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36. Urteil der II. Zivilabteilung vom 8. Oktober 1954 i. S. Campell gegen Gemeinde Scanfs. | |
Regeste |
Recht zum Aufsuchen und Wegschaffen von Sachen, die durch Naturgewalt (Lawinen) auf ein fremdes Grundstück gebracht wurden. | |
Sachverhalt | |
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Am 1. Februar 1951 teilte Campell der Gemeinde Scanfs mit, er wisse, dass sie als Eigentümerin des zerstörten Waldes das Recht auf das von ihrem Lande herrührende Lawinenholz habe. Sie könne aber darüber nur verfügen, wenn sie sich verpflichte, alle Lawinenschäden an seinen Wiesen und seinem Hause zu beheben. Unter diesen Umständen nehme er an, sie werde auf das Recht zur Räumung seiner Liegenschaften verzichten. Die Gemeinde antwortete, sie habe nach Art. 700 ZGB nur für den Schaden aufzukommen, der durch die Wegschaffung des Holzes entstehe, das sie abhole; sie werde mit dessen Zurüstung so bald als möglich beginnen. In der Folge führte sie die Stämme der von den Lawinen mitgerissenen Bäume vom Lande Campells weg. Die Wurzelstöcke, die Äste und das Faschinenholz überliess sie ihm.
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B.- Nach Zustellung eines Zahlungsbefehls leitete Campell gegen die Gemeinde Scanfs am 22. Dezember 1952 beim Kantonsgericht Graubünden, das unter Übergehung der ersten Instanz anzurufen die Parteien sich geeinigt hatten, Klage auf Zahlung von Fr. 5000.-- nebst 5% Zins seit 15. Juni 1951 ein. Zur Begründung machte er geltend, nach der Schätzung, die im Auftrag des interkantonalen Koordinationskomitees für die Hilfsaktion zugunsten der Lawinengeschädigten des Winters 1951 durchgeführt worden sei, obwohl er die Hilfe des Fonds für Lawinengeschädigte ![]() | 3 |
a) Entwertete Fläche, 2365 Aren, Arbeitsaufwand
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für Wiederherstellung 331,5 Arbeitstage à Fr. 15.-: Fr. 4972.--
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b) Zerstörte Fläche 44 Aren" 880.--
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c) Ernteausfall 10 ha" 1000.--
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d) Wiederherstellung von Zäunen" 860.--
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Fr. 7712.--
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e) Abzüglich Arbeitsleistung durch Studenten
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52 Tage à Fr. 15.-:" 780.--
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Totalbetrag des Schadens zu Lasten des Klägers: Fr. 6932.--
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Der in der Korrespondenz ausserdem erwähnte Gebäudeschaden sei durch die Elementarschadensversicherung gedeckt worden. Vom Betrag von Fr. 6932.-- sei die Gegenforderung der Beklagten von Fr. 1377.-- für Überlassung von Holz abzuziehen, die er, um die Zustimmung der Beklagten zur Übergehung der ersten Instanz zu erhalten und eine bedeutende Weiterung des Prozesses zu vermeiden, in dem Sinne anerkannt habe, dass sie mit dem von ihm nachzuweisenden Gesamtschaden verrechnet werden könne. Vom Restbetrag von Fr. 5555.-- klage er Fr. 5000.-- ein. Die Ablehnung seiner Forderung durch die Beklagte widerspreche Treu und Glauben und der von andern Gemeinden in ähnlicher Lage befolgten Praxis. Während die Beklagte einerseits aus dem Verkauf des verwertbaren Lawinenholzes grosse Beträge gelöst habe, überlasse sie anderseits die Sorge für die Reinigung des Kulturlandes von Schutt, Steinen und Abfallholz dem privaten Eigentümer. Das Aufrüsten und Wegschaffen des Abfallholzes, mit welchem die Beklagte die geschädigten Grundbesitzer für die Ansprüche aus Art. 700 ZGB abgefunden haben wolle, verursache mehr Kosten, als es wert sei. Darüber hinaus müsse der Geschädigte sehen, wie er mit dem übrigen Material, mit dem Ernteausfall usw. fertig werde. Die Überlassung des Abfallholzes bilde daher keine angemessene Vergütung für die Reinigung der Wiesen. In Art. 700 ZGB sei allerdings nur von dem durch das Aufsuchen und ![]() | 13 |
Am 14./15. Juni 1954 hat das Kantonsgericht die Klage gemäss Antrag der Beklagten abgewiesen.
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C.- Mit seiner Berufung an das Bundesgericht erneuert der Kläger sein Klagebegehren. Eventuell beantragt er Rückweisung der Sache an die Vorinstanz. Die Beklagte schliesst auf Abweisung der Berufung.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
1. Da es sich um eine Klage gegen eine Gemeinde handelt, erhebt sich angesichts von Art. 59 Abs. 1 ZGB zunächst die von den Parteien und der Vorinstanz nicht erörterte, aber von Amtes wegen zu prüfende Frage, ob die streitige Entschädigungspflicht sich überhaupt nach Bundeszivilrecht, insbesondere Art. 700 ZGB, oder aber nach kantonalem öffentlichem Recht beurteile. Diese Frage ist im ersten Sinne zu beantworten, weil die Rechte und Pflichten der Gemeinde als Eigentümerin von Grundstücken und der darauf gewachsenen Bäume im Streite liegen und die Gemeindeorgane in dieser Sache nicht als Träger öffentlicher Gewalt, sondern so gehandelt haben, wie es auch ein privater Waldbesitzer hätte tun können. Es verhält sich hier ähnlich wie bei der Haftung des Gemeinwesens für mangelhaften Unterhalt der öffentlichen Strassen, ![]() | 16 |
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a) Der Kläger behauptet selber nicht, dass die Beklagte diesen Schaden selbst dann ersetzen müsste, wenn sie auf das Holz, das die Lawinen aus ihren Wäldern auf die Liegenschaften des Klägers rissen, keinen Anspruch erhoben hätte. Eine solche Pflicht lässt sich in der Tat nicht begründen. Sie ergibt sich weder aus Art. 41 OR, da die Beklagte den Niedergang der Lawinen nicht verschuldet hat, noch aus Art. 679 ZGB, da nicht die Rede davon sein kann, dass der Lawinenschaden daraus entstanden sei, dass die Beklagte als Waldeigentümerin ihr Eigentumsrecht überschritten habe. Ursache dieses Schadens ist vielmehr höhere Gewalt, für welche die Beklagte nicht einzustehen hat. Insbesondere lässt sich eine Haftung für den durch Naturgewalt verursachten Schaden nicht aus Art.700 ZGB ableiten, der in Abs. 1 bestimmt, dass dann, wenn Sachen durch Wasser, Wind, Lawinen oder andere Naturgewalt oder zufällige Ereignisse aufein fremdes Grundstück gebracht werden, der Grundeigentümer dem Berechtigten deren Aufsuchung und Wegschaffung zu gestatten habe, und in Abs. 2 vorsieht, dass der Grundeigentümer für den "hieraus" (franz.: "en") entstehenden Schadenersatz verlangen könne. Damit kann nur der aus dem Aufsuchen und Wegschaffen der Sachen entstehende Schaden gemeint sein. Der Kläger möchte zwar auf den italienischen Text von Abs. 2 abstellen, wo dem Grundeigentümer kurzweg ein Anspruch auf Ersatz des Schadens (risarcimento del danno) gewährt wird. Hierunter möchte er den Ersatz des ganzen Schadens verstanden wissen, der durch das Ereignis entstanden ist, das Sachen auf ein fremdes Grundstück ![]() | 18 |
b) Für den ganzen Lawinenschaden kann die Beklagte aber auch dann nicht haftbar gemacht werden, wenn man in Betracht zieht, dass sie das von den Lawinen auf das Land des Klägers geführte Holz wenigstens zum Teil weggeschafft hat. Der Berechtigte, der die durch Naturgewalt oder Zufall auf ein fremdes Grundstück gebrachten Sachen aufsucht und wegschafft, haftet nach dem klaren Wortlaut der deutschen und französischen Fassung von Art. 700 Abs. 2 nur für den aus der Aufsuchung und Wegschaffung entstehenden Schaden. Der italienische Text sagt dies freilich nicht klar. Er bestimmt aber auch nicht etwa ausdrücklich, dass der Berechtigte dem Grundeigentümer den ganzen durch die Naturgewalt oder den Zufall angerichteten Schaden zu vergüten habe, wenn er seine Sachen abhole. Nach dem Zusammenhang wäre der italienische Text wohl auch dann, wenn die klaren Fassungen in den beiden andern Amtssprachen nicht da wären, in dem Sinne zu verstehen, dass nur der Schaden aus dem Aufsuchen und Wegschaffen der zugeführten Sachen, von dem in Abs. 1 die Rede ist, zu ersetzen sei. Auf jeden Fall aber kann der undeutliche italienische Text nicht zu einer Auslegung führen, die dem klaren Sinn der beiden andern Fassungen widerspricht. Die rätoromanische Fassung, die von "indemnisaziun pil donn caschunau" (Entschädigung für ![]() | 19 |
Vergeblich sucht der Kläger seine Auslegung auf die Gesetzesmaterialien zu stützen. Im Nationalrat hatte Buri allerdings beantragt, die Worte "für den hieraus entstehenden Schaden" durch die Worte "für den entstandenen Schaden" zu ersetzen, um damit zum Ausdruck zu bringen, dass derjenige, der die auf das fremde Grundstück gebrachten Sachen (z.B. eine Tanne, die durch eine Lawine oder Wind mitten durch eine Scheune geworfen wurde) wieder herausbringen wolle, den ganzen Schaden, auch den durch die "Übertragung" der Sache verursachten, ersetzen müsse (Sten.Bull. 1906 S. 553). Der Antrag Buris, gegen dessen Ausführungen über den durch Naturereignisse angerichteten Schaden Eugen Huber einen Vorbehalt anbrachte, wurde dann aber bloss in der Form zum Beschluss erhoben, dass das Wort "entstehenden" durch "entstandenen" ersetzt wurde (a.a.O. S. 554), so dass die neue Fassung lautete: "Für den hieraus entstandenen Schaden kann er Ersatz verlangen..." (vgl. die für die Beratungen im Ständerat bestimmte Zusammenstellung des bundesrätlichen Entwurfs vom 28. Mai 1904 und der Beschlüsse des Nationalrats vom Juni 1906 sowie der ständerätlichen Kommission vom 24. September bis 4. Oktober 1906, bei Art. 689 des deutschen Textes). Diese Fassung unterschied sich von derjenigen des Entwurfs nur noch stilistisch. So mag es sich erklären, dass die bestehende Differenz im Ständerat nicht zur Sprache kam und schliesslich der Text des bundesrätlichen Entwurfs Gesetz wurde. Auf jeden Fall aber bildet die ohne Folgen gebliebene Episode aus der Entstehungsgeschichte, auf die der Kläger sich beruft, kein Argument zugunsten seiner Auslegung. Eher liesse sich das Gegenteil sagen, da der Antrag Buris so, wie er gefasst war, schon im Nationalrat nicht durchgedrungen ist.
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Schliesslich kann auch von einer Gesetzeslücke nicht die Rede sein. Das Gesetz hat die Frage, ob der Berechtigte, der die durch Lawinen auf fremden Boden gebrachten Sachen aufsucht und wegschafft, dem Grundeigentümer für den durch den Lawinengang entstandenen Schaden hafte, nicht offengelassen, wie der Kläger behauptet. Aus dem Gesetz ergibt sich vielmehr klar, dass diese Frage verneint werden muss. Art. 700 Abs. 2 verpflichtet den Berechtigten, der den ihm weggeführten Sachen nachgeht, wie schon gesagt nur zum Ersatz des aus der Aufsuchung und Wegschaffung dieser Sachen entstandenen Schadens. Eine Sonderbestimmung, aus der sich die Haftung des so handelnden Berechtigten für den Lawinenschaden ableiten liesse, besteht nicht. Aber auch die allgemeinen Vorschriften über die ausservertragliche Haftpflicht erlauben es nicht, den Berechtigten, der die ihm nach Art. 700 Abs. 1 zustehende Befugnis ausübt, zum Ersatze des durch die Lawinen verursachten Schadens zu verurteilen; denn der Berechtigte überschreitet damit keineswegs sein Eigentumsrecht (Art. 679 ZGB) und handelt auch sonst nicht widerrechtlich (Art. 41 OR), und hievon abgesehen besteht auch kein Kausalzusammenhang zwischen seinem Verhalten und dem Lawinenschaden, wie er nötig wäre, um eine Haftung nach den eben erwähnten Bestimmungen zu begründen. Das Gesetz schliesst also seine Haftung für diesen Schaden aus.
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Zu Unrecht behauptet der Kläger, dieses Ergebnis sei so stossend, dass es vom Gesetzgeber unmöglich gewollt sein könne. Derjenige, dem durch eine Lawine Sachen fortgetragen werden, kann mit der Rücknahme dieser Sachen in der Regel nur einen geringen Teil des ihm entstandenen Schadens wieder einbringen. Dies gilt insbesondere bei der Zerstörung von Waldungen. Es wäre daher keineswegs billig, wenn die Rücknahme der weggeführten Sachen die Pflicht nach sich zöge, dem vom gleichen Naturereignis betroffenen Grundeigentümer, dem die Sachen zugeführt ![]() | 23 |
Der Kläger hat daher keinen Anspruch auf Ersatz des von ihm eingeklagten Schadens.
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3. Von der Frage der Ersatzpflicht für den Schaden, den ein Grundeigentümer durch ein zufälliges Ereignis erlitten hat, das fremde Sachen auf seinen Boden führte, ist die Frage zu unterscheiden, ob Art. 700 Abs. 1 ZGB dem Berechtigten, dem durch ein solches Ereignis eine Mehrzahl von Sachen weggeführt wurde, die Befugnis gebe, nach seiner Wahl alle diese Sachen oder nur einzelne davon oder auch nur Teile einzelner Sachen vom Grundstück'auf das sie gebracht wurden, zurückzuholen, und ob er im Falle, dass er nur alles zusammen oder einzelne Sachen nur in ihrer Gänze zurückholen darf, aber gleichwohl nur einzelne Sachen oder nur Teile von solchen wegnimmt, zur Beseitigung auch der auf dem fremden Grundstück belassenen Sachen oder Sachteile oder, wenn der Grundeigentümer diese an seiner Stelle wegräumen musste, zum Ersatz der hieraus entstandenen Auslagen angehalten werden könne. Der Kläger macht in dieser Hinsicht geltend, die in Art. 700 Abs. 1 vorgesehene Befugnis könne nach Treu und Glauben nicht in der Weise ausgeübt werden, dass der Berechtigte nur die nutzbaren Sachen oder Teile weghole und die Last der Beseitigung des nicht brauchbaren Restes dem Grundeigentümer überlasse; wenn der Berechtigte die nutzbaren Sachen oder Teile verwerten wolle, müsse er die ganze Räumung übernehmen. Der Kläger beruft sich dabei auf ein Gutachten von Prof. Liver. Diese rechtlichen Ausführungen können jedoch nicht zur Begründung des eingeklagten Anspruchs dienen. Der Kläger verlangt weder die Wegräumung der von der Beklagten zurückgelassenen Sachen (Abfallholz, Steine, Schutt) noch den Ersatz der.Aufwendungen, die er zu machen hatte, um diese Sachen wegzuräumen, sondern klagt, wie schon festgestellt, auf Ersatz des ganzen durch die Lawinen verursachten Schadens. Im Posten von Fr. 4972.-- für "Entwertete Fläche, ![]() | 25 |
Zur Bezahlung der Kosten der Wegschaffung dieses ganzen Materials könnte die Beklagte im übrigen auch dann nicht verurteilt werden, wenn man über den erwähnten Mangel der Klage hinwegsehen und annehmen wollte, die Wiederherstellung habe im vorliegenden Falle nur in der Räumung des von der Beklagten nicht weggeschafften Materials bestanden oder der Anteil der Räumungskosten an den Kosten der Wiederherstellung lasse sich bestimmen, obwohl der Kläger darüber keine Angaben gemacht hat. Art. 700 ZGB gewährt demjenigen, dem Sachen durch Naturgewalt oder Zufall weggeführt wurden, das Recht zu deren Aufsuchung und Wegschaffung ohne Vorbehalt. Die einzige Pflicht, die diese Bestimmung ihm auferlegt, ist diejenige zum Ersatz des hieraus entstehenden Schadens. Das Recht zur Aufsuchung und Wegschaffung ist letztlich ein Ausfluss des Eigentums an den betreffenden Sachen, das nach der Ordnung des ZGB dadurch, dass sie durch Naturgewalt oder Zufall auf ein fremdes Grundstück gebracht werden, dem bisherigen Eigentümer nicht verloren geht. Gegenstand des Eigentums sind die einzelnen ![]() | 26 |
Ob der Grundeigentümer auch dulden muss, dass der Berechtigte von einzelnen Sachen nur die brauchbaren Teile wegnimmt, die wertlosen Abfälle dagegen zurücklässt ![]() | 27 |
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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