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7. Auszug aus dem Entscheid der verwaltungsrechtlichen Kammer vom 13. Februar 1976 i.S. Witwe N. und Kind gegen Kanton Solothurn. | |
Regeste |
Beamtenhaftung (Verantwortlichkeitsgesetz des Kantons Solothurn). | |
Sachverhalt | |
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Erwägungen: | |
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Die Beziehungen zwischen einer solchen öffentlich-rechtlichen Anstalt und ihren Benützern (oder deren Angehörigen) beruhen auf einem besondern Rechtsverhältnis. Ob dieses allein öffentlich-rechtlich ausgestaltet ist, oder ob es auch Elemente privatrechtlichen Charakters enthält, ergibt sich aus ![]() | 3 |
a) Nach Art. 61 Abs. 1 OR können die Kantone über die Pflicht ihrer Beamten und Angestellten, den in Ausübung ihrer amtlichen Verrichtungen verursachten Schaden zu ersetzen oder Genugtuung zu leisten, vom Bundeszivilrecht abweichende Bestimmungen aufstellen. Nach Abs. 2 des selben Artikels können jedoch die Regeln des Bundeszivilrechts für gewerbliche Verrichtungen von öffentlichen Beamten und Angestellten durch kantonale Gesetze nicht abgeändert werden. Unter gewerblichen Verrichtungen im Sinne dieser Vorschrift wird die Staatstätigkeit verstanden, die keinen hoheitlichen Charakter trägt (BGE 101 II 183; auch BGE 89 II 271; OFTINGER, Schweizerisches Haftpflichtrecht, Bd. II/I, S. 121 ff., insbesondere S. 127 f.; OSER/SCHÖNENBERGER, N. 13 zu Art. 61 OR). Die Krankenbetreuung in öffentlichen Krankenhäusern und namentlich die ärztliche Berufsausübung in öffentlichen Spitälern wird nach herrschender Ansicht nicht den gewerblichen Verrichtungen im Sinne von Art. 61 Abs. 2 OR zugerechnet, sondern als hoheitliche Staatstätigkeit betrachtet, soweit sie durch Ärzte in amtlicher Eigenschaft erfolgt (BGE 101 II 183; auch BGE 82 II 324 ff.; BGE 70 II 208; BGE 56 II 200 f.; BGE 48 II 417; OFTINGER, a.a.O., S. 130; a.M. GAUTSCHI, N. 42 und 53c zu Art. 394 OR; LOEFFLER, Die Haftung des Arztes aus ärztlicher Behandlung, Diss. Zürich 1945, S. 33). In den (bereits erwähnten) für das Kantonsspital Olten geltenden Rechtsgrundlagen finden sich keinerlei Anhaltspunkte, dass die Betreuung der in dieser öffentlich-rechtlichen Krankenanstalt hospitalisierten Patienten als gewerbliche Verrichtung im Sinne von Art. 61 Abs. 2 OR zu betrachten wäre; diese Tätigkeit untersteht daher grundsätzlich den Haftungsregeln des kantonalen Verantwortlichkeitsgesetzes (Gesetz vom 26. Juni 1966 über die Haftung des Staates, der Gemeinden, der öffentlich-rechtlichen Körperschaften und Anstalten und die Verantwortlichkeit der Behörden, Beamten und öffentlichen Angestellten und Arbeiter). Nach § 1 dieses Gesetzes unterstehen dessen Bestimmungen ![]() | 4 |
Die prinzipielle Haftbarkeit des Kantons Solothurn, deren Feststellung von den Klägerinnen im vorliegenden Verfahren begehrt wird, setzt demnach voraus, dass die beiden Ärzte, Dr. X. und Dr. Y, als sie N. im Kantonsspital Olten operiert haben, die Stellung von öffentlichen Funktionären im Sinne der eben erwähnten Bestimmungen des Verantwortlichkeitsgesetzes innehatten, mit andern Worten, dass das Rechtsverhältnis, in das N. bei seiner Aufnahme in die Privatabteilung des Kantonsspitals eingetreten ist, auch bezüglich seiner Beziehung zu dem ihn operierenden Chefarzt sowie zum Narkosearzt öffentlich-rechtlicher Natur war. Wie es sich mit letzterem verhält, beurteilt sich nach der Rechtsstellung dieser beiden Ärzte innerhalb der staatlichen Krankenanstalt.
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b) Hinsichtlich der Rechtsstellung der beiden Chefärzte, Dr. X. und Dr. Y., ergibt sich aus den Akten folgendes:
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Die Rechtsstellung von Dr. X. war festgelegt in zwei Beschlüssen des Regierungsrates vom 23. Januar und 4. Oktober 1968. Darnach wurde Dr. X. als "nebenamtlicher Chefarzt" gewählt. Er wurde mit der Leitung der am Kantonsspital bestehenden Abteilung für Ohren-Nasen- und Halskrankheiten betraut. Das medizinische Hilfspersonal wurde ihm in Bezug auf die dienstlichen Verrichtungen direkt unterstellt. Er hatte (alle) seine Patienten selbständig zu behandeln. Es wurde ihm das Recht eingeräumt, im Operationssaal des Kantonsspitals an Patienten, die nicht hospitalisiert werden mussten, ambulant Operationen auszuführen, wobei er die daraus dem Spital erwachsenden Unkosten gemäss spezieller Regelung zu vergüten hatte. Die Besoldungs- und Honoraransprüche des "nebenamtlichen Chefarztes der ONH-Abteilung" wurden wie folgt festgelegt: Es wurde ein Fixum bestimmt, in dem die ![]() | 7 |
Die Rechtsstellung von Dr. Y. gründet im Regierungsratsbeschluss vom 22. Dezember 1964. Darnach wurde Dr. Y. auf den 1. April 1965 zum Anästhesiearzt am Kantonsspital Olten gewählt und sein Anfangsgehalt festgelegt. Ferner wurde ihm ein Anspruch auf 60% der Spitaleinnahmen aus den von ihm selbst oder unter seiner Aufsicht und Verantwortung bei Patienten der Privatabteilungen ausgeführten Anästhesien eingeräumt. In der Folge wurde Dr. Y. durch den Regierungsratsbeschluss vom 5. Dezember 1967 zum hauptamtlichen Chefarzt für Anästhesie gewählt und gemäss dem durch die Sanitätsdirektion erlassenen Pflichtenheft vom 17. Mai 1968 den andern Chefärzten in allen Rechten und Pflichten gleichgestellt.
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c) Der seit dem 22. Juni 1878 in Kraft stehende Gründungsbeschluss für das Kantonsspital Olten bestimmt als Zweck der Krankenanstalt, "körperlich kranke Kantonsbewohner zu verpflegen". Die für den Spitalbetrieb ebenfalls immer noch gültige Verordnung vom 27. Mai 1893 umschreibt den Zweck insofern weiter, als das Kantonsspital Olten bestimmt ist, körperlich Kranke zur Behandlung und Pflege aufzunehmen; eine Einschränkung auf Kantonsbewohner besteht nach dieser Bestimmung nicht mehr. Was die Rechtsstellung des Chefarztes anbelangt, führt die Verordnung u.a. aus, dass diesem die Privatpraxis gestattet sei. Die Taxordnung vom 8. Juli 1971 regelte die Taxen sowohl für die Benutzung der allgemeinen als auch der "Privatabteilung", also auch der Abteilung, in der die Privatpatienten der Chefärzte untergebracht sind. Die Tagestaxen für die Benutzung der allgemeinen Abteilung schliessen - von Ausnahmen abgesehen - sämtliche Leistungen des Spitals ein. Für die Privatabteilung enthält der Tarif sowohl die Ansätze für die Unterkunft (Zimmertaxe) und die Benutzung von Operations- und Gebärsaal, als auch ![]() | 9 |
d) Diese kantonalrechtliche Ausgestaltung der Organisation des Kantonsspitals Olten lässt erkennen, dass das Rechtsverhältnis zwischen dem Träger der Anstalt und seinen Benutzern gänzlich vom öffentlichen Recht beherrscht wird. Wer als Patient der allgemeinen Abteilung in das Kantonsspital Olten eingewiesen wird, tritt in ein besonderes Rechtsverhältnis ein, das hinsichtlich seiner Ausgestaltung dem öffentlichen Recht des Kantons untersteht. Erleidet dieser Patient wegen Verletzung der ärztlichen Sorgfaltspflicht oder aus einem andern den Organen der Anstalt anzulastenden widerrechtlichen Verhalten einen Schaden, können er und allenfalls seine Angehörigen den Kanton nach Massgabe des Verantwortlichkeitsgesetzes belangen. Dies wird vom beklagten Kanton auch nicht bestritten.
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Die Haftung des Kantons entfällt aber auch nicht, wenn der Geschädigte Patient in der Privatabteilung, d.h. Privatpatient des Chefarztes ist und diesem hinsichtlich der Operation seines Patienten eine Verletzung der ärztlichen Sorgfaltspflicht vorgeworfen werden muss. Mit Ausnahme der unterschiedlichen Ansätze des zu entrichtenden Entgelts für die einzelnen Haupt- und Nebenleistungen der Anstalt unterscheidet sich nämlich die Stellung der Patienten der Privatabteilung von jener der allgemeinen Abteilung nach Massgabe der einschlägigen kantonalrechtlichen Normen nicht. Jeder Patient, gleich welcher Abteilung, tritt daher bei seiner Einweisung in das Kantonsspital Olten in das besondere, vom öffentlichen Recht des Kantons beherrschte Rechtsverhältnis; dieses umfasst auch die Beziehungen zwischen Patienten und Ärzteschaft. Sieht man von den ambulanten Operationen ab, d.h. von den operativen Eingriffen, welche Chefärzte an Patienten ausführen, die im Spital nicht hospitalisiert werden, ergibt sich aus ![]() | 11 |
Für die rechtliche Qualifikation des Verhältnisses zwischen Privatpatient, Spital und Chefarzt kann es daher auch keine massgebliche Rolle spielen, von welchen persönlichen Motiven der Willensentschluss des Patienten, sich gerade von diesem Chefarzt als Patient der Privatabteilung des Kantonsspitals Olten behandeln und operieren zu lassen, getragen wird. Der Patient dürfte sich ohnehin meist über das Rechtsverhältnis, in das er bei seiner Einweisung in eine Krankenanstalt tritt, kaum völlig im klaren sein. Der Patient erwartet, wenn er die Einweisung in die Privatabteilung verlangt, eine bessere Betreuung, d.h. bessere Leistungen, insbesondere eine persönliche Betreuung durch den Chefarzt. Der Patient ist auch bereit, selbst oder über seine Versicherung für dieses "Bessere" ein höheres Entgelt zu entrichten. Er wünscht aber das Bessere innerhalb der öffentlich-rechtlichen Institution. Selbst wenn daher dieser Patient bereits vor seiner Einweisung ins Spital Privatpatient in der Privatpraxis des Chefarztes war und zu diesem in einem privatrechtlichen Auftragsverhältnis stand, ändert sich mit der Einweisung als Patient ins Kantonsspital Olten sein Rechtsverhältnis zu seinem Arzt. Dieser betreut ihn als Bediensteter des Spitals; das Rechtsverhältnis zum Chefarzt geht in jenem zur Anstalt auf. Welcher Teil des vom Privatpatienten zu entrichtenden Entgelts an den Chefarzt fliesst und wieviel von den Taxen dem Kanton verbleibt, ist für die rechtliche Qualifikation der Beziehung zwischen Anstalt und Patient bzw. Patient und Chefarzt umso weniger von Belang, weil im Kantonsspital Olten selbst die Operationstaxen für die Patienten der Privatabteilung in der Taxordnung festgelegt sind.
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3. Zusammenfassend lässt sich somit feststellen, dass, gemäss den für das Kantonsspital Olten massgeblichen kantonalrechtlichen Grundlagen, einerseits die gesamte klinische Tätigkeit eines Chefarztes, gleichgültig, ob er diese haupt- ![]() | 13 |
Daraus folgt, dass der Kanton Solothurn nach Massgabe der Bestimmungen des Verantwortlichkeitsgesetzes gegenüber den Klägerinnen für eine allfällige Verletzung der ärztlichen Sorgfaltspflicht, die den beiden Ärzten Dr. X. und Dr. Y. hinsichtlich der Operation des verstorbenen N. vorgeworfen wird, einzustehen hat.
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4. Nicht zu entscheiden ist im Rahmen des vorliegenden Verfahrens, wie weit sich die für das Kantonsspital Olten nach Massgabe des kantonalen Rechts ergebende Haftungsregelung grundsätzlich auch auf die Haftung anderer Kantone für die in ihren Spitälern hospitalisierten Privatpatienten übertragen liesse (vgl. BGE 82 II 321, wo das Bundesgericht die Haftung des Kantons Aargau für die Behandlung, die ein Privatpatient im Kantonsspital durch den Stellvertreter des Chefarztes der chirurgischen Abteilung erfahren hatte, verneinte).
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