
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2 Religionsgemeinschaften können staatlich anerkannt werden.
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4 Die evangelisch-reformierte Kirche, die römisch-katholische Kirche und die christkatholische Kirche sind staatlich anerkannt. Die evangelisch-reformierte Landeskirche und ihre Kirchgemeinden, die römisch-katholische Körperschaft und ihre Kirchgemeinden sowie die christ-katholische Kirchgemeinde sind Körperschaften des öffentlichen Rechts.
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5 Die kirchlichen Körperschaften des öffentlichen Rechts sind im Rahmen des kantonalen Rechts autonom. Die Gesetzgebung regelt die Grundzüge ihrer Organisation, ihre Kompetenz zur Besteuerung der natürlichen und juristischen Personen sowie die staatlichen Beiträge. Die Oberaufsicht des Staates bleibt vorbehalten.
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6 Die Stimmberechtigten der Kirchgemeinden wählen ihre Pfarrerinnen beziehungsweise Pfarrer auf Amtsdauer.
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Gemäss dem Antrag des Regierungsrates zur Verfassungsänderung soll mit der angestrebten Neuordnung des Verhältnisses zwischen Kirchen und Staat eine erhöhte Autonomie der Kirchen erreicht werden, was Änderungen vor allem in den Bereichen des Stimmrechts sowie der strukturellen und organisatorischen Zuständigkeiten bedinge. Ferner werde die staatliche Finanzierung kirchlicher Tätigkeiten auf eine neue Grundlage gestellt werden und sollen die Bestimmungen über die historischen Rechtstitel aufgehoben und das Recht der Kirchen zur Erhebung von Kirchensteuern für juristische Personen in der Verfassung verankert werden. Schliesslich sollen die drei genannten Religionsgemeinschaften als öffentlichrechtliche Körperschaften mit weitgehender Autonomie anerkannt werden und die verfassungsrechtliche Grundlage für ein Gesetz zur Anerkennung weiterer Religionsgemeinschaften geschaffen werden. - Anlässlich der Beratungen der Vorlage im Kantonsrat wurde u.a. die Frage einer allfälligen Aufteilung der Verfassungsvorlage in zwei Teile diskutiert, entsprechende Anträge wurden indessen abgelehnt und die Änderung der Kantonsverfassung als eine einheitliche Vorlage verabschiedet.
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Peter Schäppi und weitere Stimmbürger und Stimmbürgerinnen haben beim Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde nach Art. 85 lit. a OG erhoben und wegen Missachtung des Grundsatzes der Einheit der Materie eine Verletzung der Abstimmungsfreiheit gemäss Art. 34 Abs. 2 BV gerügt. Sie machen im Wesentlichen geltend, die Zusammenfassung der Entflechtung des Verhältnisses zwischen Kirchen und Staat ![]() | 15 |
Das Bundesgericht weist die Stimmrechtsbeschwerde ab.
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Aus den Erwägungen: | |
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Der Grundsatz der Einheit der Materie gilt indessen generell auch von Bundesrechts wegen. Das unter der Herrschaft der alten Bundesverfassung als ungeschriebenes Verfassungsrecht gewährleistete Stimm- und Wahlrecht räumte dem Bürger allgemein den Anspruch ein, dass kein Abstimmungs- oder Wahlergebnis anerkannt wird, das nicht den freien Willen der Stimmberechtigten zuverlässig und unverfälscht zum Ausdruck bringt (vgl. BGE 121 I 138 E. 3 S. 141, mit Hinweisen auf die Entwicklung der Wahl- und Abstimmungsfreiheit). Daraus wurde seit 1964 u.a. der Grundsatz der Einheit der Materie abgeleitet: Im Falle eines Finanzreferendums erkannte das Bundesgericht, dass Kredite für Schulhaus- und Spitalbauten nicht zu einem einzigen Abstimmungsgegenstand verbunden werden dürften; "sinon le citoyen, qui est favorable à l'un des projets, est obligé ou de le repousser pour manifester son opposition à l'autre ou de l'accepter, mais en faisant croire alors par son vote qu'il appuie le second" (BGE 90 I 69 E. 2b S. 74; BGE 99 Ia 177 E. 3c S. 182; ferner BGE 123 I 63 E. 4b S. 71; BGE 113 Ia 46 E. 4a S. 52; BGE 105 Ia 370 E. 4b S. 376).
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Art. 34 Abs. 2 BV schützt neu ausdrücklich die freie Willensbildung und unverfälschte Stimmabgabe. Die Wahl- und Abstimmungsfreiheit übernimmt den Gehalt des ungeschriebenen Verfassungsrechts in die neue Bundesverfassung (BGE 129 I 232 E. 4.2 S. 244 mit Hinweisen). Dazu zählt auch der Grundsatz der Einheit der Materie (Urteil 1P.123/2002 vom 25. Juni 2003, E. 3.2; GEROLD STEINMANN, St. Galler BV-Kommentar, Zürich 2002, Rz. 10 und 13 zu Art. 34 BV). Die Beschwerdeführer stützen ihre Rüge, die Änderung ![]() | 20 |
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Dieser Zielrichtung entsprechend ist der Grundsatz der Einheit der Materie bei allen Vorlagen zu beachten, die den Stimmberechtigten zum Entscheid unterbreitet werden. Grundsätzlich ist es daher unerheblich, ob es sich um eine Initiative oder Behördenvorlage, um Partial- oder Totalrevisionen von Verfassungen oder Gesetzen oder um Gesetzes- oder Finanzvorlagen handelt (BGE 116 Ia 466 E. 5 S. 471; BGE 113 Ia 46 E. 4a S. 52; BGE 105 Ia 370 4b S. 376; BGE 104 Ia 215 E. 2b S. 223; BGE 99 Ia 177 E. 3a S. 182, 638 E. 5b S. 646; BGE 97 I 669 E. 3 S. 673; ZBl 96/1995 S. 470, E. 4a; vgl. auch Pra 89/2000 Nr. 91 S. 545, E. 3c).
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Damit steht nicht im Gegensatz, dass die Rechtsprechung den Grundsatz der Einheit der Materie entsprechend der Art der Vorlage differenziert gewichtet (BGE 116 Ia 466 E. 5 S. 471; ZBl 96/1995 S. 470). Höhere Ansprüche werden bei Partialrevisionen der Verfassung gestellt als bei Totalrevisionen; insbesondere gilt es Initiativen auf teilweise Verfassungsänderung von solchen auf Totalrevision, die bisweilen ein unterschiedliches Verfahren auslösen, abzugrenzen (BGE 113 Ia 46 E. 4a S. 52; BGE 104 Ia 215 E. 2b S. 223; vgl. ALFRED KÖLZ, Rechtsgutachten über die Gültigkeit der Volksinitiative "40 Waffenplätze sind genug - Umweltschutz auch beim Militär", ZBl 93/1992 S. 421; CRIPSIN F. M. HUGENSCHMIDT, Einheit der Materie - überholtes Kriterium zum Schutze des Stimmrechts?, Diss. Basel 2001, S. 39). Dem Grundsatz wird bei Initiativen teils grösseres ![]() | 23 |
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Die neue Bundesverfassung begnügt sich in Art. 139 Abs. 2 und Art. 139a Abs. 2 (Fassung gemäss Bundesbeschluss über die Änderung der Volksrechte, AS 2003 S. 1949 und 1953) sowie in Art. 194 ![]() | 25 |
Die Lehre hat zum Erfordernis des inneren sachlichen Zusammenhangs Fallgruppen unterschiedlicher Konstellationen herausgearbeitet und die Einhaltung des Grundsatzes der Einheit der Materie etwa an folgenden Kriterien gemessen: Beschränkung auf einen einzigen Zweck, Verbindung eines Zwecks mit der dafür erforderlichen Finanzierung, Verbindung einer Regel mit einer Übergangsbestimmung, Verbindung verschiedener Forderungen mit logischem oder sachlichem Zusammenhang, Verbindung der Forderung nach Aufhebung einer Regelung mit einem Ersatzvorschlag (vgl. DIETRICH SCHINDLER, Rechtsgutachten über die Volksinitiative "40 Waffenplätze sind genug - Umweltschutz auch beim Militär", in: ZBl 93/1992 S. 388 ff.; LUZIUS WILDHABER, Kommentar zur aBV, Rz. 104 ff. zu Art. 121/122 aBV; LUZIAN ODERMATT, Ungültigerklärung von Volksinitiativen, in: AJP 1996 S. 711 und 714; YVO HANGARTNER, St. Galler BV-Kommentar, Zürich 2002, Rz. 28 zu Art. 139 BV).
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Diese Umschreibungen der Anforderungen an die Einheit der Materie belegen, dass der Begriff schwer zu fassen ist. Die bundesgerichtliche Rechtsprechung betont daher, dass der Grundsatz von relativer Natur und vor dem Hintergrund der konkreten Verhältnisse zu betrachten ist (vgl. BGE 128 I 190 E. 3.2 S. 196; BGE 125 I 227 E. 3b S. 230; BGE 123 I 63 E. 4d S. 73; BGE 112 Ia 391 E. 3b S. 395; Pra 89/2000 Nr. 91 S. 545, E. 3d; ZBl 96/1995 S. 470, E. 4a/cc). Insbesondere kann der geforderte innere Zusammenhang zwischen einzelnen Teilen nicht abstrakt umschrieben werden. Unter Umständen kann er sich aus einer logischen Betrachtung ergeben, wenn etwa der eine Teil den andern bedingt und der eine ohne den andern keinen vernünftigen Sinn ergibt. Eine Verbindung zwischen einzelnen Teilen kann sich aus einem einheitlichen Ziel oder gemeinsamen Zweck ergeben. Ob dies im Einzelfall als gegeben erachtet wird, kann vom Standpunkt und der Abstraktionshöhe der Betrachtung abhängen. Im Sinne einer Grenzziehung hält die Rechtsprechung lediglich fest, dass zur Wahrung der Einheit der Materie nicht jegliche, rein künstlich oder politisch hergestellte Verbindung zwischen einzelnen Teilen ausreicht. Erforderlich ist eine Ausrichtung, die aus der Sicht der Willensbildung und -äusserung der Stimmberechtigten als gemeinsam ![]() | 27 |
Da der Begriff der Einheit der Materie, wie aufgezeigt, in mehrfacher Hinsicht von relativer Natur und die Gewichtung einzelner Teile einer Vorlage und ihres Verhältnisses zueinander zudem eine politische Frage ist, kommt den Behörden bei der Ausgestaltung von Vorlagen nach der Rechtsprechung ein sehr weiter Gestaltungsspielraum zu (BGE 111 Ia 196 E. 2b S. 198; Pra 89/2000 Nr. 91 S. 545, E. 3e). An die Einhaltung des Grundsatzes dürfen daher keine überspannten Anforderungen gestellt werden (BGE 104 Ia 215 E. 2b S. 223; BGE 99 Ia 638 E. 5b S. 646; BGE 96 I 636 E. 7 S. 653; BGE 90 I 69 E. 2c S. 74). Die Rechtsprechung betont denn auch, dass die Stimmberechtigten keinen verfassungsmässigen Anspruch darauf haben, dass ihnen einzelne, allenfalls besonders wichtige Teile einer Vorlage gesondert zur Abstimmung vorgelegt werden; sie müssen sich vielmehr auch dann für die Gutheissung oder Ablehnung der ganzen Vorlage entscheiden, wenn sie nur mit einzelnen Vorschriften einverstanden sind bzw. einzelne Bestimmungen ablehnen (BGE 111 Ia 196 E. 2b S. 198; BGE 105 Ia 370 E. 4b S. 377; BGE 104 Ia 215 E. 2c S. 224; BGE 99 Ia 638 E. 5b S. 646, 724 E. 3 S. 735; BGE 97 I 669 E. 3 S. 672; BGE 96 I 636 E. 7 S. 653; Pra 89/2000 Nr. 91 S. 545, E. 3b; ZBl 96/1995 S. 470, E. 4a/bb).
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Erwägung 3 | |
3.1 In Bezug auf die angefochtene Änderung der Kantonsverfassung bringen die Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, die ![]() | 29 |
Demgegenüber vertreten der Kantonsrat und der Regierungsrat die Auffassung, dass die verschiedenen Teile der Verfassungsvorlage zusammengehörten. Die lange Entstehungsgeschichte seit den 80er- Jahren habe zahlreiche, voneinander abhängige Reformbedürfnisse zusammengefasst, insbesondere die Fragen der historischen Rechtstitel, der Möglichkeit der Besteuerung und der Entrichtung staatlicher Beiträge, der Organisationsautonomie mit der Befugnis zur Einführung des Ausländerstimmrechts sowie der öffentlichrechtlichen Anerkennung weiterer Religionsgemeinschaften. Diese Bemühungen hätten nunmehr zu einer gesamtheitlichen Neuregelung des Verhältnisses zwischen Staat einerseits und Kirchen und Religionsgemeinschaften andererseits geführt, über die die Stimmbürger ohne Aufteilung zu befinden hätten.
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3.2 Die angefochtene Revision der Kantonsverfassung bringt die seit 1963 geführten Diskussionen und Auseinandersetzungen zum Verhältnis von Kirchen und Religionsgemeinschaften zum Staat zu einem vorläufigen Abschluss. Die Vorlage umfasst im Wesentlichen drei Bereiche: Die Autonomie der Kirchen wird unter dem Stichwort der Entflechtung gestärkt und erlaubt insbesondere eine eigenständige Regelung des Stimm- und Wahlrechts; eine neue Finanzordnung mit der Kompetenz zur Besteuerung von natürlichen und juristischen Personen und einer Entrichtung von staatlichen Beiträgen beendet ferner die Auseinandersetzungen um die historischen Rechtstitel; die öffentlichrechtliche Anerkennung schliesslich wird ![]() | 31 |
Im Folgenden ist bei der Frage der Einhaltung des Grundsatzes der Einheit der Materie von diesen drei Sachbereichen auszugehen. Es wird zu prüfen sein, in welchem Verhältnis diese zueinander stehen, was sie miteinander verbindet bzw. was sie voneinander trennt und ob sie demnach unter dem Gesichtswinkel von Art. 34 Abs. 2 BV zu einer einzigen Abstimmungsvorlage zusammengefasst werden durften.
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Erwägung 4 | |
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Die verschiedenen Teile der umstrittenen Verfassungsänderung stehen nicht in einer logischen Beziehung der Abhängigkeit oder Unterordnung zueinander. Es kann nicht gesagt werden, dass der eine den andern bedingen würde oder der eine den Grundsatz und der andere die Art und Weise der Realisierung umschreiben würden. Ebenso wenig kann aufgrund der Entstehungsgeschichte angenommen werden, dass die Vorlage in dem Sinne eine Einheit bildet, dass der eine Teil ohne den andern nicht vorgeschlagen worden wäre oder einzelne Teile davon isoliert betrachtet keinen Sinn mehr ergeben würden. Die genannten Teilbereiche sind vielmehr gleichgeordnet. Insbesondere könnten die Bereiche der Entflechtung und der Finanzordnung einerseits und jener der öffentlichrechtlichen Anerkennung weiterer Religionsgemeinschaften andererseits unabhängig voneinander Bestand haben und verlören dadurch - trotz möglicher veränderter Tragweite - nicht jeglichen Sinn.
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Darin liegt denn auch der Grund, dass der Möglichkeit bzw. der Schwierigkeit einer Aufteilung der Vorlage im vorliegenden Fall ![]() | 35 |
Diese Erwägungen zeigen, dass im vorliegenden Fall formale Kriterien für die Beurteilung der Einhaltung des Grundsatzes der Einheit der Materie kaum von Nutzen sind. Dies erfordert eine nähere Betrachtung, welcher inhaltliche Sachzusammenhang zwischen den einzelnen Teilen besteht.
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Unter diesem Gesichtswinkel ist vorerst auf die Entstehungsgeschichte näher einzugehen. Sie zeigt, dass die nunmehr verabschiedete Vorlage auf unterschiedlichen Wegen zustande gekommen ist: Nach einem parlamentarischen Vorstoss von 1980 verlangte die parlamentarische Initiative Dürr und Werner noch vor der Abstimmung über die zweite kantonale Trennungsinitiative bereits 1993 eine Revision der Kantonsverfassung mit dem Ziel, weiteren Religionsgemeinschaften das Recht einer öffentlichrechtlichen Anerkennung zuzugestehen. Eine Kommission des Kantonsrates ![]() | 38 |
Entsprechendes ergibt sich im Lichte des Innovationsgehaltes der einzelnen Bereiche der Verfassungsvorlage. Auf der einen Seite steht die Entflechtung zwischen Kirchen und Staat, welche eine neue Finanzordnung schafft und den Kirchen mehr Autonomie einräumt. Sie bedeutet einen wesentlichen Schritt zur Neugestaltung und überwindet die langen Auseinandersetzungen um die historischen Rechtstitel, bewegt sich indessen mit der öffentlichrechtlichen Anerkennung der drei Kirchen im herkömmlichen Rahmen. Auf der andern Seite wird mit der Möglichkeit der öffentlichrechtlichen Anerkennung von weiteren Religionsgemeinschaften etwas grundlegend Neues geschaffen. Auch insofern unterscheiden sich die beiden Teile ![]() | 39 |
Über die Verfassungsänderung hinaus haben die Stimmbürger auch über das Kirchengesetz und das Anerkennungsgesetz abzustimmen. Hinsichtlich der Gesetzesvorlagen können die Stimmberechtigten ihren Willen frei bilden und unverfälscht zum Ausdruck bringen, indem sie beide Vorlagen bejahen oder verneinen bzw. die eine verwerfen und der andern zustimmen. Daraus ergibt sich, dass über die Gesetzesvorlagen zwar differenziert abgestimmt, die Verfassungsrevision hingegen nur als Ganzes angenommen oder verworfen werden kann. Darin liegt indessen keine Besonderheit des vorliegenden Verfahrens, weil gestützt auf ein und dieselbe Verfassungsregelung oftmals unterschiedliche Gesetze erlassen werden. Aus diesem Umstand kann daher nicht auf eine Verletzung des Grundsatzes der Einheit der Materie geschlossen werden.
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4.3 Kantonsrat und Regierungsrat betonen demgegenüber den Charakter der Gesamtvorlage und die einheitliche Ausrichtung auf eine gesamtheitliche Neuordnung des Verhältnisses zwischen Kirchen und Staat. Geht der Verfassungsgeber die Frage des Verhältnisses zwischen Staat und Religionsgemeinschaften - unter Ausschluss der vollkommenen Trennung - in grundsätzlicher Sicht an, so sind aus diesem Bemühen heraus eine Vielzahl von Fragen zu klären. Dazu gehört der Bereich der den Religionsgemeinschaften zuzuerkennenden Autonomie; es ist in den Grundzügen festzuhalten, in welchem Ausmass der Staat die Religionsgemeinschaften in das Staatsrecht einbindet, den Bereich der Religionsgemeinschaften öffentlichrechtlich ordnet und diesen Selbständigkeit zuordnet. Ferner gilt es vor dem Hintergrund einer öffentlichrechtlichen Beziehung und eines partnerschaftlichen Verhältnisses zwischen Staat und Religionsgemeinschaften eine Finanzordnung im weitesten Sinne zu schaffen. Schliesslich ist festzulegen, welche Religionsgemeinschaften bzw. unter welchen Bedingungen Religionsgemeinschaften öffentlichrechtlich in Beziehung zum Staat treten bzw. treten können. Diesen Kreis zu umschreiben, bildet Bestandteil einer grundsätzlichen Regelung des Verhältnisses zwischen Religionsgemeinschaften und Staat. Mit der öffentlichrechtlichen Anerkennung der drei Kirchen auf Verfassungsstufe und der Möglichkeit einer staatlichen Anerkennung weiterer Religionsgemeinschaften wird dieser Kreis bestimmt. In Anbetracht einer grundsätzlichen Ausrichtung der Verfassungsrevision mag es sachgerecht erscheinen, den Kreis der angesprochenen Religionsgemeinschaften offen ![]() | 41 |
Aus der Sicht einer gesamtheitlichen Neuregelung des Verhältnisses zwischen Religionsgemeinschaften und Staat ergeben sich ferner Aspekte der Gleichbehandlung. Es lasse sich, wie im Laufe der Entstehungsgeschichte zum Ausdruck gebracht worden ist, mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz nicht mehr vereinbaren, die Privilegien (insbes. mit staatlichen Beiträgen und der Möglichkeit der Besteuerung von juristischen Personen) einzig einer festgeschriebenen Zahl von Kirchen zukommen zu lassen; dies erfordere eine Öffnung gegenüber weiteren Religionsgemeinschaften mit der Möglichkeit der Erlangung desselben Status. Kantonsrat und Regierungsrat heben in ihren Vernehmlassungen die Bedeutung der Gleichbehandlung mit Nachdruck hervor und geben zu bedenken, dass diese bei einer Aufteilung der Vorlage schon im Ansatz gefährdet erschiene. Schliesslich zeigt die Entstehungsgeschichte, dass das Ausländerstimmrecht mit der Anerkennung weiterer Religionsgemeinschaften in enger Beziehung steht und diesem Rahmen diskutiert wurde, da dieses insbesondere für weitere Religionsgemeinschaften mit möglicherweise hohem Ausländeranteil von Bedeutung ist.
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In materieller Hinsicht rücken die Beschwerdeführer die einzelnen Sachfragen in den Vordergrund ihrer Betrachtung und stellen die einzelnen Themenkreise einander gegenüber, um die Unterschiedlichkeit der Teile und das Bedürfnis der Stimmberechtigten nach einer differenzierten Willensbildung und -kundgabe im Sinne der Abstimmungsfreiheit zu belegen. Demgegenüber betonen Kantonsrat und Regierungsrat die grundsätzliche Ausrichtung der Vorlage. Die behördliche Argumentation liegt auf einer höheren Abstraktionsstufe als diejenige der Beschwerdeführer und hebt über die Einzelteile hinaus den grundlegenden Zweck der Verfassungsrevision hervor, das Verhältnis zwischen Kirchen und Religionsgemeinschaften ![]() | 44 |
In Anbetracht dieser grundsätzlichen Ausrichtung und des dem Kantonsrat zukommenden Gestaltungsspielraums wahrt die angefochtene Verfassungsvorlage trotz der Vereinigung unterschiedlicher Themenkreise den Grundsatz der Einheit der Materie und ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Damit erweist sich die Rüge der Verletzung von Art. 34 Abs. 2 BV als unbegründet.
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