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45. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 19. November 1963 i.S. Chesini gegen Hagen. | |
Regeste |
Kauf, Abtretung, Wechselrecht, Berufung. |
Zulässigkeit des Zurückgreifens auf die Kaufpreisforderung? (Erw. 4, 5). | |
Sachverhalt | |
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Albert Hagen kaufte am 20. Juli 1954 von H. Rutz 30 000 Stück Feuerzeuge zum Preis von Fr. 10'000. -. Der Kauf wurde in einem von beiden Vertragsparteien unterzeichneten Bestätigungsformular auf Geschäftspapier des Albert Hagen verurkundet. Darin wurde unter der Rubrik "Lieferung" erklärt, der Lagerschein über die im Zürcher Freilager eingelagerte Ware sei bereits auf den Käufer umgeschrieben. Der Text zur Rubrik "Zahlungsbedingungen" lautete: "Gegen Übergabe eines Wechsels im Betrage von Fr. 10'000.--, akzeptiert von Wilhelm Hagen". Am Fusse der Bestätigung wurde der Vermerk angebracht: "Obiges Geschäft ist bereits von beiden Teilen vorbehaltlos abgewickelt.". Der dem Verkäufer übergebene Wechsel war unvollständig, da der Name des Wechselnehmers nicht eingesetzt war und die Unterschrift des Ausstellers ebenfalls fehlte. Als Rutz den Wechsel dem Bezogenen Wilhelm Hagen zur Zahlung vorwies, erklärte dieser, er könne und wolle nicht zahlen.
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Am 10. September 1954 kaufte Rutz von Frau Chesini eine Liegenschaft. Zur Tilgung eines Teils des Kaufpreises übergab er ihr den oben genannten Wechsel, den er blanko indossierte. Seine zuvor als Aussteller angebrachte Unterschrift strich er vor der Übergabe des Papiers an Frau Chesini wieder durch. Als diese den Wechsel dem Akzeptanten Wilhelm Hagen vorlegte, erfuhr sie, dass dieser, wie Rutz gewusst habe, weder willens noch fähig war zu zahlen. Sie erstattete daher gegen Rutz und später auch gegen Albert Hagen Strafanzeige wegen Betruges.
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Das Bezirksgericht Oberrheintal erklärte Rutz des Betruges zum Nachteil der Frau Chesini schuldig und ![]() | 4 |
Frau Chesini belangte gestützt auf diese Abtretungserklärung den Albert Hagen auf Bezahlung von Fr. 10'000.-- mit der Begründung, wegen der Übergabe des ungültigen Wechsels hafte der Beklagte dem Rutz gegenüber aus unerlaubter Handlung (Betrug) und Bereicherung.
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Das Bezirksgericht Kreuzlingen und das Obergericht des Kantons Thurgau wiesen die Klage ab. Das Bundesgericht schützt sie auf Grund der folgenden
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Erwägungen: | |
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In dem vom Beklagten angerufenen Entscheid wurde ![]() | 9 |
Diese Frage ist zu bejahen. Da das Bundesgericht an die Begründung der Anträge der Parteien nicht gebunden, vielmehr in Bezug auf die rechtliche Würdigung der Tatsachen frei ist (Art. 63 Abs. 1 und 3 OG), muss auch der kantonale Richter frei sein, den Tatbestand rechtlich anders zu würdigen als die Parteien. Die Freiheit des Richters in der Anwendung des eidgenössischen Rechtes kann im kantonalen Verfahren nicht weniger weit gehen als im Berufungsverfahren vor dem Bundesgericht. Beide Instanzen, der kantonale Richter und das Bundesgericht, sollen den im kantonalen Verfahren gültig vorgebrachten und bewiesenen Tatbestand richtig beurteilen, ohne an eine unvollständige oder irrige rechtliche Begründung seitens der Parteien gebunden zu sein.
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Im vorliegenden Falle geht es indessen nicht um diese Frage. Die Vorinstanz hat nicht geprüft, ob der Beklagte der Klägerin die eingeklagten Fr. 10'000.-- als Kaufpreis schulde. Die Frage ist daher die, ob die Klägerin erst im Berufungsverfahren einen solchen Erfüllungsanspruch aus Kaufvertrag geltend machen dürfe. Das ist zu bejahen.
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Diesen Einwand will der Beklagte offenbar erheben, indem er geltend macht, die Klage sei unter dem Titel des Art. 211 OR nicht genügend substanziert worden.
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Diese Auffassung ist jedoch unbegründet. Der Abschluss des Kaufvertrages, die Lieferung der Feuerzeuge, die Vereinbarung eines Kaufpreises von Fr. 10'000. - und dessen Nichtzahlung durch den Beklagten wurden schon in der Klage behauptet, unter Vorlegung der Kaufsbestätigung und Anrufung weiterer Beweise. Ebenso machte die Klägerin geltend, der Beklagte habe Rutz als Zahlung einen von Wilhelm Hagen angenommenen Wechsel übergeben, der aber ungültig gewesen sei. Der Inhalt des Kaufvertrages und des Wechsels bilden denn auch Gegenstand vorinstanzlicher Feststellungen. Aus diesen ergibt sich, dass Rutz eine Forderung gegen den Beklagten an sich zustand und dass die Vertragsparteien sie auf Fr. 10'000. - bezifferten.
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Die Übergabe an Zahlungsstatt wird nicht vermutet. Zwar trifft Art. 116 Abs. 2 OR, wonach die Eingehung einer Wechselverbindlichkeit mangels gegenteiliger Abrede keine Neuerung bewirkt, nicht unmittelbar zu, denn der Beklagte hat das Papier, das übrigens noch hätte ausgefüllt werden müssen, um zum formgültigen Wechsel zu werden, weder als Aussteller noch als Indossant unterzeichnet. Wenn aber nach der erwähnten Bestimmung sogar durch die Eingehung einer Wechselverbindlichkeit die Kaufpreisforderung nur im Falle einer entsprechenden ![]() | 16 |
Eine dahin gehende Vereinbarung ist vom Beklagten weder im kantonalen Verfahren noch in der Berufungsantwort vor Bundesgericht ausdrücklich behauptet worden und steht denn auch nicht fest. Sie lag nicht darin, dass am Fusse der Bestätigung vom 20. Juli 1954 bemerkt wurde, das Geschäft sei bereits von beiden Teilen vorbehaltlos abgewickelt. Das hatte nur den Sinn, dass einerseits der Lagerschein für die Ware und anderseits der "Wechsel" schon übergeben und ohne Vorbehalt entgegengenommen worden seien. Dass die Übergabe des "Wechsels" entgegen der sinngemäss zutreffenden Regelung des Art. 116 Abs. 2 OR die Kaufpreisforderung getilgt habe, war darunter nicht zu verstehen.
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Rutz hätte zwar das ihm übergebene Wechselblankett vervollständigen können; denn die Erfordernisse des gezogenen Wechsels brauchen nicht schon im Zeitpunkt der Ausstellung oder Begebung vorhanden zu sein. Blankowechsel sind zulässig (Art. 1000 OR); es genügt, wenn sie im Zeitpunkt der Geltendmachung der wechselmässigen Ansprüche ausgefüllt sind (GUHL, Das schweizerische Obligationenrecht, 5. Aufl., S. 709). Rutz wäre somit befugt gewesen, das Blankett zu unterzeichnen und sich dadurch selbst zum Aussteller zu machen; er hätte auch sich selbst als Wechselnehmer einsetzen (Art. 993 Abs. 1 OR) oder einem andern, z.B. der Klägerin, diese Stellung verleihen können. Er hat nun zwar zunächst das Blankett als Aussteller unterzeichnet, dann aber seine Unterschrift gemäss Feststellung der Vorinstanz noch vor Übergabe der Urkunde an die Klägerin wieder durchgestrichen.
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Das Blankett auszufüllen, es z.B. als Aussteller zu unterzeichnen und sich damit als solcher wechselmässig zu verpflichten, war Rutz dem Beklagten gegenüber nicht gehalten. Er konnte auf die Ausübung des Rechts zur Vervollständigung des Wechsels verzichten und - nach dem Fehlschlagen seines zunächst unternommenen Versuchs, von Wilhelm Hagen Zahlung zu erhalten - auf die noch bestehende Kaufpreisforderung zurückgreifen. Hiezu ist auf Grund der Abtretung der Kaufpreisforderung auch die Klägerin befugt.
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6. Ist somit die eingeklagte Forderung von Fr. 10'000. - als Erfüllungsanspruch aus dem Kaufvertrag vom 20. Juli 1954 begründet, so kommt nichts darauf an, ![]() | 23 |
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