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28. Urteil der II. Zivilabteilung vom 5. Mai 1955 i.S. Schweizerische Bundesbahnen gegen Wenger | |
Regeste |
Eisenbahnhaftpflicht. |
Haftet die Bahnunternehmung für Heilungskosten, die dem Verletzten eine anerkannte Krankenkasse vergütet hat? (Erw. 4). |
Zusprechung einer Rente für Verminderung der Erwerbsfähigkeit (Erw. 5). |
Genugtuung (Erw. 6). |
Art. 1, 3, 5, 8, 10, 18 EHG, 51 OR, 72 und 96 VVG, 26 KUVG. | |
Sachverhalt | |
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C.- Für das verunfallte Kind erhob sein Vater am 10. August 1952 mündliche und am 22. Januar 1953 schriftliche Klage gegen die Schweizerischen Bundesbahnen auf Zahlung von Fr. 15 918.20 mit 5% Zins seit dem 10. April 1952, nämlich:
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Heilungskosten (laut Rechnung des Kantonsspitals) Fr. 310.20
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Schadenersatz für dauernde Einbusse an Erwerbsfähigkeit Fr. 13'608.--
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Genugtuung Fr. 2'000.--
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Fr. 15'918.20
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D.- Entgegen dem auf gänzliche Klageabweisung gehenden Antrage der Beklagten bejahten die kantonalen Gerichte die Haftpflicht. Sie sprachen der Klägerin Ersatz der Heilungskosten zu, soweit sie nicht durch die kantonale Krankenkasse Solothurn gedeckt worden waren. Für die Verminderung der Erwerbsfähigkeit wurde ihr statt der geforderten Kapitalentschädigung eine monatliche Rente zuerkannt, die das Obergericht auf je Fr. 40.- vom zurückgelegten 16.-20. Altersjahr und von da an auf je Fr. 70.- bemass, mit Rektifikationsvorbehalt nach Art. 10 EHG. Den vom Amtsgericht ebenfalls mit Rektifikationsvorbehalt geschützten Genugtuungsanspruch von Fr. 2000.-- wies das Obergericht ab, weil die beklagte Bahnunternehmung kein erhebliches Verschulden treffe.
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E.- Mit vorliegender Berufung gegen das obergerichtliche Urteil vom 27. Oktober 1954 erneuert die Beklagte den Antrag auf Abweisung der Klage. Die Klägerin hat ![]() | 10 |
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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Der Umstand, dass das Kind in einem Moment, wo es gerade nicht bewacht wurde, ins Freie entschwinden ![]() | 12 |
2. Eine so entscheidende ursächliche Bedeutung ist hier der Unachtsamkeit der Eltern, speziell des Vaters, um so weniger beizumessen, als zum Eintritt des Unfalles wesentlich ein Umstand beigetragen hat, der der Bahnunternehmung ihrerseits zum Verschulden gereicht. Sie hatte bei Erstellung dieses Niveauüberganges im Jahre 1920 die Barrieren mit Hängegittern versehen. Diese wurden einige Jahre später entfernt, doch brachte man bei der Modernisierung des Überganges (1944 oder 1945) neuerdings Hängegitter an den Schlagbäumen an, zuerst solche aus Leichtmetall, nachher, wegen der fortwährenden Beschädigungen, Stahlgitter. Anfangs 1948 entfernte man diese, weil sie von Unbekannten immer wieder böswillig beschädigt worden seien und Reklamationen bei den Gemeinde- und Kantons-Polizeibehörden nichts gefruchtet hätten. Und doch hatte der Bahningenieur II des Kreises II ![]() | 13 |
"Diese Gitter sind im Interesse der Sicherheit der Übergangsbenützer, insbesondere aber von Kindern angebracht worden und entsprechen einer gesetzlichen Vorschrift",
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und noch in einem Schreiben vom 25. August 1947 an das Polizeidepartement Solothurn hatte die Verwaltungsabteilung des Kreises II der SBB erklärt, eine Entfernung der Hängegitter komme nicht in Betracht, weil das zur Folge hätte,
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"dass das Durchschlüpfen unter den geschlossenen Barrieren zur Übung würde und dass die Bahn bei Unfällen den Vorwurf zu gewärtigen hätte, sie habe nicht alles getan, um das Durchschlüpfen zu verhindern".
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Dieser Vorwurf muss nun im vorliegenden Fall erhoben werden, wo ein schuldloses Kind wegen der ungenügend wirksamen Abschrankung auf die Geleise gelangte und einen Unfall erlitt. Der sieben Monate früher auf diesem Übergang eingetretene tödliche Unfall eines andern Kindes hätte die Bahnunternehmung (nicht minder als die Eltern der Klägerin) vollends warnen und zur schleunigen Abhilfe veranlassen müssen. Indem die Beklagte den gefährlichen Zustand andauern liess (und zwar, wie aus den erwähnten Briefen erhellt, bewusst), machte sie sich am Unfall der Klägerin mitschuldig. Zu möglichst wirksamer Abschrankung solcher Übergänge ist die Bahnunternehmung auch ohne besondere Vorschrift verpflichtet. Zu Unrecht wird eingewendet, einem verwegenen Strassenbenützer könnte ein Hängegitter zum Verhängnis werden; denn er würde sich durchzwängen oder die Barriere überklettern und dann allenfalls gerade wegen des damit verbundenen Zeitverlustes unter einen Zug kommen. Solche Vorfälle (bei denen übrigens oftmals ein die Haftung der Bahn ausschliessendes Selbstverschulden vorläge) vermögen der Nützlichkeit der in Frage stehenden Schutzvorrichtung für den Regelfall keinen Abbruch zu tun. Gelegentliche Beschädigungen machen die Vorrichtung auch nicht ![]() | 17 |
3. Als blosse Mitursache des Unfalles ist das erwähnte Verschulden der Eltern der Klägerin weder geeignet, die Haftpflicht der Bahnunternehmung auszuschliessen, noch folgt daraus auch nur eine Verminderung der Ansprüche des Kindes. Art. 4 EHG ist bei mitwirkendem Verschulden Dritter nicht analog anwendbar, vielmehr bleibt der Bahnunternehmung nur der Rückgriff auf den mitschuldigen Dritten nach Art. 18 EHG vorbehalten. So verhält es sich auch dann, wenn der Dritte der Inhaber der elterlichen Gewalt über das verletzte Kind ist und dieses gesetzlich im Prozesse vertritt. Die gegenteilige Ansicht, wie sie in BGE 24 II 214 verfochten wurde (und durch VON TUHR, OR § 14 II am Ende, gebilligt wird), ist seither in einer Reihe von Entscheiden aufgegeben worden, im Einklang mit der vorherrschenden Literaturmeinung (wie in BGE 71 I 55 /56 ausführlich dargetan ist). Daran ist festzuhalten. Den sich aus der elterlichen Gewalt ergebenden Aufsichtspflichten ist freilich Rechnung zu tragen, aber nur bei Beurteilung der Frage, ob die Eltern (oder eines von ihnen) ein entscheidendes, den Kausalzusammenhang zwischen dem Bahnbetrieb und dem Unfall des Kindes unterbrechendes Verschulden treffe (oben Erw. 1). Ist dies aber, wie hier, zu verneinen, so hat es bei einem allfälligen Rückgriff der Bahnunternehmung auf die Eltern des verunfallten Kindes sein Bewenden. (Ob hier angesichts des eigenen Verschuldens der Bahnunternehmung Grund zu solchem Rückgriff vorliege, ist heute nicht zu entscheiden.) Nichts Abweichendes folgt daraus, dass die dem Kinde aus der Bahnhaftpflicht zukommenden Leistungen bis auf weiteres an die Eltern als gesetzliche Vertreter zu erbringen sind. Denn es handelt sich um Kindesvermögen, ![]() | 18 |
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Indessen ist die Klage im ganzen Betrage der Heilungskosten von Fr. 310.20 zu schützen. Hätte man es mit einer privaten Krankenversicherung zu tun, so würde der Anspruch gegen die Bahnunternehmung ohnehin durch die Leistungen des Versicherers nicht berührt. Es hätte in diesem Falle das Prinzip der Anspruchskumulation Platz zu greifen, das die Personenversicherung im Gegensatz ![]() | 20 |
Gegenüber der (laut Nr. 8 der Klagebeilagen) bundesamtlich anerkannten Krankenkasse ist nun zwar Art. 96 VVG nicht anwendbar. Vielmehr greift die Regel von Art. 26 Abs. 2 KUVG ein, wonach die Kassen dafür zu sorgen haben, dass ihren Mitgliedern im Falle von Krankheit aus der Versicherung kein Gewinn erwächst. Das geschieht nach Art. 30 Ziff. 4 der Kassenstatuten in folgender Weise:
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"Liegt bei Unfall eine Dritthaftpflicht vor, so gewährt die Kasse keine Leistungen. Bestreitet jedoch der Dritte die Haftpflicht, so ![]() | 22 |
Trifft ein Mitglied mit einem leistungspflichtigen Dritten bezüglich eines der Kasse gemeldeten Unfallereignisses ohne vorherige Zustimmung der Zentralleitung ein Abkommen mit Verzicht auf weitere Ansprüche, so fällt der weitere Anspruch auch gegenüber der Kasse dahin."
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Gestützt auf diese Klausel hat die Krankenkasse den Betrag von Fr. 231.70 nur wegen der Ablehnung der Haftpflicht durch die Beklagte und nur gegen Abtretung der entsprechenden Haftpflichtansprüche bezahlt. Es kann dahingestellt bleiben, ob solche Subsidiärklauseln (abweichend von Art. 51 Abs. 2 OR) auch dann massgebend sind, wenn der Dritte bloss aus Gesetzesvorschrift haftet. Hier ist jedenfalls gegen die Anwendung der Klausel nichts einzuwenden, da auch ein eigenes Verschulden der Bahnunternehmung vorliegt (vgl. DUTTWYLER, Die Heilungskostenansprüche an den privaten Unfallversicherer, an Dritte und an anerkannte Krankenkassen, S. 88ff.). Unter diesen Umständen wäre es in der Tat nicht gerechtfertigt, die Bahnunternehmung zu entlasten. Und, wie bereits ausgeführt, hindert die Abtretung an die Krankenkasse die Klägerin nicht, im Einverständnis mit jener diesen Betrag noch selber einzuklagen, um ihn dann der Kasse abzuliefern. Da sich die Zedentin und die Zessionarin in diesem Sinne verständigt haben, läuft die Beklagte keine Gefahr, von der Kasse auch noch belangt zu werden.
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5. Als Ersatz für die Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit fordert die Klägerin nach wie vor eine Summe von Fr. 13 608.--, d.h. den Barwert einer Rente entsprechend einer Erwerbseinbusse von 20% bei Annahme eines Monatsverdienstes von Fr. 350.-- mit Beginn der Erwerbstätigkeit nach dem zurückgelegten 16. Altersjahr. Indessen ist den kantonalen Gerichten darin beizustimmen, dass eine Rente die geeignetere Form des Schadenersatzes ![]() | 25 |
Die Höhe der Rente ist vom Obergericht auf Grund einer für das Bundesgericht verbindlichen Tatsachenwürdigung bestimmt worden (vgl. BGE 72 II 205). Das angefochtene Urteil berücksichtigt einmal die durch das Gutachten festgestellten Unfallfolgen, sodann die vermutlichen Verdienstverhältnisse einer Fabrikarbeiterin, von welcher voraussichtlichen Betätigung die Klage selbst ausgeht. Dem Urteil liegt die Annahme einer Invalidität von 20% zugrunde (gegenüber 20-30% nach dem Gutachten), ![]() | 26 |
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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In teilweiser Gutheissung der Anschlussberufung wird das Urteil des Obergerichts des Kantons Solothurn vom 27. Oktober 1954 dahin abgeändert, dass der Klägerin statt Fr. 78.50 an Heilungskosten Fr. 310.20 nebst Zins zu 5% seit 10. April 1952 sowie eine Genugtuungssumme von Fr. 2000.-- nebst Zins zu 5% seit demselben Datum zugesprochen werden, die Genugtuung unter Rektifikationsvorbehalt gemäss Art. 10 EHG.
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