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47. Urteil der II. Zivilabteilung vom 13. Oktober 1967 i.S. Eheleute Pater. | |
Regeste |
Klage eines ungarischen Flüchtlings auf Scheidung seiner Ehe mit einer Deutschen; Zuständigkeit der schweizerischen Gerichte. |
2. Tragweite von Art. 7 h Abs. 1 NAG (Erw. 2 Abs. 1; vgl. auch Erw. 5 Abs. 1). Staatsangehörigkeit des Klägers. Nichtanerkennung des schweizerischen Gerichtsstandes durch seinen Heimatstaat. Nichtanerkennung seiner Ehe? (Erw. 2 Abs. 2 und 3). |
3. Ein in der Schweiz wohnender Flüchtling, der unter das Genfer Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 fällt, kann an seinem Wohnsitz auf Grund des schweizerischen Rechts auf Scheidung klagen, ohne nachweisen zu müssen, dass Gesetz oder Gerichtsgebrauch seiner Heimat den angerufenen Scheidungsgrund zulassen und den schweizerischen Gerichtsstand anerkennen (Erw. 3). |
4. Für die Ungarn, die ihr Land im Anschluss an die dortigen Ereignisse vom Oktober 1956 aus begründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne von Art. 1 lit. A Ziff. 2 des Abkommens vom 28. Juli 1951 verliessen, gilt das Abkommen in den Vertragsstaaten schon heute, d.h. schon vor dem Beitritt zum Protokoll vom 31. Januar 1967, das den Stichtag des 1. Januar 1951 beseitigt (Erw. 4; Änderung der Rechtsprechung). |
5. Nachweis, dass der Heimatstaat der Beklagten den schweizerischen Gerichtsstand anerkennt. Anwendung der einschlägigen deutschen Vorschriften durch das Bundesgericht (Art. 65 OG). (Erw. 5, 6). | |
Sachverhalt | |
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Im Juli 1965 heiratete Pater in Zofingen Frau Gedövari, die ebenfalls aus Ungarn stammt, aber nach der Darstellung beider Parteien infolge einer frühern, durch Scheidung aufgelösten Ehe die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt.
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B.- Am 2. Juni 1966 reichte der Ehemann beim Bezirksgericht Zofingen Klage auf Scheidung der Ehe wegen tiefer Zerrüttung ein. Die Ehefrau, die bei der Sühneverhandlung vom 29. März 1966 die Weiterführung der Ehe abgelehnt und die Scheidung verlangt hatte, stellte mit Eingabe vom 8. Juli 1966 den Antrag, auf die Klage sei wegen Unzuständigkeit der schweizerischen Gerichte nicht einzutreten.
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Am 6. Oktober 1966 wies das Bezirksgericht die Unzuständigkeitseinrede der Beklagten ab.
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Das Obergericht des Kantons Aargau hat am 13. Januar 1967 dieBeschwerde der Beklagten gegen diesen Entscheid abgewiesen.
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C.- Gegen den Entscheid des Obergerichts hat die Beklagte beim Bundesgericht "Beschwerde" eingereicht mit dem Antrag, ihre Unzuständigkeitseinrede sei zu schützen.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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Der Kläger behauptet nicht, und es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass ihm wegen oder im Zusammenhang mit seiner Flucht aus Ungarn die ungarische Staatsangehörigkeit entzogen worden sei (vgl. zu dieser Frage MICHEL, "Zur Scheidung der Ehe ungarischer Staatsangehöriger, die nach dem Aufstand von 1956 in die Bundesrepublik Deutschland flüchteten", in Ehe und Familie im privaten und öffentlichen Recht, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht [FamRZ], 1961, S. 198). Er ist deshalb auch heute noch als ungarischer Staatsangehöriger zu betrachten. Als solcher vermag er den Nachweis der Anerkennung des schweizerischen Gerichtsstandes durch den Heimatstaat für seine Person nicht zu leisten, weil nach einem ungarischen Erlass vom 28. Dezember 1952 die ungarischen Gerichte in Prozessen über den Personalstand ungarischer Staatsangehöriger, von hier nicht zutreffenden Ausnahmen abgesehen, ausschliesslich zuständig sind, und zwar auch dann, wenn nur eine Partei die ungarische Staatsangehörigkeit besitzt (ungarische Verordnung mit Gesetzeskraft Nr. 22/1952 betr. Inkrafttreten und Durchführung des Gesetzes Nr. III/1952 über die Zivilprozessordnung, § 15, ins Deutsche übersetzt in Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht [RabelsZ] 1954 ![]() | 9 |
Ob allenfalls Ungarn der vom Kläger nach seiner Flucht in die Schweiz geschlossenen Ehe die Anerkennung versage und der Kläger aus diesem Grunde den Nachweis der Anerkennung des schweizerischen Gerichtsstandes durch Ungarn nicht zu leisten habe, kann dahingestellt bleiben, wenn sich dieser Nachweis aus einem andern Grunde als entbehrlich erweist. (Das ungarische Gesetz Nr. V/1957 über die Staatsbürgerschaft hat den Erwerb der ungarischen Staatsangehörigkeit durch Eheschliessung mit einem Ungarn abgeschafft; siehe SZLEZAK, Das Staatsangehörigkeitsrecht von Ungarn, Frankfurt a. M. 1959, S. 92 und 184 ff., insbesondere §§ 1 und 7. Wenn die Beklagte die ungarische Staatsangehörigkeit, die sie durch die Heirat mit einem Deutschen im Jahre 1942 verlor, durch die Heirat mit dem Kläger im Jahre 1965 nicht wiedererlangt hat, so liegt hierin also kein Indiz dafür, dass Ungarn die Ehe der Parteien nicht anerkenne oder dass der Kläger die ungarische Staatsangehörigkeit nicht mehr besitze.)
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"Le statut personnel de tout réfugié sera régi par la loi du pays de son domicile ou, à défaut de domicile, par la loi du pays de sa résidence."
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Unter dem "statut personnel" (englische Fassung: "personal status") eines Flüchtlings, den diese Bestimmung dem Gesetz seines Wohnsitzlandes oder - beim Fehlen eines Wohnsitzes - dem Gesetz seines Aufenthaltslandes unterstellt, ist richtigerweise die persönliche Rechtsstellung zu verstehen (vgl. MAKAROv in RabelsZ 1955 S. 112/113). Der Ausdruck "personenrechtliche Stellung", den die deutsche Übersetzung des Abkommens in der Sammlung der eidgenössischen Gesetze verwendet (AS 1955 S. 448), ist zu eng (im gleichen Sinne MOSER, ZSR 1967 ![]() | 13 |
Art. 16 des Abkommens stellt die Flüchtlinge hinsichtlich des Zugangs zu den Gerichten den Angehörigen des Staates gleich, wo sie ihren Wohnsitz bzw. ihren ordentlichen Aufenthalt haben.
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Die Regelung des Abkommens, dem die Schweiz beigetreten ist, geht innerhalb ihres Geltungsbereichs der Regel des Art. 7 h Abs. 1 NAG vor.
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Ein Flüchtling, der unter das Abkommen fällt und wie der Kläger in der Schweiz wohnt, kann daher an seinem Wohnsitz (Art. 144 ZGB) auf Grund des schweizerischen materiellen Rechts auf Scheidung klagen, ohne für seine Person nachweisen zu müssen, dass Gesetz oder Gerichtsgebrauch seiner Heimat den angerufenen Scheidungsgrund zulassen und den schweizerischen Gerichtsstand anerkennen (BBl 1954 II 76). Ist auch der beklagte Ehegatte Flüchtling im Sinne des Abkommens, so erübrigt sich dieser Nachweis für beide Ehegatten (BGE 88 II 330). Ist der Beklagte dagegen ein Ausländer ohne die Eigenschaft eines solchen Flüchtlings, so muss dieser Nachweis nach der herrschenden Rechtsprechung für ihn erbracht werden, es sei denn, dass dem Kläger zur Vermeidung einer Rechtsverweigerung ein sog. Notgerichtsstand in der Schweiz zu gewähren ist (VEBB 1957 Nr. 65, 1958 Nr. 39 II, 1959/60 Nr. 76; BGE 88 II 330 /331).
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Im Falle BGE 88 II 329 ff., wo beide Parteien ungarische Flüchtlinge waren, hat das Bundesgericht angenommen, die ![]() | 18 |
Schon in dem vom Bundesrat genehmigten Bericht des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements vom 7. März 1957 über die schweizerische Asylpraxis in neuester Zeit, der als Anhang zum Bericht von Prof. Ludwig über "Die Flüchtlingspolitik der Schweiz in den Jahren 1933 bis 1955" veröffentlicht wurde (Beilage zum Bundesblatt 1957 II, S. 410 ff.), war indessen erklärt worden, das Abkommen gelte auch für die neuen ungarischen Flüchtlinge; die Voraussetzungen des Art. 1 seien bei ihnen erfüllt, "liegt doch der Grund zur Flucht in der Auseinandersetzung des ungarischen Volkes mit dem politischen Regime, wie es seit 1948 in Ungarn besteht"; das Hochkommissariat der Vereinten Nationen für die Flüchtlinge teile diese Auffassung, und auch die Mehrzahl der Mitgliedstaaten in Europa habe kürzlich an der Sitzung des Exekutivkomitees des Hochkommissariats erklärt, das Abkommen werde auch auf die neuen ungarischen Flüchtlinge angewendet (a.a. O. S. 415, vgl. dazu MOSER, ZSR 1967 II 447). Die Polizeiabteilung des Eidg. Justiz- und Polizeidepartements hat dem Kläger auf Grund dieser Auffassung im April 1957 einen Reiseausweis im Sinne von Art. 28 des Abkommens ausgestellt und später ausdrücklich bestätigt, er sei Flüchtling im Sinne des Abkommens.
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Im Jahre 1965 führte der damalige Hochkommissar für die Flüchtlinge, SCHNYDER, in einer Vorlesung an der Académie de droit international de La Haye aus, der vom Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen zur Vorbereitung des Abkommens eingesetzte Sonderausschuss habe in seinem Bericht die Auffassung vertreten, die Festsetzung eines Stichtages bezwecke ![]() | 20 |
In der Bundesrepublik Deutschland, die zu den Vertragsstaaten gehört und deren Praxis hier wegen der deutschen Staatsangehörigkeit der Beklagten neben der schweizerischen Praxis von besonderer Bedeutung ist, hat die innere Verwaltung nach den Feststellungen, die das Oberlandesgericht Stuttgart in einem Urteil vom 13. Februar 1962 (FamRZ 1962 S. 160 f.) auf Grund der Rundschreiben des Bundesministeriums des Innern vom 20. Dezember 1956 und 13. September 1957 traf, die - anerkannten - Ungarnflüchtlinge des Winters 1956/57 von Anfang an als Flüchtlinge im Sinne des Abkommens behandelt (vgl. auch MICHEL a.a.O., der ebenfalls auf das Rundschreiben des genannten Bundesministeriums vom 13. September 1957 hinweist und daraus den gleichen Schluss zieht wie das Oberlandesgericht Stuttgart). Das Oberlandesgericht Stuttgart hat sich im erwähnten Urteil der dargestellten Verwaltungspraxis mit näherer Begründung angeschlossen. Der bereits zitierte Kommentar PALANDT erklärt unter Hinweis auf dieses Urteil und den Aufsatz von MICHEL, die Flüchtlingseigenschaft im Sinne des Abkommens sei für die Ungarnflüchtlinge des Jahres 1956 anerkannt (N. 6 a. E. zu EGBGB 17, S. 1739). Der Kommentar ERMAN zum BGB (4. Aufl., 2. Band,Münster/Westf. 1967) bemerkt, unter die Konvention falle auch, wer auf Grund der vor dem Stichtag in den osteuropäischen Staaten eingetretenen politischen Umwälzungen nach dem Stichtag geflohen ist (Anhang zu Art. 29 EGBGB, Bem. zu Art. 1 lit. A des Abkommens, S. 1824).
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Bei Beurteilung der Anwendbarkeit und der Bedeutung staatsvertraglicher ![]() | 22 |
Der Kläger ist daher auch von den schweizerischen Gerichten als Flüchtling im Sinne des Abkommens von 1951 zu behandeln, so dass er für seine Person den durch Art. 7 h Abs. 1 NAG geforderten Nachweis nicht zu leisten hat.
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(Voraussichtlich wird übrigens bei Erlass des Sachurteils im vorliegenden Prozess für die Schweiz und für die Bundesrepublik Deutschland das Protokoll vom 31. Januar 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge gelten, das den Stichtag des 1. Januar 1951 beseitigt und das gemäss Bekanntmachung des Hochkommissars der Vereinten Nationen für die Flüchtlinge vom 5. Oktober 1967 infolge Hinterlegung der sechsten Beitrittsurkunde in Kraft getreten ist.)
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Die Vorinstanz hat zur Frage der Anerkennung des schweizerischen Gerichtsstandes durch den Heimatstaat der Beklagten nicht Stellung genommen. Sie hat also das deutsche Recht, das für den Entscheid über die Zuständigkeit der schweizerischen Gerichte zur Beurteilung der vorliegenden Scheidungsklage ![]() | 26 |
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Deutschland beansprucht jedoch für die Scheidung von Ehen, bei denen wenigstens ein Ehegatte Deutscher ist, in internationaler Hinsicht nicht die ausschliessliche Zuständigkeit in dem Sinne, dass es ausländischen Urteilen auf Scheidung solcher Ehen die Anerkennung in jedem Fall versagen würde. Der Umstand, dass § 606 ZPO die dort vorgesehenen Gerichtsstände als ausschliessliche bezeichnet, hindert die Anerkennung derartiger ![]() | 28 |
Der Nachweis der Anerkennung des schweizerischen Gerichtsstandes durch das Heimatland der Beklagten darf somit als erbracht gelten. (Den - im voraus unmöglich zu erbringenden - Nachweis der Anerkennung des Urteils durch den Heimatstaat fordert Art. 7 h NAG nicht; vgl. BGE 43 II 283 Erw. 3 und STAUFFER N. 10, BECK N. 50 zu Art. 7 h NAG.)
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Hinsichtlich der Frage, ob das Heimatland der Beklagten den geltend gemachten Scheidungsgrund zulasse, genügt für den vorliegenden Zuständigkeitsentscheid die Feststellung, dass die Klage damit begründet wird, die Ehe sei aus Verschulden der Beklagten tief zerrüttet, und dass in derartigen Fällen der Scheidungsgrund von § 43 des deutschen Ehegesetzes zutreffen kann. Die nähere Prüfung der Frage, ob die Scheidung im vorliegenden ![]() | 30 |
Demnach erkennt das Bundesgericht:
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