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19. Urteil der II. Zivilabteilung vom 16. März 1967 i.S. Assicuratrice Italiana gegen Vereinigte Huttwil-Bahnen. | |
Regeste |
Motorfahrzeug-Haftpflichtversicherung. |
Bestimmen die dem Halter übergebenen Versicherungsbedingungen, dass die Versicherung an dem im Versicherungsnachweis festgesetzten Tage beginne, die Gesellschaft aber das Recht habe, "bis zur Aushändigung der Police den Antrag abzulehnen", so bedeutet die Aushändigung des Versicherungsnachweises die vorläufige Zusage der beantragten Deckung (Erw. 5). |
Das gilt auch, wenn der Versicherer die Versicherungsnachweise durch untergeordnete Angestellte ausstellen und aushändigen lässt (Erw. 6). |
Forderungsrecht des Geschädigten gegen den Versicherer (Erw. 7). |
Haftpflicht für Schaden, der bei einem Zusammenstoss zwischen Motorfahrzeug und Eisenbahn entstanden ist. |
Natur der Motorfahrzeug- und der Eisenbahnhaftpflicht (Erw. 8 a, b); Regeln für den Fall der Kollision dieser Haftungen (Erw. 8 c-e). |
Haftpflicht des Motorfahrzeughalters für den Sachschaden der Bahn (Erw. 8 d, e). |
Rückgriff der Bahnunternehmung auf den Halter im Falle, dass sie den verunfallten Bahnreisenden ihren Personenschaden und den Sachschaden an den von ihnen unter ihrer eigenen Obhut mitgeführten Sachen (Art. 11 Abs. 1 EHG) ersetzt hat; Voraussetzungen, unter denen sich die Bahn die Ansprüche nicht verletzter Reisender auf Ersatz von Sachschaden (Art. 11 Abs. 2 EHG) abtreten lassen kann (Erw. 8 f). |
Rückgriff der Bahn für von der SUVA nicht gedeckten Personenschaden und für Sachschaden von Bahnangestellten (Erw. 8 g). |
Wann darf angenommen werden, dass neben dem vom einen Teil zu vertretenden Verschulden die vom andern Teil gesetzte Betriebsgefahr nicht in rechtserheblicher Weise zum Schaden beigetragen habe? (Erw. 9). |
Grobes Verschulden eines Lastwagenführers, der trotz gehörig funktionierender und gut sichtbarer Blinklichtanlage mit unverminderter Geschwindigkeit einen Bahnübergang überquert (Erw. 10). Mitverschulden der Bahn wegen zu hoher Geschwindigkeit, wegen ungenügender Sicherung der Übergangs oder wegen unterlassener Bremsung? (Erw. 11). | |
Sachverhalt | |
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B.- Am 28. August 1961, kurz nach 15 Uhr, führte Dario Pini, Chauffeur der Firma Pesenti & Berri, den Lastwagen TI 39864 und einen zweiachsigen Anhänger, die gleichen Tages in Henniez mit 350 Harrassen gefüllter Mineralwasserflaschen beladen worden waren, auf der Staatsstrasse Huttwil-Willisau von Zell gegen Gettnau. Diese Strasse wird bei Briseck (Gemeinde Zell), wo sie in einer flachen S-Kurve zuerst nach links ![]() | 2 |
C.- Mit Klage vom 6. September 1963 forderte die Bahngesellschaft von der Assicuratrice Italiana Fr. 169'170.25 nebst 5% Zins von diesem Betrag seit 28. August 1961 und 5% Zins von Fr. 30'000.-- für die Zeit vom 28. August 1961 bis 8. Juni 1963. Sie machte geltend, der Zusammenstoss sei ausschliesslich auf das grobe Verschulden Pinis zurückzuführen, für das die Firma Pesenti & Berri als Halterin des von ihm geführten Lastwagens einzustehen habe; als Haftpflichtversicherer der Firma Pesenti & Berri könne die Beklagte im Rahmen der vertraglichen Deckung von Fr. 1'000,000.-- für den aus dem Zusammenstoss entstandenen Schaden unmittelbar belangt werden; die Klägerin habe einen Schaden von Fr. 199'170.25 erlitten (Kosten der Instandstellung und Betriebsausfall des beschädigten Rollmaterials; Kosten der Räumung, Bewachung und Instandstellung der Bahnanlage; von der Klägerin gegen Abtretung der betreffenden Ansprüche vergüteter Sach- und Personenschaden von Fahrgästen und Bahnangestellten; ![]() | 3 |
Die Beklagte erklärte sich bereit, über die bereits bezahlten Fr. 30'000.-- hinaus noch Fr. 776.30 (die Hälfte des für Personenschaden geforderten Betrages) zu zahlen, und beantragte im übrigen die Abweisung der Klage. Sie brachte im wesentlichen vor, zwischen ihr und der Firma Pesenti & Berri sei kein Versicherungsvertrag zustande gekommen; die Ausstellung des Versicherungsnachweises bedeute nur, dass sie Dritten gegenüber im Rahmen der in Art. 64 SVG festgesetzten Mindestbeträge hafte; für Sachschaden könne sie also nur bis zum Betrag von Fr. 30'000.--, den sie bezahlt habe, belangt werden; die Halterin des Lastwagens hafte im übrigen nicht für den vollen Schaden; vielmehr sei dieser wegen eines mit dem Verschulden Pinis konkurrierenden Verschuldens der Bahn und wegen der von dieser zu vertretenden Betriebsgefahr zwischen der Halterin und der Klägerin hälftig zu teilen; zahlenmässig werde ein Schaden von Fr. 86'000.-- anerkannt.
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Das Amtsgericht Willisau verurteilte die Beklagte am 15. Dezember 1965 zur Zahlung von Fr. 140'000.-- nebst Zins.
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Das Obergericht des Kantons Luzern, an das die Beklagte appellierte, berechnete den Gesamtschaden der Klägerin auf Fr. 164'788.60, indem es den eigenen Sachschaden der Klägerin niedriger bemass als diese, und sprach der Klägerin mit Urteil vom 3. März 1966 unter Berücksichtigung der Zahlung der Beklagten Fr. 134'788.60 nebst 5% Zins von Fr. 164'788.60 ab 7. August 1962 (Betreibungsbegehren) bis 9. Juni 1963 und von Fr. 134'788.60 ab 10. Juni 1963 zu.
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D.- Gegen dieses Urteil hat die Beklagte die Berufung an das Bundesgericht erklärt. Sie beantragt "präliminär" die Rückweisung der Sache an das Obergericht zu neuer Entscheidung nach Abnahme der von ihr angebotenen Beweise, "principaliter" dem Sinne nach die Abweisung der Klage und "eventualiter" die Herabsetzung des von ihr zu leistenden Schadenersatzes auf zwei Drittel des vom Obergericht errechneten Gesamtschadens, nämlich auf Fr. 109'858.--, so dass sie noch Fr. 79'858.-- nebst Zins zu zahlen hätte.
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Die Klägerin beantragt die Abweisung der Berufung.
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2. Das Obergericht hat festgestellt, die Beklagte habe den Versicherungsnachweis auf Grund eines auf die Deckungssumme von einer Million Franken lautenden Versicherungsantrages ausgestellt und ausgehändigt. Es nimmt also an, der Versicherungsnachweis sei ausgestellt und der Firma Pesenti & Berri übergeben worden, nachdem diese der Beklagten den Abschluss einer Haftpflichtversicherung mit der erwähnten Deckungssumme beantragt hatte. Diese Feststellung betrifft tatsächliche Verhältnisse... Der in der Berufungsschrift enthaltene Antrag, der Beklagten sei der Nachweis zu erlauben, "dass in unserem Fall der Versicherungsnachweis möglicherweise gleich bei der Ausfüllung des Versicherungsantrages von einem lokalen subalternen Angestellten der Gesellschaft ausgehändigt ![]() | 10 |
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Der Aushändigung des Versicherungsnachweises an die Firma Pesenti & Berri wäre im übrigen selbst dann ein gültiger Antrag auf Abschluss einer solchen Versicherung vorausgegangen, wenn die Firma Pesenti & Berri einen dahin gehenden Antrag zunächst nur mündlich gestellt hätte und der schriftliche Antrag erst nach der Aushändigung des Versicherungsnachweises ausgefertigt worden wäre. Das VVG enthält nämlich keine Vorschriften über die Form des Antrags des Versicherungsnehmers und der Annahmeerklärung des Versicherers. In diesem Punkte finden daher gemäss Art. 100 VVG die Bestimmungen des OR Anwendung. Nach Art. 11 Abs. 1 OR bedürfen Verträge zu ihrer Gültigkeit nur dann einer besondern Form, wenn das Gesetz eine solche vorschreibt. Da solche Vorschriften für den Versicherungsvertrag nicht bestehen, sind der Versicherungsantrag und die Annahmeerklärung des Versicherers formlos gültig (ROELLI N. 5 b und 7 b zu Art. 1 VVG, S. 13 und 28; KOENIG, Schweiz. Privatversicherungsrecht, S. 61 und 63). Der Agent der Beklagten war von Gesetzes wegen befugt, eine mündliche Antragserklärung entgegenzunehmen (ROELLI N. 5 b zu Art. 1 VVG, S. 14).
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4. Der Versicherer hat den Versicherungsnachweis zuhanden der Behörde auszustellen, die den Fahrzeugausweis abgibt (Art. 68 Abs. 1 SVG). Die Übergabe des Versicherungsnachweises ![]() ![]() | 13 |
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"Beginn. Die Versicherung beginnt an dem im Versicherungsnachweis festgesetzten Tag. Die Gesellschaft hat jedoch das Recht, bis zur Aushändigung der Police den Antrag abzulehnen. Macht sie davon Gebrauch, so erlischt ihre Leistungspflicht 3 Tage nach Zustellung der Ablehnungserklärung an den Versicherungsnehmer. Die Pro-rata-Prämie bis zum Erlöschen der Leistungspflicht bleibt der Gesellschaft geschuldet."
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Diese Bestimmung verbietet nicht, die Aushändigung des Versicherungsnachweises an einen Halter, der einen gültigen Haftpflichtversicherungsantrag gestellt hat, als Zusage der beantragten Versicherungsdeckung aufzufassen. Ein solcher Halter darf unter der "Versicherung", die nach Satz 1 an dem im Versicherungsnachweis festgesetzten Tage beginnt, und unter der "Leistungspflicht" des Versicherers, die nach Satz 3 bis zum dritten Tage nach Zustellung der "Ablehnungserklärung" im Sinne von Satz 2 dauert, nach Treu und Glauben die Versicherung bezw. die Leistungspflicht nach Massgabe der im Antrag festgesetzten Summen verstehen, da die Versicherungsbedingungen die in einem solchen Falle geltenden Versicherungssummen nicht anderswie festsetzen. Wenn Satz 2 der Beklagten das Recht wahrt, bis zur Aushändigung der Police "den Antrag abzulehnen", so heisst das nicht, dass die Höhe der Deckung, welche die am ersten Geltungstag des Versicherungsnachweises ![]() | 16 |
Wenn die Behauptung der Beklagten zutrifft, dass jährlich sehr viele Versicherungsanträge abgewiesen werden, nachdem der Versicherungsnachweis abgegeben wurde, so folgt daraus nicht, dass die Aushändigung dieses Nachweises "keine stillschweigende Annahme des Versicherungsantrages bedeutet". Vielmehr ergäbe sich daraus nur, dass den Haltern, die den Abschluss einer Haftpflichtversicherung beantragen, sehr häufig zunächst nur eine vorläufige Deckungszusage erteilt wird und dass die Versicherer von der Befugnis, den Abschluss eines länger dauernden Vertrages abzulehnen, verhältnismässig oft Gebrauch machen. Das Obergericht hat daher mit Recht davon abgesehen, über die erwähnte Behauptung Beweis zu erheben.
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Ob der Versicherer den Entscheid, den er sich vorbehalten hat, beliebig hinauszögern dürfe, braucht im vorliegenden Fall nicht geprüft zu werden. Auf jeden Fall bleibt die vorläufige Deckungszusage wirksam, solange der Versicherer sich nicht entschieden hat (und der mit dieser Zusage zustande gekommene Vertrag auch nicht auf andere Weise aufgelöst worden ist). Im vorliegenden Falle stand also die in der Aushändigung des Versicherungsnachweises liegende vorläufige Zusage der Deckung bis zu der im Antrag genannten Summe im Zeitpunkt des Unfalles vom 28. August 1961 noch in Kraft; denn die Beklagte hat bis dahin unstreitig keine "Ablehnungserklärung" im Sinne von Art. 8 ihrer Versicherungsbedingungen abgegeben, und das Versicherungsverhältnis ist auch nicht aus einem andern Grunde vor dem Unfall zu Ende gegangen.
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Zur Vermeidung von Missverständnissen mag, obwohl das ![]() | 19 |
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Auch dieser Beweis war wegen Unerheblichkeit des behaupteten Sachverhalts nicht abzunehmen. Der Versicherungsnachweis wurde der Firma Pesenti & Berri anerkanntermassen von einem hiezu ermächtigten Angestellten der Beklagten ausgehändigt (vgl. auch Art. 34 Abs. 1 VVG). Diese Handlung hat daher die gleichen Rechtsfolgen, wie wenn der Versicherer selber (durch ein Organ mit umfassender Vertretungsbefugnis) sie vorgenommen hätte, und zu diesen Folgen gehört eben, dass der Antrag der Firma Pesenti & Berri im Sinne einer vorläufigen Deckungszusage als angenommen zu gelten hat. Ob der betreffende Angestellte der Beklagten unterschriftsberechtigt war, ist in diesem Zusammenhang unerheblich. Es genügt, dass er den Versicherungsnachweis abgeben durfte. Mit der Abgabe des Versicherungsnachweises vor der endgültigen Annahme des Antrags verhält es sich ähnlich wie mit der Abgabe dieses Nachweises vor der Zahlung der ersten Prämie (vgl. hiezu BGE 83 II 75 ff.).
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7. War demnach die Firma Pesenti & Berri bei der Beklagten im Zeitpunkt des Unfalles für eine Million Franken gegen ![]() | 22 |
Die in der Berufungsschrift enthaltene Bemerkung, dass der Antrag der Firma Pesenti & Berri "eine Deckung von Fr. 1'000,000.-- nicht ausdrücklich für Sachschäden, sondern allgemein für den Schadensfall vorsah" und dass somit die Firma Pesenti & Berri die erwähnte Deckung "für den Schadensfall und nicht nur für Sachschäden gewünscht" habe, ist an sich richtig. Die Deckung von einer Million Franken gilt nicht allein für den Sachschaden, sondern für den Personen- und den Sachschaden zusammen. Das ist auch die Auffassung der Klägerin und des Obergerichtes. Mit dieser Feststellung ist aber für die Beklagte nichts gewonnen. Die Forderung der Klägerin erreicht den Betrag von Fr. 1'000,000.-- bei weitem nicht. Dass die Gesamtsumme der Forderungen aus dem Unfall vom 28. August 1961 diesen Betrag übersteige, wird nicht behauptet, und es bestehen dafür auch keine Anhaltspunkte. Eine Ermässigung der Forderungen der Geschädigten gemäss Art. 66 Abs. 1 SVG kommt daher nicht in Frage, sondern die Beklagte hat die Schadenersatzforderung der Klägerin voll zu decken, soweit sie materiell begründet ist.
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a) Wird durch den Betrieb eines Motorfahrzeuges ein Mensch getötet oder verletzt oder Sachschaden verursacht, so haftet nach Art. 58 Abs. 1 SVG (früher Art. 37 Abs. 1 MFG) der Halter für den Schaden. Dabei handelt es sich um eine sog. Gefährdungshaftung (OFTINGER II/2 S. 453), d.h. der Halter haftet ohne Verschulden auf Grund der blossen Verursachung des Schadens durch den mit Gefahren verbundenen Betrieb seines Fahrzeugs. Die vom Obergericht verwendete Bezeichnung ![]() | 25 |
b) Wenn beim Betrieb einer Eisenbahn ein Mensch getötet oder körperlich verletzt wird, so haftet der Inhaber der Bahnunternehmung nach Art. 1 EHG für den daraus entstandenen Schaden, sofern er nicht beweist, dass der Unfall durch höhere Gewalt, durch Verschulden Dritter oder durch Verschulden des Getöteten oder Verletzten verursacht wurde. Das gleiche gilt nach Art. 11 Abs. 1 EHG für Schaden an Gegenständen, die der Betroffene (victime, persona uccisa o lesa, d.h. der Getötete oder Verletzte) unter seiner eigenen Obhut mit sich führte, wenn die Beschädigung, die Zerstörung oder der Verlust mit dem Unfall zusammenhängt. Abgesehen von diesem Falle ist die Bahnunternehmung gemäss Art. 11 Abs. 2 EHG für Beschädigung, Zerstörung oder Verlust von Gegenständen, die weder als Frachtgut noch als Reisegepäck aufgegeben wurden, nur dann schadenersatzpflichtig, wenn ihr ein Verschulden nachgewiesen wird. Für Personenschaden und die unter Art. 11 Abs. 1 EHG fallenden Sachschäden besteht also eine Gefährdungshaftung, für die nicht von Art. 11 Abs. 1 EHG erfassten Sachschäden dagegen unter Vorbehalt der Bestimmungen über das Frachtgut und das Reisegepäck bloss eine Verschuldenshaftung der Bahnunternehmung.
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c) Für Schaden aus Körperverletzung haften demnach sowohl der Motorfahrzeughalter als auch der Inhaber der Bahnunternehmung ohne Verschulden auf Grund der blossen Verursachung durch den Betrieb des betreffenden Verkehrsmittels. Hieraus hat die Rechtsprechung abgeleitet, dass bei einem Unfall, an dem ein Motorfahrzeug und die Eisenbahn ![]() | 27 |
Der umgekehrte Fall, dass bei einem Unfall der erwähnten Art der Inhaber der Bahnunternehmung körperlich verletzt wird, dürfte praktisch kaum vorkommen, weil die Bahnunternehmungen gewöhnlich juristischen Personen gehören, wäre aber gegebenenfalls entsprechend zu behandeln.
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d) Die Haftung für Sachschaden ist, wie dargelegt, im SVG (früher MFG) und im EHG verschieden geregelt. Da die Bahnunternehmung im Gegensatz zum Motorfahrzeughalter für solchen Schaden, vom Falle des Art. 11 Abs. 1 EHG abgesehen, nur bei Verschulden haftet und da es als unbillig erscheint, bei Unfällen mit Beteiligung beider Verkehrsmittel den Motorfahrzeughalter gegenüber der Bahnunternehmung strenger haften zu lassen als umgekehrt, wurde unter der Herrschaft des MFG bei solchen Fällen die Kausalhaftpflicht des Halters für Sachschäden im Verhältnis zwischen ihm und der Bahnunternehmung nicht berücksichtigt. Vielmehr wurde die für die Haftung zwischen Haltern aufgestellte Vorschrift von Art. 39 Satz 2 MFG, die für Sachschaden das OR als massgebend ![]() | 29 |
Anstelle von Art. 39 Satz 2 MFG gilt heute Art. 61 Abs. 2 SVG, wonach für Sachschaden eines Halters ein anderer Halter nur haftet, "wenn der Geschädigte beweist, dass der Schaden verursacht wurde durch Verschulden oder vorübergehenden Verlust der Urteilsfähigkeit des beklagten Halters oder einer Person, für die er verantwortlich ist, oder durch fehlerhafte Beschaffenheit seines Fahrzeuges". Diese Bestimmung weicht von der früher geltenden Regelung der Sache nach nur darin ab, dass sie dem Verschulden des beklagten Halters oder einer Person, für die er verantwortlich ist, den vorübergehenden Verlust der Urteilsfähigkeit und die fehlerhafte Beschaffenheit des Fahrzeugs gleichstellt. Statt Art. 39 Satz 2 MFG ist daher heute grundsätzlich Art. 61 Abs. 2 SVG auf die Haftung für Sachschaden im Verhältnis zwischen Motorfahrzeughalter und Bahnunternehmung entsprechend anzuwenden. Das führt dazu, dass der Halter für den Sachschaden der Bahn ohne Rücksicht auf die beidseitigen Betriebsgefahren voll haftet, wenn er oder eine Person, für die er verantwortlich ist, den Schaden nachgewiesenermassen verschuldet hat und der Bahn kein Mitverschulden zur Last fällt. (Von vorübergehendem Verlust der Urteilsfähigkeit eines Beteiligten oder von fehlerhafter Beschaffenheit eines der beteiligten Fahrzeuge ist im vorliegenden Falle nicht die Rede.)
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e) In der Lehre wird freilich die Auffassung vertreten, die für das Verhältnis unter Motorfahrzeughaltern geltenden, grundsätzlich auf das Verschulden abstellenden Vorschriften über die Haftung für Sachschäden seien auf das Verhältnis zwischen einem Motorfahrzeughalter und einer Bahnunternehmung nur dann ohne Vorbehalt entsprechend anwendbar, wenn beim Unfall kein Personenschaden entstehe; werde beim Unfall ein Mensch getötet oder verletzt, so hafte die Bahnunternehmung für Sachschäden gemäss Art. 11 Abs. 1 EHG kausal, wenn der Verunfallte die betreffenden Sachen unter seiner eigenen Obhut mit sich führte und der Schaden im Zusammenhang mit dem Unfall eintrat (vgl. lit. b hievor); in einem solchen Falle bestehe kein Grund, von der nach dem Gesetzeswortlaut geltenden ![]() | 31 |
Alle diese Streitfragen können hier jedoch offen bleiben, wenn sich ergibt, dass das von der Firma Pesenti & Berri zu vertretende Verschulden des Fahrzeuglenkers Pini die einzige adäquate Ursache des eingeklagten Schadens ist; denn in diesem Falle haftet die Firma Pesenti & Berri, deren Haftpflicht die Beklagte zu decken hat, sowohl nach den Grundsätzen der Verschuldenshaftung als auch nach den Regeln der Gefährdungshaftung für den vollen Schaden.
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f) Für den Personenschaden der Bahnreisenden haften die Klägerin und der Motorfahrzeughalter auf Grund von Art. 1 ![]() | 33 |
Nach Art. 18 EHG bleibt der Bahnunternehmung der Rückgriff vorbehalten gegenüber Personen, die durch ihr Verschulden einen Unfall verursacht haben, aus welchem Schadenersatzansprüche geltend gemacht wurden. Ob auch ein Rückgriff der Bahnunternehmung auf neben ihr haftende Kausalhaftpflichtige (insbesondere auf Motorfahrzeughalter) möglich sei, wird im Gesetz nicht gesagt, doch ist diese Frage mit OFTINGER (II/1 S. 376/77) grundsätzlich zu bejahen. Auf den Rückgriff der Bahnunternehmung gegen den Motorfahrzeughalter für von ihr gedeckten Personenschaden der Reisenden sind die Regeln über die gegenseitige Haftung des Halters und des Inhabers der Bahnunternehmung für ihnen zugestossene Personenschäden (lit. c hievor) entsprechend anzuwenden (OFTINGER I S. 317). Der Klägerin ist also der Rückgriff für den vollen Personenschaden der Reisenden zu gewähren, wenn der Unfall ausschliesslich auf das Verschulden des Motorfahrzeuglenkers, für das die Firma Pesenti & Berri einzustehen hat, zurückzuführen ist.
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Für Sachschaden infolge Beschädigung, Zerstörung oder Verlustes von Gegenständen, die von verletzten Bahnreisenden unter ihrer eigenen Obhut (im Bahnwagen) mitgeführt wurden, gilt das gleiche wie für den Personenschaden der Reisenden.
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Für sonstigen Sachschaden von Reisenden (insbesondere für den Sachschaden von nicht verletzten Reisenden) würde die Bahn nur bei Verschulden haften, wenn man von der hier nicht in Frage stehenden Verantwortlichkeit für aufgegebenes Frachtgut und Reisegepäck absieht. Fällt der Bahn kein Verschulden zur Last, so hat sie mit der Deckung solchen Sachschadens nicht eine eigene Schuld erfüllt. Unter der eben genannten Voraussetzung konnte sie sich also gegen Zahlung des Schadenersatzbetrags die Ansprüche der Reisenden gegen die Firma Pesenti & Berri abtreten lassen. Diese Firma haftet den Geschädigten gegenüber für den Sachschaden kausal (Art. 58 Abs. 1 ![]() | 36 |
g) Als Personenschaden von Bahnangestellten macht die Klägerin den Unterschied zwischen dem vollen Lohn des verunfallten Lokomotivführers Sommer und dem ihm von der SUVA gemäss KUVG ausgerichteten Krankengeld von 80% dieses Lohnes geltend. Sie hat Sommer diese Differenz auf Grund des mit ihm bestehenden Dienstvertrages bezahlt und kann dafür auf die Firma Pesenti & Berri auf jeden Fall dann Rückgriff nehmen, wenn der Unfall ausschliesslich durch das von dieser Firma zu vertretende Verschulden des Lastwagenführers Pini verursacht wurde.
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Für den Sachschaden, den Bahnangestellte bei einem Eisenbahnunfall erleiden, gilt das KUVG nicht. In dieser Hinsicht sind also die Vorschriften des EHG (das ursprünglich auch für den Personenschaden von Bahnangestellten aus Betriebsunfällen galt) durch das KUVG (Art. 128 Ziff. 3) nicht aufgehoben worden (OFTINGER I S. 384). Vielmehr ist für Sachschäden der erwähnten Art der Art. 11 EHG massgebend geblieben. Was vorstehend über den von der Klägerin gedeckten Sachschaden der Bahnreisenden ausgeführt wurde, gilt daher auch für den entsprechenden Schaden von Bahnangestellten.
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Als Gesamtergebnis der bisherigen Erwägungen ist festzuhalten, dass die Beklagte als Haftpflichtversicherer der Firma Pesenti & Berri die Forderung der Klägerin in dem vom Obergericht festgesetzten Betrage, dessen Berechnung als solche nicht angefochten ist, voll zu decken hat, wenn das von dieser Firma zu vertretende Verschulden des Lastwagenführers Pini die einzige adäquate Ursache des geltend gemachten Schadens ist.
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9. OFTINGER pflichtet der Rechtsprechung des Bundesgerichts grundsätzlich darin bei, dass die Regel, wonach bei Kollision verschiedener Haftungen der einer Gefährdungshaftung unterstehende Geschädigte wegen der von ihm gesetzten Betriebsgefahr einen Teil des Schadens selbst zu tragen hat, dann nicht gilt, wenn das vom andern Teil zu vertretende ![]() | 40 |
Richtig ist, dass nicht leichthin angenommen werden darf, die vom einen Teil zu vertretende Betriebsgefahr habe neben einem Verschulden, für das der andere Teil einzustehen hat, nicht in rechtserheblicher Weise auf den Schaden eingewirkt. Dass das nur ausnahmsweise angenommen werden dürfe oder sogar praktisch kaum denkbar sei, kann jedoch nicht zugegeben werden. Es kommt häufig vor, dass Verkehrsteilnehmer in gröbster Weise gegen elementare Gebote der Vorsicht verstossen (vgl. BGE 87 II 307), und es ist sehr wohl denkbar, dass ein solcher Verstoss sich bei einem Unfall so intensiv auswirkt, dass daneben die vom andern Teil zu vertretende Betriebsgefahr als adäquate Ursache des Schadens ausscheidet. Die Vorschriften über die Entlastung der Bahnunternehmung und des Motorfahrzeughalters durch ein Selbstverschulden des Geschädigten (Art. 1 Abs. 1 EHG, Art. 59 Abs. 1 SVG) beruhen auf dieser Auffassung. Die gleiche Auffassung muss auch zur Geltung kommen, wenn es sich darum handelt, ob ein schuldloser Geschädigter, der infolge Verschuldens des andern Teils einen Unfall erlitten hat, sich im Hinblick auf die von ihm gesetzte Betriebsgefahr eine Ermässigung des ihm geschuldeten Schadenersatzes gefallen lassen müsse.
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a) Der Vorwurf ungenügender Wirksamkeit der den Bahnübergang und das Nahen eines Zuges anzeigenden Signale wurde bereits widerlegt (Erw. 10 hievor).
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b) Es bedeutet auch kein Verschulden der Bahn, dass ihr Fahrdienstreglement beim fraglichen Übergang eine Geschwindigkeit von 75 Stundenkilometern zulässt und dass der Unfallzug mit einer Geschwindigkeit von 67 Stundenkilometern fuhr, als für den Lokomotivführer ungefähr 50 m vor der Kreuzung erkennbar wurde, dass der Führer des Lastenzuges vor dem Übergang nicht anzuhalten gedachte. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist den Bahnen nicht zuzumuten, vor Übergängen die Geschwindigkeit so zu mässigen, dass der Zug beim Auftauchen eines Hindernisses noch vor dem Übergang angehalten werden kann. Eine solche Anforderung wäre mit dem Bahnbetrieb unvereinbar, weshalb das Gesetz der Bahn bei Niveauübergängen die unbedingte Priorität gewährt (BGE 87 II 315 ![]() | 43 |
c) Die Beklagte erblickt eine Fahrlässigkeit der Klägerin oder doch eine erhöhte Betriebsgefahr der Bahn darin, dass ein - nach dem Unfall entfernter - Baum die Sicht auf das Bahngeleise behinderte und dass der Übergang gleichwohl nicht mit Schranken oder Halbschranken gesichert wurde.
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Die Klägerin betreibt eine sog. Nebenbahn. Nach Art. 11 Ziff. 4 Abs. 2 der Verordnung vom 19. März 1929 über Bau und Betrieb der schweizerischen Nebenbahnen ist bei mit fernbedienten Barrieren versehenen oder unbewachten Wegübergängen "für grösstmöglichste Übersichtlichkeit zu sorgen". Ob Übergänge, die mit einer Blinklichtanlage ausgestattet sind, im Sinne dieser Bestimmung als unbewacht zu gelten haben (vgl. zu dieser Streitfrage BGE 87 II 316 ff. mit Hinweisen und Erw. 10 hievor), braucht im vorliegenden Falle so wenig wie im Falle BGE 87 II 301 ff. entschieden zu werden. Selbst wenn man nämlich zugunsten der Beklagten annehmen wollte, der streitige Übergang habe als unbewacht zu gelten, so könnte doch nicht anerkannt werden, dass die Nichtbeseitigung des erwähnten Baumes vor dem Unfall der Klägerin zum Verschulden gereiche oder eine erhöhte Betriebsgefahr begründet habe. Die einwandfrei funktionierende Blinklichtanlage, die wie die Vorsignale auf genügende Entfernung gut sichtbar war, bildete angesichts der Tatsache, dass der in Frage stehende Übergang ausserhalb des Dorfkerns liegt, für jeden auch nur einigermassen aufmerksamen Fahrzeuglenker eine so zuverlässige Sicherheitsvorkehr, dass nicht von ungenügender Übersichtlichkeit des Übergangs gesprochen werden kann, auch wenn die Sicht auf das von rechts vorn kommende Bahngeleise erst ca. 25 m vor dem Übergang frei wurde (vgl. BGE 87 II 318 /19, wo ähnliche Verhältnisse vorlagen). Wie dem aber auch sei, so kann die Beklagte aus der Behinderung der Sicht auf das Bahngeleise auf jeden Fall deshalb nichts zu ihren Gunsten ableiten, weil Pini nach den für das Bundesgericht massgebenden tatsächlichen Feststellungen des Obergerichts derart sorglos auf die Kreuzung zufuhr, dass sich der Zusammenstoss auch bei besserer Sicht auf das Bahngeleise mit gleicher Intensität ereignet hätte.
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Das Fehlen von Schranken oder Halbschranken kann aus den in BGE 87 II 313 lit. a dargelegten Gründen, die hier entsprechend gelten, nicht als Mangel der Anlage angesehen werden.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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