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49. Urteil der H. Zivilabteilung vom 12. Dezember 1961 i.S. X. gegen P. | |
Regeste |
Haftung des (Armen-)Anwalts (Art. 398 OR) für die Folgen der Versäumung der Frist für die Vaterschaftsklage (Art. 308 ZGB). |
Schaden infolge Verletzung dieser Pflichten. |
Nachweis, dass die Vaterschaftsklage bei Einhaltung der Frist geschützt worden wäre. |
Ist die Ersatzpflicht wegen nur leichter Fahrlässigkeit des Anwalts (Art. 43 Abs. 1 OR) oder wegen Mitverschuldens seiner Klienten (Art. 44 Abs. 1 OR) zu ermässigen? | |
Sachverhalt | |
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"Verfügung Der Sühnversuch wird fruchtlos erklärt, und den Klägern wird die Klagebewilligung erteilt.
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Eröffnet."
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Der Gerichtspräsident ordnete hierauf im Armenrechtsverfahren eine Blutuntersuchung an. Der Experte kam in seinem Gutachten vom 9. Juli 1957 zum Schluss, G. könne auf Grund der Bestimmung der klassischen Blutgruppen, der Blutfaktoren M und N, der Rhesusfaktoren C, D, E, c, e und der Faktoren Kell und Duffya unter der Voraussetzung einer sicher erwiesenen Mutterschaft von Frl. P. als Vater des Kindes nicht ausgeschlossen werden; seine Vaterschaft sei nach den Erbgesetzen der erwähnten fünf Blutgruppensysteme möglich. Nachdem der Gerichtspräsident noch einen Lohnausweis der Mutter eingefordert hatte, gewährte er den Klägern mit Verfügung vom 26. September 1957 die unentgeltliche Prozessführung in dem Sinne, dass er ihnen in der Person von Fürsprecher Dr. X einen Armenanwalt beiordnete. Diese Verfügung wurde Dr. X (sowie den gesetzlichen Vertretern der Kläger und dem Anwalt G.s) am 3. Oktober 1957 eröffnet. Tags darauf wurden ihm die Armenrechtsakten "zur Einsichtnahme und Einleitung des Prozesses" zugestellt.
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B.- Am 28./29. November 1957 reichte Dr. X beim ![]() | 5 |
Vom Gerichtspräsidenten darauf hingewiesen, dass nach dessen Auffassung die Wirkung der Klagebewilligung vor Einleitung der Klage dahingefallen und die Klagefrist von Art. 308 ZGB verpasst sei, machte Dr. X im wesentlichen geltend, er sei nach Einsichtnahme in die Armenrechtsakten davon ausgegangen, "dass das Armenrechtsverfahren und damit der Aussöhnungsversuch soeben erst zum Abschluss gekommen seien, bzw. vor dem Abschluss standen" und dass die sechsmonatige Klagefrist im Sinne von Art. 153 der bernischen ZPO daher erst von seiner Ernennung zum Armenanwalt an laufe; die Klagebewilligung, von der in den Armenrechtsakten die Rede sei, sei nicht datiert, so dass er bestreiten müsse, dass diese Bewilligung schon am 26. Februar 1957 erteilt worden sei; übrigens hätten die Kläger mit einer vor Ernennung des Armenanwalts erteilten Klagebewilligung nichts anfangen können; um so mehr sei er davon ausgegangen, dass die sechsmonatige Klagefrist "noch lange nicht abgelaufen sei."
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Das Amtsgericht erklärte die Klage am 25. März 1958 entsprechend dem Antrag G.s für verspätet, weil Dr. X die Klageschrift erst nach Ablauf der Frist von Art. 308 ZGB eingereicht habe, ohne vor deren Ablauf ein neues Gesuch um Ladung zum Aussöhnungsversuch gestellt zu haben, obwohl die Frist von sechs Monaten seit der am 26. Februar 1957 ordnungsgemäss erteilten und eröffneten Klagebewilligung längst abgelaufen gewesen sei.
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C.- Am 4. April 1960 leiteten Mutter und Kind gegen Dr. X Klage ein mit dem Begehren, er sei zu verurteilen, der Erstklägerin Fr. 1189.95 nebst 5% Zins seit 10. Juni 1959 und dem Zweitkläger Fr. 23'100.--, eventuell einen Fr. 8000.-- übersteigenden, richterlich zu bestimmenden Betrag zu bezahlen. Sie machten geltend, der Beklagte habe die Verspätung der Vaterschaftsklage verschuldet. Zu welchem Ergebnis der Vaterschaftsprozess geführt hätte, könne nicht mit Sicherheit festgestellt werden, doch sei anzunehmen, dass das Gericht die Vaterschaft G.s bejaht hätte. Der Beklagte sei verpflichtet, ihnen den Kapitalbetrag der Vermögensleistungen zu ersetzen, zu denen G. verurteilt worden wäre.
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Der Beklagte bestritt, eine ihm obliegende Sorgfaltspflicht verletzt zu haben, da er in guten Treuen habe annehmen dürfen, die Klagefrist sei noch nicht abgelaufen. Er machte ausserdem geltend, ein Schaden könnte nur angenommen werden, wenn mit Sicherheit nachgewiesen wäre, dass die Kläger den Vaterschaftsprozess gewonnen hätten, was von den Klägern nicht einmal behauptet werde. Überdies würde die Kläger ein Selbstverschulden treffen. Die Klage sei daher unbegründet.
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Der als einzige kantonale Instanz urteilende Appellationshof des Kantons Bern (II. Zivilkammer) nahm an, der Beklagte hafte den Klägern als Beauftragter gemäss Art. 398 OR für getreue und sorgfältige Ausführung des ihm übertragenen Geschäfts. Indem er vor Ablauf der Klagefrist von Art. 308 ZGB weder die Klage eingereicht noch ein neues Gesuch um Abhaltung eines Aussöhnungsversuchs gestellt habe, habe er die ihm obliegende Sorgfaltspflicht verletzt. Er könne die Verantwortung für die Versäumung der Klagefrist nicht auf die Erstklägerin (die ihm gewisse Belege nicht rechtzeitig übergab) oder auf den Beistand des Zweitklägers (der ihn nicht auf den drohenden ![]() | 11 |
D.- Gegen dieses Urteil hat der Beklagte die Berufung an das Bundesgericht erklärt mit dem Antrag auf Abweisung der Klage.
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Die staatsrechtliche Beschwerde, mit der er das Urteil des Appellationshofes wegen Verletzung von Art. 4 BV (nämlich wegen willkürlicher Beweiswürdigung) anfocht, ist heute abgewiesen worden.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
1. Der Beklagte bestreitet mit Recht nicht mehr, dass er den Klägern als ihr Armenanwalt nach den Vorschriften ![]() | 14 |
Als er den Auftrag erhielt, die Kläger im Vaterschaftsprozess gegen G. zu vertreten, war die Klage noch nicht beim Gericht hängig. Er hatte also in erster Linie für die Wahrung der Klagefrist von Art. 308 ZGB zu sorgen, die bis zum 15. November 1957 lief.
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Eine bundesrechtliche Klagefrist ist auf jeden Fall gewahrt, wenn die Klage vor Ablauf der Frist unter Beobachtung der dafür geltenden prozessualen Vorschriften bei dem für ihre Beurteilung zuständigen Gericht eingereicht wird. Es genügt dafür aber auch die innert Frist erfolgte, vom kantonalen Prozessrecht als erste Prozesshandlung obligatorisch oder fakultativ vorgesehene Anrufung des Sühnbeamten, wenn dieser die Streitsache mangels Aussöhnung der Parteien von Amtes wegen an das erkennende Gericht weiterzuleiten hat oder wenn die klagende Partei dies zur Vermeidung von Rechtsnachteilen binnen einer bestimmten Frist nach der erfolglosen Beendigung des Sühnverfahrens selber tun muss, wie es nach Art. 153/155 der bernischen ZPO zutrifft, und wenn die klagende Partei diese kantonale Frist dann auch wirklich einhält (BGE 74 II 16ff., BGE 85 II 536 Erw. 3 mit Hinweisen). Der Beklagte hatte also bis zum 15. November 1957 die Vaterschaftsklage beim Amtsgericht einzureichen oder wenigstens beim Gerichtspräsidenten ein Gesuch um Ladung zu einem Aussöhnungsversuch zu stellen (und dann binnen sechs Monaten von der Klagebewilligung an die gerichtliche Klage zu erheben), es sei denn, dass die den Klägern nach dem Misslingen des Aussöhnungsversuchs vom 26. Februar 1957 erteilte Klagebewilligung über den 15. November 1957 hinaus wirksam war, m.a.W. dass die durch diese Bewilligung in Gang gesetzte Frist von sechs Monaten zur Einreichung der Klage beim Gericht erst nach diesem Zeitpunkt ablief.
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Der Beklagte macht geltend, er habe dies in guten Treuen annehmen dürfen. Die Gründe, die er dafür anführt, ![]() | 17 |
Durch solche Überlegungen durfte sich jedoch der Beklagte (wenn er sie überhaupt schon zu jener Zeit anstellte, was die Vorinstanz bezweifelt) nicht davon abhalten lassen, bis zum 15. November 1957 die Klage einzureichen oder ein neues Sühnbegehren zu stellen. Bei sorgfältiger Prüfung der Lage, wie sie ihm zuzumuten war, durfte er nämlich keineswegs für sicher halten, dass die Gerichte seine Auffassung teilen würden. Angesichts des Datums des die Klagebewilligung beurkundenden Protokolls und des Wortlauts von Art. 153 ZPO musste er vielmehr ernstlich mit einer gegenteiligen Entscheidung rechnen, wie sie dann wirklich erfolgt ist. Unter diesen Umständen ![]() | 18 |
So vorzugehen, war ihm um so eher zuzumuten, als er sich nicht etwa in Zeitnot befand. Von der Eröffnung des Armenrechtsentscheides (3. Oktober 1957) bis zum Ablauf der bundesrechtlichen Klagefrist (15. November 1957) standen ihm volle sechs Wochen zur Verfügung. Dass die Erstklägerin ihm gewisse Belege (Quittungen) nicht rechtzeitig zur Verfügung stellte, konnte ihn, wie die Vorinstanz in Auslegung des in diesem Punkte massgebenden kantonalen Prozessrechts verbindlich festgestellt hat, nicht hindern, die Klage innert Frist einzureichen. Im übrigen hatte er, wenn er die Klageschrift aus irgendeinem Grunde bis zum 15. November 1957 nicht fertigstellen konnte, auf jeden Fall die Möglichkeit, innert der Frist ein neues Sühnbegehren zu stellen, was nur eine geringfügige Mühewaltung erforderte. Indem er weder das eine noch das andere tat, verletzte er ein elementares Gebot der Vorsicht.
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Hieran kann nichts ändern, dass das Richteramt und der Beistand des Kindes es unterliessen, ihn bei bzw. gleich nach seiner Ernennung zum Armenanwalt darauf aufmerksam zu machen, dass nach ihrer Auffassung die Frist von Art. 153 ZPO, auf die er sich verliess, schon am 26. Februar 1957 begonnen habe und folglich bereits abgelaufen sei; denn er konnte sich auf Grund der Akten ohne weiteres selber davon Rechenschaft geben, dass das Gericht zu dieser Ansicht kommen und deshalb die Klage als verspätet erklären könnte, wenn er über den 15. November 1957 hinaus untätig blieb. - Den Versuch, seiner abweichenden ![]() | 20 |
Nach alledem muss er sich den Vorwurf gefallen lassen, die Abweisung der Vaterschaftsklage wegen Verspätung durch ein grob fahrlässiges Verhalten verschuldet zu haben. Seine Haftung für den durch diesen Prozessausgang verursachten Schaden ist deshalb auch dann begründet, wenn man mit ihm annimmt, der Anwalt haffte nicht für leichtes Verschulden, sondern nur für grobe und offenkundige Fehler, wie das Bundesgericht dies in dem von ihm angerufenen EntscheideBGE 79 II 438unter Hinweis auf Entscheidungen über die Arzthaftpflicht beiläufig erklärt hatte. Es braucht daher nicht entschieden zu werden, ob dies wirklich als allgemeine Regel gelten könne oder ob unter Umständen eine weitergehende Haftung Platz greifen müsse (vgl. hiezu GAUTSCHI, der in N. 34 c zu Art. 398 OR u.a. sagt, es bestehe eine "strenge Haftung" des Anwalts für prozessrechtliche Fehler wie z.B. Fristversäumnis).
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Wie ein wegen Versäumung der Klagefrist nicht durchgeführter Prozess bei Einhaltung dieser Frist ausgegangen wäre, lässt sich nicht mit absoluter Sicherheit feststellen. Es sind darüber vielmehr nur Vermutungen möglich. Das gilt sowohl hinsichtlich der Tatsachen, die im fraglichen Prozess festgestellt worden wären, als auch hinsichtlich der rechtlichen Beurteilung, welche diese Tatsachen erfahren hätten. Dies schliesst jedoch die Leistung des Beweises, dass die klagende Partei den Prozess bei Einhaltung der ![]() | 23 |
Das Bundesgericht kann im Schadenersatzprozess die Auffassung des als letzte (oder einzige) kantonale Instanz urteilenden Gerichts über die vermutlichen Aussichten des nicht durchgeführten Vorprozesses jedenfalls insoweit überprüfen, als sie sich auf Erwägungen über vom Bundesrecht beherrschte Fragen stützt. Ob seiner Überprüfung auch die Vermutungen der Vorinstanz darüber unterliegen, welche Tatsachen im Vorprozess festgestellt worden ![]() | 24 |
Der bernische Appellationshof hat auf Grund eines einlässlichen Beweisverfahrens gründlich geprüft, wie der Vaterschaftsprozess der Kläger gegen G. vermutlich ausgegangen wäre, wenn der Beklagte die Klage rechtzeitig eingereicht hätte. Er hat dabei mit Recht die Beweisvorschriften berücksichtigt, die für Vaterschaftssachen gelten. Die Ansicht des Beklagten, im Haftpflichtprozess seien an den Beweis des Geschlechtsverkehrs strengere Anforderungen zu stellen als im Vaterschaftsprozess, geht fehl; denn im Haftpflichtprozess kommt es u.a. eben gerade darauf an, ob die Beiwohnung in der kritischen Zeit im Vaterschaftsprozess als bewiesen betrachtet worden wäre. Dass die Kläger im Haftpflichtprozess (zutreffend) erklärt haben, das Ergebnis des abgebrochenen Vaterschaftsprozesses lasse sich nicht mit Sicherheit feststellen, kann ihnen entgegen der Meinung des Beklagten nicht zum Nachteil gereichen, da für den Schadensbeweis im Haftpflichtprozess nach dem Gesagten genügen muss, dass angenommen werden darf, die Kläger hätten den Vaterschaftsprozess höchst wahrscheinlich gewonnen. Die Annahme, ![]() | 25 |
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Ebensowenig kommt eine Ermässigung gemäss Art. 44 Abs. 1 OR in Frage. Darin, dass die Erstklägerin dem Beklagten gewisse Belege mit Verspätung zustellte, kann nicht ein für den Schaden kausales Mitverschulden erblickt werden, weil der Beklagte diese Belege für die rechtzeitige Einleitung der Klage nicht benötigte (Erw. 1 hievor) und weil er zudem selber nicht behauptet, dass er die Erstklägerin bei Einforderung dieser Belege auf den drohenden Fristablauf hingewiesen habe. Dem Beklagten kann aber auch nicht gefolgt werden, wenn er geltend macht, es bedeute ein für den Schaden mitursächliches, dem Zweitkläger anzurechnendes Verschulden, dass dessen Beistand ihn nicht auf den Fristenlauf aufmerksam machte; denn der Beistand durfte sich darauf verlassen, dass der Kläger selber in der Lage sei, die Fristberechnung vorzunehmen.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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