2P.270/2001 | |
vom 26. März 2002
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Regeste | |
Art. 27 BV, Art. 50 Abs. 1 BV; Wirtschaftsfreiheit, Gleichbehandlung der Gewerbegenossen, Gemeindeautonomie; Benützung des öffentlichen Grundes zu kommerziellen Zwecken, Betrieb eines Riesenrades am St. Galler Herbstjahrmarkt.
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Gemeindeautonomie: Beschwerdelegitimation und aktuelles Interesse (E. 1.1-1.3); Stellung der "weiteren Beteiligten" im Sinne von Art. 93 OG (E. 1.4); Tragweite der Autonomie und Prüfungsdichte (E. 2).
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Gleichbehandlung der Gewerbegenossen (Art. 27 BV): Rechtsprechung zur Gleichbehandlung von Zirkusunternehmen bei der Zurverfügungstellung öffentlichen Grundes (E. 3).
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Interessenabwägung der Gemeindebehörden bei der Zuteilung von Standplätzen für gewerbliche Veranstaltungen auf öffentlichem Grund: Respektierung der sich aus Art. 27 BV ergebenden (bedingten) Benützungsansprüche unter Beachtung des Gebots der Gleichbehandlung der Gewerbegenossen einerseits und Wahrung eigener Interessen bzw. Berücksichtigung von mutmasslichen Publikumsbedürfnissen andererseits; anzustreben ist ein (regelmässig zu überprüfender) Zuteilungsschlüssel, der den allfälligen Ungleichheiten der konkurrierenden Betriebe in verhältnismässiger Weise Rechnung trägt (E. 4.1).
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Es widerspricht nicht dem Gebot des fairen Wettbewerbs, wenn die Gemeinde von mehreren Angeboten für das Riesenrad am Herbstjahrmarkt jeweils das objektiv deutlich beste auswählt, auch wenn es immer wieder vom gleichen Anbieter stammt (E. 4.2). ![]() | |
Die X. AG, Eigentümerin eines Riesenrades mit 32 m Durchmesser, bewarb sich seit 1996 erfolglos um die Zuteilung eines Standplatzes für diese Anlage am St. Galler Herbstjahrmarkt; die Bewilligung wurde regelmässig der Y. AG erteilt, welche über ein Riesenrad mit 44 m Durchmesser verfügt. Gegen die Ablehnung ihres Gesuches für den Herbstjahrmarkt 2000 durch die städtische Gewerbepolizei rekurrierte die X. AG an den Stadtrat St. Gallen, der den Rekurs am 12. September 2000 abwies. Die X. AG focht diesen Entscheid beim Volkswirtschaftsdepartement des Kantons St. Gallen an. Dieses hiess den Rekurs am 11. April 2001 im Sinne der Erwägungen gut, hob den Beschluss des Stadtrates, soweit nicht durch Zeitablauf gegenstandslos geworden, auf und stellte förmlich fest, dass die Bewilligungspraxis der Marktpolizei gegen den aus der Wirtschaftsfreiheit folgenden Grundsatz der Gleichbehandlung der Gewerbegenossen verstosse. Zur Begründung führte das Volkswirtschaftsdepartement aus, die beanstandete Bewilligungspraxis der Stadt sei unverhältnismässig, weil das Angebot der X. AG nicht offensichtlich ungenügend sei. Es dürfe einem Schausteller die Möglichkeit, am St. Galler Herbstjahrmarkt teilzunehmen, nicht allein deshalb dauerhaft verwehrt werden, weil sein Riesenrad nicht den grössten Durchmesser aufweise. Dadurch würden bestehende Grössenunterschiede zwischen den Konkurrenzunternehmen zementiert. Es sei Sache der Stadt, ihre Bewilligungspraxis den Anforderungen der Wirtschaftsfreiheit (Art. 27 BV) anzupassen.
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Das Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen bestätigte auf Beschwerde der Stadt hin mit Urteil vom 11. September 2001 diesen Entscheid. ![]() | |
Aus den Erwägungen:
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Erwägung 1 | |
1.2 Die Politische Gemeinde St. Gallen wird durch die streitige Anordnung in ihrer Stellung als Hoheitsträgerin berührt. Sie ist daher legitimiert, wegen Verletzung der Gemeindeautonomie staatsrechtliche Beschwerde zu führen. Ob die beanspruchte Autonomie besteht, ist keine Frage des Eintretens, sondern der materiellen Beurteilung (BGE 124 I 223 E. 1b S. 226 mit Hinweisen).
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1.3 Ob der X. AG der Standplatz für den Herbstjahrmarkt 2000 verweigert werden durfte, ist heute nicht mehr von aktuellem Interesse. Der vom Verwaltungsgericht geschützte Entscheid des Volkswirtschaftsdepartementes sprach sich aber nicht nur über das damalige Bewilligungsgesuch aus, sondern er stellte zugleich förmlich die Verfassungswidrigkeit der bisherigen Bewilligungspraxis der städtischen Behörden fest. An der Anfechtung dieser Feststellung hat die Politische Gemeinde St. Gallen ein aktuelles Interesse. Im Übrigen wären die Voraussetzungen, unter denen ausnahmsweise auf ein aktuelles Interesse verzichtet wird, wegen der Grundsätzlichkeit der aufgeworfenen Streitfrage sowie der fehlenden Möglichkeit, innert nützlicher Frist ein Urteil des Bundesgerichtes zu erwirken, vorliegend ohnehin gegeben (BGE 126 I 250 E. 1b S. 252; vgl. auch BGE 121 I 279 E. 1 S. 281 f.).
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1.4 Die Firma Y. AG, welche aufgrund der beanstandeten bisherigen Bewilligungspraxis für ihr grösseres Riesenrad (44 m) die Bewilligung für den Herbstjahrmarkt 2000 erhalten hatte, wurde in das kantonale Rechtsmittelverfahren nicht einbezogen, obwohl der Entscheid über die Verfassungsmässigkeit der bisherigen Praxis auch für sie unmittelbare Auswirkungen haben konnte. Die Y. AG erhielt dagegen "als weitere Beteiligte" (Art. 93 OG) im Verfahren vor Bundesgericht Gelegenheit zur Stellungnahme. Sie stellt sich in ihrer Vernehmlassung, was zulässig ist, hinter das Begehren der ![]() ![]() | |
Erwägung 2 | |
Vorliegend geht es um die Durchführung von Marktveranstaltungen, worüber das kantonale Wandergewerbegesetz vom 20. Juni 1985 keine abschliessende Regelung enthält. Es weist die Zuständigkeit für die Aufsicht und die Bewilligung solcher Veranstaltungen den politischen Gemeinden zu (Art. 9), welche hierüber eigene Normen erlassen können (vgl. Marktreglement des Stadtrates St. Gallen vom 22. September 1987 sowie die gestützt darauf ergangenen "Weisungen" des Polizeivorstandes vom 16. Januar 1989). Sie besitzen u.a. auch bei der Auswahl der Bewerber für Standplätze auf öffentlichem Grund einen weiten Ermessensspielraum und geniessen damit in diesem Bereich den Schutz der Autonomie.
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2.2 Die Politische Gemeinde St. Gallen kann sich demzufolge in der vorliegenden Streitsache mittels Autonomiebeschwerde dagegen zur Wehr setzen, dass eine kantonale Behörde im Rechtsmittelverfahren ihre Prüfungsbefugnis überschreitet oder die den betreffenden Sachbereich ordnenden kommunalen, kantonalen oder bundesrechtlichen Vorschriften falsch anwendet. Sie kann in diesem Rahmen auch geltend machen, die kantonalen Behörden hätten die Tragweite eines Grundrechtes verkannt und dieses zu Unrecht als verletzt betrachtet. Soweit es um die Handhabung von ![]() ![]() | |
Erwägung 3 | |
3.1 Der vorliegende Sachverhalt weist eine Ähnlichkeit mit den in BGE 119 Ia 445 und 121 I 279 beurteilten Streitfällen über die Zuteilung von Standplätzen für Zirkusunternehmen auf. Beide Seiten berufen sich für ihre Argumentation auf diese Präzedenzfälle.
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3.1.1 In BGE 119 Ia 445 erachtete es das Bundesgericht als mit Art. 4 und 31 aBV vereinbar, dass der Zirkus Knie jedes Jahr in der Stadt Schaffhausen auftreten durfte, während der kleinere Circus Gasser Olympia nur im Zweijahresturnus zugelassen wurde. Wohl hätten die für die Zurverfügungstellung von Standplätzen auf öffentlichem Grund zuständigen Behörden neben den allgemeinen Schranken des Willkürverbotes und des Gleichbehandlungsgebotes auch dem besonderen Gehalt der Handels- und Gewerbefreiheit Rechnung zu tragen, doch dürften sie neben dem Bedürfnis des einzelnen Bewerbers und den Bedürfnissen anderer - branchengleicher oder sonstiger - Bewerber auch das Interesse der Öffentlichkeit sowie der Anwohner an einer zweckmässigen Nutzung des öffentlichen Grundes mitberücksichtigen. Die an der periodischen Zuweisung von Standplätzen interessierten Zirkusunternehmen seien zwar nach Möglichkeit gleich zu behandeln; die Stadt Schaffhausen sei aber verfassungsrechtlich nicht verpflichtet, ihre Benützungsordnung für das betreffende Areal, unter Hintanstellung ihrer eigenen lokalen Bedürfnisse, geradezu darauf auszurichten, dass alle schweizerischen Zirkusunternehmen gleichmässig zum Zuge kämen. Das von den kommunalen und kantonalen Behörden berücksichtigte Zuschauerinteresse, einen Grosszirkus mit seinem umfangreicheren ![]() ![]() | |
3.2 In Anlehnung an die Erwägungen dieses zweiten Bundesgerichtsurteils erachtete das Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen die gerügte Ungleichbehandlung der X. AG als unverhältnismässig. Das Gericht ging von der unbestrittenen Annahme aus, dass am St. Galler Herbstjahrmarkt jeweils nur ein Riesenrad aufgestellt werden könne. Es erachtete es sodann auch als zulässig, grundsätzlich denjenigen Bewerber zu berücksichtigen, der über das attraktivste Riesenrad verfügt; es liege im öffentlichen Interesse, den Marktbesuchern eine möglichst attraktive Unterhaltung anzubieten. Es sei jedoch unverhältnismässig, das Gesuch der X. AG um Zuteilung eines Standplatzes regelmässig mit der Begründung abzulehnen, ein anderer Bewerber bzw. die Y. AG verfüge über ein grösseres und damit attraktiveres Riesenrad. Das Riesenrad der X. AG sei mit 32 m Durchmesser für einen Anlass von der ![]() ![]() | |
3.3 Die Politische Gemeinde St. Gallen erachtet die Argumentation des Verwaltungsgerichts als mit der Wirtschaftsfreiheit nicht vereinbar. Durch die Bewilligungserteilung an den Konkurrenten mit dem besten Angebot werde der Wettbewerb unter den direkten Konkurrenten nicht unzulässig verzerrt. Letzteres wäre vielmehr gerade dann der Fall, wenn die Bewilligung für die Aufstellung des Riesenrades ungeachtet der Güte des Angebotes nicht dem Bewerber mit dem besten Angebot, sondern einem Bewerber mit einem weniger guten Angebot erteilt würde. Die vom Verwaltungsgericht herangezogene Rechtsprechung des Bundesgerichts betreffend die Zulassung von Zirkussen lasse sich auf den vorliegenden Fall nicht übertragen; in jenen Fällen sei zu prüfen gewesen, wieweit neben dem Konkurrenten mit dem besten Angebot zusätzlich noch anderen Bewerbern (an andern Terminen) die Benutzung des öffentlichen Grundes zu gestatten sei, während es vorliegend darum gehe, ob für ![]() ![]() | |
Erwägung 4 | |
4.1 Die vorgebrachten, zum Teil auf gegensätzlichen Betrachtungsweisen beruhenden Argumente widerspiegeln die Doppelrolle der Gemeindebehörden bei der Zuteilung von Standplätzen für gewerbliche Veranstaltungen auf öffentlichem Grund: Einerseits hat die Gemeinde als Hoheitsträgerin die aus Art. 27 BV folgenden (bedingten) Ansprüche auf Benützung des öffentlichen Grundes zu gewerblichen Zwecken zu respektieren und sich bei ihrer Zuteilungspraxis insbesondere an das Gebot der Gleichbehandlung der Gewerbegenossen zu halten (BGE 121 I 279 E. 2a und 4a S. 282 bzw. 285; 126 I 133 E. 4d S. 140, je mit Hinweisen). Andererseits wird die Gemeinde durch die Inanspruchnahme ihres öffentlichen ![]() ![]() ![]() ![]() | |
4.2 In den letzten Jahren lagen der städtischen Behörde für den Standplatz für das Riesenrad am St. Galler Herbstjahrmarkt jeweils drei Bewerbungen vor, nämlich jene der Firma Z. (Riesenrad 34 m), der X. AG (Riesenrad 32 m) sowie der Y. AG (Riesenrad 44 m). Die verschiedenen Angebote waren in Bezug auf das von Stadt und Verwaltungsgericht übereinstimmend als massgebend erachtete Kriterium der Attraktivität offensichtlich nicht gleichwertig. Es liegt auf der Hand, dass ein Riesenrad mit 44 m Durchmesser dem Benützer sowohl optisch als auch im Bewegungsablauf einen wesentlich stärkeren Effekt vermittelt als ein solches mit nur 32 m oder 34 m Höhe. Wenn die Politische Gemeinde St. Gallen für den stark frequentierten Herbstjahrmarkt jeweils dem erwähnten Bewerber mit der attraktivsten Anlage den Vorzug gibt, ohne an dieser Veranstaltung periodisch auch die andern Unternehmen mit deutlich kleineren Riesenrädern zum Zuge kommen zu lassen, lässt sich dies verfassungsrechtlich nicht beanstanden. Der dem betreffenden Unternehmen dadurch zukommende Vorteil erscheint nicht unverhältnismässig. Einerseits entspricht die Wahl dieser Anlage ![]() ![]() ![]() |