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37. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung i.S. Politische Gemeinde Tujetsch und Mitb. gegen X. AG sowie Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden (staatsrechtliche Beschwerde) |
2P.155/2003 vom 20. November 2003 | |
Regeste |
Art. 50 Abs. 1 BV, Submissionsgesetz des Kantons Graubünden; Gemeindeautonomie; Rechtswirkungen des submissionsrechtlichen Zuschlags. |
Rechtswirkungen eines Zuschlagsentscheides: Der Zuschlag begründet keine Kontrahierungspflicht des Submittenten, weshalb nicht im Vollstreckungsverfahren ein Vertragsschluss erzwungen werden kann. Allfällige Haftungsansprüche bleiben vorbehalten (E. 3). |
Auswirkungen dieser Rechtslage auf die Stellung der Mitglieder des Gemeindevorstandes, die unter Strafandrohung verpflichtet wurden, für die Gemeinde einen Kaufvertrag abzuschliessen (E. 1.2 und 4). | |
Sachverhalt | |
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Mit Schreiben vom 11. Februar 2003 teilte die Gemeinde Tujetsch der X. AG und der Y. AG mit, sie habe beschlossen, von der Beschaffung eines Pistenfahrzeuges abzusehen. Der im Jahre 2002 gesprochene Kredit sei mit Ablauf des Budgetjahres Ende 2002 verfallen, und aufgrund der verschlechterten Finanzlage sei der Gemeindevorstand nicht bereit, einen neuen Kredit zu beantragen.
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Am 14. März 2003 ersuchte die X. AG das Verwaltungsgericht, das Urteil vom 17. Januar 2003 mit allen entsprechenden Mitteln zu vollstrecken. Das Urteil sei rechtskräftig, weshalb die Gemeinde daran gebunden sei und das bereit gehaltene Pistenfahrzeug abzunehmen habe.
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Am 30. April 2003 fällte das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden das folgende Urteil:
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"1. In Gutheissung des Vollstreckungsgesuches wird der Gemeindevorstand Tujetsch, bestehend aus A., B., C., D und E., unter der Strafandrohung von Art. 292 StGB, wonach mit Haft oder mit Busse bestraft wird, wer der von einer zuständigen Behörde oder einem zuständigen Beamten unter Hinweis auf die Strafdrohung dieses Artikels an ihn erlassenen Verfügung nicht Folge leistet, verpflichtet, ![]() | 5 |
2. ..."
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Gegen dieses Urteil führen die Politische Gemeinde Tujetsch sowie die einzelnen Mitglieder ihres Gemeindevorstandes gemeinsam staatsrechtliche Beschwerde beim Bundesgericht (Eingabe vom 10. Juni 2003). Sie beantragen die Aufhebung des angefochtenen Entscheides.
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Die X. AG schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden beantragt Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei.
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Mit verfahrensleitender Verfügung vom 9. Juli 2003 hat der Präsident der II. öffentlichrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts der staatsrechtlichen Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
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Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 1 | |
1.1 Der angefochtene Entscheid ist letztinstanzlich und stützt sich auf kantonales Recht; gegen ihn steht auf Bundesebene kein anderes Rechtsmittel offen als die staatsrechtliche Beschwerde (Art. 84 Abs. 2 und Art. 86 OG). Er trifft die Gemeinde Tujetsch in ihren hoheitlichen Befugnissen, hat sie das Verwaltungsgericht doch zum Kauf eines Pistenfahrzeuges aus eigenen Mitteln verpflichtet. Die Gemeinde ist deshalb legitimiert, mit staatsrechtlicher Beschwerde eine Verletzung der Gemeindeautonomie zu rügen (vgl. BGE 128 I 3 E. 1c S. 7; BGE 121 I 218 E. 2a S. 220, je mit Hinweisen). Ob der Gemeinde Tujetsch im betreffenden Bereich tatsächlich Autonomie zusteht, ist nicht eine Frage des Eintretens, sondern der materiellen Beurteilung (BGE 128 I 3 E. 1c S. 7; BGE 119 Ia 285 E. 4a S. 294).
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An der Anfechtbarkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts ändert grundsätzlich nichts, dass dieses letztlich einzig Vollstreckungsmassnahmen zum Gegenstand hat; zu prüfen ist indessen nur, ob der angefochtene Entscheid als Vollstreckungsentscheid mit der Verfassung vereinbar ist, und es ist nicht mehr auf die Rechtmässigkeit des Vergabeentscheides zurückzukommen, zumal die Gemeinde Tujetsch nicht geltend macht, in unverjährbaren oder unverzichtbaren Grundrechten verletzt worden zu sein.
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Erwägung 2 | |
2.1 Die Bundesverfassung vom 18. April 1999 gewährleistet die Gemeindeautonomie nach Massgabe des kantonalen Rechts (Art. 50 Abs. 1 BV). Wie bereits unter der Geltung der alten Verfassung ist eine Gemeinde demnach dann autonom in einem Sachbereich, wenn das kantonale Recht diesen nicht abschliessend ordnet, sondern ihn ganz oder teilweise der Gemeinde zur Regelung überlässt und ihr dabei eine relativ erhebliche Entscheidungsfreiheit einräumt. Der geschützte Autonomiebereich kann sich auf die Befugnis zum Erlass oder Vollzug eigener kommunaler Vorschriften beziehen oder einen entsprechenden Spielraum bei der Anwendung des kantonalen oder eidgenössischen Rechts betreffen. Der Schutz der Gemeindeautonomie setzt eine solche nicht in einem ganzen Aufgabengebiet, sondern lediglich im streitigen Bereich voraus. Im Einzelnen ergibt sich der Umfang der kommunalen Autonomie aus dem für den entsprechenden Bereich anwendbaren kantonalen Verfassungs- und Gesetzesrecht (BGE 128 I 3 E. 2a S. 8; BGE 122 I 279 E. 8b S. 290, je mit Hinweisen).
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2.2 Die Verfassung für den Kanton Graubünden vom 2. Oktober 1892 (KV) regelt die politischen Gemeinden in Art. 40 KV und weist ihnen unter anderem das Recht zur selbständigen Gemeindeverwaltung und die Verpflichtung zu, "für gute Verwaltung ihrer Gemeindeangelegenheiten ... zu sorgen". Nach Art. 1 Abs. 2 des Gemeindegesetzes des Kantons Graubünden vom 28. April 1974 üben die Gemeinden in den Grenzen ihrer gesetzlichen Zuständigkeit die Hoheit über alle auf ihrem Gebiet befindlichen Personen und Sachen aus. Gemäss Art. 2 Abs. 1 des Gemeindegesetzes steht ihnen innerhalb der Schranken der Gesetzgebung des Bundes und des Kantons das Recht auf selbständige Ordnung ihrer Angelegenheiten zu. Dazu ![]() | 14 |
2.3 Die beschwerdeführende Gemeinde verfügt demnach im vorliegenden Zusammenhang über die erforderliche relativ erhebliche Entscheidungsfreiheit, womit sie den Schutz der Autonomie geniesst. Sie kann sich daher mit staatsrechtlicher Beschwerde gegen den sie belastenden Vergabeentscheid des Verwaltungsgerichts als kantonal letztinstanzlicher Rechtsmittelbehörde wehren; dabei kann sie insbesondere geltend machen, dieses habe im Rechtsmittelverfahren seine Prüfungsbefugnis überschritten oder die den betreffenden Sachbereich ordnenden kommunalen, kantonalen oder bundesrechtlichen Normen falsch angewendet. Die Gemeinde kann auch eine Verletzung des Willkürverbots oder eine Verweigerung des rechtlichen Gehörs rügen, sofern diese Vorbringen mit der behaupteten Verletzung der Autonomie in engem Zusammenhang stehen. Soweit es um die Handhabung von eidgenössischem oder kantonalem Verfassungsrecht geht, prüft das Bundesgericht das Vorgehen der kantonalen Behörden mit freier Kognition, sonst nur auf Willkür hin (BGE 128 I 3 E. 2b S. 9; BGE 126 I 133 E. 2 S. 136 f., je mit weiteren Hinweisen).
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Erwägung 3 | |
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Der angefochtene Entscheid erging auf der Grundlage von Art. 81 Abs. 2 VGG/GR. Es fragt sich, ob dies zulässig ist oder in verfassungswidriger Weise in die Autonomie der beschwerdeführenden Gemeinde eingreift.
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Das Submissionsgesetz (SubG) vom 7. Juni 1998 des Kantons Graubünden ist unter anderem anwendbar auf die Vergabe von Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträgen der Gemeinden (Art. 1 Abs. 1 lit. b SubG). Gemäss Art. 15 Abs. 1 SubG erhält das wirtschaftlich günstigste Angebot den Zuschlag. Nach Art. 17 Abs. 2 SubG kann der Submittent das Verfahren aus wichtigen Gründen abbrechen. Diese kantonalrechtliche Submissionsordnung stimmt im Wesentlichen mit derjenigen der Interkantonalen Vereinbarung vom 25. November 1994 über das öffentliche Beschaffungswesen (IVoeB; SR 172.056.4) überein, der auch der Kanton Graubünden beigetreten ist.
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Im vorliegenden Fall steht verbindlich fest, dass das günstigste Angebot von der Beschwerdegegnerin unterbreitet wurde, weshalb diese den Zuschlag erhielt. Das Verwaltungsgericht geht davon aus, damit sei die beschwerdeführende Gemeinde gestützt auf das rechtskräftige verwaltungsgerichtliche Urteil in der Sache verpflichtet, den Kaufvertrag mit der Beschwerdegegnerin abzuschliessen, und könne in Vollstreckung des Urteils dazu gezwungen werden. Ob dies zutrifft, hängt freilich von den Rechtswirkungen ab, welche der ![]() | 21 |
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Es kann hier auch offen bleiben, ob nach rechtskräftigem Zuschlag ein Abbruch des Submissionsverfahrens noch möglich ist. Gegebenenfalls ![]() | 23 |
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4. Der angefochtene Entscheid erweist sich damit auch gegenüber den privaten Beschwerdeführern als willkürlich im Sinne von Art. 9 BV. Steht es dem Verwaltungsgericht nicht zu, die Gemeinde im submissionsrechtlichen Vollstreckungsverfahren zum Abschluss eines privaten Kaufvertrages zu verpflichten, ist es ebenfalls unhaltbar, ![]() | 25 |
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