17. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung | |
vom 7. Juni 2000
| |
i.S. Stadt Zürich gegen Scientology Kirche Zürich
| |
(staatsrechtliche Beschwerde)
| |
Regeste | |
Art. 31 aBV (Art. 27 BV); Art. 49 aBV (Art. 15 BV); Handels- und Gewerbefreiheit; Religionsfreiheit; Gemeindeautonomie (Art. 50 BV); Benützung des öffentlichen Grundes zu Sonderzwecken; gesteigerter Gemeingebrauch.
| |
Gemeindeautonomie und Prüfungsdichte (E. 2).
| |
Wer entgeltliche Leistungen vertreiben will und das damit allenfalls verbundene Missionierungsziel gegenüber dem anvisierten Publikum nicht klar zu erkennen gibt, muss in Kauf nehmen, dass seine Werbeaktionen nicht unter dem Gesichtspunkt der Religionsfreiheit gewürdigt, sondern als wirtschaftlich motiviert angesehen und nach den hiefür geltenden Regeln behandelt werden (E. 3).
| |
Ob die Handels- und Gewerbefreiheit ihre Schutzwirkung entfaltet, hängt nicht davon ab, ob und wieweit ein Gewerbetreibender auf die Benützung des öffentlichen Grundes angewiesen ist. Dies spielt erst bei der Interessenabwägung eine Rolle (E. 4d).
| |
Mit Beschluss vom 16. Juni 1972 hat der Stadtrat der Stadt Zürich Vorschriften über die vorübergehende Benützung des öffentlichen Grundes zu Sonderzwecken (VBöGS) erlassen. Die Werbung auf dem öffentlichen Grund wird darin wie folgt geregelt:
| |
Art. 20 Verteilen von Werbematerial
| |
Das Verteilen von Druckerzeugnissen, die Erwerbszwecken dienen, und von Werbeartikeln auf dem öffentlichen Grund ist untersagt.
| |
Art. 21 Werbeveranstaltungen
| |
1 Werbeveranstaltungen mit Motorfahrzeugen und Tieren sind auf dem ganzen öffentlichen Grund untersagt.
| |
2 Werbeveranstaltungen mit einzelnen Fussgängern können in beschränktem Umfang bewilligt werden. Sie sind jedoch nur auf dem Trottoirgebiet zugelassen. Die beteiligten Personen dürfen nicht stehenbleiben.
| |
Mit Verfügung vom 30. November 1994 untersagte der Chef Verwaltungspolizei der Stadt Zürich der Scientology Kirche Zürich ab sofort "das Verteilen des Persönlichkeitstestes 'Oxford Capacity Analysis' und des Handzettels 'Warum Glücklichsein kein Zufall ist' (....) auf dem öffentlichen Grund der Stadt Zürich". Zur Begründung führte er an, aufgrund von neuen Erkenntnissen würden den auf der Strasse angeworbenen Passanten anschliessend im Scientology Zentrum "teils unter fraglichen Methoden, Bücher zum Kauf oder Bestellen und kostenpflichtige Seminarien angeboten." Fragen religiösen Inhalts fehlten bei den Persönlichkeitstests. Das Verteilen ![]() ![]() | |
Der Polizeivorstand der Stadt Zürich wies die hiegegen gerichtete Einsprache am 1. Juni 1995 ab. Dabei beschränkte er das Verfahren auf die Frage, ob der Scientology Kirche Zürich das Verbreiten von Persönlichkeitstests und Handzetteln auf öffentlichem Grund untersagt werden könne. Unerheblich sei, ob es sich bei der Scientology Kirche um eine Religionsgemeinschaft handle oder nicht, da auch religiöse Vereinigungen auf dem öffentlichen Grund nicht Werbeaktionen zu Erwerbszwecken durchführen dürften. Die verteilten Blätter hätten mittelbar vor allem zum Ziel, die damit bedienten Personen zum Kauf von Büchern bzw. zum Belegen der gegen ein fixes Entgelt angebotenen Kurse zu bewegen. Infolgedessen liege eindeutig eine Veranstaltung zu Erwerbszwecken auf dem öffentlichen Grund vor, wofür gemäss Art. 20 und 21 VBöGS Bewilligungen grundsätzlich nicht erteilt werden könnten.
| |
Die von der Scientology Kirche Zürich dagegen erhobenen Rechtsmittel wurden am 6. März 1996 vom Stadtrat von Zürich, am 28. Januar 1997 vom Statthalteramt des Bezirks Zürich und schliesslich am 21. April 1999 vom Regierungsrat des Kantons Zürich abgewiesen.
| |
Das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich (im Folgenden: Verwaltungsgericht) hiess die gegen den Entscheid des Regierungsrats erhobene Beschwerde mit Urteil vom 28. September 1999 im Sinne der Erwägungen teilweise gut. Zwar stellte es ebenfalls fest, dass die Verteilung der fraglichen Druckschriften auf öffentlichem Grund der Stadt Zürich nicht unter dem Schutz der Religionsfreiheit stehe. Das Handeln der Scientology Kirche, die mit professionellen Marketing-Methoden versuche, ihre Leistungen an ein breites Publikum zu verkaufen, werde hauptsächlich durch wirtschaftliche Erwägungen bestimmt und falle somit als Werbetätigkeit unter Art. 20 VBöGS. Für ein völliges Verbot biete diese Bestimmung im Lichte der Handels- und Gewerbefreiheit allerdings keine rechtmässige Grundlage; die Stadt Zürich sei aber berechtigt, den - hier gegebenen - gesteigerten Gemeingebrauch öffentlicher Strassen einer Bewilligungspflicht zu unterstellen. Entsprechend hob das Verwaltungsgericht die vorangegangenen Entscheide auf und wies ![]() ![]() | |
Die hiegegen von der Stadt Zürich eingereichte staatsrechtliche Beschwerde weist das Bundesgericht ab.
| |
Aus den Erwägungen:
| |
Erwägung 2 | |
Staat und Gemeinden stellen, soweit ein Bedürfnis besteht und das Planungs- und Baugesetz keine abschliessende Ordnung trifft, Polizeivorschriften über das Strassengebiet selbst, seine Benützung sowie über das an die öffentlichen und privaten Strassen im Gemeingebrauch grenzende Gebiete auf. Vorbehalten bleiben die verkehrspolizeilichen Vorschriften.
| |
Den Gemeinden ist somit überlassen, über das Strassengebiet und seine Benutzung in eigener Kompetenz (Polizei-)Vorschriften zu erlassen, und es kommt ihnen dabei eine erhebliche Entscheidungsfreiheit zu. Unter Vorbehalt der allgemeinen verfassungsrechtlichen Schranken geniessen die Gemeinden daher in diesem Bereich Autonomie. Sie können sich folglich dagegen zur Wehr setzen, dass eine kantonale Behörde in einem Rechtsmittelverfahren ihre Prüfungsbefugnis überschreitet oder die den betreffenden Sachbereich ordnenden kommunalen, kantonalen oder bundesrechtlichen Vorschriften falsch anwendet. Soweit es um die Handhabung von eidgenössischem oder kantonalem Verfassungsrecht geht, prüft das Bundesgericht das Vorgehen der kantonalen Behörden mit freier Kognition, sonst nur auf Willkür hin (BGE 122 I 279 E. 8c S. 291; 120 Ia 203 E. 2a S. 204, mit Hinweisen). Die Gemeinden können in ![]() ![]() | |
Erwägung 3 | |
Erwägung 4 | |
4.- a) Weiter ging das Verwaltungsgericht davon aus, dass es sich beim Verteilen der erwähnten Schriften in der Zürcher Innenstadt um gesteigerten Gemeingebrauch handle. Hieraus könne aber nicht auf die "Zulässigkeit des Verbots der Verteilung von Druckschriften und Werbeartikeln zu kommerziellen Zwecken" geschlossen werden, weil sich aus den Freiheitsrechten ein 'bedingter Anspruch' auf Gewährung gesteigerten Gemeingebrauchs an öffentlichem Grund ergebe. Dies gebiete, dass die Behörden nur dann ein Gesuch ablehnen dürften, wenn die der beabsichtigten Nutzung im konkreten Fall entgegenstehenden Gesichtspunkte überwögen. ![]() ![]() | |
Die Beschwerdeführerin rügt, dass das Verwaltungsgericht mit seinem Entscheid in ungerechtfertigter Weise in die Gemeindeautonomie eingegriffen habe, indem es der Beschwerdegegnerin ohne jede Grundlage in Lehre und Rechtsprechung und insbesondere ohne sachliche Rechtfertigung und damit willkürlich einen ![]() ![]() | |
c) Strassen sind öffentliche Sachen im Gemeingebrauch, d.h. sie stehen der Allgemeinheit zur Benutzung offen; diese kann mehr oder weniger intensiv sein. Verwaltungsgericht und Stadtrat sind sich darüber einig, dass das Verteilen von Druckschriften in der Zürcher Innenstadt über den schlichten Gemeingebrauch hinausgeht und gesteigerten Gemeingebrauch darstellt. Ein gesteigerter Gemeingebrauch liegt vor, wenn die Benützung einer öffentlichen Sache entweder nicht bestimmungsgemäss oder nicht gemeinverträglich ist (vgl. BGE 122 I 279 E. 2e/cc S. 286; ULRICH HÄFELIN/GEORG MÜLLER, Grundriss des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 3. Aufl. 1998, Rz. 1867 ff., S. 471 ff.; TOBIAS JAAG, Gemeingebrauch und Sondernutzung öffentlicher Sachen, in ZBl 93/1992 S. 151; ders., Verwaltungsrecht des Kantons Zürich, 2. Aufl. 1999, Rz. 2434, S. 221). Auf die Abgrenzung können auch örtliche Gegebenheiten Einfluss haben (BGE 122 I 279 E. 2e/aa S. 286 mit Hinweis). Die von den Stadtbehörden und vom Verwaltungsgericht vertretene Auffassung erscheint zwar streng, lässt sich aber für die Stadt Zürich vertreten, zumal die Aktionen der Beschwerdegegnerin, wie das Verwaltungsgericht mit Recht festhält, über das blosse Verteilen von Druckschriften hinausgehen und die Mitarbeiter darauf angewiesen sind, bereits auf dem öffentlichen Grund Gespräche mit Passanten zu führen, um deren Interesse für die angebotenen Leistungen zu wecken. Entsprechend können etwa Ausweichbewegungen von Passanten, Menschenansammlungen, Diskussionen oder gar Auseinandersetzungen in stark frequentierten Lagen zu Störungen des Verkehrsflusses führen.
| |
d) Gesteigerter Gemeingebrauch bedarf grundsätzlich der Bewilligung. Diese ist als Bewilligung sui generis von der Polizeierlaubnis und von der Konzession zu unterscheiden. Sie dient nicht ![]() ![]() ![]() ![]() | |
Hiervon ausgehend erscheint die Vorschrift der Beschwerdeführerin, wonach die Verteilung von Werbematerial auf öffentlichem Grund generell verboten ist (Art. 20 VBöGS), als unverhältnismässige Beschränkung. Damit ist der angefochtene Entscheid des Verwaltungsgerichts im Lichte der Verfassung und namentlich der Handels- und Gewerbefreiheit zu bestätigen und eine Verletzung der Gemeindeautonomie zu verneinen. Zwar besteht ein öffentliches Interesse daran, dass möglichst keine Werbeaktionen auf den Strassen stattfinden, weil sie den Fussgängerverkehr beeinträchtigen und einen zusätzlichen Reinigungsaufwand verursachen können. Zudem ist ein Gewerbetreibender auf die Verteilung von Flugblättern und dergleichen auf öffentlichem Grund normalerweise auch nicht angewiesen. In der Regel werden derartige Werbematerialien in die Briefkästen verteilt. Gleichwohl sind besondere Situationen denkbar, wo das Interesse eines einzelnen Gewerbetreibenden die erwähnten öffentlichen Anliegen überwiegen kann, z.B. wenn es darum geht, Passanten auf eine in der Nähe stattfindende Veranstaltung aufmerksam zu machen. Wie vom Verwaltungsgericht angeordnet, muss daher eine Interessenabwägung vorgenommen und gestützt hierauf entschieden werden, ob und gegebenenfalls mit welchen Auflagen eine Bewilligung zu erteilen ist. Dass dies nicht bloss vermehrten Aufwand erfordert, sondern in der praktischen Handhabung auch gewisse Probleme bringen mag, entbindet das Gemeinwesen nicht von der Pflicht zu rechtsstaatlichem Vorgehen; dazu gehört die Beachtung der Grundrechte und, bei deren Einschränkung, des Verhältnismässigkeitsprinzips. ![]() |