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74. Urteil der II. Zivilabteilung vom 20. September 1956 i.S. Fides Treuhand-Vereinigung gegen Wwe Schoeller. | |
Regeste |
Nichtigkeitsbeschwerde wegen Anwendung kantonalen statt eidgenössischen Rechtes (Art. 68 Abs. 1 lit. a OG). |
2. Unter den sonstigen Voraussetzungen unterliegt auch ein im summarischen Verfahren ergangener Entscheid der Berufung, wenn er ohne Vorbehalt eines ordentlichen Verfahrens einen endgültigen Befehl (hier: zur Vorlegung von Urkunden) ausspricht (Erw. 3). |
3. Wann ist der Anspruch auf Vorlegung von Urkunden materiellrechtlicher Natur? (Erw. 4). |
4. Wann ist er vom Bundesrecht beherrscht? (Erw. 7). |
5. Die Einsichtnahme in Urkunden ist kein der Erbengesamtheit vorbehaltener Verfügungsakt (Art. 602 Abs. 2 ZGB), sondern steht jedem einzelnen Erben zu (Erw. 7). |
6. Wann genügt im Berufungsverfahren ein Antrag auf Rückweisung der Sache an die kantonale Instanz? (Erw. 6). | |
Sachverhalt | |
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B.- Der Erblasser, der seit 1936 an einer schweren, langsam fortschreitenden Gehirnerkrankung (Parkinsonismus) litt, hatte die Fides Treuhandvereinigung in Zürich mit der Verwaltung seines Vermögens betraut. Sie übte diese Tätigkeit bis zu seinem Tode aus und stand ihm auch im Scheidungsprozess mit ihrem Rate bei. Der Erblasser errichtete mehrere letztwillige Verfügungen, in denen er die Ehefrau enterbte und die Fides als Willensvollstreckerin einsetzte. Im letzten Testament vom 24. Oktober 1947 widmete er den nach Abzug der Nachlasspassiven und eines Vermächtnisses verbleibenden Teil seines Vermögens einer Familienstiftung, als deren ersten Stiftungsrat er die Fides bezeichnete.
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D.- Mit Eingabe vom 31. März 1955 stellte Frau Ilse Schoeller beim Einzelrichter im summarischen Verfahren des Bezirksgerichtes Zürich das Begehren, es sei der Fides zu befehlen, ihr bei der Gerichtskanzlei die sämtlichen Nachlassakten zur Einsichtnahme vorzulegen, insbesondere
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a) die im Besitz der Fides befindlichen Akten des Erblassers selbst,
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b) die Akten der Fides über die Vermögensverwaltung und Geschäftsbesorgung für den Erblasser vor dessen Tod,
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c) die Akten der Vermögensverwaltung und Geschäftsbesorgung der Fides für den Nachlass seit dem Tode des Erblassers.
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Mit Verfügung vom 30. Juni 1955 wies der Einzelrichter die von der Fides erhobene Unzuständigkeitseinrede ab und befahl ihr, der Klägerin Frau Schoeller oder einem von ihr bevollmächtigten Vertreter in ihren Geschäftsräumen Einsicht in die Akten zu gewähren, welche die Verfügung genau umschreibt.
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E.- Gegen diese Verfügung rekurrierten beide Parteien, mit dem Ergebnis, dass das Obergericht am 20. Januar ![]() | 9 |
F.- Das Kassationsgericht des Kantons Zürich schützte mit Entscheid vom 5. Mai 1956 eine von der Klägerin erhobene Nichtigkeitsbeschwerde und fällte einen neuen Sachentscheid aus, wonach der Beklagten unter Androhung von Ordnungsbusse für den Säumnisfall befohlen wird, innert 14 Tagen der Klägerin oder einem von ihr bevollmächtigten Vertreter in ihren Geschäftsräumen zur Einsicht vorzulegen:
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a) alle aus der Vermögensverwaltung und Geschäftsführung für H.-R. Schoeller bis zu seinem Tode herrührenden Akten, welche über Veränderungen des Vermögens der Höhe oder der Zusammenstellung nach Aufschluss geben,
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b) alle die Vermögensverwaltung und Geschäftsführung für den Nachlass seit dem Tode von H.-R. Schoeller betreffenden Akten.
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Dieser Entscheid ist im wesentlichen wie folgt begründet: Das Obergericht hat der Klägerin ein Recht auf Einsicht in die Nachlassakten nur soweit zuerkannt, als sich ein solches Recht aus den Pflichten des Willensvollstreckers nach Art. 518 Abs. 2 ZGB ableiten lässt. Im übrigen hält das Obergericht dafür, sowohl nach Erbrecht wie nach Auftragsrecht und nach § 232 des zürcherischen EG zum ZGB könne ein Einsichtsrecht nur von allen Erben gemeinsam, dagegen nicht von einem einzelnen Miterben ausgeübt werden. In dieser Betrachtungsweise liegt keine Verletzung klaren Rechts, soweit Erbrecht und Auftragsrecht ![]() ![]() | 13 |
G.- Gegen den Entscheid des Kassationsgerichtes hat die Beklagte Nichtigkeitsbeschwerde an das Bundesgericht erhoben. Sie stützt sich auf Art. 68 Abs. 1 lit. a OG und stellt den Antrag,
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"es sei die Ziff. 2 lit. a) des Dispositivs des angefochtenen Urteils aufzuheben und die Vorinstanz anzuweisen, den Rekursentscheid der II. Zivilkammer des Obergerichts des Kantons Zürich vom 20. Januar 1956 wieder herzustellen."
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Die Klägerin beantragt, es sei auf die Nichtigkeitsbeschwerde nicht einzutreten, eventuell sei sie abzuweisen.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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a) wenn statt des massgebenden eidgenössischen Rechts kantonales oder ausländisches Recht angewendet worden ist".
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Darauf beruft sich die Beklagte in der vorliegenden Beschwerde, indem sie geltend macht, ihre Editionspflicht sei nicht nach dem vom kantonalen Kassationsgericht angewendeten § 232 des zürcherischen EG zum ZGB, sondern ![]() | 19 |
In der Antwort auf die Beschwerde hält die Klägerin die Berufung auf Art. 68 Abs. 1 lit. a OG für unzulässig, "weil das Bundesgericht als Beschwerdeinstanz nicht zu prüfen hat, ob eine kantonale Vorschrift richtig oder falsch ausgelegt worden sei, sondern nur, ob zu Unrecht kantonales statt Bundesrecht angewendet wurde". Nun behaupte die Beschwerdeführerin nicht, § 232 des kantonalen EG verletze an sich Bundesrecht, sondern nur in der vom Kassationsgericht gegebenen Auslegung.
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Dieser Einwand, mit dem die Beschwerdegegnerin ihren Nichteintretensantrag begründet, ist nicht stichhaltig. Die Beschwerde macht gerade geltend, es sei zu Unrecht kantonales statt Bundesrecht angewendet worden, also den in Art. 68 Abs. 1 lit. a OG vorgesehenen Beschwerdegrund. Aus dem angefochtenen Entscheid (Erw. V 2, S. 9 ff., und VI 2 a, S. 13 ff.) geht auch klar hervor, dass kantonales Recht, nämlich § 232 des EG zum ZGB, angewendet worden ist. Die Frage, ob statt dessen eidgenössisches Recht hätte angewendet werden sollen, kann daher unter den nähern Voraussetzungen des Art. 68 OG Gegenstand einer Nichtigkeitsbeschwerde bilden.
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2. Dieses Rechtsmittel erweist sich jedoch aus einem andern, von Amtes wegen zu berücksichtigenden Grunde als unzulässig. Wie sich aus dem Eingang von Art. 68 OG ergibt, ist die Nichtigkeitsbeschwerde ein der Berufung nach Art. 43 ff. OG subsidiäres Rechtsmittel. Sie ist also nicht statthaft gegen einen letztinstanzlichen kantonalen Entscheid, der dem Weiterzug durch das umfassendere Rechtsmittel der Berufung unterliegt. Art. 68 OG geht stillschweigend davon aus, jeder der von ihm vorgesehenen Beschwerdegründe (Abs. 1 lit. a und b) sei auch Berufungsgrund und könne daher in einem der Berufung unterliegenden ![]() | 22 |
3. Nun möchte man freilich die Zulässigkeit einer Berufung gegen den hier angefochtenen Entscheid zunächst in Zweifel ziehen. Erging er doch in einem summarischen Verfahren, das seiner Natur nach nicht ohne weiteres zur endgültigen Beurteilung zivilrechtlicher Ansprüche führen kann. Aus diesem Grunde wurde denn auch einer im summarischen Verfahren der §§ 277 ff. der zürcherischen ZPO gefällten Entscheidung der Charakter eines Endentscheides im Sinne von Art. 48 OG gelegentlich abgesprochen (BGE 81 II 85). Indessen lässt das im vorliegenden Fall eingeleitete, obgleich summarische Befehlsverfahren auch eine endgültige Erledigung der erhobenen Ansprüche zu. Denn im Unterschied etwa zur einstweiligen Verfügung nach Art. 326 Ziff. 3 der bernischen ZPO, wobei die endgültige Entscheidung immer einem Hauptprozesse vorbehalten bleibt (vgl. LEUCH, N. 3 zu Art. 326 bern. ZPO), ist das Befehlsverfahren der zürcherischen ZPO zulässig "zur schnellen Handhabung klaren Rechtes ... bei sofort herstellbaren tatsächlichen Verhältnissen ..." (§ 292 Ziff. 1 zürch. ZPO) und (nach Ziff. 5 daselbst) "zur Geltendmachung von Begehren um Vorlegung von beweglichen Sachen" (worunter namentlich Urkunden zu verstehen sind; STRÄULI-HAUSER, N. 7 zu Art. 292). Dabei handelt es sich nur unter besondern Voraussetzungen um vorläufige Massnahmen, denen gegenüber ein gerichtlicher ![]() | 23 |
4. Hat man es also mit einem Endentscheid (der letzten kantonalen Instanz) zu tun, so bleibt zu prüfen, ob der streitige Anspruch ein zivil- oder aber ein prozessrechtlicher war. Nur im ersten Falle liegt eine "Zivilrechtsstreitigkeit" vor, die auf dem Wege der Berufung hätte weitergezogen werden können, sofern ihr Gegenstand keiner vermögensrechtlichen Schätzung unterlag oder einen Streitwert von mindestens Fr. 4000.-- hatte (Art. 44 und 46 OG). In dem von der Vorinstanz angeführten Entscheide des zürcherischen Obergerichtes vom 26. Mai 1951 (BlZR 55 Nr. 12, S. 22 ff.) wird das Recht auf "Einsicht in Privaturkunden zur eigenen Aufklärung über eine Rechtslage", soweit es nicht im Rahmen eines sonstigen Prozesses geltend gemacht wird, aus einer "vorprozessualen Editionspflicht" hergeleitet, die ebenso wie die prozessuale Editionspflicht ihrem Wesen nach zum Prozessrecht gehöre. Diese Ansicht entspricht der römisch-rechtlichen Zuweisung der "actio ad exhibendum" zu den sog. präparatorischen Klagen, denen auch die Klagen auf Rechnungslegung, z.B. auf Grund eines Mandatsverhältnisses, eines Gesellschaftsverhältnisses usw., zugezählt wurden (vgl. DERNBURG, System des römischen Rechts, 8. Auflage, I S. 258/9, § 125 Ziff. 2; JOH. ALB. AFFOLTER, Die actio ad exhibendum und ihre Bedeutung für das heutige Prozessrecht, S. 5; GUSTAV DEMELIUS, Die Exhibitionspflicht, S. 87 ff.). Im geltenden schweizerischen Rechte gibt es aber Ansprüche auf Vorlegung von Urkunden (und auf Vorzeigung anderer beweglicher Sachen), die richtigerweise dem materiellen Rechte zuzuweisen sind. Es mag hier dahingestellt bleiben, wie es sich mit der speziellen Editionspflicht im Prozess verhält, wie sie manche Prozessgesetze im Rahmen des Beweisverfahrens vorsehen ![]() ![]() | 24 |
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6. Die Nichtigkeitsbeschwerde ist somit ausgeschlossen. Die Beschwerdeschrift lässt sich auch nicht etwa in eine Berufung umdeuten. Grundsätzlich könnte dies allerdings geschehen, da die unrichtige Benennung eines Rechtsmittels nicht schadet. Voraussetzung ist aber, dass die wesentlichen Formalien des zulässigen Rechtsmittels ![]() | 26 |
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Das materielle Recht, nach dem sich die Vorlegungspflicht der Beklagten bestimmt, kann nicht kantonales, sondern muss eidgenössisches Recht sein. Denn sowohl der Auftrag (des Erblassers an die Beklagte) wie auch die (von ihm testamentarisch verfügte) Willensvollstreckung sind Rechtsverhältnisse des Bundesrechts, und ebenso ist die rechtliche Stellung der Klägerin zum Miterben durch eidgenössisches Recht bestimmt. Eine Pflicht zur Vorlegung von Urkunden kann daher, wenigstens als ausserprozessuale, wie sie hier in Frage steht - da, wie schon erwähnt, nur die Vorlegung an die Klägerin selbst oder einen von ihr Bevollmächtigten und nicht die Vorlegung an einen Richter im Rahmen eines (Haupt-)Prozesses oder im Sinne einer Beweissicherung verlangt wurde - nur aus den betreffenden materiellen Rechtsverhältnissen hergeleitet werden. § 232 des kantonalen EG war somit nicht als eigentliche Rechtsnorm anwendbar, sondern nur als Hinweis auf die massgebenden Normen des Zivilrechts zu betrachten. An sich wäre die mit der Beschwerde erhobene Rüge also begründet gewesen. Dennoch hätte die Beschwerde, wenn zulässig, oder eine in gleichem Sinne eingereichte Berufung abgewiesen werden müssen, weil das ![]() | 28 |
Demnach erkennt das Bundesgericht:
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