BGE 94 II 62 | |||
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10. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 27. Februar 1968 i.S. Müller gegen Transamet SA | |
Regeste |
Staatsvertrag zwischen der Schweiz und Frankreich vom 15. Juni 1869 über den Gerichtsstand und die Vollstreckung von Urteilen in Zivilsachen. | |
Aus den Erwägungen: | |
Nach Art. 1 des schweizerisch-französischen Staatsvertrages sind Klagen in Streitigkeiten zwischen Schweizern und Franzosen und zwischen Franzosen und Schweizern über bewegliche Sachen und persönliche Ansprachen, mögen sie aus dem bürgerlichen oder aus dem Handelsverkehr entsprungen sein, beim natürlichen Richter der beklagten Partei anhängig zu machen. In dieser Vorschrift wird demnach die gleiche Gerichtsstandsgarantie ausgesprochen, wie sie in Art. 59 BV für den interkantonalen Bereich vorgesehen ist. Der staatsvertragliche Gerichtsstandsschutz kommt auch den juristischen Personen zuteil (vgl. BGE 93 II 199 Erw. 4 mit Hinweisen). Nach Art. 3 des Staatsvertrages kann auf Grund einer Gerichtsstandsvereinbarung auf die Anrufung des ordentlichen Richters verzichtet werden. Zu prüfen ist, ob eine gültige Gerichtsstandsabrede getroffen worden ist.
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Art. 59 BV ist als innerstaatliche Vorschrift nicht anwendbar (vgl. BGE 81 I 57). Die Frage des Verzichts auf den ordentlichen Gerichtsstand beurteilt sich einzig auf Grund von Art. 3 des Staatsvertrages (vgl. BGE 29 I 214). Diese Vorschrift legt jedoch nicht fest, auf welche Weise die Wahl eines abweichenden Gerichtsstandes zu erfolgen habe. In der Botschaft des Bundesrates (BBl 1869 II 489) wird die Auffassung vertreten, die im Staatsvertrag vorgesehene freie Vereinbarung sei im gewöhnlichen Sinne zu verstehen, so dass der Gerichtsstand nicht bloss ausdrücklich, sondern auch stillschweigend gewählt werden könne. Dieser Standpunkt wird auch vom Bundesgericht geteilt (BGE 48 I 93). Auf dem gleichen Boden stehen Rechtsprechung und Lehre in Frankreich (vgl. BATIFFOL, Traité élémentaire du droit international privé, 3. Auflage 1959, S. 792, N. 710 A/2; NIBOYET, Traité de droit international privé français, 1949 Band VI, N. 1866).
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Das Bundesgericht hat bei der Auslegung von Art. 2 Ziff. 2 des Vollstreckungsabkommens mit Deutschland vom 2. November 1929 (BS Bd. 12 S. 359 f.) zwischen Gerichtsstandsklauseln unterschieden, die im Angebot auf Abschluss des zivilrechtlichen Rechtsgeschäftes enthalten seien, und selbständigen, namentlich nachträglichen Abreden über die Zuständigkeit. Im ersten Fall sei Ausdrücklichkeit der Vereinbarung anzunehmen, wenn deren Wortlaut unzweideutig besage, dass sich die Parteien mit Bezug auf Streitigkeiten aus dem Hauptvertrag einem bestimmten Gericht unterwerfen; dabei sei nicht erforderlich, dass die Gerichtsstandsklausel gesondert unterschrieben oder in der Annahmeerklärung ausdrücklich erwähnt werde, sondern es genüge, wenn die Annahme der materiellen Vertragsbedingungen keinen gegen die Prorogation gerichteten Vorbehalt aufweise. Werde die Gerichtsstandsklausel dagegen erst nach Abschluss des Hauptvertrages in einer Auftragsbestätigung oder auf einer Rechnung angeführt, so sei die Abrede, auch wenn die Klausel an sich unmissverständlich abgefasst sei, nur beachtlich, wenn die Gegenseite eindeutig deren Annahme ausgesprochen habe. Schweige die Gegenseite oder nehme sie im weiteren Geschäftsverkehr nicht klar auf das betreffende Angebot Bezug, so liege keine ausdrückliche Vereinbarung vor (vgl. BGE 84 I 36 /37 mit Hinweisen). Die hier getroffene Unterscheidung zwischen selbständiger und unselbständiger Gerichtsstandsklausel lässt sich auch auf Art. 3 des schweizerischfranzösischen Staatsvertrages anwenden. Allerdings dürfen die Anforderungen, die - in Anlehnung an die Rechtsprechung zu Art. 59 BV - an die Verbindlichkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung nach Art. 2 Ziff. 2 des deutschen Vollstreckungsabkommens gestellt werden, nur insofern auf Art. 3 des schweizerisch-französischen Staatsvertrages übertragen werden, als eine ausdrückliche Gerichtsstandsvereinbarung in Frage steht. Ob hier eine solche vorliegt, braucht nicht entschieden zu werden, da bereits eine stillschweigende, klar aus den Umständen hervorgehende Wahlerklärung zuständigkeitsbegründend ist (BGE 48 I 93 mit Hinweisen).
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