BGE 82 II 1 | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
1. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 9. Februar 1956 i. S. X. gegen X. | |
Regeste |
Anfechtung der Ehelichkeit. | |
Sachverhalt | |
1 | |
Mit Klage gemäss Art. 253/54 ZGB gegen die Ehefrau und das während der Ehe geborene Kind focht der Ehemann dessen Ehelichkeit an. Die Ehefrau beantragte Gutheissung der Anfechtungsklage und bestätigte die Behauptungen des Klägers betr. Unmöglichkeit seiner Vaterschaft. Der Beistand des Kindes dagegen opponierte der Anfechtungsklage. Gegen das diese gutheissende Urteil der ersten Instanz appellierte nur das Kind, und gegen das die Unehelicherklärung bestätigende Urteil der zweiten legte es allein die vorliegende Berufung ein.
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Der berufungsbeklagte Ehemann beantragte Abweisung der Berufung, ebenso - in einer unaufgefordert eingereichten Vernehmlassung - die Mutter. In prozessualer Hinsicht führte diese aus, es bestehe zwischen den beiden Anfechtungsbeklagten, dem Kinde und ihr, nach Art. 253 Abs. 2 ZGB eine notwendige passive Streitgenossenschaft, die nicht dem Prozessrecht, sondern dem materiellen Recht unterstehe. Zur gemeinsamen Prozessführung gehöre auch, dass die Streitgenossen nur gemeinsam ein Urteil annehmen oder ein Rechtsmittel ergreifen könnten. Das sei hier nicht geschehen; deshalb müsse die vom beklagten Kinde allein eingelegte Berufung mangels Aktivlegitimation (materiell) abgewiesen werden. Dieser Mangel müsse von Amtes wegen berücksichtigt werden; sonst komme es im Falle der Gutheissung der Berufung dazu, dass das Kind gegenüber dem Vater ehelich, gegenüber der Mutter unehelich wäre. Wollte man aber annehmen, dass dem Kinde ein selbständiges Berufungsrecht zustände, so müste sich seine Berufung zum mindesten auch gegen die mitbeklagte Mutter richten, die mit dem Vater ebenfalls in einer notwendigen (passiven) Streitgenossenschaft stehe. In diesem Falle wäre die Berufung mangels Passivlegitimation des allein berufungsbeklagten Vaters ex officio abzuweisen.
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Aus den Erwägungen: | |
Die Anfechtungsklage des Ehemannes muss gemäss Art. 253 Abs. 2 ZGB gegen das Kind und die Mutter gerichtet werden. Nachdem in casu die beklagte Mutter gegen die Gutheissung der Klage weder Appellation an die Vorinstanz noch Berufung an das Bundesgericht eingelegt hat, stellt sich angesichts der vom materiellen Recht vorgeschriebenen notwendigen passiven Streitgenossenschaft zwischen Kind und Mutter die Frage, ob die Berufung des Kindes allein rechtswirksam ist oder nicht. Die Vorinstanz hat zu ihr nicht Stellung genommen, da sie vor ihr nicht aufgeworfen wurde. Auch vor Bundesgericht wirft sie der berufungsbeklagte geschiedene Ehemann nicht im Sinne der Einrede mehrerer Streitgenossen auf. Sie ist jedoch von Amtes wegen zu prüfen, läuft sie doch darauf hinaus, ob die Aktivlegitimation des Kindes allein zur Berufung zu bejahen ist oder nicht.
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Mit Bezug auf die Rechtsmittel der kantonalen Zivilprozessordnungen scheint die grundsätzliche Frage vorwiegend negativ beantwortet zu werden (STRÄULI-HAUSER ZPO Zürich § 39 N. 4; GULDENER, Schweiz. ZPR S. 453 d; LEUCH ZPO Bern 2. Aufl. S. 277, nun positiv 3. Aufl. S.313). Hinsichtlich der Berufung an das Bundesgericht indessen wurde sie schon unter dem alten OG bejaht. TH. WEISS (Die Berufung) stellt die Frage der Legitimation des einzelnen Streitgenossen ausdrücklich und führt aus, bei der echten (scil. notwendigen) Streitgenossenschaft wäre denkbar, dass der Berufungsbeklagte verlangen könnte, dass sämtliche Streitgenossen die Berufung erklären. Indessen kenne das OG ein derartiges Vorgehen nicht; der Art. 8 aBZP (betr. diese Einrede) gelte für das Berufungsverfahren nicht. "Es wird bei der echten Streitgenossenschaft nach allgemeinen Grundsätzen anzunehmen sein, dass ein Streitgenosse zur Berufung legitimiert ist und dass das Urteil in der Berufungsinstanz für und gegen alle Streitgenossen wirkt" (a.a.O., S. 90). Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb es unter dem rev. OG (und dem neuen BZP, vgl. Art. 24) anders zu halten sein sollte, zumal in einem Statusprozess, wo die Parteimaxime um der öffentlichen Ordnung willen eingeschränkt ist und die in Art. 158 Ziff. 1 und 3 ZGB für den Scheidungsprozess aufgestellten Vorbehalte ebenfalls gelten (vgl.BGE 51 II 9,BGE 65 I 156,BGE 78 I 3). Es liesse sich nicht rechtfertigen, dass in der vorliegenden Prozesssituation dem Kinde, zufolge der entgegengesetzten Stellungnahme seiner mitbeklagten Mutter zur Klage, die Anrufung der obersten Instanz verunmöglicht sein sollte. Auf die Berufung des Kindes ist daher einzutreten, ohne dass die Mutter im Berufungsverfahren als dessen Streitgenossin oder gar als Berufungsbeklagte zu behandeln wäre. Davon, dass es zufolge des Ausscheidens der Mutter aus dem Verfahren zu sich widersprechenden Urteilen käme, wenn in Gutheissung der Berufung des Kindes allein die Klage gegen dieses abgewiesen würde, kann selbstverständlich keine Rede sein. Der eheliche oder uneheliche Status einer Person ist ein einheitliches Rechtsverhältnis; das letztinstanzliche rechtsgestaltende Urteil darüber wirkt gegenüber allen am Rechtsverhältnis, nicht nur den am Prozesse in seiner letzten Phase, Beteiligten in gleicher Weise, also gegenüber Ehemann, Mutter und Kind gleich.
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