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30. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A.X. gegen Migrationsamt und Departement für Justiz und Sicherheit des Kantons Thurgau (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
2C_1112/2012 vom 14. Juni 2013 | |
Regeste |
Art. 50 Abs. 1 lit. b AuG; Art. 8 Ziff. 1 EMRK; Art. 13 Abs. 1 BV; Voraussetzungen für einen Aufenthaltsanspruch des nicht sorgeberechtigten ausländischen Elternteils eines in der Schweiz anwesenheitsberechtigten Kindes. |
Bei nicht sorgeberechtigten ausländischen Elternteilen eines hier aufenthaltsberechtigten Kindes, welche aufgrund einer inzwischen aufgelösten ehelichen Gemeinschaft mit einer Person schweizerischer Staatsangehörigkeit oder mit Niederlassungsbewilligung bereits eine Aufenthaltsbewilligung für die Schweiz besassen, ist das Erfordernis der besonderen Intensität der affektiven Beziehung künftig bereits dann als erfüllt anzusehen, wenn der persönliche Kontakt im Rahmen eines nach heutigem Massstab üblichen Besuchsrechts ausgeübt wird. Bei Ausländern, welche erstmals um die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung ersuchen, ist demgegenüber weiterhin erforderlich, dass die affektiven Beziehungen zum Kind deutlich intensiver gelebt werden, als es einem üblichen Besuchsrecht entspricht. In allen Fällen wird zudem vorausgesetzt, dass das Besuchsrecht auch tatsächlich wahrgenommen wird. Festzuhalten ist schliesslich auch an den übrigen bisherigen Voraussetzungen einer Bewilligungsverlängerung bzw. -erteilung, d.h. an einer besonders intensiven wirtschaftlichen Beziehung zwischen dem Kind und dem nicht sorgeberechtigten Elternteil sowie an einem tadellosen Verhalten der ausländischen Person (E. 2.4 und 2.5). |
Anwendung der genannten Voraussetzungen auf den vorliegenden Fall (E. 3). | |
Sachverhalt | |
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Die Eheleute erwogen daraufhin zum Wohl ihrer Tochter die Trennung. Im April 2011 ordnete die Vormundschaftsbehörde Frauenfeld für C.X. eine Beistandschaft an. Am 4. April 2011 ersuchte A.X. um Verlängerung seiner Aufenthaltsbewilligung, was ihm auch gewährt wurde. Am 19. April 2011 ersuchten die Eheleute gemeinsam um Scheidung ihrer Ehe. Im Scheidungsurteil vom 26. April 2011 wurde - entsprechend dem Antrag der Eheleute - unter anderem was folgt festgelegt:
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3. Der Vater wird für berechtigt erklärt, die Tocher C.X. jedes Wochenende von Sonntag 9.00 Uhr bis 18.00 Uhr zu oder mit sich auf Besuch zu nehmen. Bezieht die Ehefrau Ferien, fällt das Besuchsrecht ersatzlos aus. Den Parteien steht es frei, ein weitergehendes Besuchsrecht sowie ein Ferienbesuchsrecht zu vereinbaren. Die Parteien werden sich über ein Ferienbesuchsrecht zu gegebener Zeit verständigen und wissen, dass ein solches ab einem gewissen Alter der Tochter notwendig ist. (...)"
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B. Mit Verfügung vom 12. Dezember 2011 lehnte das Migrationsamt des Kantons Thurgau die weitere Verlängerung der am 9. Mai 2012 ablaufenden Aufenthaltsbewilligung von A.X. ab und es wies ihn aus der Schweiz weg. Gegen diesen Entscheid beschwerte sich A.X. erfolglos beim Departement für Justiz und Sicherheit des Kantons Thurgau und beim Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau, das die Beschwerde mit Urteil vom 12. September 2012 abwies.
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C. Mit Eingabe vom 8. November 2012 führt A.X. Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beim Bundesgericht und beantragt im Wesentlichen, die kantonalen Behörden seien anzuweisen, ihm die Aufenthaltsbewilligung im Kanton Thurgau zu verlängern. (...)
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut und weist die Sache zu weiteren Abklärungen an die Vorinstanz zurück.
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(Auszug)
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Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 2 | |
2.1 Gemäss Art. 42 Abs. 1 AuG (SR 142.20) haben ausländische Ehegatten und ledige Kinder unter 18 Jahren von Schweizerinnen und Schweizern Anspruch auf Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung, wenn sie mit diesen zusammenwohnen. Nachdem die Ehe des Beschwerdeführers mit seiner Schweizer Gattin aufgelöst wurde, kann er sich nicht mehr auf diese Bestimmung berufen. Art. 50 Abs. 1 AuG sieht jedoch vor, dass der Anspruch des Ehegatten und der Kinder auf Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung nach Art. 42 und Art. 43 AuG im Anschluss an die Auflösung der Ehe oder der Familiengemeinschaft weiterbesteht, wenn (lit. a) die Ehegemeinschaft mindestens drei Jahre bestanden hat und eine erfolgreiche Integration besteht oder (lit. b) wichtige persönliche Gründe einen weiteren Aufenthalt in der Schweiz erforderlich machen. Im vorliegenden Fall hat die Ehegemeinschaft in ![]() | 9 |
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2.3 Das Erfordernis der besonderen Intensität der affektiven Beziehung wurde bis anhin stets daran gemessen, ob ein "grosszügig ausgestaltetes" Besuchsrecht eingeräumt worden ist und dieses kontinuierlich, spontan und reibungslos ausgeübt wird (vgl. beispielsweise Urteil 2C_145/2012 vom 16. Juli 2012 E. 2.3.1 m.w.H.). In diesem Zusammenhang ist nun festzustellen, dass die Ausgestaltung des Besuchsrechts des nicht sorgeberechtigten Elternteils während der letzten Jahre eine erhebliche Entwicklung erfahren hat (vgl. CYRIL HEGNAUER, in: Berner Kommentar, 4. Aufl. 1997, N. 100 zu Art. 273 ZGB m.H.): Früher war ein persönlicher Kontakt entweder überhaupt nicht vorgesehen ("Zahlvaterschaft") oder nur in sehr ![]() | 11 |
2.4 Ausländer, die aufgrund einer inzwischen aufgelösten ehelichen Gemeinschaft mit einem/-er schweizerischen Staatsangehörigen oder einer Person mit Niederlassungsbewilligung bereits eine Aufenthaltsbewilligung für die Schweiz besitzen, können sich - wie bereits aufgezeigt - nicht nur auf Art. 8 EMRK berufen; seit dem Inkrafttreten des Ausländergesetzes per 1. Januar 2008 haben sie gemäss Art. 50 Abs. 1 lit. b AuG auch kraft Bundesrecht einen (bedingten) Anspruch auf die Bewilligungsverlängerung, soweit die in dieser Bestimmung statuierten Voraussetzungen erfüllt sind. Zudem hatten sie durch den legalen Aufenthalt in der Schweiz auch ![]() | 12 |
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Bei nicht sorgeberechtigten ausländischen Elternteilen eines hier aufenthaltsberechtigten Kindes, welche aufgrund einer inzwischen aufgelösten ehelichen Gemeinschaft mit einem/-er schweizerischen Staatsangehörigen oder einer Person mit Niederlassungsbewilligung bereits eine Aufenthaltsbewilligung für die Schweiz besassen, ist das Erfordernis der besonderen Intensität der affektiven Beziehung künftig bereits dann als erfüllt anzusehen, wenn der persönliche Kontakt im Rahmen eines nach heutigem Massstab üblichen Besuchsrechts ausgeübt wird.
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Bei Ausländern, welche erstmals um die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung ersuchen, ist dagegen weiterhin das Bestehen einer besonders qualifizierten Beziehung zum hier lebenden Kind zu ![]() | 15 |
In jedem Fall kommt es weiterhin darauf an, dass das Besuchsrecht kontinuierlich und reibungslos ausgeübt wird. Das formelle Ausmass des Besuchsrechts ist mit anderen Worten nur insoweit massgeblich, als dieses auch tatsächlich wahrgenommen wird. Die faktische Ausübung des persönlichen Kontakts muss daher von der zuständigen Behörde notwendigerweise mit geeigneten Massnahmen abgeklärt werden.
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Festzuhalten ist zudem an den übrigen Voraussetzungen einer Bewilligungsverlängerung: Nach wie vor bleibt es erforderlich, dass auch in wirtschaftlicher Hinsicht eine besonders intensive Beziehung zwischen dem Kind und dem nicht sorgeberechtigten Elternteil besteht und dass Letzterer sich tadellos verhalten hat.
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Erwägung 3 | |
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Was den letztgenannten Punkt betrifft, ist auf die obenstehende Praxispräzisierung hinzuweisen und festzustellen, dass der Beschwerdeführer seine Tochter jeden Sonntag ganztags - 09:00 bis 18:00 Uhr - zu sich nimmt. Bei einem Kleinkind von zwei Jahren entspricht dies ohne Weiteres einem Besuchsrecht im hiervor aufgezeigten, üblichen Umfang. Dass dieses auch tatsächlich ausgeübt wird, lässt sich den aktenkundigen Äusserungen der Kindsmutter und der mit dem Vollzug des Besuchsrechts betrauten Sachbearbeiterin hinreichend entnehmen.
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Bei isolierter Betrachtung dieser Äusserung lässt sich in der Tat vermuten, zum damaligen Zeitpunkt - im Frühling 2010 - habe den Beschwerdeführer keine enge Beziehung mit seiner Tochter verbunden. Allerdings lässt sich demselben Aktenstück auch entnehmen, dass die Tochter vom Zeitpunkt der Einreise des Beschwerdeführers in die Schweiz im Mai 2010 bis zur Trennung im Frühling 2011 mehrheitlich von ihm betreut wurde. Ähnliches ergibt sich aus dem Schreiben der Kindsmutter vom 24. Januar 2012 an das Migrationsamt, wo sie ausführt, der Beschwerdeführer habe sich von Anfang an sehr an der Betreuung des Kindes beteiligt und er sei seit der Geburt von C.X. stets ein engagierter, verantwortungs- und liebevoller Vater gewesen.
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Bei einer Gesamtwürdigung dieser Sachlage ist das Vorliegen einer engen affektiven Verbindung zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Tochter zu bejahen. Angesichts der grossen Distanz zwischen der Schweiz und Mexiko wäre es zudem kaum möglich, dieses persönliche Verhältnis aufrechtzuerhalten.
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Den Vorhalt der unvollständigen Auskunftserteilung begründet die Vorinstanz mit der am 5. April 2011 abgegebenen Erklärung des Beschwerdeführers, bei seiner Schweizer Gattin bleiben zu wollen: Da die Eheleute bereits am 19. April 2011 das Scheidungsbegehren gestellt hätten, sei seine Behauptung unglaubwürdig, der Scheidungswille sei erst am 17. April 2011 entstanden. In der Tat erscheint die zeitliche Abfolge resp. der geringe zeitliche Abstand zwischen der abgegebenen Erklärung des Beschwerdeführers und der Einreichung des Scheidungsbegehrens auffällig. Indessen lässt sich den Akten entnehmen, dass es am 17. April 2011 zu einer massiven ehelichen Auseinandersetzung gekommen ist, wobei offenbar der Beschwerdeführer die Polizei gerufen und um Hilfe gebeten hat (vgl. das Schreiben der geschiedenen Gattin vom 20. April 2012; Schreiben der Kantonspolizei Thurgau vom 25. Oktober 2012). Insoweit ist es immerhin vorstellbar, das erst dieses Vorkommnis bei den Eheleuten zur definitiven Einsicht geführt hat, ihre Beziehung sei nicht mehr zu retten.
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Bezüglich der tätlichen Auseinandersetzungen zwischen dem Beschwerdeführer und seiner geschiedenen Ehefrau hielt das Verwaltungsgericht fest, der Beschwerdeführer habe seine Gattin im Herbst 2010 ein erstes Mal geschlagen. Am 4. November 2010 habe diese nach einer erneuten tätlichen Auseinandersetzung die Polizei gerufen. Sie habe Verletzungen in Form von Schwellungen der rechten Wange, ihrer Oberlippe sowie unterhalb ihres rechten Auges erlitten. Zudem sei ein Teil eines Schneidezahns unten rechts abgebrochen. Das Verhalten des Beschwerdeführers habe zu seiner Ausweisung aus der gemeinsamen Wohnung geführt.
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Diesen Ausführungen der Vorinstanz hält der Beschwerdeführer entgegen, es sei zwar richtig, dass es zwischen ihm und seiner geschiedenen Gattin mehrmals zu einem heftigen Streit gekommen sei. Anlässlich dieser Auseinandersetzungen sei jedoch auch die Gattin handgreiflich geworden und sie habe zudem verbal stark provoziert. ![]() | 28 |
Da das Verwaltungsgericht bereits das Vorhandensein einer besonders intensiven affektiven Beziehung im Lichte der bisherigen Rechtsprechung verneinte, musste es sich konsequenterweise auch nicht im Detail mit der Frage des tadellosen Verhaltens des Beschwerdeführers auseinandersetzen. Angesichts der nunmehr veränderten Ausgangslage kommt den genauen Umständen der ehelichen Auseinandersetzungen zwischen dem Beschwerdeführer und seiner geschiedenen Gattin indes heute eine gewichtigere Bedeutung zu und sie erweisen sich für die Entscheidung der Streitsache als massgeblich. Dies rechtfertigt es, die Angelegenheit zu weiteren und vertieften Abklärungen an das Verwaltungsgericht zurückzuweisen: Zu prüfen ist dabei insbesondere, ob die genannten tätlichen Auseinandersetzungen im Rahmen von ehelichen Streitigkeiten erfolgten, die beiderseits mit unangemessenen Mitteln geführt wurden, oder ob von einer einseitigen, erheblichen häuslichen Gewalt des Beschwerdeführers auszugehen ist. Im ersten Fall wäre das Erfordernis des tadellosen Verhaltens als erfüllt zu erachten, im zweiten Fall wäre diese Bewilligungsvoraussetzung zu verneinen.
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