![]() ![]() | |||
| |||
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
![]() | ![]() |
8. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Markus Bischoff und Mitb. gegen Kantonsrat und Regierungsrat des Kantons Zürich (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
1C_415/2010 vom 2. Februar 2011 | |
Regeste |
Art. 40 Abs. 1 KV/ZH, § 36 Abs. 3 GOG/ZH, Art. 82 lit. b und Art. 95 lit. c BGG; Wählbarkeitsvoraussetzungen für Mitglieder des Handelsgerichts, abstrakte Normenkontrolle. | |
Sachverhalt | |
![]() | 1 |
In § 36 Abs. 3 GOG/ZH wird die Wählbarkeit der Handelsrichter wie folgt geregelt:
| 2 |
"Wählbar ist, wer in einem Unternehmen als Inhaberin oder Inhaber oder in leitender Stellung tätig ist oder während mindestens zehn Jahren eine solche Stellung bekleidet hat."
| 3 |
B. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht vom 14. September 2010 beantragen Markus Bischoff und Mitbeteiligte, § 36 Abs. 3 GOG/ZH sei aufzuheben. Sie rügen die Verletzung von Art. 40 Abs. 1 der Zürcher Kantonsverfassung vom 27. Februar 2005 (KV/ZH; SR 131.211) sowie des Wahlrechts (politische Rechte). (...)
| 4 |
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
| 5 |
(Auszug)
| 6 |
Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 1 | |
1.1 Angefochten ist die Bestimmung über die Wählbarkeit der Handelsrichter in § 36 Abs. 3 GOG/ZH. Es handelt sich dabei um einen kantonalen Erlass über das passive Wahlrecht zu einer sogenannten ![]() | 7 |
8 | |
9 | |
1.3.1 Weder die Bundesverfassung noch das Bundesgerichtsgesetz umschreiben im Einzelnen, was unter verfassungsmässigen Rechten zu verstehen ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts, dem die Konkretisierung dieses Begriffes obliegt, gelten als verfassungsmässige Rechte Verfassungsbestimmungen, die dem Bürger einen Schutzbereich gegen staatliche Eingriffe sichern wollen oder welche, obwohl vorwiegend im öffentlichen Interesse erlassen, daneben auch noch individuelle Interessen schützen. Bei der Bestimmung des Vorliegens von verfassungsmässigen Rechten stellt das Bundesgericht insbesondere auf das Rechtsschutzbedürfnis und die Justiziabilität ab (BGE 131 I 366 E. 2.2 S. 367 f. mit Hinweisen).
| 10 |
Nach der Doktrin gelten als verfassungsmässige Rechte justiziable Rechtsansprüche, die nicht ausschliesslich öffentliche Interessen, ![]() | 11 |
12 | |
Der Gehalt dieser Verfassungsbestimmung ist nach den üblichen Auslegungsregeln zu ermitteln (BGE 131 I 366 E. 2.3 S. 368; BGE 131 II 697 E. 4.1 S. 702 f.; HÄFELIN/HALLER/KELLER, a.a.O., Rz. 91 ff.). Aus dem Wortlaut von Satz 1 der Bestimmung ergibt sich klar, dass in die obersten kantonalen Gerichte gewählt werden kann, wer in kantonalen Angelegenheiten stimmberechtigt ist. Die obersten kantonalen Gerichte sind nach § 74 Abs. 2 KV/ZH das Kassationsgericht, das Obergericht, das Verwaltungsgericht und das Sozialversicherungsgericht. Das Handelsgericht ist Teil des Obergerichts. Es besteht aus Mitgliedern des Obergerichts sowie den Handelsrichterinnen und -richtern (§ 38 Abs. 1 Satz 2 GOG/ZH) und entscheidet in Zivilsachen als einzige obere kantonale Instanz (Art. 75 Abs. 2 lit. b BGG; BGE 136 I 207 E. 3.5.2 S. 214 mit Hinweisen; BGE 136 III 437 E. 1.1 S. 440).
| 13 |
![]() | 14 |
1.4 Gemäss Art. 89 Abs. 1 lit. b und c BGG ist zur Anfechtung eines kantonalen Erlasses legitimiert, wer durch den Erlass aktuell oder virtuell besonders berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an dessen Änderung oder Aufhebung hat. Das schutzwürdige Interesse kann rechtlicher oder tatsächlicher Natur sein. Virtuelles Berührtsein setzt voraus, dass der Beschwerdeführer von der angefochtenen Regelung früher oder später einmal mit einer minimalen Wahrscheinlichkeit unmittelbar betroffen ist (BGE 136 I 17 E. 2.1 S. 21 mit Hinweisen).
| 15 |
Die Beschwerdeführer sind in kantonalen Angelegenheiten stimmberechtigt (Art. 40 Abs. 1 KV/ZH). Sie erfüllen jedoch nach eigenen unbestrittenen Angaben nicht die Anforderungen, welche nach § 36 Abs. 3 GOG/ZH für die Wählbarkeit zum Handelsrichter zusätzlich gelten sollen, da sie nicht Inhaber eines Unternehmens oder in leitender Stellung in einem solchen tätig sind oder während mindestens zehn Jahren eine solche Stellung bekleidet haben. Sie machen geltend, sie würden durch § 36 Abs. 3 GOG/ZH von einer Wahl zum Handelsrichter entgegen dem Wortlaut von Art. 40 Abs. 1 KV/ZH ausgeschlossen. Damit sind sie durch die angefochtene Bestimmung zumindest virtuell betroffen und somit zur Beschwerde berechtigt.
| 16 |
1.5 Nach Art. 101 BGG ist die Beschwerde gegen einen Erlass innert 30 Tagen nach der nach dem kantonalen Recht massgebenden Veröffentlichung des Erlasses beim Bundesgericht einzureichen. Zu frühe Einreichung schadet grundsätzlich nicht und führt nicht zum ![]() | 17 |
Das am 10. Mai 2010 beschlossene GOG/ZH wurde im Amtsblatt des Kantons Zürich vom 21. Mai 2010 veröffentlicht. Nach unbenütztem Ablauf der Referendumsfrist wurde die Rechtskraft des Beschlusses im Amtsblatt des Kantons Zürich vom 30. Juli 2010 publiziert. Mit Eingabe vom 14. September 2010 erhoben die Beschwerdeführer ihre Beschwerde rechtzeitig (Art. 101 i.V.m. Art. 46 BGG).
| 18 |
19 | |
2. Bei der Prüfung der Verfassungsmässigkeit eines kantonalen Erlasses im Rahmen der abstrakten Normenkontrolle ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts massgebend, ob der betreffenden Norm nach anerkannten Auslegungsregeln ein Sinn beigemessen werden kann, der sich mit den angerufenen Verfassungsgarantien vereinbaren lässt. Das Bundesgericht hebt eine kantonale Norm nur auf, wenn sie sich jeder verfassungskonformen (bzw. mit dem höherstufigen Bundesrecht vereinbaren) Auslegung entzieht, nicht jedoch, wenn sie einer solchen in vertretbarer Weise zugänglich bleibt (BGE 134 I 293 E. 2 S. 295; BGE 133 I 77 E. 2 S. 79, BGE 133 I 286 E. 4.3 S. 295; je mit Hinweisen). Erscheint eine generell-abstrakte Regelung unter normalen Verhältnissen, wie sie der Gesetzgeber voraussetzen durfte, als verfassungsrechtlich zulässig, so vermag die ungewisse Möglichkeit, dass sie sich in besonders gelagerten Einzelfällen als verfassungswidrig erweisen könnte, ein Eingreifen des Verfassungsrichters im Stadium der abstrakten Normenkontrolle im Allgemeinen noch nicht zu rechtfertigen; den Betroffenen verbleibt die Möglichkeit, eine allfällige Verfassungswidrigkeit bei der Anwendung im Einzelfall geltend zu machen (BGE 134 I 293 E. 2 S. 295).
| 20 |
Erwägung 3 | |
3.1 Wie bereits in E. 1.3.2 dargelegt, garantiert Art. 40 Abs. 1 KV/ZH grundsätzlich die Wählbarkeit der in kantonalen Angelegenheiten Stimmberechtigten in das Amt eines Oberrichters oder Handelsrichters. Die Kantonsverfassung verlangt für die Wählbarkeit in ein oberstes Gericht keine besondere juristische Befähigung. Diese Regelung ist das Resultat einer engagierten Diskussion im Verfassungsrat über die Einführung von Wählbarkeitsvoraussetzungen für ![]() | 21 |
22 | |
Erwägung 3.3 | |
3.3.1 Das Zürcher Handelsgericht als Teil des Obergerichts beruht neu auf den §§ 34 ff. GOG/ZH. Es entscheidet als einzige Instanz Streitigkeiten gemäss Art. 5 Abs. 1 lit. a-e und h ZPO (§ 44 lit. a GOG/ZH). Ebenfalls als einzige Instanz entscheidet es über Streitigkeiten gemäss Art. 6 Abs. 2, 3 und 4 lit. b ZPO, deren Streitwert mindestens Fr. 30'000.- beträgt (§ 44 lit. b GOG/ZH). In bestimmten anderen Fällen entscheidet das Präsidium des Handelsgerichts oder ein von diesem bezeichnetes Mitglied des Handelsgerichts als ![]() | 23 |
24 | |
3.3.3 Die beschriebene Beschränkung der Wählbarkeit soll die fachliche Qualität der Handelsrichter gewährleisten. Die fachliche Qualität bei Mitgliedern eines Fachgerichts hat besonderes Gewicht. Das Erfordernis eines grossen Fachwissens gilt indessen nicht nur für die Handelsrichter, sondern auch für die anderen hohen Ämter im Kanton, für welche weder das Gesetz noch die Kantonsverfassung zusätzliche Wählbarkeitsvoraussetzungen enthalten. Ohne spezielle Wählbarkeitsvoraussetzungen gewählt werden im Kanton Zürich unter anderen die Mitglieder der übrigen obersten kantonalen Gerichte. Dazu gehören nach Art. 74 Abs. 2 KV/ZH das Obergericht, das Verwaltungsgericht und das Sozialversicherungsgericht. Die Kantonsverfassung enthält wie erwähnt keinen Vorbehalt, wonach für die Handelsrichter strengere Wählbarkeitsvoraussetzungen als ![]() | 25 |
26 | |
3.3.5 Die Qualität der Handelsrichter muss wie bei den übrigen Mitgliedern der Gerichte primär mit einem sorgfältigen, möglichst professionellen Auswahlverfahren gesichert werden. Die an diesem Verfahren beteiligten Akteure (politische Parteien, interfraktionelle Konferenz, kantonsrätliche Kommission) haben darauf zu achten, dass nur fachlich und menschlich qualifizierte Kandidatinnen und Kandidaten in ein Richteramt gewählt werden (vgl. HALLER, KV, a.a.O., N. 7 zu Art. 40 KV/ZH). Die fachliche Qualifikation zum ![]() | 27 |
28 | |
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). |